DESIGN DISKURS
Als Gründer und Kreativdirektor von NEW STANDARD.S sehnt sich Maximilian Mauracher nach Design, das die unumgängliche Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft vorantreibt, anstatt Klimakrise und Ressourcenknappheit zu befeuern. Warum „Degrowth“ die Lösung ist und weshalb Designer*innen endlich Verantwortung übernehmen müssen – ganz ohne Selbstironie.
Es bedarf keiner großen Erklärung dafür, dass auf einem endlichen Planeten unendliches Wachstum nicht möglich ist. Und doch hängen wir dem steten Wachstum so sehr an den Lippen, dass es unmöglich scheint, es zu hinterfragen. „Degrowth“, ein Konzept, für das es bisher noch keine klare Definition gibt, sondern welches eher als vielfältige Bewegung mit einer Bandbreite an Ideen zu verstehen ist, versucht es dennoch. Im Kern stellt es die Notwendigkeit und Nachhaltigkeit des Wirtschaftswachstums infrage und sucht nach Wegen, den Energie- und Ressourcendurchsatz in den Volkswirtschaften des Globalen Norden zu reduzieren – und gleichzeitig die Lebensqualität für alle zu verbessern.
„The question of our time is how to make the transition beyond capitalism by design rather than disaster.“
Alexander Samuel 1
Während sich Postwachstums-Anhänger und Wirtschaftsjournalisten noch darüber streiten, ob sich Unternehmen vor „Degrowth“ und geringerem Konsum nun fürchten sollen 2 oder nicht 3, schreiten Konsument*innen – vor allem junge Generationen – längst zur Tat und lassen Branchen wie Fleisch- und Flugindustrie schrumpfen. Das liegt am sich ändernden Wertesystem (und passt damit hervorragend zum DDC-Jahresthema „Wert/e“): Wenn es nicht mehr wichtig ist, das größte Auto zu haben, sondern schnell und bequem von einem Ort zum anderen zu kommen, dann liegt es nahe, dass der Lifestyle von heute keinen Platz mehr in einer Gesellschaft von morgen hat.
Die European Environment Agency stimmt in diesen Kanon mit ein: „Die Grundwerte Europas sind nicht materialistisch. Die Grundwerte der EU sind Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit, und sie lassen sich nicht auf eine Steigerung des BIP reduzieren oder durch eine solche ersetzen. Wenn dem Wirtschaftswachstum und dem derzeitigen Kurs (das heißt „Plan A“) Grenzen gesetzt sind, besteht Plan B zur Erreichung von Nachhaltigkeit darin, Lebensstile, Gemeinschaften und Gesellschaften zu erneuern, die weniger verbrauchen und dennoch für alle attraktiv sind und nicht nur für Personen mit einem ökologischen, geistigen oder ideologischen Interesse.“ 4
Wer nun fürchtet, wir müssten in Zukunft auf all unsere Errungenschaften verzichten und irgendwann stillstehen, der irrt. Der deutsche Physiker und Klimawissenschaftler Anders Levermann hält dafür ein Konzept aus der Komplexitätstheorie bereit: das Prinzip der Faltung. „Wie ein Vogelschwarm, der nicht einfach ins Meer fliegt oder nach oben die Atmosphäre verlässt, sondern frei den begrenzten Raum dazwischen ausnutzt für Bewegung in unendlicher Freiheit. Oder wie der Amazonas-Regenwald, der nicht einfach weiter expandiert, sondern innerhalb seiner natürlichen Grenzen konkurriert und sich in eine quasi unendliche Biodiversität entwickelt hat. Was dabei entsteht, ist ein Wachstum in die Vielfalt, die den vorgegebenen Raum einnimmt, ihn aber nicht sprengt. Man wächst nicht über den Himmel hinaus, sondern findet immer neue Wege, man wächst quasi in die Diversität.“ 5
Das passiert in vielen Bereichen schon immer, auch jetzt: In der Gesellschaft, aber auch in Kunst und Kultur, und natürlich im Design, wo uns zum Beispiel Werkzeuge oder Materialien Grenzen setzen, aber trotzdem vielfältige Entwürfe entstehen. Nur die Wirtschaft hinkt noch hinterher, denn ohne klare Grenzen – zum Beispiel den planetaren – keine Faltung, die endloses Wachstum möglich machen würde. Stattdessen ein System, das sich selbst in die Luft jagt.
„Only a crisis – actual or perceived – produces real change. When that crisis occurs, the actions that are taken depend on the ideas that are lying around. That, I believe, is our basic function: to develop alternatives to existing policies, to keep them alive and available until the politically impossible becomes the politically inevitable.“
Milton Friedman
Es gibt nicht viele Gelegenheiten, bei denen ich Milton Friedman zustimmen würde, aber dieses Zitat ist eine davon. Auch der dänische Politologe Hubert Buch-Hansen beschreibt, dass es für einen Paradigmenwechsel vor allem vier Voraussetzungen braucht: eine Krise; ein alternatives, politisches Projekt; eine Koalition sozialer Kräfte; eine breite kulturelle Zustimmung. 6
Die Krise – in vielfacher Ausführung – ist bereits allgegenwärtig, und „Degrowth“ liefert den Rahmen und die Ideen für eine alternative Zukunft. Nun ist es die Aufgabe von Kommunikation und Design, das Konzept aus der Nische und rein in den Mainstream zu holen, um aus der „Bewegung der Bewegungen“ eine Bewegung für alle zu machen. Es geht um nichts weniger, als die Gesellschaft davon zu überzeugen, dass ein Weiter-wie-bisher nicht gutgehen kann und die Lösung(en) gegen die multiplen Krisen unserer Zeit längst auf dem Tisch liegt: Dass das bisherige Wachstum nicht für Wohlstand für alle, sondern vor allem sozialen Ungleichheit, gesorgt hat; dass uns nicht Innovation, sondern Suffizienz weiterbringt; dass ein bisschen grün-gestrichener Konsum nicht genug ist, sondern wir ganz grundlegend alles um uns herum infrage stellen müssen, um über uns hinauswachsen zu können.
Dabei müssen sich Agenturen und Designer*innen zuallererst auch selbst hinterfragen: Ein nettes Poster, um Haltung zu zeigen, oder Recyclingpapier für Printprodukte, die niemand braucht, werden die Welt nicht retten. Stattdessen geht es darum, die eigene Rolle und Position stärker wahr- und vor allem ernst zunehmen. Auch wenn die meisten von uns auf den ersten Blick nicht im großen Stil produzieren, wenig Ressourcen verbrauchen und wenig Einfluss haben, ist es naiv zu glauben, man würde außerhalb unseres kapitalistischen Systems agieren 7, oder es würde reichen, dieses in Projekten und Entwürfen selbstironisch zu kommentieren (Hallo, performative activism!).
Nur wer einsieht, Teil des Problems zu sein, kann im Anschluss Teil der Lösung werden. Ein tiefer Blick ins Innere lohnt sich – aus Erfahrung – auch nach außen hin: Wir verfolgen eine klare Mission und so fällt es uns leicht, eine (Arbeits-)Gemeinschaft aufzubauen, die unsere Werte und Vorstellungen teilt. Genauso leicht ist es damit aber auch, Verantwortung zu übernehmen, Nein zu sagen und Anfragen oder potentielle Kund*innen abzulehnen, die die eigene Wertehaltung konterkarieren.
Verantwortung ist der Grund, warum wir bei NEW STANDARD.S keine Kampagnen entwickeln, die Verkäufe ankurbeln sollen. Wir investieren unsere Energie und Ressourcen lieber in smarte Kommunikation, die zum Beispiel Reparatur oder Second-Hand statt Neukauf fördert, lokale Materialkreisläufe oder Communities stärkt und ganz allgemein Gemeinwohl über Profitinteressen stellt.
Wir setzen uns selbst Grenzen des Wachstums und wissen genau, wie und mit wem wir woran arbeiten möchten. Wir wollen nicht weniger als das gute Leben für alle – lasst es uns gemeinsam gestalten!