Bild © Fanette Guilloud

DESIGN DISKURS

Als Gründer und Kreativ­direktor von NEW STANDARD.S sehnt sich Maximilian Mauracher nach Design, das die unum­gäng­liche Trans­formation von Gesell­schaft und Wirt­schaft voran­treibt, anstatt Klima­krise und Ressour­cen­knapp­heit zu be­feuern. Warum „Degrowth“ die Lösung ist und weshalb Designer­*innen endlich Verant­wort­ung über­nehmen müssen – ganz ohne Selbstironie.

Veröffentlicht am 01.03.2023

Es bedarf keiner großen Erklär­ung da­für, dass auf einem end­lichen Planeten un­end­liches Wachs­­tum nicht mög­lich ist. Und doch hängen wir dem steten Wachs­tum so sehr an den Lippen, dass es un­mög­lich scheint, es zu hinter­fragen. „Degrowth“, ein Kon­zept, für das es bisher noch keine klare Definition gibt, sondern welches eher als viel­fältige Be­weg­ung mit einer Band­breite an Ideen zu ver­stehen ist, ver­sucht es den­noch. Im Kern stellt es die Not­wendig­keit und Nach­haltig­keit des Wirt­schafts­wachs­tums infrage und sucht nach Wegen, den Energie- und Res­sour­cen­durch­satz in den Volks­wirt­schaften des Globalen Norden zu redu­zieren – und gleich­zeitig die Lebens­qualität für alle zu verbessern.

„The question of our time is how to make the transition beyond capital­ism by design rather than disaster.“

Alexander Samuel 1

Während sich Post­wachs­tums-Anhän­ger und Wirt­schafts­journa­listen noch darüber streiten, ob sich Unter­nehmen vor „Degrowth“ und geringerem Kon­sum nun für­chten sollen 2 oder nicht 3, schreiten Kon­sument­*innen – vor allem junge Genera­tionen – längst zur Tat und lassen Bran­chen wie Fleisch- und Flug­indus­trie schrum­pfen. Das liegt am sich ändernden Werte­system (und passt damit her­vor­ragend zum DDC-Jahres­thema „Wert/e“): Wenn es nicht mehr wichtig ist, das größte Auto zu haben, sondern schnell und bequem von einem Ort zum anderen zu kom­men, dann liegt es nahe, dass der Life­style von heute keinen Platz mehr in einer Gesell­schaft von morgen hat.

Die European Environ­ment Agency stimmt in diesen Kanon mit ein: „Die Grund­werte Europas sind nicht materialis­tisch. Die Grund­werte der EU sind Men­schen­würde, Frei­heit, Demo­kratie, Gleich­heit und Rechts­staat­lich­keit, und sie lassen sich nicht auf eine Steiger­ung des BIP redu­zieren oder durch eine solche ersetzen. Wenn dem Wirt­schafts­wachs­tum und dem der­zeitigen Kurs (das heißt „Plan A“) Gren­zen gesetzt sind, besteht Plan B zur Erreich­ung von Nach­haltig­keit darin, Lebens­stile, Gemein­schaften und Gesell­schaften zu erneuern, die weniger ver­brau­chen und den­noch für alle attrak­tiv sind und nicht nur für Personen mit einem öko­lo­gischen, geistigen oder ideo­logischen Interesse.“ 4

Bild © Fanette Guilloud

Wer nun fürchtet, wir müssten in Zukunft auf all unsere Errungen­schaften ver­zichten und irgend­­wann still­stehen, der irrt. Der deutsche Physiker und Klima­wissen­schaftler Anders Lever­mann hält dafür ein Kon­zept aus der Komplexi­täts­theorie bereit: das Prinzip der Falt­ung. „Wie ein Vogel­schwarm, der nicht einfach ins Meer fliegt oder nach oben die Atmo­sphäre ver­lässt, sondern frei den begren­zten Raum dazwischen aus­nutzt für Bewegung in unend­licher Frei­heit. Oder wie der Amazonas-Regen­wald, der nicht einfach weiter expan­diert, sondern inner­halb seiner natür­lichen Grenzen konkur­riert und sich in eine quasi unend­liche Bio­diversi­tät ent­wickelt hat. Was dabei entsteht, ist ein Wach­stum in die Viel­falt, die den vor­gegebenen Raum ein­nimmt, ihn aber nicht sprengt. Man wächst nicht über den Himmel hinaus, sondern findet immer neue Wege, man wächst quasi in die Diversität.“ 5

Das passiert in vielen Bereichen schon immer, auch jetzt: In der Gesell­schaft, aber auch in Kunst und Kultur, und natür­lich im Design, wo uns zum Beispiel Werk­zeuge oder Materi­alien Grenzen setzen, aber trotzdem vielfältige Ent­würfe ent­stehen. Nur die Wirt­schaft hinkt noch hinter­her, denn ohne klare Grenzen – zum Beispiel den planetaren – keine Faltung, die end­loses Wach­stum mög­lich machen würde. Statt­dessen ein Sys­tem, das sich selbst in die Luft jagt.

„Only a crisis – actual or perceived – produces real change. When that crisis occurs, the actions that are taken depend on the ideas that are lying around. That, I believe, is our basic function: to develop alternatives to existing policies, to keep them alive and available until the politically impossible becomes the politically inevitable.“

Milton Friedman

Es gibt nicht viele Gelegen­heiten, bei denen ich Milton Friedman zustim­men würde, aber dieses Zitat ist eine davon. Auch der dänische Polito­loge Hubert Buch-Hansen be­schreibt, dass es für einen Paradigmen­wechsel vor allem vier Voraus­setzungen braucht: eine Krise; ein alter­natives, politisches Projekt; eine Koalition sozialer Kräfte; eine breite kultur­elle Zustimmung. 6

Die Krise – in vielfacher Aus­führung – ist bereits all­gegen­wärtig, und „Degrowth“ liefert den Rahmen und die Ideen für eine alter­native Zu­kunft. Nun ist es die Auf­gabe von Kom­muni­kation und Design, das Kon­zept aus der Nische und rein in den Main­stream zu holen, um aus der „Be­wegung der Be­wegun­gen“ eine Be­wegung für alle zu machen. Es geht um nichts weniger, als die Gesell­schaft davon zu über­zeugen, dass ein Weiter-wie-bisher nicht gut­gehen kann und die Lös­ung(en) gegen die multiplen Krisen unserer Zeit längst auf dem Tisch liegt: Dass das bis­her­ige Wachs­tum nicht für Wohl­stand für alle, sondern vor allem sozialen Ungleich­heit, gesorgt hat; dass uns nicht Inno­vation, sondern Suffi­zienz weiter­bringt; dass ein bisschen grün-gestrichener Kon­sum nicht genug ist, sondern wir ganz grund­legend alles um uns herum infrage stellen müssen, um über uns hinaus­wachsen zu können.

Dabei müssen sich Agenturen und Designer­*innen zu­aller­erst auch selbst hinter­fragen: Ein nettes Poster, um Haltung zu zeigen, oder Recycling­papier für Print­produkte, die niemand braucht, werden die Welt nicht retten. Statt­dessen geht es darum, die eigene Rolle und Position stärker wahr- und vor allem ernst zunehmen. Auch wenn die meisten von uns auf den ersten Blick nicht im großen Stil produ­zieren, wenig Ressour­cen ver­brauchen und wenig Ein­fluss haben, ist es naiv zu glauben, man würde außer­halb unseres kapitalist­ischen Systems agieren 7, oder es würde reichen, dieses in Projekten und Ent­würfen selbst­ironisch zu kom­men­tieren (Hallo, performative activism!).

Nur wer einsieht, Teil des Problems zu sein, kann im Anschluss Teil der Lösung werden. Ein tiefer Blick ins Innere lohnt sich – aus Erfahr­ung – auch nach außen hin: Wir ver­folgen eine klare Mission und so fällt es uns leicht, eine (Arbeits-)Gemein­schaft auf­zu­bauen, die unsere Werte und Vor­stell­ungen teilt. Genauso leicht ist es damit aber auch, Verant­wort­ung zu über­nehmen, Nein zu sagen und An­fragen oder poten­tielle Kund­*innen abzu­lehnen, die die eigene Werte­haltung konterkarieren.

Verantwortung ist der Grund, warum wir bei NEW STANDARD.S keine Kam­pagnen ent­wickeln, die Ver­käufe ankur­beln sollen. Wir invest­ieren unsere Energie und Res­sour­cen lieber in smarte Kom­muni­kation, die zum Beispiel Reparatur oder Second-Hand statt Neu­kauf fördert, lokale Material­kreis­läufe oder Com­munities stärkt und ganz all­gemein Gemein­wohl über Profit­inter­es­sen stellt.

Wir setzen uns selbst Grenzen des Wachs­tums und wissen genau, wie und mit wem wir woran arbeiten möchten. Wir wollen nicht weniger als das gute Leben für alle – lasst es uns gemeinsam gestalten!

Quellenangaben

1   Samuel, Alexander. Post-capitalism by design not disaster. The Ecological Citizen 3 – Suppl B (2020), 13–21.
2   Iana Nesterova, Fabian Maier, Ben Robra and Simon Parker. Why degrowth should scare business. (Abgerufen: 19. Februar 2023).
3   Thomas Roulet und Joel Bothello. Why ‚De-growth‘ Shouldn’t Scare Businesses. Harvard Business Review (2020). (Abgerufen: 19. Februar 2023)
4   European Environment Agency. „Growth without Economic Growth“ (2021). (Abgerufen: 19. Februar 2023).
5   Levermann, Anders. Die Faltung der Welt.“ Ullstein (2023).
6   Buch-Hansen, Hubert. The prerequisite for a degrowth paradigm shift: Insights from critical political economy. Ecological Economics 146 (2018), 157–63.
7   Pater, Ruben. „CAPS LOCK. How capitalism took hold of graphic design, and how to escape from it. Valiz (2021).

Maximilian Mauracher

Kommunikationsdesigner aus Österreich, trägt viele Hüte: Das von ihm mitgegründete NEW STANDARD.STUDIO entwickelt Nachhaltigkeitsstrategie und -kommunikation für Unternehmen oder öffentliche Auftraggeber und berät die eigene Branche in Transformationsfragen. Als Mitglied von Circular Berlin arbeitet er in verschiedenen Projekten an der lokalen Umsetzung der Circular Economy. Im Transformationsbündnis THF versucht er, aus dem ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof ein Transformationszentrum für alle zu gestalten. Wenn wirklich Hut, dann Bucket Hat.