KOMMENTAR
In der Nacht vom 9. auf den 10. März geht Europas größtes Rechenzentrum in Flammen auf. Was bedeutet das für uns?
Der Hype unserer Zeit: Die Cloud. Sie ist himmlisch sicher, irgendwo im Nichts gelagert und ökologisch wertfrei? Die Verharmlosung des Phänomens fasst Niklas Maak in der FAZ sehr schön zusammen: „Daten lagern in Rechenzentren, die mal ‚Data Center‘, mal mit einem idyllisch-ruralen Unterton Server Farm genannt werden, so, als würden dort statt Mais und Kartoffeln von fleißigen Elektrobauern Daten angebaut.“
Nein, das sind in der Tat keine Farmen, sondern schmutzige Renditemaschinen. Die ZEIT zitierte unter „Wie grün sind eure Clouds“ aus der erschütternden Greenpeace-Studie „How dirty is your data?“, die die Umweltbelastung der IT-Unternehmen Akamai, AWS (Amazon), Apple, Facebook, Google, HP, IBM, Microsoft, Twitter und Yahoo untersuchte. Manche dieser Firmen, allen voran Apple, schwenken auf einen weniger klimaschädlichen Weg um, während sie dennoch stets mehr Energie verbrauchen. Der Energiebedarf aller Rechenzentren weltweit liegt 2020 etwa zwischen 200 Milliarden Kilowattstunden (kWh) bis 500 Milliarden kWh. Allein diese massive Spanne zeigt, wie wenig wirklich offen liegt.
Man kann es leider nicht leugnen, Clouds sind dirty. Sie verbrauchen gewaltige, letztlich unverantwortliche Energiemengen. Aber sie sind doch wenigstens sicher, so dass wir unsere Daten den Serverparks an Ränder der Großstädte in subarktischen Zonen anvertrauen können?
Nicht sauber, aber wenigstens sicher? Nein!
Seit dem 9. März 2021 kann man auch die Frage nach der legendären Sicherheit von Serverparks verneinen. Aber das ist doch alles gespiegelt? Oder? Nein, ist es nicht. Ist doch alles versichert? Nein, auch das nicht. Es sei denn, man schließt kostspielige Zusatzpolicen ab. Einer meiner französischen Kunden hat bei Straßburger Brand erhebliche Teile seiner Daten unersetzlich verloren. Wie geht denn das? OVH ist ein Hightech-Unternehmen, einer der europäischen Giganten im Hosting. Das Unternehmen betreibt 260.000 Server in zwanzig Rechenzentren und ist europäischer Marktführer. Bei OHV Straßburg sind fünf Etagen mit Platz für 12.000 Server niedergebrannt. Im Haus war auch die sensible Hosted Private Cloud, also Daten großer Unternehmen, untergebracht. 3,6 Millionen Websites gingen vom Netz. Private, öffentliche, staatliche.
Der Fachservice Storage Insider schreibt über den Brand, der von 100 Feuerwehrleuten mit 44 Fahrzeugen bekämpft wurde: „Besonders bitter – die in Rauch aufgegangenen Daten sind wohl endgültig verloren. Auf die kostenpflichtige Option eines Backups in einem anderen OVH-Rechenzentrum hatten viele Kunden verzichtet. So verlor der Spielehersteller Facepunch alle europäischen Server seines Online-Spiels Rust inklusive aller gespeicherten Daten. Ähnlich erging es der international tätigen Anwaltskanzlei Leroi & Associés, die ebenfalls einen erheblichen Datenverlust zu beklagen hatte. Man darf davon ausgehen, dass dies nicht die einzigen derartigen Fälle bleiben werden.“
Die Zeitung Le Monde vom 11. März 2021 zitiert Damien Harroué, den Kommandanten der Notfallmaßnahmen, Präfektur Bas-Rhin: „Das Feuer breitete sich schnell im Gebäude aus. Es wurde ein Hochleistungs-Pumpenboot, das Wasser aus dem Rhein schöpfte, eingesetzt, um zu verhindern, dass die Flammen weiter um sich greifen. (...) Die Fußböden waren jedoch aus Parkett, und die Computerausrüstung brannte wie Zunder. Bei den Rechnern handelt es sich vor allem um Kunststoffmaterialien, das erzeugte erheblichen Rauch und Flammen.“ Immerhin konnte gemessen werden, dass trotz der großen Rauchfahne keine über die Maßen toxische Luftverschmutzung eintrat.
Nun muss man sich fragen, ob die Sicherheitsmaßnahmen, die Policen, die Backups, das Spiegeln nicht anders gemacht werden könnten. Ja sicher! Aber die Grundsatzfrage ist: Wie verhindern wir, dass wir in immer größere Abhängigkeit von immer größeren Firmen geraten, denen unsere Daten schlichtweg egal zu sein scheinen.
Und: Wie schaffen wir selbst es, statt mehr, weniger Daten zu erzeugen, so dass die Serverparks nicht noch größere Teile unserer Landschaft zu Hochsicherheitszonen verwandeln und Abwärme ohne Ende produzieren. Vor allem müssen wir uns fragen, wie wir Datensicherheitsgiganten à la OVH dazu bringen, unsere Daten – entgegen deren Profitstreben – wirklich verantwortlich zu sichern. Das sind Fragen, denen wir uns nun noch weniger entziehen können.