Bild: Construction of the Manhattan Bridge, March 23, 1909.
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DESIGN DISKURS

Design ist in jeder Organi­sation auf drei Ebenen aktiv: Auf der stra­tegischen Ebene werden Agenden, Missi­onen und Richt­linien definiert. Die taktische Ebene kenn­zeichnet sich durch die Inte­gra­tion von Geschäfts­pro­zessen, Teams und Funk­tionen. Und im Opera­tiven geht es vor allem um die Um­setzung von Projekt­ideen und Pro­zessen in Produkten, Dienst­leist­ungen und Erfahr­ungen. Eine Reflexion aus der beruflichen Praxis.

Veröffentlicht am 01.12.2022

Design ist eine ent­werfende Kraft, die die Welt und uns formt, im Posi­tiven, als im Nega­tiven. Anne-Marie Willis defi­nierte diesen An­satz treffend als Onto­logical Design: “We design our world, while our world acts back on us and designs us”. 1 Der Entwurf ist für das Mensch­sein von grund­legender Bedeut­ung. Gerade jetzt, in einer Zeit, in der wir reali­sieren, dass der Mensch die größte geo­logische Kraft auf diesem Planeten ist. 2 Unser Dasein und Handeln, das wieder­um gestal­tet ist, verändert Öko­sys­teme und diese verän­dern die Art, wie wir leben und sein werden. Wir über­legen und planen in einer Weise, die unser Handeln und Schaffen prä­figuriert. Durch die Analyse und Syn­these von Wissen, Erfahr­ungen, Praktiken, sind wir be­fähigt, Kon­texte zu ver­stehen und etwas Neues zu entwerfen.

Dieser, dem Design intrin­sischer, Pro­zess lässt sich durch das Analysis-Syn­thesis Bridge Model be­schreiben, wie es Hugh Dubberly, Shelley Evenson und Rick Robin­son 2008 taten. 3 Man stelle sich eine Matrix mit vier Feldern vor. Auf der linken Seite befinden wir uns im Ist-Zustand, auf der rechten Seite im Soll-Zustand. Auf der vertikalen Achse bewegen wir uns vom unter­steh­en­den „Kon­kreten“ in das oben­stehende „Abstrakte“. Im Herzen bein­haltet dieses Modell die Frage da­nach „Wie“ diese Über­gänge oder sogenannte „Trans­formatio­nen“ beschritten werden können.

Im Uhrzeiger unten links begin­nend er­geben sich drei aktive Schritte von Quadrant zu Quadrant denkend. Aus­gehend von der kon­kreten und aktu­ell vor­herr­schenden Situ­ation (oftmals als Problem ver­standen) inter­pre­tieren wir die Abstrak­tion als ein Modell des „Was ist“. Ein be­schrei­ben­der Akt, der einem analyt­ischen Erfor­schen entspricht.

Der darauf­folgende Schritt ist die sugges­tive Über­legung eines möglichen anderen Modells. Ein Ent­wurf, „Was sein könnte“. Hier begeben wir uns aus den be­schrei­benden Modi hin zu hypo­thesen­­ba­sier­ten Proto­typen, den Ideen neuer For­men. Dieses sich konkreti­sierende Modell wird im letzten Zug als wünschens­werter Zukunfts­status mani­festiert und somit gestaltet. Diese Materiali­sierung ist durch iterative Weiter­führung gekenn­zeichnet. Dieser gesamte Prozess ist essen­zieller Bestand­teil des alltäg­lichen Schaffens von Designer­*innen.

In den letzten Jahr­zehnten durchzog die Design­indus­trie eine Welle von Mergers & Ak­qui­sit­ionen. Viele nam­hafte Design­firmen ließen sich auf Über­nahme­an­ge­bote ein und wurden Teil von großen Beratungs­häusern und Wirt­schafts­prüfungen. 2013 verkündete Accenture das renom­mierte Design­studio Fjord, für eine unbe­kannte Summe, über­nom­men zu haben; 2015 wurde Lunar von McKinsey & Company akquiriert und die IT-Beratung Wipro kaufte die strategische Design­firma Designit. Mittler­weile gehören Kolle Rebe, IDEO, Sinner Schrader, Frog und viele weitere zu einer großen Kon­glomera­tion. Design wurde durch das Zu­kaufen nun­mehr traditio­nell inte­griert und unter­dessen als not­wendige Kompe­tenz wahr­ge­nom­men, um in einer kompeti­tiven Indus­trie als der sich digitali­sieren­den und kom­plexer werdenden Welt bestehen zu können.

Der Trend, des exponen­tiellen Zu­kaufs und Vereinen von Ange­boten, mag getrie­ben sein durch die trans­paren­ter werdende öko­nomische Bemes­sung von Design. Seit 2004 wurde viel über den strategischen Wert von Design für Unter­nehmen jeder Größe und Art be­richtet. Unter anderem veröffent­lichten der Danish Design Council und British Design Council Studien zu den Themen „The Economic Effects of Design“ (2004) und „The Value of Design Factfinder“ (2007), die als Grund­lage für ein erstes Rahmen­werk dem Design Manage­ment Institute dienten. 4 Dieses ermit­telte anhand von Studien, Forschungs­pro­gram­men und Sym­posien das Design Value System (DVS). Erst­mals wurde der Wert von Investi­tionen in Design be­mes­sen (Design Value Index), der Reife­grad einer Design­organi­sation bewertet (Design Maturity Matrix) und ein Bench­marking der Bereiche, in denen Design einen Mehr­wert schafft, ermög­licht (Design Value Map). Ein bemerkens­wertes Ergeb­nis gelang den design­orien­tierten Unter­nehmen von 2005 bis 2015, welche enorme Vorteile an der Börse erwirt­schaften konnten. Sie über­trafen die Wirt­schafts­kraft des ameri­kanischen Leit­index S&P 500 um 211 Prozent. 5

Darauf auf­bauend veröffent­lichte McKinsey & Company 2018 einen Report zu „The Business Value of Design“. 6 Der McKinsey Design Index bewertet Unter­nehmen danach, wie stark sie im Bereich Design sind und wie dies mit der finan­ziellen Leist­ung des jeweiligen Unter­nehmens zusammen­hängt. Es wurden die Design­aktivi­täten von 300 börsen­notierten Unter­nehmen über einen Zeit­raum von fünf Jahren in ver­schiedenen Ländern und Branchen unter­sucht. Heraus kam, dass Unter­nehmen, die im McKinsey Design Index im obersten Quartil liegen, das Wachs­tum der jeweil­igen Branche im Ver­hält­nis zwei zu eins über­trafen. Das sind bemerkens­werte Zahlen. Design wurde weiterhin als Wirkungs­kraft in folgenden Bereichen wahrgenommen: 

- Analytische Führung durch die Bemes­sung und das Steuern von Dienst­leistungen
- Crossfunktionales Arbeiten, das nutzenden-zentriertes Design als Aufgabe aller versteht
- Kontinuierliche Iteration mit Nutzen­den, um das Risiko von Entwick­lungen zu minimieren
- User Experience als Integrator des Physischen, des Digi­talen und von Services 

Kehren wir zu dem eingangs erwähn­ten Analysis-Synthesis Bridge Model zurück. Im Vergleich zu Designer­*innen erlernen Berater­*innen ein analytisches Set an Fähig­keiten in der Business School Bildung. Es geht darum, Zahlen und Daten durch bei­spiels­weise Markt­analysen, Ge­schäfts­­zahlen oder Kund­*innen­daten in einer Ist-Analyse zu ver­stehen und zu be­schreiben (der untere linke Quadrant). Diese Zahlen werden in einem Modell inter­pretiert und somit Möglich­keits­räume er­schlos­sen. Beim Über­gang vom Abstrakten zum Kon­kreten tendieren Manage­ment Consultants dazu, den Schritt des Prototypi­sierens zu über­springen, um mit der Definition des Soll-Zu­standes abzu­schließen. Der Blick auf das Be­stehende und Zu­künft­ige ist geprägt durch mentale Mo­delle, welche das Kon­krete als festes und vor­bestim­mtes Medium be­greifen. Der zukünftige Soll-Zustand ist somit in seinem Ergeb­nis oftmals ledig­lich eine Verbes­serung der zuvor aus­ge­wählten Kenn­zahlen. Es geht um Wert­optimierung.

Designer*innen halten sich hingegen lange im oberen rechten Quadranten auf. Hier entstehen Modelle, von dem „Was“ sein könnte. Design hat seine Stärken in der Inter­pretation und daraus resultier­enden Gener­ier­ung von Modellen des Mög­lichen, und weniger in der klassischen quanti­tativen Analyse und der reinen Auf­wert­ung. Die vor­bestim­mte Form der Ist-Analyse wird radikal hinter­fragt. Das Ent­werfen einer Reihe von neuen Möglich­keiten können die vorerst finali­sierte Form des Soll-Zustands grund­legend be­einflussen. Erst wenn diese generative und kreative Phase zu Ende kommt, werden Designer­*innen analytische Werk­zeuge ein­setzen, um die Ideen im ange­wandten Kontext zu be­werten. Hier stellen sich Fragen nach Märkten, Geschäfts­modellen, techno­logischer Mach­bar­keit, ethischer Verein­bar­keit und vieles mehr. Herkömm­liche Instrumente der Unter­nehmens­strategie werden darauf­hin zur Bewertung der Ideen einge­setzt, um einzu­schätzen, was es braucht, diese Ideen zu verwirk­lichen. Keine Optimierung, sondern Wertgenerierung. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Design, wie es Kathryn Best beschreibt, in jeder Organisation auf drei Ebenen aktiv ist: Auf der strategischen Ebene werden Agenden, Missionen und Richt­linien definiert. Die taktische Ebene kenn­zeichnet sich durch die Inte­gration von Geschäfts­pro­zessen, Teams und Funktio­nen. Und im Operativen geht es vor allem um die Um­setzung von Projekt­ideen und Pro­zessen in Produkten, Dienst­leist­ungen und Erfahr­ungen. Design agiert über­greifend und fluide auf allen Ebenen und bringt durch den Prozess der Abstraktion hin zum Materiali­sieren enorme Kompe­tenzen für eine kreative und greif­bare Entscheidungs­findung mit. 7

Ein letzter wichtiger Punkt ist die Inten­tion, mit welcher Ideen entstehen. Modelle und proto­typisierte Ent­würfe be­schreiben mögliche Zukün­fte des Soll-Zu­standes. Wir haben die Wahl, Dinge zu inklu­dieren und zu exklu­dieren. Wie ein­leitend behauptet, gestaltet Design die Welt. Es besitzt Macht und damit ein­hergeht Verant­wortung. Lang­fristig kann der Ent­wurf des Neuen, Denk- und Verhaltens­para­digmen ver­ändern, was wieder­um zu weiteren innovativen Poten­zialen führt. Je bewusster wir mit dieser Kraft umgehen, desto mehr kann Design das Leben für alle besser machen.

Der British Design Council hat ein Design-Wert-Modell ent­wickelt, um die zuvor erfolg­ten Forschungen zur Design­wirt­schaft weiter­zu­führen. Es soll mehr Licht auf die im Schatten der finan­ziellen Werte stehenden sozialen, kulturellen, öko­logischen und demo­kratischen Werte ge­worfen werden. 8 Das seit 2021 statt­findende Projekt soll struktur­ierte Methoden zur Ab­bildung und Be­wertung von positiven und negativen Aus­wirk­ungen hervor­bringen. Bisher haben sich Werte-Berichte auf die finan­zielle und wirt­schaft­liche Leistung von Design fokussiert. Die nicht-finan­ziellen Werte müssen expliziter gestaltet und sicht­barer werden. Dies könnte ein bedeutendes Poten­zial für Design dar­stellen, einen gesell­schaft­lichen Beitrag jenseits von reiner Wert­optimierung in Unter­nehmen und Beratun­gen zu leisten. Vor allem dann, wenn die Dis­ziplin als solche von außer­wirt­schaft­lichen Insti­tutionen und Trägern ernst­haft wahr­genom­men und integriert wird. Design ermög­licht Wert­generier­ung. Lasst uns gemeinsam, wünschens­werte Zukünfte, gestalten.

Quellenverzeichnis

1   Willis, Anne-Marie. “Ontological Designing.” Design Philosophy Papers (2006): n. pag. Print.
2   Bubenzer, Olaf, Hans Gebhardt, and Frank Keppler. „Der Mensch als geologische Kraft. Das Zeitalter des Anthropozäns.“ Ruperto Carola 15 (2019): 24–33.
3   Dubberly, Hugh, and Shelley Evenson. “On modeling The analysis-systhesis bridge model.” interactions 15.2 (2008): 57–61.
4   The value of Design – Design Management Institute – dmi.org (2015) The Value of Design. Design Management Institute. Available at: https://www.dmi.org/page/DesignValue/The-Value-of-Design-.htm (Accessed: November 24, 2022).
5   Westcott, Michael, et al. “The DMI design value scorecard: a new design measurement and management model.” Design Management Review 24.4 (2013): 10–16.
6   Design, McKinsey. “The Business Value of Design.” McKinsey Design (2018).
7   Best, Kathryn. Design management: managing design strategy, process and implementation. AVA publishing, 2006.
8   Kimbell, Lucy, et al. “Design Economy 2021–Introductory Paper.” Design Economy 2021 (2021): 1–36.

Jonas Voigt

(*1992, Deutschland) ist davon über­zeugt, dass die Art und Weise, wie Design Inquiry »Wicked Prob­lems« angeht, dazu beiträgt, die Bezieh­ungen zwischen Menschen, Nicht-Menschen, Techno­lo­gien und Öko­logien zu ge­stalten. Dies ist eine Ver­pflicht­ung, die seine Arbeit als Design­stratege, Forscher und Dozent unter­mauert. Momen­tan prakti­ziert Jonas Design in den Domänen Venture Building und digitale Trans­forma­tion bei Etribes in Hamburg. Er ist weiter­hin Absol­vent des Mellon Sawyer Seminar zu »Imaginative Mobilities« und des Design Realities Studio an der The New School in New York. Jonas lehrte an der Parsons School for Design, der Hoch­schule Anhalt Dessau und ist der­zeit Dozent an der Hoch­schule für Ge­stalt­ung Schwäbisch Gmünd und der Hoch­schule Hof. Seit 2021 engagiert er sich in der Deutschen Gesell­schaft für Design­theorie und -forschung (DGTF).

www.jonas-voigt.com