DESIGN DISKURS
Design ist in jeder Organisation auf drei Ebenen aktiv: Auf der strategischen Ebene werden Agenden, Missionen und Richtlinien definiert. Die taktische Ebene kennzeichnet sich durch die Integration von Geschäftsprozessen, Teams und Funktionen. Und im Operativen geht es vor allem um die Umsetzung von Projektideen und Prozessen in Produkten, Dienstleistungen und Erfahrungen. Eine Reflexion aus der beruflichen Praxis.
Design ist eine entwerfende Kraft, die die Welt und uns formt, im Positiven, als im Negativen. Anne-Marie Willis definierte diesen Ansatz treffend als Ontological Design: “We design our world, while our world acts back on us and designs us”. 1 Der Entwurf ist für das Menschsein von grundlegender Bedeutung. Gerade jetzt, in einer Zeit, in der wir realisieren, dass der Mensch die größte geologische Kraft auf diesem Planeten ist. 2 Unser Dasein und Handeln, das wiederum gestaltet ist, verändert Ökosysteme und diese verändern die Art, wie wir leben und sein werden. Wir überlegen und planen in einer Weise, die unser Handeln und Schaffen präfiguriert. Durch die Analyse und Synthese von Wissen, Erfahrungen, Praktiken, sind wir befähigt, Kontexte zu verstehen und etwas Neues zu entwerfen.
Dieser, dem Design intrinsischer, Prozess lässt sich durch das Analysis-Synthesis Bridge Model beschreiben, wie es Hugh Dubberly, Shelley Evenson und Rick Robinson 2008 taten. 3 Man stelle sich eine Matrix mit vier Feldern vor. Auf der linken Seite befinden wir uns im Ist-Zustand, auf der rechten Seite im Soll-Zustand. Auf der vertikalen Achse bewegen wir uns vom unterstehenden „Konkreten“ in das obenstehende „Abstrakte“. Im Herzen beinhaltet dieses Modell die Frage danach „Wie“ diese Übergänge oder sogenannte „Transformationen“ beschritten werden können.
Im Uhrzeiger unten links beginnend ergeben sich drei aktive Schritte von Quadrant zu Quadrant denkend. Ausgehend von der konkreten und aktuell vorherrschenden Situation (oftmals als Problem verstanden) interpretieren wir die Abstraktion als ein Modell des „Was ist“. Ein beschreibender Akt, der einem analytischen Erforschen entspricht.
Der darauffolgende Schritt ist die suggestive Überlegung eines möglichen anderen Modells. Ein Entwurf, „Was sein könnte“. Hier begeben wir uns aus den beschreibenden Modi hin zu hypothesenbasierten Prototypen, den Ideen neuer Formen. Dieses sich konkretisierende Modell wird im letzten Zug als wünschenswerter Zukunftsstatus manifestiert und somit gestaltet. Diese Materialisierung ist durch iterative Weiterführung gekennzeichnet. Dieser gesamte Prozess ist essenzieller Bestandteil des alltäglichen Schaffens von Designer*innen.
In den letzten Jahrzehnten durchzog die Designindustrie eine Welle von Mergers & Akquisitionen. Viele namhafte Designfirmen ließen sich auf Übernahmeangebote ein und wurden Teil von großen Beratungshäusern und Wirtschaftsprüfungen. 2013 verkündete Accenture das renommierte Designstudio Fjord, für eine unbekannte Summe, übernommen zu haben; 2015 wurde Lunar von McKinsey & Company akquiriert und die IT-Beratung Wipro kaufte die strategische Designfirma Designit. Mittlerweile gehören Kolle Rebe, IDEO, Sinner Schrader, Frog und viele weitere zu einer großen Konglomeration. Design wurde durch das Zukaufen nunmehr traditionell integriert und unterdessen als notwendige Kompetenz wahrgenommen, um in einer kompetitiven Industrie als der sich digitalisierenden und komplexer werdenden Welt bestehen zu können.
Der Trend, des exponentiellen Zukaufs und Vereinen von Angeboten, mag getrieben sein durch die transparenter werdende ökonomische Bemessung von Design. Seit 2004 wurde viel über den strategischen Wert von Design für Unternehmen jeder Größe und Art berichtet. Unter anderem veröffentlichten der Danish Design Council und British Design Council Studien zu den Themen „The Economic Effects of Design“ (2004) und „The Value of Design Factfinder“ (2007), die als Grundlage für ein erstes Rahmenwerk dem Design Management Institute dienten. 4 Dieses ermittelte anhand von Studien, Forschungsprogrammen und Symposien das Design Value System (DVS). Erstmals wurde der Wert von Investitionen in Design bemessen (Design Value Index), der Reifegrad einer Designorganisation bewertet (Design Maturity Matrix) und ein Benchmarking der Bereiche, in denen Design einen Mehrwert schafft, ermöglicht (Design Value Map). Ein bemerkenswertes Ergebnis gelang den designorientierten Unternehmen von 2005 bis 2015, welche enorme Vorteile an der Börse erwirtschaften konnten. Sie übertrafen die Wirtschaftskraft des amerikanischen Leitindex S&P 500 um 211 Prozent. 5
Darauf aufbauend veröffentlichte McKinsey & Company 2018 einen Report zu „The Business Value of Design“. 6 Der McKinsey Design Index bewertet Unternehmen danach, wie stark sie im Bereich Design sind und wie dies mit der finanziellen Leistung des jeweiligen Unternehmens zusammenhängt. Es wurden die Designaktivitäten von 300 börsennotierten Unternehmen über einen Zeitraum von fünf Jahren in verschiedenen Ländern und Branchen untersucht. Heraus kam, dass Unternehmen, die im McKinsey Design Index im obersten Quartil liegen, das Wachstum der jeweiligen Branche im Verhältnis zwei zu eins übertrafen. Das sind bemerkenswerte Zahlen. Design wurde weiterhin als Wirkungskraft in folgenden Bereichen wahrgenommen:
- Analytische Führung durch die Bemessung und das Steuern von Dienstleistungen
- Crossfunktionales Arbeiten, das nutzenden-zentriertes Design als Aufgabe aller versteht
- Kontinuierliche Iteration mit Nutzenden, um das Risiko von Entwicklungen zu minimieren
- User Experience als Integrator des Physischen, des Digitalen und von Services
Kehren wir zu dem eingangs erwähnten Analysis-Synthesis Bridge Model zurück. Im Vergleich zu Designer*innen erlernen Berater*innen ein analytisches Set an Fähigkeiten in der Business School Bildung. Es geht darum, Zahlen und Daten durch beispielsweise Marktanalysen, Geschäftszahlen oder Kund*innendaten in einer Ist-Analyse zu verstehen und zu beschreiben (der untere linke Quadrant). Diese Zahlen werden in einem Modell interpretiert und somit Möglichkeitsräume erschlossen. Beim Übergang vom Abstrakten zum Konkreten tendieren Management Consultants dazu, den Schritt des Prototypisierens zu überspringen, um mit der Definition des Soll-Zustandes abzuschließen. Der Blick auf das Bestehende und Zukünftige ist geprägt durch mentale Modelle, welche das Konkrete als festes und vorbestimmtes Medium begreifen. Der zukünftige Soll-Zustand ist somit in seinem Ergebnis oftmals lediglich eine Verbesserung der zuvor ausgewählten Kennzahlen. Es geht um Wertoptimierung.
Designer*innen halten sich hingegen lange im oberen rechten Quadranten auf. Hier entstehen Modelle, von dem „Was“ sein könnte. Design hat seine Stärken in der Interpretation und daraus resultierenden Generierung von Modellen des Möglichen, und weniger in der klassischen quantitativen Analyse und der reinen Aufwertung. Die vorbestimmte Form der Ist-Analyse wird radikal hinterfragt. Das Entwerfen einer Reihe von neuen Möglichkeiten können die vorerst finalisierte Form des Soll-Zustands grundlegend beeinflussen. Erst wenn diese generative und kreative Phase zu Ende kommt, werden Designer*innen analytische Werkzeuge einsetzen, um die Ideen im angewandten Kontext zu bewerten. Hier stellen sich Fragen nach Märkten, Geschäftsmodellen, technologischer Machbarkeit, ethischer Vereinbarkeit und vieles mehr. Herkömmliche Instrumente der Unternehmensstrategie werden daraufhin zur Bewertung der Ideen eingesetzt, um einzuschätzen, was es braucht, diese Ideen zu verwirklichen. Keine Optimierung, sondern Wertgenerierung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Design, wie es Kathryn Best beschreibt, in jeder Organisation auf drei Ebenen aktiv ist: Auf der strategischen Ebene werden Agenden, Missionen und Richtlinien definiert. Die taktische Ebene kennzeichnet sich durch die Integration von Geschäftsprozessen, Teams und Funktionen. Und im Operativen geht es vor allem um die Umsetzung von Projektideen und Prozessen in Produkten, Dienstleistungen und Erfahrungen. Design agiert übergreifend und fluide auf allen Ebenen und bringt durch den Prozess der Abstraktion hin zum Materialisieren enorme Kompetenzen für eine kreative und greifbare Entscheidungsfindung mit. 7
Ein letzter wichtiger Punkt ist die Intention, mit welcher Ideen entstehen. Modelle und prototypisierte Entwürfe beschreiben mögliche Zukünfte des Soll-Zustandes. Wir haben die Wahl, Dinge zu inkludieren und zu exkludieren. Wie einleitend behauptet, gestaltet Design die Welt. Es besitzt Macht und damit einhergeht Verantwortung. Langfristig kann der Entwurf des Neuen, Denk- und Verhaltensparadigmen verändern, was wiederum zu weiteren innovativen Potenzialen führt. Je bewusster wir mit dieser Kraft umgehen, desto mehr kann Design das Leben für alle besser machen.
Der British Design Council hat ein Design-Wert-Modell entwickelt, um die zuvor erfolgten Forschungen zur Designwirtschaft weiterzuführen. Es soll mehr Licht auf die im Schatten der finanziellen Werte stehenden sozialen, kulturellen, ökologischen und demokratischen Werte geworfen werden. 8 Das seit 2021 stattfindende Projekt soll strukturierte Methoden zur Abbildung und Bewertung von positiven und negativen Auswirkungen hervorbringen. Bisher haben sich Werte-Berichte auf die finanzielle und wirtschaftliche Leistung von Design fokussiert. Die nicht-finanziellen Werte müssen expliziter gestaltet und sichtbarer werden. Dies könnte ein bedeutendes Potenzial für Design darstellen, einen gesellschaftlichen Beitrag jenseits von reiner Wertoptimierung in Unternehmen und Beratungen zu leisten. Vor allem dann, wenn die Disziplin als solche von außerwirtschaftlichen Institutionen und Trägern ernsthaft wahrgenommen und integriert wird. Design ermöglicht Wertgenerierung. Lasst uns gemeinsam, wünschenswerte Zukünfte, gestalten.