DESIGN DISKURS
Die Region Frankfurt-Rhein-Main bewirbt sich um den Titel World Design Capital 2026. Prof. Matthias Wagner K, der Direktor des Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main, stellt diese Bewerbung unter das Motto „Design for Democracy. Atmospheres for a better life“. Im Gespräch mit Felix Kosok hinterfragen die beiden den Zustand unserer Demokratie sowie die Rolle, die Designer*innen in ihr spielen könnten und sollten. Im Zentrum steht aber die Frage, was Design für die Demokratie bedeutet.
Felix Kosok: Lieber Matthias, die Organisation World Design Capital bestimmt alle zwei Jahre eine Stadt, die den effektiven Gebrauch und Nutzen von Design zur Förderung von ökonomische, sozialen, kulturellen und ökologischen Fortschritt herausstellt. Es geht also darum, Design als entscheidenden Faktor bei der Transformation und Weiterentwicklung unserer Gesellschaften präsent zu machen. Jetzt hast du die Bewerbung der Region Frankfurt-Rhein-Main um eben diesen Titel unter ein, wie ich finde, äußerst interessantes Motto gestellt. Es geht zunächst nicht um das Design ökologisch sinnvoller Mobilität oder die Gestaltung nachhaltiger Produktionskreisläufe, Themen die aktuell im Design prominent verhandelt werden. Diese Bewerbung steht unter dem Titel „Design for Democracy. Atmospheres for a better life“. Nun könnte man doch meinen, dass unsere Demokratie eigentlich relativ gut funktioniert: Demokratische Prozesse sind am Laufen, ihre Institutionen scheinen stabil. Warum also dieses Motto und warum braucht unsere Demokratie überhaupt Design?
Matthias Wagner K: Das ist eine gute Frage, lieber Felix. Die Demokratie braucht auf jeden Fall Design! Als wir uns als Kurator*innen bei der Fotografie-Triennale Ray 2021 mit dem Thema Ideologien beschäftigt haben, stellten wir uns bereits die Frage, von welchem Zustand unserer Gesellschaft wir eigentlich ausgehen. In was für einer Zeit leben wir? Was passiert um uns herum? Wie lässt sich das charakterisieren und beschreiben? Schon bei dieser Recherche waren wir, aber auch ich ganz persönlich, nicht der Meinung, dass es mit der Demokratie und ihren Institutionen – als eine Form freiheitlicher Lebensführung – ganz so gut läuft, wie du es jetzt beschrieben hast. Mir erscheint die Demokratie mehr und mehr porös. Das fällt mir einerseits an ganz vielen Stellen hier in Deutschland auf. Andererseits ist es auch ein internationales Phänomen und dazu muss man den Blick ja nur auf Europa erweitern. In etlichen Ländern machen sich hier Tendenzen breit, demokratische Strukturen in Frage zu stellen oder gar anti-demokratische Strukturen etablieren zu wollen, finden die Modelle autokratischer Staatsführung in Ost und West mehr und mehr Anhänger*innen. Die Demokratie ist also nicht nur porös, sondern auch bedroht.
„Mir erscheint die Demokratie mehr und mehr porös“
Im Zuge dieser Beobachtungen kam das Interesse für Transformationsprozesse und die Funktionsweisen von Gesellschaften auf. Wieso zerfallen unsere Gesellschaften gerade in immer kleinere Gruppen? Wie offen, transparent und durchlässig sind diese noch? Haben wir es hier mit Blasen zu tun? Was die Frage nach dem Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft dringlich macht. Oder wird überhaupt gar nicht mehr gesamtgesellschaftlich nachgedacht? Existiert so etwas wie Verantwortung für mehr als nur mich selbst noch? An all diesen Stellen hapert es gewaltig. Unsere freiheitliche Demokratie weist poröse Stellen auf. Die stützenden Säulen mögen noch stehen, getragen auch durch das Grundgesetz. Aber im Rest des Baus bröckelt es. Bei dieser Diagnose haben meine Fragen und meine Suche angefangen.
Die Antwort, die ich in diesem Motto dann gefunden habe, hat viel mit deinem Buch Form, Funktion und Freiheit zu tun, in dem du über das Verhältnis von Design und Demokratie schreibst. Aber auch Natascha Strobls Analyse eines radikalisierten Konservatismus sowie Adornos Radiobeitrag von 1969 zur Erziehung zur Mündigkeit waren Inspirationen. Selbst wenn man heute nicht mehr von Erziehung sprechen würde, ist das doch ein wahnsinnig aktueller Beitrag, den man sich wieder anhören sollte. Neben diesen theoretischen Einflüssen lag auch ein ganz pragmatischer Ansatz zugrunde. Was unterscheidet eigentlich die Region Frankfurt-Rhein-Main vom Rest der Welt? Wenn sich eine Stadt wie Kopenhagen mit dem Thema Mobilität oder Oslo als autofreie Kulturstadt bewerben, hätten wir keine Chance. Was macht also die Region Frankfurt-Rhein-Main besonders und lässt die Rolle und Funktion von Designer*innen noch einmal ganz neu und anders denken? Bei dieser konkreten Frage macht es Sinn, einmal in die Vergangenheit zu blicken: Hier erfand vor mehr als 550 Jahren der Mainzer Johannes Gutenberg das Drucken mit beweglichen Metalllettern und löste damit eine Medienrevolution aus, waren die Reformbewegung des Jugendstils, wie sie in Darmstadt ihren Ausdruck fand, und nicht zuletzt die Stadt Frankfurt am Main mit der Gestaltungsutopie „Das Neue Frankfurt“ bereits schon einmal Zentren moderner Gestaltung und neuer Gesellschaftsmodelle. Hier wird im Jahr 2023 der 1848 in der Paulskirche stattgefundenen ersten deutschen Nationalversammlung gedacht werden und soll ein Haus der Demokratie entstehen. Und dann ist da auch wieder dein Buch, in dem du so gute Beispiele hierfür gefunden hast. Alleine schon der Wahlzettel aus der Einleitung.
Felix Kosok: Du meinst den berühmt berüchtigten Butterfly Ballot der Präsidentschaftswahl 2000 in Florida, richtig? Dessen missverständliches Layout hatte zu erheblichen Abweichungen bei den prognostizierten Stimmen geführt. Schlussendlich hatte das den Republikaner zum Wahlsieg und, wenn man so will, George W. Bush zur Präsidentschaft verholfen.
„Wir müssen Design grundlegender verstehen und tiefgründiger betrachten.“
Matthias Wagner K: Das ist natürlich ein Beispiel, das zeigt, welchen Einfluss kleinste Dinge, aber ganz deutlich Gestaltung haben können. Es ist ein Beispiel dafür, wie gutes aber in diesem Fall leider schlechtes Design den Verlauf einer ganzen Wahl beeinflussen kann. Design kann wahlentscheidend werden. Bei dieser Einleitung in die Thematik wurde mir dann klar, dass die Bewerbung eine ganz andere Forderung stellen muss. Es kann nicht nur um veränderte Mobilitätskonzepte oder die Veränderung von Produkten gehen. Wir brauchen nicht noch einen Entwurf eines weiteren Stuhls. Wir müssen Design grundlegender verstehen und tiefgründiger betrachten. Und aus einem Wissen um das gesellschaftsverändernden Potenzial des Designs heraus müssen wir die entsprechenden Forderungen ableiten, weil die Zeit abläuft, dass wir den multiplen Krisen noch etwas entgegensetzen können.
Dies verknüpft sich mit dem besseren Leben, was sich zunächst vielleicht etwas blumig anhört. Aber für mich bedeutet das bessere Leben, dass es auch immer noch etwas zu verbessern und zu steigern gibt. Wir haben etwas noch nicht erreicht, aber das Versprechen steht im Raum. Und wenn man mich konkret fragt, was das denn genau sei, dieses bessere Leben, dann kann das für mich nur eines sein, dass wir so ausgestalten, dass die nachfolgenden Generationen genau dieselbe Chance haben, ein solches auch zu leben.
Felix Kosok: Ich würde den Titel des Mottos gerne in zwei Teile unterteilen, um deiner Diagnose zuzustimmen. Wir haben zum einen die Demokratie und zum anderen deren Design in „Design for Democracy“. Die Idee der Demokratie befindet sich an sich nicht wirklich in der Krise. Viele offen anti-demokratische Gruppierungen schreiben sich ja selbst die Demokratie auf die Fahne, wenn sie Meinungsäußerung befreit von jeglichen Konsequenzen fordern. Sie nehmen demokratische Freiheit in Anspruch, um Unfreiheit voranzutreiben. Aber auch antidemokratische Parteien in Deutschland und Europa tragen die Idee der Demokratie weiter vor sich her. Das, was du angesprochen hast, die zunehmende Porosität unserer Demokratie, betrifft jedoch das Design unserer Demokratie, welches brüchig geworden ist. Offensichtlich verschwindet ein Vertrauen in die Funktionen der Demokratie und wir brauchen bessere und neue Vorschläge für ein Design von Teilhabe und Partizipation. Das sind genau diese porösen Stellen, oder?
Matthias Wagner K: Mit den porösen Stellen meine ich ein Dilemma: Alle haben eigentlich noch eine gewisse Vorstellung davon, was Demokratie bedeutet, und keiner will wirklich das Gegenteil haben. Aber was passiert dann direkt vor unserer Tür? Was passiert auf unseren öffentlichen Plätzen? In welchem Zustand ist der gesellschaftliche Zusammenhalt und gegen was wird sich eigentlich aufgelehnt? Wogegen wird demonstriert – und mit welchen Zeichen und Symbolen? Wenn man in die Lebenswirklichkeiten hineinschaut, dann ist es genau das, was ich mit den porösen Stellen meine. Was vor unserer Haustür passiert. Was im eigenen Freundeskreis passiert. Was in unserem täglichen Umgang miteinander geschieht – oder eben auch nicht. Hier wurde sich zuletzt viel abgeschottet, was sicherlich der Pandemie geschuldet ist. Aber es zeigt sich, welchen Stellenwert das Gemeinsame hat und wodurch es gefährdet wird.
2018 war Georgien das Ehrengastland der Frankfurter Buchmesse, zu dem wir auch eine Ausstellung im Haus hatten. Da gab es eine unglaubliche Faszination und eine Begeisterung vor allem von jungen Menschen im und für das Land, für den zaghaften Prozess eines friedlichen Miteinanders unterschiedlicher Gruppierungen und also auch Demokratisierung, die eng mit der Subkultur in Tiflis verbunden war. Und wie schnell ist das alles wieder vorbei? Viele der damaligen Akteur*innen der Buchmesse, Autor*innen, Kurator*innen, Kulturschaffende, haben eigentlich alle Georgien wieder verlassen. Oder schauen wir nach Ungarn oder Polen. Zu Letzterem habe ich biografisch starke Bezüge, weil ich Teil der Solidarność Bewegung auf der deutschen Seite der damaligen DDR war. Aber das scheint gerade alles wieder in Auflösung begriffen zu sein und in einem Großteil der Bevölkerung gibt es eine regelrechte Nostalgie und Sehnsucht nach starker Führung, um die Krisen zu bewältigen. In Georgien ganz explizit eine Nostalgie für den Stalinismus. Auf einmal bekommen Autokraten und mit ihnen die Autokratie wieder etwas Anziehendes, Schillerndes, glaubt man, damit die aktuellen Probleme lösen zu können.
Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Das hat die letzte Wahl ja auch gezeigt. Aber ich verstehe mich ganz klar als Weltbürger und Europäer. Grenzen machen für mich keinen Sinn mehr und die Grenzen, die uns die Pandemie aufgezeigt hat, reichen mir erst mal aus. Ich bin froh, wenn die wieder wegfallen. Aber ich blicke mit Besorgnis auf unsere europäischen Nachbarn. Angriffe auf die Demokratie greifen immer mehr direkt in unser Leben ein. Ich befürchte, dass einfach die Vorstellung davon, was der Einsatz für die Gesellschaft und für ein Miteinander ausmacht, verlorengeht; zusammen mit der Erkenntnis, wie erfüllend dieser Einsatz sein kann.
„Es fehlt die Vorstellungskraft für das Gemeinsame, das Verbindende, das in der kollektiven Aktion entsteht.“
Felix Kosok: Du hast mehrere wunde Punkte der Demokratie angesprochen, die ich äußerst interessant finde. Für viele Menschen scheinen demokratische Regierungen nicht mehr handlungsfähig genug zu sein. Diese agieren national, während wirkliche, vor allem ökonomische Entscheidungen international getroffen werden. Die Krisen haben dann wiederum ein planetares Ausmaß. Hiermit hängt diese Sehnsucht nach starken Männern und die Nostalgie für durchgreifende Autorität zusammen, die das Ganze endlich regeln soll. Es sind vor allem diese starken Männer, die bei anti-demokratischen Bewegungen an vorderster Front stehen. Zugleich fehlt, genauso wie du es beschrieben hast, die Vorstellungskraft dafür, dass gemeinsames Agieren genau dieses Handlungspotenzial hätte, Dinge in der Welt zu verändern. Es fehlt die Vorstellungskraft für das Gemeinsame, das Verbindende, das in der kollektiven Aktion entsteht. Das sind meiner Meinung nach die zwei Problemfelder, die eng miteinander verknüpft sind.
Matthias Wagner K: Ja, wobei ich, sicher auch in deinem Sinne, das Verbindende und die kollektive Aktion mit Blick auf eine gemeinsame und überaus bedrohte Welt verstehen möchte, nicht als nationale Eigenart. An diesem Punkt müssen wir auch über die Digitalisierung sprechen. Diese Entwicklung oder auch die Technologien sind natürlich nicht per se etwas Schlechtes. Sie haben durchaus positive Effekte. Aber in der Konzentration dieser Werkzeuge in den Händen global agierender Unternehmen mit ökonomischem Interesse, also Apple, Google, Alphabet und nun auch Meta, ist mehr als problematisch. Die Sozialen Medien tragen selbstverständlich bei allem Positiven auch zur Porosität unserer Demokratie bei. Aber vor allem die Konzentration des Datenkapitals und der damit einhergehende Einfluss dieser Konzerne verstärkt die Wahrnehmung, dass ich als Einzelne*r ja kaum etwas ausrichten oder verändern kann. Über Likes und Follower hinaus verlieren wir die Erfahrung der eigenen Wirkmächtigkeit, die sich vor allem im gemeinsamen Handeln ergibt. Dabei werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Und tatsächlich hat sich die Konzentration von Reichtum in den letzten Jahren der Pandemie noch einmal verstärkt. Die reale und gefühlte gesellschaftliche Spaltung ist in Deutschland vielleicht noch nicht so ausgeprägt wie in den Staaten. Sie ist nichtsdestotrotz vorhanden. Kombiniert mit dem Verlust der Vorstellung für gemeinsames Handeln zum Wohle einer Gesellschaft, lässt das eine Mutlosigkeit entstehen, durch die man den Dingen fast gleichgültig gegenübersteht. Selbst solchen Herausforderungen wie der Klimakrise. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie nicht mehr gestaltend mitwirken können, dass alles bereits verloren ist, ist das eine Gefahr für die Demokratie. So wie auch die Korruption, die Vertrauen und Glaubhaftigkeit zerstört. Kombiniert verbreitet sich das wie ein Gift und am Ende denkt jede und jeder nur noch an sich selbst. Nach uns die Sintflut und vorher gerne noch eine fette Party. Das meine ich, wenn ich sage, unsere Demokratie ist porös geworden.
Hiergegen muss man etwas Positives setzen, das Mut macht, das unseren Handlungsspielraum verdeutlicht. Die Agentur Scholz & Volkmer, die in den Prozess der Bewerbung um den Titel World Design Capital eingebunden ist, hat das zuletzt sehr treffend formuliert: Gute Lösungen brauchen gute Probleme!
Felix Kosok: Wir müssen also nur das Porös-Werden unserer Demokratie als gutes Problem und gute Herausforderung verstehen, für die wir dann gute Lösungen entwickeln müssen. Zumindest ist es ein gutes Problem, weil es uns auf die tieferliegenden Probleme stößt, die du genannt hast. Wir verlieren immer mehr das Gefühl für eine Handlungsmacht, die im Gemeinsamen liegt. Gleichzeitig entkoppeln sich bestimmte Unternehmen von demokratischen Entscheidungsprozessen. Ihre Plattformen und Sozialen Medien erzeugen Filterblasen, welche die Gesellschaft noch weiter auseinandertreiben, und bieten dann die perfekte Bühne für Populisten, die wiederum dieses Handlungspotenzial suggerieren und behaupten, für ein Volk zu sprechen und gegen die korrupten Eliten vorzugehen.
Die Kommunikation in den Sozialen Medien ist vielleicht wieder so ein gutes Problem, das uns darauf hinweist, dass sie auf eine Art auch etwas kaputt machen können, zum anderen aber immer auf das Soziale und das gemeinsame Handeln angewiesen bleiben, das auf ihnen stattfindet. Was nur wieder unterstreicht, welche Macht im gemeinsamen Handeln liegt. Das bringt mich jetzt zum Untertitel der Bewerbung um den Titel World Design Capital 2026. Denn „Atmospheres for a better life“ klingt erstmal nicht nach der Verbesserung von demokratischen Institutionen und Prozessen. Wie bist du denn auf diesen zweiten Teil des Titels gekommen und was soll er ausdrücken?
Matthias Wagner K: Ehrlicherweise habe ich gedacht, dass das Thema Design und Demokratie auch eine gewisse Schwere mit sich bringt. Das braucht dazu einfach noch was, das so ist wie der Buchstabe K: Der steht ganz fest auf zwei Beinen ist aber nach vorne hin geöffnet, lässt sich also sehr positiv konnotieren. Diese Öffnung ist für mich der Untertitel „Atmospheres for a better life“. Zum einen meint die Atmosphäre natürlich ganz konkret auch die Atmosphäre unseres Planeten als Grundlage allen Lebens. Und andererseits, das ist das Großartige an diesem Begriff, meint Atmosphäre auch etwas Zwischenmenschliches, etwas Ästhetisches und etwas, das mit Stimmungen zu tun hat. Wir alle wissen, was die Atmosphäre in einem Raum ausmacht. Ist er gut gestaltet? Stimmt das Licht? Eine gute Atmosphäre merkt man auch anhand der Gespräche, die geführt werden. Bin ich eher offen und kommunikativ oder verschlossen und zurückhaltend? Dasselbe gilt für Atmosphären von öffentlichen Plätzen. Laden diese zur Teilhabe und zum Austausch ein? Lass ich meinen Müll liegen, weil das auf diesem Platz eh egal ist und ich ihn sowieso nur überquere, um zum nächsten Shopping Center zu kommen? Das meint dieser Begriff Atmosphären und genau an diesen guten Atmosphären fehlt es überall. Dabei ist die Atmosphäre und Gestaltung sowohl eines urbanen als auch eines Innenraumes entscheidend für ein gemeinsames Miteinander.
Dies verknüpft sich mit dem besseren Leben, was sich zunächst vielleicht etwas blumig anhört. Aber für mich bedeutet das bessere Leben, dass es auch immer noch etwas zu verbessern und zu steigern gibt. Wir haben etwas noch nicht erreicht, aber das Versprechen steht im Raum. Und wenn man mich konkret fragt, was das denn genau sei, dieses bessere Leben, dann kann das für mich nur eines sein, dass wir so ausgestalten, dass die nachfolgenden Generationen genau dieselbe Chance haben, ein solches auch zu leben.
„Das bessere Leben stellt ein Versprechen in den Raum. Es ist wie eine Leitidee, die wir noch gar nicht erreicht haben.“
Felix Kosok: Ich finde die Beschreibung gut, dass das bessere Leben ein Versprechen in den Raum stellt; dass es eine Leitidee ist, die wir noch gar nicht erreicht haben. Dieses Versprechen verknüpft es für mich ganz eindeutig mit der Demokratie, die ja als Regierungsform das Versprechen der eigenen Verbesserungswürdigkeit in ihre Grundlage aufgenommen hat. Es kann immer nochmal anders gestaltet werden und durch neue Perspektiven kann sie sich nur verbessern. Dieses Versprechen der Verbesserung verbindet dann zuletzt wiederum Design und Demokratie miteinander. Es ist ja die allererste Aufgabe des Designs, Dinge zu verbessern und somit ein besseres Leben zu gestalten. Im Design geht es darum, dieses Versprechen in die Tat umzusetzen. Vor dem Hintergrund dieses Versprechens, was wäre für dich demokratisches Design?
Ein demokratisches Design wäre für mich eines, das sich als Mittler und das Angewandte von demokratischen Prozessen versteht.
Matthias Wagner K: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, weil man erstmal fragen muss, an welchen Stellen sich die Demokratie manifestiert. Da gibt es einerseits die Institutionen, die Träger, aber das Ganze geht ja noch weiter und reicht in unsere alltägliche Lebenswelt hinein. Ein demokratisches Design wäre für mich eines, das sich als Mittler und das Angewandte von demokratischen Prozessen versteht. Das fängt ganz simpel an, wie du es ja in deinem Buch auch als Beispiel bringst: mit einem bewusst und dezidiert gestalteten Wahlzettel. Das erstreckt sich für mich auch in die bewusste Gestaltung öffentlichen Raumes, der unterschiedlichsten Gruppierungen Aufenthalt und Teilnahme an der Öffentlichkeit ermöglicht. Das geht weiter mit der Gestaltung eines Hauses der Demokratie, wie es in Frankfurt geplant wird, das weniger ein Museum oder Ort der historischen Arbeit sein sollte, als vielmehr ein Ort, an dem mir die Möglichkeit gegeben wird – und ich zugleich dazu aufgefordert werde – demokratische Prozesse partizipativ zu verstehen. Als ein sinnlicher Bildungsort im Hier und Heute. Kein Ort, der der Demokratie ein Denkmal setzen will, sondern ein Ort, dessen Gestaltung im Hier und Jetzt Demokratie erfahrbar macht.
Demokratisches Design kann für mich aber auch eines sein, dass eine Vermittlung zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und lebenswirklicher Handhabe herstellt. Auch daran hapert es ja gerade gewaltig. Die Pandemie hat uns gezeigt, dass wir hervorragende Wissenschaftler*innen in Deutschland haben, denen aber die Vermittlung oft nicht gelingt. Das hat dann damit etwas zu tun, dass die richtigen Bilder fehlen, weil dafür die Grafiken fehlen, weil die Modelle fehlen. Genau das wäre auch eine gestalterische Aufgabe für Designer*innen im Sinne der Demokratie. Es geht also um die Rolle und Funktion von Gestalter*innen und letztlich darum, all das zu unterlassen, was einer freiheitlichen Demokratie Schaden zufügen könnte.
Felix Kosok: Das würde ich unterstreichen. Demokratisches Design wäre für mich auch eines, das überhaupt in den von dir angesprochenen Felder den Gestaltungsspielraum eröffnet und neue, andere Möglichkeiten aufzeigt. Ich würde den Stichpunkt der Bildung zuletzt in unser Gespräch bringen. Nicht nur das Haus der Demokratie soll ein Ort der Bildung sein. Du hattest auch auf Adorno verwiesen, der über die Erziehung zur Mündigkeit spricht. Nun ist es vom demokratischen Design vermeintlich nicht so weit zu den demokratischen Designer*innen und ihrer Rolle in der Gesellschaft. Aber glaubst du, dass diese Rolle wirklich schon im Bewusstsein der Designer*innen angekommen ist?
Matthias Wagner K: Die Frage würde ich aus der Perspektive eines Professors beantworten wollen. Trotz aller wunderbarer Eigenschaften der Hochschulen hier im Rhein-Main-Gebiet und mithin der Studierenden, die in meinen Kurs kommen, werden etliche Anwendungsbereiche für Gestalter*innen noch gar nicht gesehen – die Möglichkeiten, die eigentlich für Designer*innen bestehen, ganz unmittelbar an der Gestaltung öffentlicher Räume und also von demokratischen Prozessen, eingebunden in eine Ökonomie, direkt beteiligt zu ein. Das hat natürlich auch etwas mit der Lehre zu tun. Es wird weiterhin Produkt-, Medien oder Grafikdesign gelehrt, wobei man es mit entsprechenden Firmen und Auftraggebern zu tun bekommt, die alle schon vorbestimmt sind. Das Potenzial, sowohl demokratisch zu gestalten als auch die Demokratie selbst zu gestalten, wird in seiner politischen, ästhetischen, aber auch ökonomischen Dimension noch gar nicht erkannt. Dafür braucht es eine Aufklärung gegenüber der Politik, die dieses Potenzial auch begreifen muss, sowie ein Selbstbewusstsein der Designer*innen selbst, die diese Rolle einfordern müssen. Die Politik muss Designer*innen von Anfang an in Prozesse mit einbeziehen. Wichtig hierbei ist, zu erkennen, dass das nicht einfach nur ein Ehrenamt auf Freiwilligenbasis ist, sondern mit einer tatsächlichen Ökonomie verbunden sein muss.
Felix Kosok: Im Zuge dieses neuen Selbstbewusstseins der Designer*innen gibt es da auch so was wie eine Grenze für Design, anti-demokratisches Design, also ein Design, das man auf jeden Fall bleiben lassen sollte?
Matthias Wagner K: Ich glaube ja. Man muss sich einfach Gedanken darüber machen, für wen und was man arbeitet, für welchen Industriezweig. Und für welchen eben auch nicht. Diesbezüglich habe ich viel von Anette Lenz, eurem Ehrenmitglied, gelernt, als sie hier ihre Ausstellung „à propos“ bei uns hatte. In Frankreich gibt es da eine ganz gute Teilung: Entweder man arbeitet für Kunst und Kultur oder aber man arbeitet für die Wirtschaft und macht Werbung. Ich will das auch überhaupt nicht gegeneinanderstellen, aber die klare Entscheidung für eines der beiden Felder führt zu einer Konsequenz in der Arbeit und zu einer klaren Haltung. Es erzeugt, ganz nebenbei bemerkt, eine enorme Glaubhaftigkeit. Und das macht dann eben auch die Arbeit von Anette Lenz aus.
Wir könnten uns einen ganz krassen Fall vorstellen: Eine Designerin oder ein Designer spricht über demokratisches Design, über die Gestaltung von öffentlichen Plätzen, die allen eine Teilhabe ermöglichen sollen und wie wichtig das alles wäre. Er oder sie spricht über Befriedung und ein friedvolles Miteinander. Und im nächsten Auftrag arbeitet er oder sie an einer Werbekampagne für die AfD. Ich denke, dass man sich klar entscheiden muss und aus dieser Entscheidung die Konsequenzen zu ziehen hat. Nur dadurch bekommt man eine klare Haltung und kann auch eine Form von Widerständigkeit entwickeln. Das ist auch Teil von demokratischem Design.
Felix Kosok: Demokratischer Designer oder demokratische Designerin sein bedeutet also, dass man sich entscheiden sollte, für welches bessere Leben man gestalten möchte, oder?
Matthias Wagner K: Ich denke schon. Das muss man machen. Und dieses bessere Leben, ich sagte es ja bereits, kann nur eines sein, was einer nächsten Generation die gleichen Gestaltungsspielräume für ein gutes Leben auf diesem Planeten ermöglicht. Da kann ich keine Abstriche machen. Und das verlangt dann ganz klar, dass in die DNA des Gestaltungsprozesses und auch des Denkens Nachhaltigkeit und ein überlegter Umgang mit den Ressourcen eingeschlossen sein muss. Ein Ziel von Design for Democracy soll auch sein, die Kriterien hierfür in einem Austauschprozess mit Expert*innen aus der Designszene zu entwickeln. Anders wird es nicht funktionieren und damit schließen sich bestimmte Dinge im Design einfach aus. Demokratisches, also in vollumfänglichen Sinn gutes Design muss sich an diesen Maßstäben messen lassen.