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KOMMENTAR

In der Nacht vom 9. auf den 10. März geht Europas größtes Rechenzentrum in Flammen auf. Was bedeutet das für uns?

Veröffentlicht am 22.03.2021

Der Hype unserer Zeit: Die Cloud. Sie ist himm­lisch sicher, irgendwo im Nichts gelagert und öko­logisch wert­frei? Die Ver­harm­losung des Phäno­mens fasst Niklas Maak in der FAZ sehr schön zu­sammen: „Daten lagern in Rechen­zentren, die mal ‚Data Center‘, mal mit einem idyllisch-ruralen Unter­ton Server Farm genannt werden, so, als würden dort statt Mais und Kar­tof­feln von fleißigen Elektro­bauern Daten ange­baut.“

Nein, das sind in der Tat keine Farmen, sondern schmutzige Rendite­maschinen. Die ZEIT zitierte unter „Wie grün sind eure Clouds“ aus der erschütternden Green­peace-Studie „How dirty is your data?“, die die Umwelt­be­lastung der IT-Unter­nehmen Akamai, AWS (Amazon), Apple, Face­book, Google, HP, IBM, Microsoft, Twitter und Yahoo untersuchte. Manche dieser Firmen, allen voran Apple, schwenken auf einen weniger klima­schäd­lichen Weg um, während sie dennoch stets mehr Energie ver­brauchen. Der Energie­bedarf aller Rechen­zentren welt­weit liegt 2020 etwa zwischen 200 Milliarden Kilo­watt­stunden (kWh) bis 500 Milliarden kWh. Allein diese massive Spanne zeigt, wie wenig wirklich offen liegt.

Man kann es leider nicht leugnen, Clouds sind dirty. Sie ver­brauchen gewaltige, letztlich un­ver­ant­wort­liche Energie­mengen. Aber sie sind doch wenigstens sicher, so dass wir unsere Daten den Server­parks an Ränder der Groß­städte in sub­arktischen Zonen anver­trauen können?



Nicht sauber, aber wenigstens sicher? Nein!


Seit dem 9. März 2021 kann man auch die Frage nach der legendären Sicher­heit von Server­parks verneinen. Aber das ist doch alles gespiegelt? Oder? Nein, ist es nicht. Ist doch alles ver­sichert? Nein, auch das nicht. Es sei denn, man schließt kost­spielige Zusatz­policen ab. Einer meiner fran­zösischen Kunden hat bei Straß­burger Brand erheb­liche Teile seiner Daten uner­setzlich ver­loren. Wie geht denn das? OVH ist ein High­tech-Unter­nehmen, einer der euro­päischen Giganten im Hosting. Das Unter­nehmen betreibt 260.000 Server in zwanzig Rechen­zentren und ist euro­päischer Markt­führer. Bei OHV Straßburg sind fünf Etagen mit Platz für 12.000 Server nieder­ge­brannt. Im Haus war auch die sensible Hosted Private Cloud, also Daten großer Unter­nehmen, unter­ge­bracht. 3,6 Millionen Websites gingen vom Netz. Private, öffentliche, staatliche.

Der Fach­service Storage Insider schreibt über den Brand, der von 100 Feuer­wehr­leuten mit 44 Fahr­zeugen be­kämpft wurde: „Besonders bitter – die in Rauch aufge­gangenen Daten sind wohl end­gültig verloren. Auf die kosten­pflichtige Option eines Backups in einem anderen OVH-Rechen­zentrum hatten viele Kunden ver­zichtet. So verlor der Spiele­her­steller Face­punch alle euro­päischen Server seines Online-Spiels Rust inklu­sive aller gespei­cherten Daten. Ähnlich erging es der inter­national tätigen Anwalts­kanzlei Leroi & Associés, die ebenfalls einen erheb­lichen Daten­verlust zu be­klagen hatte. Man darf davon aus­gehen, dass dies nicht die einzigen der­artigen Fälle bleiben werden.“

Die Zeitung Le Monde vom 11. März 2021 zitiert Damien Harroué, den Komman­danten der Not­fall­maß­nahmen, Prä­fektur Bas-Rhin: „Das Feuer breitete sich schnell im Gebäude aus. Es wurde ein Hoch­leistungs-Pumpen­boot, das Wasser aus dem Rhein schöpfte, ein­gesetzt, um zu ver­hindern, dass die Flammen weiter um sich greifen. (...) Die Fuß­böden waren jedoch aus Parkett, und die Computer­aus­rüstung brannte wie Zunder. Bei den Rechnern handelt es sich vor allem um Kunst­stoff­materialien, das erzeugte erheb­lichen Rauch und Flammen.“ Immer­hin konnte ge­messen werden, dass trotz der großen Rauch­fahne keine über die Maßen toxische Luft­ver­schmutzung eintrat.

Nun muss man sich fragen, ob die Sicher­heits­maß­nahmen, die Policen, die Backups, das Spiegeln nicht anders gemacht werden könnten. Ja sicher! Aber die Grund­satz­frage ist: Wie verhindern wir, dass wir in immer größere Ab­hängig­keit von immer größeren Firmen geraten, denen unsere Daten schlicht­weg egal zu sein scheinen.

Und: Wie schaffen wir selbst es, statt mehr, weniger Daten zu er­zeugen, so dass die Server­parks nicht noch größere Teile unserer Land­schaft zu Hoch­sicher­heits­zonen ver­wandeln und Abwärme ohne Ende produzieren. Vor allem müssen wir uns fragen, wie wir Daten­sicher­heits­giganten à la OVH dazu bringen, unsere Daten – entgegen deren Profit­streben – wirklich ver­antwort­lich zu sichern. Das sind Fragen, denen wir uns nun noch weniger ent­ziehen können.

Prof. Georg-Christof Bertsch

Prof. Georg-Christof Bertsch ist neben seiner Funktion als Beiratsmitglied des DDC auch Mitglied im Arbeitskreis digital design der bitkom.