DESIGN DISKURS

Die Region Frankfurt-Rhein-Main bewirbt sich um den Titel World Design Capital 2026. Prof. Matthias Wagner K, der Direktor des Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main, stellt diese Bewerbung unter das Motto „Design for Democracy. Atmospheres for a better life“. Im Gespräch mit Felix Kosok hinter­fragen die beiden den Zustand unserer Demokratie sowie die Rolle, die Designer­*innen in ihr spielen könnten und sollten. Im Zentrum steht aber die Frage, was Design für die Demokratie bedeutet.

Veröffentlicht am 10.02.2022

Felix Kosok: Lieber Matthias, die Organisation World Design Capital bestimmt alle zwei Jahre eine Stadt, die den effektiven Gebrauch und Nutzen von Design zur Förderung von öko­no­mische, sozialen, kulturellen und öko­logischen Fort­schritt heraus­stellt. Es geht also darum, Design als ent­scheiden­den Faktor bei der Trans­formation und Weiter­ent­wicklung unserer Gesell­schaften präsent zu machen. Jetzt hast du die Bewerbung der Region Frankfurt-Rhein-Main um eben diesen Titel unter ein, wie ich finde, äußerst interes­santes Motto gestellt. Es geht zunächst nicht um das Design ökologisch sinn­voller Mobili­tät oder die Gestal­tung nach­haltiger Produktions­kreis­läufe, Themen die aktuell im Design prominent ver­handelt werden. Diese Bewerbung steht unter dem Titel „Design for Democracy. Atmospheres for a better life“. Nun könnte man doch meinen, dass unsere Demo­kratie eigent­lich relativ gut funktioniert: Demo­kra­tische Prozesse sind am Laufen, ihre Institutionen scheinen stabil. Warum also dieses Motto und warum braucht unsere Demokratie überhaupt Design?

„Design for Democracy. Atmospheres for a better life“ ist der Titel, mit dem sich Frankfurt-Rhein-Main als World Design Capital 2026 bewirbt.

Matthias Wagner K: Das ist eine gute Frage, lieber Felix. Die Demokratie braucht auf jeden Fall Design! Als wir uns als Kurator­*innen bei der Fotografie-Triennale Ray 2021 mit dem Thema Ideolo­gien beschäftigt haben, stellten wir uns bereits die Frage, von welchem Zustand unserer Gesell­schaft wir eigent­lich aus­gehen. In was für einer Zeit leben wir? Was passiert um uns herum? Wie lässt sich das charakteri­sieren und beschreiben? Schon bei dieser Recherche waren wir, aber auch ich ganz persön­lich, nicht der Meinung, dass es mit der Demokratie und ihren Institu­tionen – als eine Form frei­heit­licher Lebens­führung – ganz so gut läuft, wie du es jetzt beschrieben hast. Mir erscheint die Demo­kratie mehr und mehr porös. Das fällt mir einerseits an ganz vielen Stellen hier in Deutsch­land auf. Andererseits ist es auch ein internationales Phänomen und dazu muss man den Blick ja nur auf Europa erweitern. In etlichen Ländern machen sich hier Tendenzen breit, demo­kratische Strukturen in Frage zu stellen oder gar anti-demokratische  Strukturen etablieren zu wollen, finden die Modelle auto­kratischer Staats­führung in Ost und West mehr und mehr Anhänger­*innen. Die Demokratie ist also nicht nur porös, sondern auch bedroht.

„Mir erscheint die Demokratie mehr und mehr porös“

Im Zuge dieser Beobachtungen kam das Interesse für Trans­formations­prozesse und die Funk­tions­­weisen von Gesell­schaften auf. Wieso zer­fallen unsere Gesell­schaften gerade in immer kleinere Gruppen? Wie offen, transparent und durch­lässig sind diese noch? Haben wir es hier mit Blasen zu tun? Was die Frage nach dem Ver­hältnis des Indi­viduums zur Gesell­schaft dring­lich macht. Oder wird über­haupt gar nicht mehr gesamt­gesell­schaft­lich nach­ge­dacht? Existiert so etwas wie Verant­­wortung für mehr als nur mich selbst noch? An all diesen Stellen hapert es gewaltig. Unsere freiheit­liche Demo­kratie weist poröse Stellen auf. Die stützenden Säulen mögen noch stehen, getragen auch durch das Grund­­gesetz. Aber im Rest des Baus bröckelt es. Bei dieser Diagnose haben meine Fragen und meine Suche angefangen.

Die Antwort, die ich in diesem Motto dann gefunden habe, hat viel mit deinem Buch Form, Funktion und Freiheit zu tun, in dem du über das Verhältnis von Design und Demokratie schreibst. Aber auch Natascha Strobls Analyse eines radikali­sierten Konser­va­tis­mus sowie Adornos Radiobeitrag von 1969 zur Erziehung zur Mündig­­keit waren Inspirationen. Selbst wenn man heute nicht mehr von Erzieh­­ung sprechen würde, ist das doch ein wahn­­sinnig aktueller Beitrag, den man sich wieder anhören sollte. Neben diesen theo­­retischen Ein­flüssen lag auch ein ganz pragmatischer Ansatz zugrunde. Was unter­scheidet eigent­lich die Region Frankfurt-Rhein-Main vom Rest der Welt? Wenn sich eine Stadt wie Kopen­hagen mit dem Thema Mobili­tät oder Oslo als autofreie Kultur­stadt bewerben, hätten wir keine Chance. Was macht also die Region Frankfurt-Rhein-Main besonders und lässt die Rolle und Funktion von Designer­­*innen noch einmal ganz neu und anders denken? Bei dieser konkreten Frage macht es Sinn, einmal in die Vergangen­­heit zu blicken: Hier erfand vor mehr als 550 Jahren der Mainzer Johannes Guten­berg das Drucken mit beweglichen Metall­lettern und löste damit eine Medien­revolution aus, waren die Reform­bewegung des Jugend­stils, wie sie in Darmstadt ihren Ausdruck fand, und nicht zuletzt die Stadt Frankfurt am Main mit der Gestaltungs­utopie „Das Neue Frankfurt“ bereits schon einmal Zentren moderner Gestaltung und neuer Gesell­schafts­modelle. Hier wird im Jahr 2023 der 1848 in der Pauls­kirche statt­gefun­denen ersten deutschen National­ver­­sam­mlung gedacht werden und soll ein Haus der Demokratie ent­stehen. Und dann ist da auch wieder dein Buch, in dem du so gute Beispiele hierfür gefunden hast. Alleine schon der Wahl­zettel aus der Einleitung.

Felix Kosok: Du meinst den berühmt berüchtigten Butterfly Ballot der Präsident­schafts­wahl 2000 in Florida, richtig? Dessen miss­verständ­liches Layout hatte zu erheblichen Abweichungen bei den prognostizierten Stimmen geführt. Schluss­endlich hatte das den Republikaner zum Wahlsieg und, wenn man so will, George W. Bush zur Präsidentschaft verholfen.

„Wir müssen Design grundlegender verstehen und tiefgründiger betrachten.“

Matthias Wagner K: Das ist natürlich ein Beispiel, das zeigt, welchen Einfluss kleinste Dinge, aber ganz deutlich Gestal­tung haben können. Es ist ein Beispiel dafür, wie gutes aber in diesem Fall leider schlechtes Design den Ver­lauf einer ganzen Wahl beein­flussen kann. Design kann wahlent­scheidend werden. Bei dieser Ein­leitung in die Thematik wurde mir dann klar, dass die Bewerbung eine ganz andere Forderung stellen muss. Es kann nicht nur um veränderte Mobili­täts­­kon­zepte oder die Veränderung von Produkten gehen. Wir brauchen nicht noch einen Entwurf eines weiteren Stuhls. Wir müssen Design grund­legender ver­stehen und tief­gründiger betrachten. Und aus einem Wissen um das gesell­schafts­verändernden Potenzial des Designs heraus müssen wir die ent­sprechenden Forderungen ab­leiten, weil die Zeit abläuft, dass wir den multiplen Krisen noch etwas entgegen­setzen können.

Der „butterfly ballot“, ein Wahlzettel der amerikanischen Präsidentschaftswahl, soll dazu beigetragen haben, dass zahlreiche Stimmen für Al Gore versehentlich für Pat Buchanan abgegeben wurden.

Dies verknüpft sich mit dem besseren Leben, was sich zu­nächst viel­leicht etwas blumig an­hört. Aber für mich be­deutet das bessere Leben, dass es auch immer noch etwas zu ver­bessern und zu steigern gibt. Wir haben etwas noch nicht er­reicht, aber das Ver­sprechen steht im Raum. Und wenn man mich konkret fragt, was das denn genau sei, dieses bessere Leben, dann kann das für mich nur eines sein, dass wir so ausge­stalten, dass die nach­folgen­den Gene­ra­tionen genau die­selbe Chance haben, ein solches auch zu leben.

Felix Kosok:
Ich würde den Titel des Mottos gerne in zwei Teile unter­teilen, um deiner Diag­nose zuzu­stimmen. Wir haben zum einen die Demo­kratie und zum anderen deren Design in „Design for Demo­cracy“. Die Idee der Demo­kratie befindet sich an sich nicht wirk­lich in der Krise. Viele offen anti-demo­kratische Gruppier­ungen schreiben sich ja selbst die Demo­kratie auf die Fahne, wenn sie Meinungs­äußerung befreit von jeg­lichen Konse­quenzen fordern. Sie nehmen demo­kratische Frei­heit in An­spruch, um Unfrei­heit voran­zu­treiben. Aber auch anti­demo­kratische Parteien in Deutsch­­land und Europa tragen die Idee der Demo­kratie weiter vor sich her. Das, was du ange­sprochen hast, die zu­nehm­ende Poro­sität unserer Demo­kratie, betrifft jedoch das Design unserer Demo­kratie, wel­ches brüchig geworden ist. Offen­sicht­lich ver­schwin­­det ein Ver­trauen in die Funktionen der Demo­kratie und wir brauchen bessere und neue Vor­schläge für ein Design von Teil­habe und Parti­zi­pation. Das sind genau diese po­rösen Stellen, oder?

Matthias Wagner K: Mit den porösen Stellen meine ich ein Dilem­ma: Alle haben eigentlich noch eine gewisse Vor­stellung davon, was Demokratie be­deutet, und keiner will wirklich das Gegen­teil haben. Aber was passiert dann direkt vor unserer Tür? Was passiert auf unseren öffentlichen Plätzen? In welchem Zustand ist der gesell­schaftliche Zu­sammenhalt und gegen was wird sich eigent­lich auf­ge­lehnt? Wogegen wird demon­striert – und mit welchen Zeichen und Sym­bolen? Wenn man in die Lebens­wirk­lich­keiten hin­ein­schaut, dann ist es genau das, was ich mit den porösen Stellen meine. Was vor unserer Haustür passiert. Was im eigenen Freundes­kreis passiert. Was in unserem täg­lichen Umgang mit­ein­­ander ge­schieht – oder eben auch nicht. Hier wurde sich zuletzt viel abge­schottet, was sicherlich der Pande­mie geschuldet ist. Aber es zeigt sich, wel­chen Stellen­wert das Gemeinsame hat und wo­durch es gefährdet wird.

2018 war Georgien das Ehrengastland der Frankfurter Buch­messe, zu dem wir auch eine Aus­stellung im Haus hatten. Da gab es eine unglaubliche Faszination und eine Begeis­terung vor allem von jungen Menschen im und für das Land, für den zaghaften Prozess eines fried­lichen Mit­ein­anders unter­schied­licher Grup­pier­­ungen und also auch Demo­krati­sier­ung, die eng mit der Sub­kultur in Tiflis ver­bunden war. Und wie schnell ist das alles wieder vorbei? Viele der damaligen Akteur­­*innen der Buchmesse, Autor­*innen, Kurator­*innen, Kultur­schaffende, haben eigentlich alle Georgien wieder verlassen. Oder schauen wir nach Ungarn oder Polen. Zu Letzterem habe ich biografisch starke Bezüge, weil ich Teil der Soli­darność Be­we­gung auf der deutschen Seite der damaligen DDR war. Aber das scheint gerade alles wieder in Auf­lösung begriffen zu sein und in einem Großteil der Bevölkerung gibt es eine regelrechte Nos­tal­gie und Sehn­sucht nach starker Führung, um die Krisen zu be­wäl­tigen. In Georgien ganz explizit eine Nostal­gie für den Stali­nis­mus. Auf einmal be­kom­men Auto­kraten und mit ihnen die Auto­kratie wieder etwas Anziehendes, Schillern­des, glaubt man, damit die aktuellen Probleme lösen zu können.

Davon sind wir in Deutschland noch weit ent­fernt. Das hat die letzte Wahl ja auch gezeigt. Aber ich ver­stehe mich ganz klar als Welt­bürger und Europäer. Grenzen machen für mich keinen Sinn mehr und die Grenzen, die uns die Pan­demie aufgezeigt hat, reichen mir erst mal aus. Ich bin froh, wenn die wieder wegfallen. Aber ich blicke mit Besorgnis auf unsere euro­päischen Nachbarn. Angriffe auf die Demo­kratie greifen immer mehr direkt in unser Leben ein. Ich befürchte, dass einfach die Vor­stellung davon, was der Ein­satz für die Gesell­schaft und für ein Mit­einander aus­macht, ver­loren­geht; zusammen mit der Er­kennt­nis, wie erfüllend dieser Ein­satz sein kann.

„Es fehlt die Vorstellungskraft für das Gemeinsame, das Verbindende, das in der kollektiven Aktion entsteht.“

Felix Kosok: Du hast mehrere wunde Punkte der Demo­kratie angesprochen, die ich äußerst interes­­sant finde. Für viele Menschen scheinen demo­kra­tische Regier­ungen nicht mehr hand­lungs­­fähig genug zu sein. Diese agieren national, während wirk­liche, vor allem öko­nom­ische Ent­schei­dungen inter­national ge­troffen werden. Die Krisen haben dann wieder­um ein planetares Aus­maß. Hiermit hängt diese Sehn­sucht nach starken Männern und die Nostalgie für durch­greifen­de Auto­ri­tät zusam­men, die das Ganze end­lich regeln soll. Es sind vor allem diese starken Männer, die bei anti-demo­kratischen Be­wegun­gen an vor­derster Front stehen. Zu­gleich fehlt, genauso wie du es beschrieben hast, die Vor­stellungskraft dafür, dass ge­mein­sames Agieren genau dieses Hand­lungs­poten­zial hätte, Dinge in der Welt zu ver­ändern. Es fehlt die Vor­stellungs­kraft für das Gemein­same, das Verbin­dende, das in der kollek­tiven Aktion entsteht. Das sind meiner Meinung nach die zwei Problem­felder, die eng mit­ein­ander ver­knüpft sind.

Matthias Wagner K: Ja, wobei ich, sicher auch in deinem Sinne, das Ver­bin­dende und die kollektive Aktion mit Blick auf eine gemein­same und überaus bedrohte Welt verstehen möchte, nicht als nationale Eigen­art. An diesem Punkt müssen wir auch über die Digitalisierung sprechen. Diese Ent­wick­lung oder auch die Techno­logien sind natür­lich nicht per se etwas Schlechtes. Sie haben durch­­aus positive Effekte. Aber in der Konzen­tration dieser Werk­zeuge in den Händen global agieren­der Unternehmen mit öko­nomischem Interesse, also Apple, Google, Alphabet und nun auch Meta, ist mehr als pro­blematisch. Die Sozialen Medien tragen selbst­verständ­lich bei allem Positiven auch zur Porosität unserer Demo­kratie bei. Aber vor allem die Konzentration des Daten­kapitals und der damit einher­gehende Ein­fluss dieser Kon­zerne verstärkt die Wahr­nehm­ung, dass ich als Ein­zelne*r ja kaum etwas aus­richten oder ver­ändern kann. Über Likes und Follower hinaus verlieren wir die Er­fahrung der eigenen Wirk­mächtig­keit, die sich vor allem im gemein­­samen Handeln er­gibt. Dabei werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Und tat­säch­lich hat sich die Kon­zentration von Reichtum in den letzten Jahren der Pan­demie noch einmal ver­stärkt. Die reale und gefühlte gesell­schaft­liche Spaltung ist in Deutsch­land vielleicht noch nicht so aus­ge­prägt wie in den Staaten. Sie ist nichts­desto­trotz vor­han­den. Kom­bi­niert mit dem Ver­lust der Vorstellung für gemeinsames Han­deln zum Wohle einer Gesell­schaft, lässt das eine Mut­losig­keit ent­stehen, durch die man den Dingen fast gleich­gültig gegen­übersteht. Selbst solchen Heraus­­forderungen wie der Klimakrise. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie nicht mehr gestaltend mitwirken können, dass alles bereits ver­loren ist, ist das eine Gefahr für die Demo­kratie. So wie auch die Korruption, die Ver­trauen und Glaub­haftig­keit zerstört. Kombi­niert ver­breitet sich das wie ein Gift und am Ende denkt jede und jeder nur noch an sich selbst. Nach uns die Sintflut und vor­her gerne noch eine fette Party. Das meine ich, wenn ich sage, unsere Demokratie ist porös geworden.

Hiergegen muss man etwas Positives setzen, das Mut macht, das unseren Hand­lungs­spiel­raum ver­deut­licht. Die Agentur Scholz & Volkmer, die in den Prozess der Be­wer­bung um den Titel World Design Capital einge­bunden ist, hat das zu­letzt sehr treffend for­mu­liert: Gute Lösungen brauchen gute Pro­bleme!

Felix Kosok: Wir müssen also nur das Porös-Werden unserer Demo­kratie als gutes Pro­blem und gute Heraus­­forderung ver­stehen, für die wir dann gute Lösun­gen ent­wickeln müssen. Zumin­dest ist es ein gutes Problem, weil es uns auf die tiefer­lie­gen­den Pro­bleme stößt, die du genannt hast. Wir ver­lieren immer mehr das Gefühl für eine Hand­lungs­­macht, die im Gemein­samen liegt. Gleich­zeitig ent­koppeln sich be­stimmte Unter­nehmen von demo­kratischen Ent­schei­dungs­­pro­zessen. Ihre Platt­formen und Sozialen Medien er­zeugen Filter­blasen, welche die Gesell­schaft noch weiter aus­ein­ander­­treiben, und bieten dann die per­fekte Bühne für Popu­listen, die wieder­um dieses Handlungs­potenzial sug­gerieren und be­haupten, für ein Volk zu sprechen und gegen die kor­rupten Eliten vorzugehen.

Die Kommunikation in den Sozialen Medien ist vielleicht wieder so ein gutes Pro­blem, das uns darauf hinweist, dass sie auf eine Art auch etwas kaputt machen können, zum anderen aber immer auf das Soziale und das gemein­same Handeln ange­wie­sen bleiben, das auf ihnen statt­findet. Was nur wieder unter­streicht, welche Macht im ge­mein­samen Handeln liegt. Das bringt mich jetzt zum Unter­titel der Be­werbung um den Titel World Design Capital 2026. Denn „Atmo­spheres for a better life“ klingt erstmal nicht nach der Ver­besserung von demo­kra­tischen Institu­tionen und Pro­zessen. Wie bist du denn auf diesen zweiten Teil des Titels ge­kommen und was soll er ausdrücken?

Matthias Wagner K: Ehrlicherweise habe ich ge­dacht, dass das Thema Design und Demo­­kratie auch eine gewisse Schwere mit sich bringt. Das braucht dazu einfach noch was, das so ist wie der Buch­stabe K: Der steht ganz fest auf zwei Beinen ist aber nach vorne hin ge­öffnet, lässt sich also sehr positiv kon­no­tieren. Diese Öffnung ist für mich der Untertitel „Atmo­­spheres for a better life“. Zum einen meint die Atmo­sphäre natür­lich ganz kon­kret auch die Atmosphäre unseres Planeten als Grund­lage allen Lebens. Und anderer­seits, das ist das Großartige an diesem Begriff, meint Atmo­sphäre auch etwas Zwischen­mensch­liches, etwas Ästhe­tisches und etwas, das mit Stim­mungen zu tun hat. Wir alle wissen, was die Atmo­sphäre in einem Raum aus­macht. Ist er gut gestaltet? Stimmt das Licht? Eine gute Atmo­sphäre merkt man auch anhand der Ge­spräche, die geführt werden. Bin ich eher offen und kom­mu­nikativ oder ver­schlos­sen und zurück­haltend? Dasselbe gilt für Atmo­sphären von öffentlichen Plätzen. Laden diese zur Teil­habe und zum Aus­tausch ein? Lass ich meinen Müll liegen, weil das auf diesem Platz eh egal ist und ich ihn sowie­so nur überquere, um zum nächsten Shopping Center zu kommen? Das meint dieser Be­griff Atmo­sphären und genau an diesen guten Atmo­sphären fehlt es überall. Dabei ist die Atmo­sphäre und Gestaltung sowohl eines urbanen als auch eines Innen­raumes ent­scheidend für ein gemein­sames Miteinander.

Dies verknüpft sich mit dem besseren Leben, was sich zunächst vielleicht etwas blumig an­hört. Aber für mich be­deutet das bessere Leben, dass es auch immer noch etwas zu ver­bessern und zu steigern gibt. Wir haben etwas noch nicht er­reicht, aber das Ver­sprechen steht im Raum. Und wenn man mich konkret fragt, was das denn genau sei, dieses bessere Leben, dann kann das für mich nur eines sein, dass wir so aus­ge­stalten, dass die nach­fol­gen­den Generationen genau dieselbe Chance haben, ein solches auch zu leben.

„Das bessere Leben stellt ein Versprechen in den Raum. Es ist wie eine Leitidee, die wir noch gar nicht erreicht haben.“

Frankfurter Paulskirche, Sitz der deutschen Nationalversammlung, beim Einzug der Vorparlaments, 1848

Felix Kosok: Ich finde die Beschreibung gut, dass das bessere Leben ein Ver­sprechen in den Raum stellt; dass es eine Leit­idee ist, die wir noch gar nicht erreicht haben. Dieses Ver­sprechen ver­knüpft es für mich ganz ein­deutig mit der Demo­kratie, die ja als Regierungs­form das Ver­sprechen der eigenen Ver­bes­serungs­­würdig­­keit in ihre Grund­­lage aufge­nommen hat. Es kann immer noch­mal anders gestaltet wer­den und durch neue Perspektiven kann sie sich nur ver­bessern. Dieses Ver­sprechen der Ver­bes­serung ver­bindet dann zuletzt wieder­um Design und Demo­kratie mit­ein­ander. Es ist ja die aller­erste Auf­gabe des Designs, Dinge zu ver­bessern und somit ein besseres Leben zu ge­stalten. Im Design geht es darum, dieses Ver­sprechen in die Tat umzu­setzen. Vor dem Hinter­grund dieses Ver­sprechens, was wäre für dich demokratisches Design?

Ein demokratisches Design wäre für mich eines, das sich als Mittler und das Angewandte von demo­kratischen Prozessen versteht.

Matthias Wagner K: Das ist gar nicht so einfach zu beant­worten, weil man erstmal fragen muss, an welchen Stellen sich die Demo­­kratie mani­festiert. Da gibt es einerseits die Institu­tionen, die Träger, aber das Ganze geht ja noch weiter und reicht in unsere all­täg­liche Lebens­welt hinein. Ein demo­kra­tisches Design wäre für mich eines, das sich als Mittler und das Ange­wandte von demo­kratischen Pro­zessen ver­steht. Das fängt ganz simpel an, wie du es ja in deinem Buch auch als Bei­spiel bringst: mit einem bewusst und dezidiert ge­stalteten Wahl­zettel. Das er­streckt sich für mich auch in die be­wusste Gestaltung öffent­lichen Raumes, der unter­schied­lichsten Grup­pierungen Aufent­halt und Teil­nahme an der Öffent­lich­keit ermög­licht. Das geht weiter mit der Gestal­tung eines Hauses der Demo­kratie, wie es in Frank­furt geplant wird, das weniger ein Museum oder Ort der histor­ischen Arbeit sein sollte, als vielmehr ein Ort, an dem mir die Mög­lich­­keit gegeben wird – und ich zugleich dazu aufge­fordert werde – demokratische Prozesse partizi­pativ zu ver­stehen. Als ein sinn­licher Bildungs­ort im Hier und Heute. Kein Ort, der der Demo­kratie ein Denk­mal setzen will, sondern ein Ort, dessen Gestal­tung im Hier und Jetzt Demo­kratie erfahrbar macht.

Demo­kratisches Design kann für mich aber auch eines sein, dass eine Vermitt­lung zwischen wissen­schaft­licher Erkennt­nis und lebens­wirk­licher Hand­habe her­stellt. Auch daran hapert es ja gerade gewaltig. Die Pandemie hat uns gezeigt, dass wir hervor­ragende Wissen­schaft­ler­*innen in Deutsch­land haben, denen aber die Vermitt­lung oft nicht gelingt. Das hat dann damit etwas zu tun, dass die richtigen Bilder fehlen, weil dafür die Grafiken fehlen, weil die Modelle fehlen. Genau das wäre auch eine ge­stalter­ische Aufgabe für Designer­*innen im Sinne der Demo­kratie. Es geht also um die Rolle und Funktion von Gestalter­*innen und letztlich darum, all das zu unter­lassen, was einer freiheit­lichen Demo­kratie Schaden zufügen könnte.

Felix Kosok: Das würde ich unter­streichen. Demo­kratisches Design wäre für mich auch eines, das über­haupt in den von dir ange­sproch­enen Felder den Gestaltungs­spiel­raum eröffnet und neue, andere Möglich­keiten auf­zeigt. Ich würde den Stich­punkt der Bildung zuletzt in unser Gespräch bringen. Nicht nur das Haus der Demokratie soll ein Ort der Bildung sein. Du hattest auch auf Adorno verwiesen, der über die Erziehung zur Mündig­keit spricht. Nun ist es vom demo­kratischen Design vermeintlich nicht so weit zu den demo­kratischen Designer*innen und ihrer Rolle in der Gesell­schaft. Aber glaubst du, dass diese Rolle wirklich schon im Bewusstsein der Designer*innen angekommen ist?

Matthias Wagner K: Die Frage würde ich aus der Perspektive eines Professors be­ant­worten wollen. Trotz aller wunderbarer Eigenschaften der Hochschulen hier im Rhein-Main-Gebiet und mithin der Stu­dieren­den, die in meinen Kurs kommen, werden etliche An­wendungs­be­reiche für Gestalter*innen noch gar nicht gesehen – die Mög­lich­­keiten, die eigent­lich für Designer­*innen bestehen, ganz unmittel­bar an der Ge­staltung öffent­licher Räume und also von demo­kratischen Prozes­sen, ein­ge­bunden in eine Öko­nomie, direkt beteiligt zu ein. Das hat natürlich auch etwas mit der Lehre zu tun. Es wird weiterhin Produkt-, Medien oder Grafik­design gelehrt, wobei man es mit ent­sprechen­den Firmen und Auftrag­gebern zu tun bekommt, die alle schon vor­bestimmt sind. Das Poten­zial, sowohl demo­kratisch zu gestalten als auch die Demo­kratie selbst zu gestalten, wird in seiner polit­ischen, ästhetischen, aber auch öko­nom­ischen Dimen­sion noch gar nicht erkannt. Dafür braucht es eine Auf­klärung gegen­über der Politik, die dieses Poten­zial auch begreifen muss, sowie ein Selbst­bewusst­sein der Designer­*innen selbst, die diese Rolle ein­fordern müssen. Die Politik muss Designer­*innen von Anfang an in Prozesse mit einbe­ziehen. Wichtig hierbei ist, zu er­kennen, dass das nicht einfach nur ein Ehren­amt auf Frei­willigen­basis ist, sondern mit einer tatsächlichen Öko­nomie ver­bunden sein muss.

Felix Kosok: Im Zuge dieses neuen Selbst­be­wusst­seins der Designer­*innen gibt es da auch so was wie eine Grenze für Design, anti-demo­kratisches Design, also ein Design, das man auf jeden Fall bleiben lassen sollte?

Matthias Wagner K: Ich glaube ja. Man muss sich einfach Ge­dan­ken darüber machen, für wen und was man arbeitet, für welchen Industrie­zweig. Und für welchen eben auch nicht. Dies­bezüg­lich habe ich viel von Anette Lenz, eurem Ehren­mitglied, gelernt, als sie hier ihre Aus­stellung „à propos“ bei uns hatte. In Frank­reich gibt es da eine ganz gute Teilung: Ent­weder man arbeitet für Kunst und Kultur oder aber man arbeitet für die Wirt­schaft und macht Wer­bung. Ich will das auch über­haupt nicht gegen­­einander­stellen, aber die klare Ent­scheidung für eines der beiden Felder führt zu einer Konse­quenz in der Arbeit und zu einer klaren Haltung. Es erzeugt, ganz neben­bei bemerkt, eine enorme Glaub­­haftig­keit. Und das macht dann eben auch die Arbeit von Anette Lenz aus.

Wir könnten uns einen ganz krassen Fall vorstellen: Eine Designerin oder ein Designer spricht über demo­kra­tisches Design, über die Ge­stal­tung von öffent­lichen Plätzen, die allen eine Teil­habe er­mög­lichen sollen und wie wichtig das alles wäre. Er oder sie spricht über Be­friedung und ein fried­volles Mitein­ander. Und im nächsten Auftrag arbeitet er oder sie an einer Werbe­kam­pagne für die AfD. Ich denke, dass man sich klar ent­scheiden muss und aus dieser Ent­schei­dung die Konse­quenzen zu ziehen hat. Nur dadurch bekommt man eine klare Haltung und kann auch eine Form von Wider­ständig­keit ent­wickeln. Das ist auch Teil von demo­kratischem Design.

Felix Kosok: Demokratischer Designer oder demokratische Designer­in sein bedeutet also, dass man sich entscheiden sollte, für welches bessere Leben man gestalten möchte, oder?

Matthias Wagner K: Ich denke schon. Das muss man machen. Und dieses bessere Leben, ich sagte es ja bereits, kann nur eines sein, was einer nächsten Generation die gleichen Gestaltungs­spiel­räume für ein gutes Leben auf diesem Planeten ermög­licht. Da kann ich keine Ab­striche machen. Und das ver­langt dann ganz klar, dass in die DNA des Gestalt­ungs­­prozesses und auch des Denkens Nach­haltig­keit und ein überlegter Umgang mit den Ressourcen einge­schlossen sein muss. Ein Ziel von Design for Demo­cracy soll auch sein, die Kriterien hierfür in einem Austausch­prozess mit Expert­*innen aus der Design­szene zu ent­wickeln. Anders wird es nicht funktio­nieren und damit schließen sich bestimmte Dinge im Design einfach aus. Demo­kratisches, also in voll­umfäng­lichen Sinn gutes Design muss sich an diesen Maß­stäben messen lassen.

Prof. Matthias Wagner K

ist einer der herausragenden deutsch­sprachigen Vertreter in den Bereichen Design­vermittlung und Design kuratieren. Nach lang­jähriger und erfolg­reicher freier Tätigkeit als Ausstellungs­macher, Biennale-Leiter, Kunst- und Design-Kurator sowie Heraus­geber und Autor, ist er seit 2012 Direktor des Frankfurter Museum Angewandte Kunst. Hier hat er einen Paradigmen­wechsel in der Neu­definition eines Museums für angewandte Kunst herbei­geführt, der auch inter­national für Auf­sehen gesorgt und zu breiter Aner­kennung geführt hat. Seine Aus­stellungs- und Veran­staltungs­tätig­keit hat neue Maß­stäbe hin­sichtlich inhalt­licher und struktur­eller Rezeptions- und Perzeptions­formen von Kunst und Design aufgezeigt.