DESIGN DISKURS

Das Bu­reau of Eu­ropean De­sign As­so­cia­ti­ons (BE­DA) ver­tritt in der EU rund 50 De­si­gnor­ga­ni­sa­tio­nen. Prof. Re­gi­na Han­ke, BE­DA Se­creta­ry, über die Stra­te­gie und den Pro­zess, De­sign als wirt­schaft­li­chen, so­zia­len und trans­for­ma­ti­ven Trei­ber und als stra­te­gi­schen Part­ner für po­li­ti­sche und ge­sell­schaft­li­che Her­aus­for­de­run­gen zu po­si­tio­nie­ren, im In­ter­view mit Prof. Dr. Fe­lix Ko­sok.

Veröffentlicht am 05.01.2025
Read in English

Felix Kosok: Lie­be Re­gi­na, du bist seit 2024 Se­creta­ry des Bu­reau of Eu­ropean De­sign As­so­cia­ti­ons, kurz BE­DA. Er­klär mir doch noch mal kurz: was ist ei­gent­lich die BE­DA?

Regina Hanke: Die BE­DA (Bu­reau of Eu­ropean De­sign As­so­cia­ti­ons) ist ei­ne eu­ro­päi­sche Mit­glieds­or­ga­ni­sa­ti­on, die aus et­wa 50 De­si­gnor­ga­ni­sa­tio­nen aus mehr als 23 Län­dern des geo­gra­fi­schen Eu­ro­pas be­steht. Sie ver­steht sich als die zen­tra­le Stim­me des De­signs in Eu­ro­pa und ver­tritt die In­ter­es­sen der De­si­gn­bran­che ins­be­son­de­re in der po­li­ti­schen Land­schaft, ge­gen­über der Eu­ro­päi­schen Kom­mis­si­on und dem Eu­ro­päi­schen Par­la­ment.

An­ge­sichts der mas­si­ven Ver­än­de­run­gen in der Welt set­zen wir uns da­für ein, dass De­sign als es­sen­zi­el­ler Be­stand­teil in Be­rei­chen wie In­no­va­ti­on und Nach­hal­tig­keit an­er­kannt wird. Wir ar­bei­ten dar­an, die Po­si­ti­on von De­si­gner*in­nen in po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­sen zu stär­ken und so in Wirt­schaft und Ge­sell­schaft zu ver­an­kern. An­ge­sichts der ak­tu­el­len Her­aus­for­de­run­gen ar­bei­tet BE­DA da­her dar­an, De­sign als in­te­gra­len Be­stand­teil in ver­schie­de­nen eu­ro­päi­schen The­men­fel­dern zu po­si­tio­nie­ren. Da­bei er­folgt un­se­re Ar­beit auf zwei Zeit­schie­nen: Zum ei­nen geht es um lang­fris­ti­ge Lob­by­ar­beit – das so­ge­nann­te ‚Ad­vo­ca­cy for De­sign‘ – im Kon­text der Eu­ro­päi­schen Kom­mis­si­on. Hier liegt der Fo­kus dar­auf, si­cher­zu­stel­len, dass De­si­gner*in­nen auch in 10, 15 oder 20 Jah­ren un­ter den sich ra­pi­de ver­än­dern­den Rah­men­be­din­gun­gen er­folg­reich tä­tig sein kön­nen.

Prof. Regina Hanke – Secretary der BEDA und Mitglied im DDC. Bild © privat

Ein Bei­spiel hier­für ist die Be­tei­li­gung im Rah­men des „Pact for Skill­s“, ei­nes groß an­ge­leg­ten eu­ro­päi­schen Pro­gramms, das dar­auf ab­zielt, Bür­ger*in­nen in ei­ner sich wan­deln­den Welt mit den not­wen­di­gen Fä­hig­kei­ten aus­zu­stat­ten, um die Wert­schöp­fung in in Eu­ro­pa zu för­dern und so das Wachs­tum zu un­ter­stüt­zen.

Im Rah­men die­ser In­itia­ti­ve hat BE­DA er­folg­reich da­zu bei­ge­tra­gen, dass die Krea­tiv­wirt­schaft, ein­schlie­ß­lich des De­signs, ei­ne be­deu­ten­de Rol­le bei der Ver­tei­lung von För­der­mit­teln spielt. Dies wur­de durch die Zu­sam­men­ar­beit mit dem spe­zi­fi­schen Ge­ne­ral Di­rek­to­rat der Eu­ro­päi­schen Kom­mis­si­on er­mög­licht. Da­mit stärkt die BE­DA nicht nur die De­si­gn­bran­che, son­dern trägt auch da­zu bei, Eu­ro­pa als wirt­schaft­lich und kul­tu­rell viel­fäl­ti­gen Kon­ti­nent zu­kunfts­si­cher zu ge­stal­ten. Je­de*r Ein­zel­ne kann da­zu bei­tra­gen die Po­si­ti­on des De­signs hier zu stär­ken, in­dem er oder sie das Ma­ni­fest für die Krea­tiv- und Kul­tur­wirt­schaft für den „Pact for Skill­s“ un­ter­zeich­net.

Felix Kosok:
Das stelle ich mir kompliziert und langwierig vor, oder?

Regina Hanke: Die Ar­beit der BE­DA bleibt häu­fig un­sicht­bar, da ih­re Ak­ti­vi­tä­ten oft auf ei­ner abs­trak­ten, stra­te­gi­schen Ebe­ne be­gin­nen. Der „Pact for Skill­s“ ist ein Bei­spiel, der auf eu­ro­päi­scher Ebe­ne in­iti­iert wur­de und erst in den kon­kre­ten Pro­gram­men durch Ver­wal­tungs­ebe­nen und Aus­schrei­bun­gen im Rah­men von „Crea­ti­ve Eu­rope“ oder „ERAS­MUS“ sicht­bar wird. Mit die­sem In­stru­ment wer­den dann zum Bei­spiel An­ge­bo­te wie „SAC­COR­D“ oder auch uni­ver­si­tä­rer Aus­tausch ge­för­dert.

BEDA hat 2024 ein Positionspapier veröffentlicht, das jede*r unterzeichnen kann. Bild © BEDA

Felix Kosok: BE­DA macht eh­ren­amt­li­che Lob­by­ar­beit für das De­sign, weil wir uns als De­si­gn­bran­che noch kei­ne haupt­be­ruf­li­chen Lob­by­ist*in­nen leis­ten kön­nen. Um dies greif­ba­rer zu ma­chen, könn­ten wir auf ein kon­kre­tes Pro­jekt ein­ge­hen: das Po­si­ti­ons­pa­pier, das ihr 2024 ver­öf­fent­licht habt. Für wen ist die­ses Po­si­ti­ons­pa­pier ge­dacht?

Regina Hanke: 2024 ist ein ent­schei­den­des Jahr, ge­prägt von po­li­ti­schen und ge­sell­schaft­li­chen Um­wäl­zun­gen. Die Di­rek­tor*in­nen der Ge­ne­ral­mi­nis­te­ri­en der Eu­ro­päi­schen Kom­mis­si­on wur­den neu er­nannt. Sie lei­ten die Ge­ne­ral­di­rek­tio­nen – ver­gleich­bar mit na­tio­na­len Mi­nis­te­ri­en – und sind ma­ß­geb­lich an der po­li­ti­schen Ge­stal­tung der kom­men­den fünf Jah­re be­tei­ligt.

Die Jah­re 2020 bis 2024 wa­ren ge­prägt von tief­grei­fen­den Kri­sen: der Co­vid-19-Pan­de­mie, dem Krieg in der Ukrai­ne, dem Kon­flikt in Ga­za, dem Ein­bruch der Wirt­schafts­leis­tung in Deutsch­land als stärks­ter Wirt­schafts­kraft Eu­ro­pas und ei­nem spür­ba­ren Rechts­ruck in vie­len Mit­glieds­staa­ten der EU. Durch die EU-Wah­len bie­tet die­se tur­bu­len­te Pha­se nun ei­ne gu­te Chan­ce für stra­te­gi­sche Neu­aus­rich­tun­gen und das Po­si­tio­nie­ren neu­er Ak­teur*in­nen und Ide­en.

Vor die­sem Hin­ter­grund hat sich die BE­DA da­zu ent­schlos­sen, ein Po­si­ti­ons­pa­pier zu ver­fas­sen und zu ver­brei­ten. Wir er­rei­chen po­li­ti­sche und ver­wal­tungs­re­le­van­te Ak­teur*in­nen und Ent­schei­dungs­trä­ger*in­nen nur, wenn die Be­deu­tung und die Po­ten­zia­le des De­signs re­le­vant für die­se und für die Ge­sell­schaft sind. Ex­trem rech­te Ab­ge­ord­ne­te, die et­wa 25 Pro­zent der Ge­samt­zahl aus­ma­chen, wur­den be­wusst von der Kom­mu­ni­ka­ti­on aus­ge­schlos­sen. Den ver­blei­ben­den Par­la­men­ta­ri­er*in­nen wur­de das Po­si­ti­ons­pa­pier zu­ge­sandt. Die­ser Schritt, auch wenn er klein wir­ken mag, ist ein wich­ti­ger Auf­takt, um Auf­merk­sam­keit und Sicht­bar­keit für die Kraft des De­signs zu schaf­fen.

„Das lang­fris­ti­ge Ziel die­ser In­itia­ti­ve ist es, De­sign als wirt­schaft­li­chen Trei­ber, und als stra­te­gi­schen Part­ner für po­li­ti­sche und ge­sell­schaft­li­che Her­aus­for­de­run­gen zu po­si­tio­nie­ren.“

Ob­wohl die Krea­tiv­wirt­schaft ein be­deu­ten­der Teil der Wert­schöp­fung in der EU ist, ist De­sign oft­mals we­ni­ger gut or­ga­ni­siert als an­de­re Krea­tiv-Sek­to­ren wie Denk­mal­pfle­ge, Mu­sik oder bil­den­de Kunst, die stär­ker von staat­li­cher Fi­nan­zie­rung pro­fi­tie­ren – da De­sign ei­ner­seits ein Kul­tur­gut und an­de­rer­seits ein Wirt­schafts­gut ist. Die­se Dua­li­tät be­dingt struk­tu­rel­le Un­ter­schie­de und er­schwe­ren die ‚Ad­vo­ca­cy for De­sign‘.

Nur zur Ver­deut­li­chung: Auf je­de*n Ab­ge­ord­ne­te im Eu­ro­päi­schen Par­la­ment kom­men aus der Agrar­wirt­schaft un­ge­fähr drei Lob­by­ist*in­nen – oh­ne Ver­tre­ter*in­nen an­de­rer mäch­ti­ger Bran­chen wie Che­mie, Pe­tro­che­mie oder Phar­ma zu be­rück­sich­ti­gen. Dies un­ter­streicht wie wich­tig es ist, De­sign ge­zielt und stra­te­gisch in den po­li­ti­schen Dis­kurs durch die BE­DA ein­zu­brin­gen.

BEDA Member-Representatives, General Assembly 2024; Bild © Elodie Meunier – WBI

Felix Kosok: Und was ist der Outcome?
 
Regina Hanke: Der Lob­by­druck auf die ein­zel­nen MEPs ist sehr hoch. Des­we­gen sind wir er­freut, dass wir per­sön­li­ches Feed­back von fünf Par­la­men­ta­ri­er*in­nen er­hal­ten ha­ben, die dar­auf ein­ge­gan­gen sind. Das Er­rei­chen ei­nes Pro­zents der Ziel­grup­pe mag we­nig er­schei­nen – aber in An­be­tracht des kom­ple­xen Um­felds, in dem sich die BE­DA be­wegt, ist es von gro­ßer Be­deu­tung. Es geht dar­um, in­ner­halb ei­nes dicht be­setz­ten Fel­des, das von gut or­ga­ni­sier­ten und fi­nan­zi­ell stark aus­ge­stat­te­ten In­ter­es­sens­grup­pen do­mi­niert wird, sicht­bar zu wer­den.

Felix Kosok: Und war­um soll­te ich als so­lo-selb­stän­di­ge*r De­si­gner*in die­ses Pa­pier le­sen?

Regina Hanke: Bis zu 80 Pro­zent der Re­gu­lie­run­gen und Ge­setz­ge­bun­gen, die in den EU-Mit­glied­staa­ten gel­ten, ge­hen di­rekt auf Re­gu­lie­run­gen durch die EU zu­rück. Die­se Vor­ga­ben, wie bei­spiels­wei­se das Lie­fer­ket­ten­ge­setz, Re­gu­lie­run­gen wie der „AI Ac­t“ oder Smart Ma­te­ri­als, wer­den auf eu­ro­päi­scher Ebe­ne de­fi­niert und set­zen die Rah­men­be­din­gun­gen für Ent­wick­lun­gen wie den di­gi­ta­len Zwil­ling oder die Re­gu­lie­rung von Künst­li­cher In­tel­li­genz. Da­bei geht es nicht nur um tech­ni­sche Spe­zi­fi­ka­tio­nen, son­dern auch um die Aus­wir­kun­gen auf Wett­be­werbs­vor­tei­le und -nach­tei­le, ins­be­son­de­re für Start-ups. Je­der ein­zel­ne Bür­ger und je­de Bür­ge­rin – auch De­si­gnen­de – ha­ben die Mög­lich­keit, Ein­fluss auf die EU-Ge­setz­ge­bung zu neh­men. In­dem sie sich in­for­mie­ren, be­tei­li­gen und ih­re Stim­me ein­brin­gen, zum Bei­spiel im Rah­men von „Ha­ve your say“.

„Nur durch ak­ti­ve Wahr­neh­mung die­ser Mit­ge­stal­tungs­mög­lich­kei­ten kön­nen Ver­än­de­run­gen auf eu­ro­päi­scher Ebe­ne an­ge­sto­ßen wer­den.“

Felix Kosok: Und die­ses Po­si­ti­ons­pa­pier: Ist das jetzt ei­gent­lich ei­ne De­sign Po­li­cy? Und was ist ei­ne De­sign Po­li­cy über­haupt?

Regina Hanke: Das Do­ku­ment, das wir ver­öf­fent­licht ha­ben, wur­de ganz be­wusst als Po­si­ti­ons­pa­pier be­zeich­net und nicht als De­sign Po­li­cy. Die­ser Be­griff wur­de ge­wählt, weil das Pa­pier meh­re­re Ebe­nen ver­eint und über die De­fi­ni­ti­on ei­ner De­sign Po­li­cy hin­aus­geht. Es kom­bi­niert drei zen­tra­le As­pek­te: (1) Die Ge­stal­tung von Po­li­tik durch De­sign. Das Pa­pier zeigt auf, wie De­si­gn­me­tho­den da­zu bei­tra­gen kön­nen, po­li­ti­sche Pro­zes­se zu ge­stal­ten und Trans­for­ma­tio­nen an­zu­sto­ßen. Hier steht die Fra­ge im Fo­kus, wel­che An­sät­ze De­si­gner*in­nen an­bie­ten kön­nen, um po­li­ti­sche Pro­zes­se und Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren men­schen­zen­trier­ter, ef­fi­zi­en­ter und ef­fek­ti­ver zu ge­stal­ten. (2) For­de­run­gen aus dem De­sign an die Po­li­tik. Es ent­hält kon­kre­te For­de­run­gen und Vor­schlä­ge aus der De­si­gn­bran­che an die Po­li­tik, et­wa zur Ver­bes­se­rung der Rah­men­be­din­gun­gen für De­sign­schaf­fen­de oder zur stär­ke­ren Be­rück­sich­ti­gung von De­sign in po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­sen. (3) Schlie­ß­lich ent­hält das Pa­pier Ele­men­te ei­ner klas­si­schen Po­li­cy, in­dem es dar­auf ab­zielt, Eu­ro­pa durch De­sign vor­an­zu­brin­gen – sei es wirt­schaft­lich, so­zi­al oder trans­for­ma­tiv.

Das Po­si­ti­ons­pa­pier geht so über die Per­spek­ti­ve ei­ner De­sign Po­li­cy hin­aus, in­dem es die trans­for­ma­ti­ve Rol­le des De­signs und die Er­war­tun­gen der De­si­gn­bran­che an die Po­li­tik in ei­nem Po­si­ti­ons­pa­pier bün­delt.

Die BEDA-Design Policy wurde auch auf dem Design Forum Kaunas 2022 entwickelt – mit Piotr Swiatek. Bild © BEDA

Felix Kosok: Lass es mich noch­mal zu­sam­men­fas­sen. Ei­ne De­sign Po­li­cy wä­re ein Pa­pier, um da­mit Po­li­tik für die De­si­gn­bran­che zu ma­chen aber gleich­zei­tig auch dar­zu­le­gen, wie wich­tig De­sign für die Trans­for­ma­ti­on un­se­rer Ge­sell­schaf­ten ist. Po­li­cy De­sign wä­re hin­ge­gen die Stra­te­gie, De­sign als wich­ti­ge Me­tho­de in der Po­li­tik zu ver­an­kern, al­so das De­sign von Po­li­tik krea­ti­ver und par­ti­zi­pa­ti­ver zu ge­stal­ten. Die­se bei­den Rich­tun­gen aus­zu­dif­fe­ren­zie­ren, hal­te ich für sehr wich­tig. Wie ist eu­re Hal­tung als BE­DA denn hier­zu? Was bringt es, De­si­gn­me­tho­den auf die Po­li­tik an­zu­wen­den?

Regina Hanke: Be­vor ich di­rekt auf die Fra­ge ein­ge­he, möch­te ich noch ei­nen Schritt zu­rück­ge­hen und das The­ma et­was brei­ter be­trach­ten. Es geht nicht nur dar­um, De­sign als trans­for­ma­ti­ve Kraft zu ver­ste­hen, son­dern auch dar­um, wel­che Wirt­schafts­leis­tung De­sign tat­säch­lich er­brin­gen kann. De­sign hat das Po­ten­zi­al, In­no­va­tio­nen vor­an­zu­trei­ben, neue Märk­te zu er­schlie­ßen und wirt­schaft­li­che Vor­tei­le zu schaf­fen – so­wohl auf lo­ka­ler, eu­ro­päi­scher und auf glo­ba­ler Ebe­ne.

Gleich­zei­tig stellt sich die Fra­ge, wie De­sign da­zu bei­tra­gen kann, so­zia­le Pro­ble­me zu be­wäl­ti­gen. Sei es durch die Ent­wick­lung in­klu­si­ver Lö­sun­gen, wie die För­de­rung von Chan­cen­gleich­heit oder die Un­ter­stüt­zung von Bil­dungs- und Ge­sund­heits­the­men – De­sign bie­tet Werk­zeu­ge und An­sät­ze, die hel­fen, drän­gen­de ge­sell­schaft­li­che Her­aus­for­de­run­gen zu ge­stal­ten.

Und letzt­lich geht es auch um den ge­samt­ge­sell­schaft­li­chen Kon­text: Wel­che Trans­for­ma­ti­ons­kräf­te kön­nen durch De­sign ge­steu­ert wer­den? Kann De­sign Brü­cken bil­den zwi­schen Po­li­tik, Wirt­schaft und Ge­sell­schaft, um Ver­än­de­run­gen zu er­mög­li­chen, die­se ge­zielt zu len­ken?

„Es geht dar­um, De­sign als in­te­gra­len Be­stand­teil die­ser po­li­ti­schen, ge­sell­schaft­li­chen und wirt­schaft­li­chen Pro­zes­se zu eta­blie­ren, um die Trans­for­ma­tio­nen die je­de*n Ein­zel­ne*n von uns be­tref­fen, ak­tiv mit­zu­ge­stal­ten.“

Jetzt zu dei­ner Fra­ge: De­sign trägt be­reits auf viel­fäl­ti­ge Wei­se da­zu bei, po­li­ti­sche Pro­zes­se zu ge­stal­ten. Tat­säch­lich sind ei­ni­ge De­si­gn­me­tho­den be­zie­hungs­wei­se Me­tho­den, die sich dem De­sign stark an­nä­hern, in der Po­li­tik an­ge­kom­men. Ein gu­tes Bei­spiel ist das so­ge­nann­te „Sand­boxin­g“ aus dem ju­ris­ti­schen Be­reich. Hier­bei wer­den neue Ge­set­zes­ent­wür­fe zu­nächst in klei­nem Rah­men, im bes­ten Fall un­ter Re­al­be­din­gun­gen, ge­tes­tet – ähn­lich ei­nem klas­si­schen Pro­to­typ­ing-Ver­fah­ren im De­sign. An­schlie­ßend wer­den die­se ite­ra­tiv über­ar­bei­tet, be­vor sie end­gül­tig in die po­li­ti­sche Pra­xis ein­flie­ßen. Dies zeigt, dass wir als De­si­gnen­de nicht die Ho­heit über Krea­ti­vi­tät oder ‚krea­ti­ve‘ Me­tho­den ha­ben – ge­ra­de die Schnitt­men­gen mit den So­zi­al­wis­sen­schaf­ten und den Po­li­tik­wis­sen­schaf­ten sind hier groß.

Im Ge­gen­satz zu die­sen, be­sit­zen De­si­gnen­de ei­ne Su­per­power: Wir kön­nen nicht nur Fra­gen stel­len, Re­cher­chen ma­chen oder Work­shops durch­füh­ren oder ver­schie­de­ne Per­so­nen­grup­pen zur Zu­sam­men­ar­beit be­we­gen. Wir sind be­fä­higt die Zu­kunft dar­zu­stel­len, zu vi­sua­li­sie­ren oder greif­bar (im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes) zu ma­chen in ei­ner Art und Wei­se, die Men­schen be­fä­higt, zu ent­wi­ckeln und zu ver­ste­hen. Die­se spe­zi­el­len Kom­pe­ten­zen in Kom­bi­na­ti­on mit De­sign- und Krea­tiv­me­tho­den, be­rei­chern den Pro­zess der po­li­ti­schen Ge­stal­tung.

Ein we­sent­li­cher Bei­trag ist das Hu­man-Cen­te­red De­sign, die Fä­hig­keit, den Men­schen in den Mit­tel­punkt sämt­li­cher Über­le­gun­gen zu stel­len – und da­mit auch in das Zen­trum von Sustaina­bi­li­ty. Es ist ei­ne ur­ei­gens­te Not­wen­dig­keit, un­se­ren Le­bens­raum in sei­ner ge­sam­ten Viel­falt zu schüt­zen. De­si­gn­me­tho­den er­mög­li­chen es, po­li­ti­sche Ent­schei­dun­gen stär­ker an den tat­säch­li­chen Be­dürf­nis­sen der Men­schen aus­zu­rich­ten, was sie in­klu­si­ver und bür­ger­nä­her macht. Dar­über hin­aus för­dert De­sign Am­bi­gui­täts­to­le­ranz und den Um­gang mit Un­si­cher­hei­ten. Po­li­ti­sche Pro­zes­se sind oft kom­plex und wi­der­sprüch­lich, und De­si­gner*in­nen brin­gen die Fä­hig­keit mit, sol­che Un­si­cher­hei­ten nicht nur aus­zu­hal­ten, son­dern pro­duk­tiv zu nut­zen. Statt al­les bis ins letz­te De­tail zu de­fi­nie­ren, hel­fen ite­ra­ti­ve An­sät­ze, mit ei­nem ers­ten Ent­wurf zu star­ten, ihn zu tes­ten und schritt­wei­se zu ver­bes­sern.

Ei­ne wei­te­re Stär­ke des De­signs ist das la­te­ra­le Den­ken – die Fä­hig­keit, ver­schie­de­ne Per­spek­ti­ven gleich­zei­tig ein­zu­neh­men und da­durch krea­ti­ve, un­er­war­te­te Lö­sungs­an­sät­ze zu fin­den. In der Po­li­tik kann dies da­zu bei­tra­gen, in­no­va­ti­ve We­ge zu ent­wi­ckeln, die über kon­ven­tio­nel­le An­sät­ze hin­aus­ge­hen. Schlie­ß­lich bie­tet De­sign die Mög­lich­keit, Äs­the­tik und Funk­tio­na­li­tät mit­ein­an­der zu ver­bin­den. Es geht hier nicht um „schö­ne Ober­flä­chen“, son­dern um ko­hä­ren­te, gut durch­dach­te Lö­sun­gen, die auch emo­tio­na­le und äs­the­ti­sche Be­dürf­nis­se be­rück­sich­ti­gen. Wie Die­ter Rams ein­mal sag­te: „Gu­tes De­sign ist so­wohl funk­tio­nal als auch mensch­lich, emo­tio­nal an­spre­chend.“

Prof. Dr. Felix Kosok beim BEDA Design Forum 2024 in Brüssel, Bild © Elodie Meunier – WBI

Felix Kosok: Kön­nest du ein kon­kre­tes Bei­spiel nen­nen, bei dem De­si­gn­me­tho­den be­wusst ein­ge­setzt wur­den, um po­li­ti­sche Pro­zes­se zu ge­stal­ten? Viel­leicht das „New Eu­ropean Bau­haus“ – so­weit ich weiß, ist das ei­ne In­itia­ti­ve, die zum ers­ten Mal De­si­gn­me­tho­den ge­zielt in den po­li­ti­schen Kon­text ein­ge­bracht hat.

Regina Hanke: Das „New Eu­ropean Bau­haus“ ist ein äu­ßerst span­nen­des Bei­spiel da­für, wie De­si­gn­me­tho­den er­folg­reich in die Po­li­tik­ge­stal­tung in­te­griert wer­den kön­nen. Es han­delt sich um ei­nen ite­ra­ti­ven Pro­zess, der sich be­wusst von den tra­di­tio­nel­len Vor­ge­hens­wei­sen der Eu­ro­päi­schen Kom­mis­si­on ab­hebt. Im Ge­gen­satz zu üb­li­chen Kom­mis­si­ons-Vor­ha­ben, bei de­nen häu­fig von Be­ginn an kla­re Ziel­set­zun­gen oder Lö­sungs­an­sät­ze de­fi­niert wer­den, be­gann die­ser Pro­zess of­fen und ex­plo­ra­tiv.

Das Pro­gramm ori­en­tier­te sich an dem „Dou­ble Dia­mon­d“-De­sign-Pro­zess und brach den Pro­zess in di­ver­gen­te und kon­ver­gen­te Mei­len­stei­ne auf, die es er­mög­lich­ten, schritt­wei­se und fle­xi­bel vor­zu­ge­hen. Statt so­fort auf Lö­sun­gen hin­zu­ar­bei­ten, wur­de zu­nächst un­ter­sucht, wel­che Ka­pa­zi­tä­ten und Mög­lich­kei­ten vor­han­den sind und wer un­be­dingt be­tei­ligt sein soll­te. Die­se of­fe­ne Her­an­ge­hens­wei­se war für die Eu­ro­päi­sche Kom­mis­si­on ein No­vum und stell­te ei­nen mu­ti­gen Schritt dar.

Das Be­son­de­re dar­an ist, dass die­ser An­satz of­fen­bar äu­ßerst er­folg­reich war. Be­trach­tet man den Mit­tel­ein­satz im Ver­hält­nis zum Out­co­me, zählt das „New Eu­ropean Bau­haus“ nach jet­zi­gem Wis­sens­stand zu ei­nem der er­folg­reichs­ten EU-Pro­gram­men. Es hat mitt­ler­wei­le so­gar Ein­gang in das „Ho­ri­zon Eu­rope“-Pro­gramm ge­fun­den und ist ein Vor­zei­ge­pro­jekt für die In­te­gra­ti­on von De­si­gn­me­tho­den in gro­ße po­li­ti­sche In­itia­ti­ven.

Für uns bei der BE­DA ist dies ein Fall­bei­spiel, das zeigt, dass die von De­si­gner*in­nen ent­wi­ckel­ten Me­tho­den nicht nur in der Krea­tiv­wirt­schaft funk­tio­nie­ren, son­dern auch in groß an­ge­leg­ten po­li­ti­schen Pro­gram­men. Das stärkt die Rol­le des De­signs und un­ter­streicht un­se­ren po­si­ti­ven Im­pact.

Das „New European Bauhaus“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie Designmethoden erfolgreich in die Politikgestaltung integriert werden können. Bild © NEB

Felix Kosok: Wie seid ihr auf die drei Fo­kus­punk­te des Po­si­ti­ons­pa­piers ge­kom­men – den eu­ro­päi­schen Wohl­stand durch De­sign zu för­dern, De­sign zur Stär­kung der De­mo­kra­tie ein­zu­set­zen und die Per­spek­ti­ve des De­signs auf neue Tech­no­lo­gi­en wie Künst­li­che In­tel­li­genz zu len­ken?

Regina Hanke: Die Ent­wick­lung der drei Fo­kus­punk­te im Po­si­ti­ons­pa­pier war das Er­geb­nis ei­nes kol­la­bo­ra­ti­ven Pro­zes­ses in­ner­halb der BE­DA. Wir ha­ben ei­ne Ar­beits­grup­pe, die sich seit Jah­ren mit De­sign Po­li­cy aus­ein­an­der­setzt und re­gel­mä­ßig be­ste­hen­de An­sät­ze über­prüft und an ak­tu­el­le Be­dürf­nis­se an­passt. Über die letz­ten vier Jah­re ha­ben sich da­bei die zen­tra­len Über­punk­te – eu­ro­päi­scher Wohl­stand, De­mo­kra­tie und neue Tech­no­lo­gi­en – klar her­aus­kris­tal­li­siert.

Die Ar­beit be­stand in der Fol­ge vor al­lem dar­in, die­se Punk­te in prä­zi­se Aus­sa­gen zu fas­sen und ih­re Be­deu­tung klar zu de­fi­nie­ren. Die­ser Pro­zess war auch kon­tro­vers. Es be­gann mit der Po­li­cy-Grup­pe un­ter der Lei­tung von Piotr Swia­tek (Preli­mi­na­ry De­sign Re­view, UK) und mir, die das Pa­pier zu­nächst ent­wor­fen ha­ben. An­schlie­ßend wur­de es im Exe­cu­ti­ve Team dis­ku­tiert, wo­bei Fra­gen wie die Län­ge, der Fo­kus und die For­mu­lie­run­gen in­ten­siv be­spro­chen wur­den.

Nach der Dis­kus­si­on im Exe­cu­ti­ve Team ging das Pa­pier ins Board, das aus 11 Mit­glie­dern aus ver­schie­de­nen Na­tio­nen be­steht. Hier ka­men wei­te­re Per­spek­ti­ven und Bei­trä­ge hin­zu. The­men wie „En­ga­ge Ci­ti­zens in Po­li­cy Ma­kin­g“, „Coun­ter­act Mis­in­for­ma­ti­on“ oder „In­vest in De­sign Re­se­ar­ch“ wur­den ein­ge­bracht. Der Aus­tausch war oft nicht ein­fach, da un­ter­schied­li­che na­tio­na­le Per­spek­ti­ven – et­wa zwi­schen west­eu­ro­päi­schen Län­dern und bal­ti­schen Staa­ten, die vom Ukrai­ne-Krieg di­rekt be­trof­fen sind – zu teils kon­tro­ver­sen Stand­punk­ten führ­ten.

„Letzt­lich war es ein kom­ple­xer, aber wert­vol­ler Pro­zess, der die Viel­schich­tig­keit der eu­ro­päi­schen De­si­gn­land­schaft wi­der­spie­gelt. Es zeigt, wie wich­tig es ist, di­ver­se Per­spek­ti­ven ein­zu­be­zie­hen. Ge­nau die­ser An­satz macht das Po­si­ti­ons­pa­pier zu ei­nem star­ken und aus­ge­wo­ge­nen Do­ku­ment, das die In­ter­es­sen und Vi­sio­nen der De­si­gn­bran­che in Eu­ro­pa wi­der­spie­gelt.“

Felix Kosok: Was wünschst du dir für die Zu­kunft des Po­si­ti­ons­pa­piers? Wel­che nächs­ten Schrit­te soll­ten dei­ner Mei­nung nach fol­gen? Und was wä­re dein idea­ler Out­co­me für die­ses Pa­pier?

Regina Hanke: Mein gro­ßer Wunsch für das Po­si­ti­ons­pa­pier wä­re, dass die neu­en Kom­mis­sa­re und die be­ste­hen­den Ge­ne­ral­di­rek­tor*in­nen, die für un­se­re Ar­beit re­le­vant sind und die wir der­zeit iden­ti­fi­zie­ren, die­ses Pa­pier als ei­ne kla­re Auf­for­de­rung ver­ste­hen, mit uns in ei­nen di­rek­ten Dia­log zu tre­ten. Rea­lis­tisch müs­sen wir fest­stel­len, dass es ein un­glaub­li­cher Er­folg wä­re, wenn die­se uns zu ei­nem per­sön­li­chen Ge­spräch ein­la­den wür­den, um über die The­men zu spre­chen, die im Po­si­ti­ons­pa­pier an­ge­spro­chen wer­den. Es wä­re mein Wunsch, dass wir mit dem Po­si­ti­ons­pa­pier die Auf­merk­sam­keit und die Be­reit­schaft schaf­fen, De­si­gn­me­tho­den und -per­spek­ti­ven stär­ker in den po­li­ti­schen Dis­kurs ein­zu­brin­gen.

Prof. Regina Hanke

Mein gro­ßer Wunsch für das Po­si­ti­ons­pa­pier wä­re, dass die neu­en Kom­mis­sa­re und die be­ste­hen­den Ge­ne­ral­di­rek­tor*in­nen, die für un­se­re Ar­beit re­le­vant sind und die wir der­zeit iden­ti­fi­zie­ren, die­ses Pa­pier als ei­ne kla­re Auf­for­de­rung ver­ste­hen, mit uns in ei­nen di­rek­ten Dia­log zu tre­ten. Rea­lis­tisch müs­sen wir fest­stel­len, dass es ein un­glaub­li­cher Er­folg wä­re, wenn die­se uns zu ei­nem per­sön­li­chen Ge­spräch ein­la­den wür­den, um über die The­men zu spre­chen, die im Po­si­ti­ons­pa­pier an­ge­spro­chen wer­den. Es wä­re mein Wunsch, dass wir mit dem Po­si­ti­ons­pa­pier die Auf­merk­sam­keit und die Be­reit­schaft schaf­fen, De­si­gn­me­tho­den und -per­spek­ti­ven stär­ker in den po­li­ti­schen Dis­kurs ein­zu­brin­gen.