DESIGN DISKURS
Auch wenn „Design für die Demokratie“ das diesjährige Motto des DDCs ist, stellt sich Felix Kosok die Frage, ob Design diesem Anspruch überhaupt gerecht werden kann. Schlimmer noch: Wenn wir den Zustand unserer Welt betrachten, müssten wir dann nicht zu dem Schluss kommen, dass Design antidemokratisch ist?
Ein anti-demokratischer Funktionalismus
Diese Frage, die ich in diesem Beitrag anhand von Beispielen nachgehen möchte, ist eine schallende Ohrfeige für die gesamte Tradition des modernen Designs. Denn mit der funktionalen Ausgestaltung unserer Lebenswelt wurde seit der Industrialisierung eine egalitäre und demokratische Hoffnung verbunden. Schon der Architekt Louis H. Sullivan („form follows function“), will just in der Reduktion auf die Funktion nichts weniger als den Geist der Demokratie erkannt haben, der seinen Ausdruck in organisierter sozialer Form sucht. 1 Die Arts and Crafts-Bewegung unter William Morris adressierte im Angesicht des sich voll entfaltenden Industriekapitalismus in England die soziale Frage durch ihr Design. Eine Perspektive, die sich schließlich in Deutschland auch das Bauhaus unter Walter Gropius aneignete, das dezidiert als Institution für die Demokratisierung der Gesellschaft durch modernes Design 1919 gegründet wurde. 2 Und auch die Nachfolgeinstitution, die Hochschule für Gestaltung in Ulm, wurde von Inge Aicher-Scholl, Otl Aicher und Max Bill explizit als Institution der Demokratisierung der Gesellschaft durch Design in Erinnerung an Aicher-Scholls Geschwister, die Weiße Rose, 1953 etabliert. 3 Dies veranlasst den Designhistoriker Gert Selle dazu, im Blick auf die Moderne insgesamt von einem „demokratischen Funktionalismus“ 4 zu sprechen.
Aber reicht eine Auflistung der Gründungsväter des modernen Designs aus, um eine Kongruenz zwischen Design und Demokratie zu belegen? Oder ist in das Programm der Moderne selbst nicht vielmehr eine Tendenz zu einer anti-demokratischen totalen Gestaltbarkeit eingeschrieben? Kurzum: Denkt man das Programm der Moderne konsequent zu Ende, scheint sich eine Vermutung zu bestätigen: Design ist zutiefst anti-demokratisch. Durch drei Kritikpunkte an der Moderne möchte ich erläutern, was ich unter anti-demokratischen Design verstehe: Obwohl es die große Leistung der frühen Gestaltungsmoderne war, Design in einem gesellschaftlichen Zusammenhang denken zu wollen, muss deren Begriff guter Gestaltung für (1) die Verkürzung abstrakter, demokratischer Gleichheit, für (2) einen unübersehbaren, geistesaristokratischen Paternalismus sowie für (3) eine gefährliche Tendenz hin zu einer sozialtechnologischen Totalisierung kritisiert werden.
Zu (1): Abstrakte demokratische Gleichheit hat die Eigenart, sich in ihr Gegenteil, in Zwang und Konformitätsdruck, zu verkehren, wenn man sie als Ziel setzt und versucht, sie materiell zu verwirklichen. Abstrakte demokratische Gleichheit also sollte sich in der Sachlichkeit und der Ehrlichkeit der Produkte und beim Erfüllen der gleichen Bedürfnisse zeigen. Doch dass alle Menschen schlafen, essen, trinken, atmen und in Sicherheit leben müssen, sagt kaum etwas darüber aus, wie genau sie diese Grundbedürfnisse befriedigen wollen. Das gesellschaftlich vermittelte und das natürliche Moment des Bedürfnisses lassen sich nicht trennen und keine Hierarchie der Befriedigung generieren. 5 Versucht man dies dennoch, spielt uns die angenommene, konkrete Gleichheit aller Menschen einen Streich und verkehrt sich in Zwang zur Angleichung, der Besonderheiten nivelliert. Nordkoreanische Einheitsfrisuren, die Pflicht des Tragens von Kurzhaarfrisuren, wären ein Extrembeispiel dieser Tendenz.
Zu (2): Als „Diktatur der Philanthropen“ bezeichnet Gerd de Bruyn das gut gemeinte Bevormundungsdesign der Moderne. 6 Denn tatsächliche Partizipation war im Programm des Bauhauses nicht vorgesehen. Es ging darum, als Gestaltungsexpert*innen das Wesen der Dinge zu erforschen und diesem seine funktionale Gestalt zu geben. Die eigene, partikulare Position, die eigene, notwendigerweise eingeschränkte Perspektive, wurde beim Abzielen auf das universal anzuwendende Prinzip von „form follows function“ übergangen. Die Schönheit eines demokratischen Funktionalismus war somit auch keine individuelle Aushandlung des Designprozesses, sondern die Einsicht in die objektive Notwendigkeit der Reduktion auf die Funktion. So verstanden wäre Design ein unaufhaltsamer evolutionärer Prozess, der lediglich vorangetrieben werden musste – auch gegen den Willen einer unaufgeklärten Bevölkerung. Dieser geistesaristokratische Paternalismus zerstört den Raum für Pluralität und ließ sich deshalb auch sehr gut mit dem Design des Nazi-Regimes vereinbaren – wie beispielsweise in den Designs des Bauhausmeisters Herbert Bayer für die Rassenhygiene Ausstellung „Wunder des Lebens“. 7
Schließlich zu (3): In ihr Extrem getrieben enden beide Tendenzen in der totalen Gestaltbarkeit, die alle Bereiche unseres Lebens und des Sozialen einer instrumentellen Vernunft sowie sämtliche Gestaltung einem letztgültigen funktionalen Design unterordnen – designte Sozialtechnologie. Es darf nichts Überflüssiges mehr geben. Die emanzipatorischen Bestrebungen eines demokratischen Funktionalismus kommen an ihr selbstverschuldetes Ende und mutieren zu einem anti-demokratischen Totalitarismus, wie Claude Lefort dies beschreibt: „die Vorstellung einer homogenen und für sich selbst durchsichtigen Gesellschaft“, welche „die gesellschaftliche Teilung in allen Formen [leugnet]“, die kein Außen mehr kennt und in der Behauptung universalisierbarer, faktischer Gleichheit „alle Zeichen des Unterschiedes“ bestreitet. 8 Es wäre das Ende jeglicher geschichtlicher Entwicklung. Eine solche materiell-ideologische Grundlage einer Gemeinschaft von Gleichen muss nicht mehr gestaltet, sondern nur noch verwaltet werden. Die industrielle Vernichtung von lebensunwertem Leben sowie Putins Traum von einem Großrussischen Reich, der heute diesen unerträglichen Krieg vorantreibt, finden ihre Entsprechung in diesem Design.
Hände in Unschuld waschen
Dass es in Diktaturen kein demokratieförderndes Design geben kann – und ich würde behaupten: auch kein gutes Design! – sollte klar geworden sein. Dass Design leider einen wesentlichen Teil zur Stabilisierung totalitärer Systeme beiträgt, ebenso. Das anti-demokratische Problem mit dem Design jedoch in die historische Distanz oder in die geografische Ferne zu verschieben, täuscht über anti-demokratisches Design innerhalb unserer Demokratien hinweg. Neben dem Einsatz von Design für die offen anti-demokratischen neu-rechten Bewegungen innerhalb von Europa, die über Memes, Websites, Poster und Magazine die ganze Klaviatur des Kommunikationsdesigns einsetzen, 9 sind es nicht selten demokratisch gewählte Regierungen selbst, die wissentlich oder unwissentlich anti-demokratisches Design umsetzen. Dies geschieht dann nicht direkt zur Realisierung einer utopischen Einheitsvision, doch meistens zur Exklusion von Fremden.
In ihrem Vortrag beim DDC Konvent für demokratisches Design weist die Designwissenschaftlerin Bianca Herlo auf das simple so wie eindrückliche Beispiel einer Parkbank hin, dass es Obdachlosen verunmöglichen soll, auf dieser zu schlafen. Gestaltete Strukturen verkörpern interne Machtbeziehungen, Ein- und Ausschlussmechanismen, die sich anhand bestimmter Diskriminierungsvektoren orientieren. Aus dem Bereich der digitalen Infrastrukturen bringt Herlo das Beispiel von algorithmischen Biases, die aufgrund unhinterfragter Vorannahmen entstehen. Ein Google-Suchalgorithmus, der Menschen mit schwarzer Hautfarbe als Gorillas identifizierte, oder aber Sensoren an Seifenspendern, die die Hände von People of Color nicht wahrnehmen, sind nur einige der bekanntesten Beispiele hierfür. Wer wird als Standard gesetzt? Von welchem Menschenbild geht das Design dieser Strukturen aus?
Über die beschriebenen Ausschlussmechanismen definiert sich auch die tödlichste Außengrenze der Welt – die Grenze der Europäischen Union. Der Designwissenschaftler Mahmoud Keshavarz beschreibt in seiner Analyse von Pässen, Grenzen und Flüchtlingslager als designte Strukturen und interaktive Devices diese anti-demokratischen Technologien der Macht. 10 Es ist die spezifische Eigenschaft von Design als Komplize dieser Technologien der Macht, Technologie unsichtbar werden zu lassen, sie zu normalisieren, damit gleichzeitig zu legitimieren und getarnt als Werkzeug zum Erreichen eines komfortablen Lebens zu bewerben. Diese Verstrickungen des Designs mit einem unhinterfragbar gewordenen Kapitalismus, der die Grundlagen unseres Lebens auf diesem Planeten zerstört, thematisiert ebenso Ruben Pater in einer breit angelegten Analyse. 11
Post-demokratische Indifferenz
Aber nicht jede*r Designer*in arbeitet für Frontex oder Multinationals. Nicht alles Design agiert offen anti-demokratisch oder macht sich zum Komplizen von Ausschluss und Diskriminierung oder der Zerstörung unseres Planeten. Aber reicht das schon aus? Ist Design schon gut für die Demokratie, solange es nicht aktiv gegen sie eingesetzt wird? In diesem abschließenden Teil möchte ich einen Blick auf die inneren Logiken des Designs werfen, welche trotz bester Intentionen die Demokratie aushöhlen und langsam zersetzen. Besonders gefährlich sind diese Tendenzen, da sie nicht aus einem Missbrauch des Designs heraus entstehen, sondern dem Design selbst immanent sind. Wenn unsichtbare Funktionen und hyper-sichtbare Formen im Design auseinanderfallen, dann haben wir es mit zwei Verfallstendenzen zu schaffen: dem Verlust der Bestreitbarkeit von Entscheidungsfindung einerseits, dem Verlust der Bedeutung von Differenzen andererseits. Beide lassen sich mit dem französischen Philosophen Jaqcues Rancière als post-demokratisch beschreiben, da sie den schleichenden Verfall demokratischer Gesellschaften befördern. 12 Dieser schleichende Verfall vollzieht sich durch das Verleugnen demokratischer Macht, was Entscheidungsfindung zur alleinigen Aufgabe von Expert*innen macht, sowie durch die Beförderung einer paradoxen Indifferenz der Öffentlichkeit gegenüber diesem Verfall. Beide Tendenzen laufen dabei Hand in Hand: Ohne die Ohnmachtsbehauptung käme es nicht zur Bedeutungslosigkeit des Hyper-Sichtbaren. Für beide Tendenzen will ich die Plattformen der Sozialen Medien als paradigmatisches Beispiel heranziehen.
„The world is on its way to ruin and it’s happening by design“ – diagnostiziert der UX-Designer Mike Monteiro. 13 Gemeint ist hier die schleichende Zersetzung unserer Öffentlichkeit, das Erzeugen von Filterblasen sowie die Hyper-Individualisierung der Einzelnen durch die Internet-Giganten, allen voran Alphabet und Meta. Über die offen anti-demokratischen Züge solcher Technologien der Macht, wie sie Keshavarz beschreibt, beinhalten sie auch eine schleichende, post-demokratische Verfallstendenz. Erst die kontrollgesellschaftlichen sozialen Medien und das überwachungskapitalistische Datensammeln von Facebook, Google und Amazon, welche die Meinungsforschung in digitale Verhaltensforschung konvertierten, ermöglicht diese individualisierte und singularisierte Öffentlichkeit, in der Fake News und Propaganda wirken können – durch ihr Design. Durch ihr Design, dessen eigentliche Funktionen des Datensammelns hinter schönen und glatten Oberflächen verschwinden und unsichtbar werden, zersetzen sie einen geteilten Diskursraum.
Nach Shoshana Zuboff, die den Begriff des Überwachungskapitalismus prägte, sind die „korrumpierten Informationen“ sogar eine „zwangsläufige Folge der radikalen Indifferenz“ und gehören wesentlich zu den sozialen Netzwerken dazu. 14 Dies ist die eigentliche, post-demokratisch zu nennende Manipulation durch das Netz: nicht die propagandistische Manipulation der Massen, sondern die sozialtechnologische Manipulation einer post-demokratischen Gemeinschaft indifferenter Einzelner. Weiter arbeiten Google und Facebook nach Zuboff beständig daran, den „Mythos“ ihrer eigene „Unvermeidlichkeit“ sowie Alternativlosigkeit rhetorisch, technisch, juristisch und schließlich auch gestalterisch sicherzustellen. Designentscheidungen werden nicht nur unsichtbar, sondern unkritisierbar.
Diese Zersetzung demokratischer Gesellschaften durch unkritisierbare Designentscheidungen sowie Manipulation ist jedoch nur die eine Seite einer post-demokratischen Herausforderung des Designs, nur eine Richtung des Verfalls. Erst durch das Zusammenspiel mit der zweiten Tendenz zur Seite der Oberfläche, der Form und der Sichtbarkeit hin kann sie vollumfänglich wirksam werden. Das Paradigma der All-Sichtbarkeit von Vielfalt, die auf ein frei wählendes Subjekt trifft, das eigenverantwortlich und für sich selbst entscheiden soll, wie es sich selbst und seine eigene Identität durch das angebotene Design verwirklichen möchte, verschiebt alle Verantwortung auf die Einzelnen. Demokratie wird zur Kaufentscheidung und zum individuellen Style. Ein Missverständnis von beziehungs- und voraussetzungsloser Freiheit, wie es die freie Wahl und die absolut freie Meinungsäußerung propagieren, kann sich in Folge als Modell erst wirklich durchsetzen. Design wird innerhalb der Ökonomie der Aufmerksamkeit und der Selbstverwirklichung, der Flexibilität und individualistisch lösbarer Probleme zu einem „anything goes“ depotenziert, für das jede*r am Ende des Tages selbst verantwortlich ist.
Schlimmer noch: Durch Design werden vormals bedeutsame politische Differenzen depotenziert. Das Depotenzieren von Differenz wird in den Sozialen Medien besonders deutlich, wenn diese lediglich eine Plattform der Zurschaustellung von identitätslogischer Differenz anbieten, beispielsweise durch den Like-Button als regenbogenfarbener Pride-Button; oder wie kürzlich durch das Ausschmücken des eigenen Profils mit der Flagge der Urkaine. In einer Gesellschaft, in der alles irgendwie und auf irgendeine Art schon gestaltet werden kann, weil alles irgendwie gestaltbar ist, in der alles nebeneinander sichtbar werden kann und es nichts mehr gibt, das die Ordnung grundlegend herausfordert, wird Design zum differenzentleerenden Styling der eigenen Identität. Design wird „anästhetisch“, weil es für bedeutsame Differenzen desensibilisiert und zugleich die wirklichen Designentscheidungen der Kritik entziehen. 15
Where do we go from here?
Ist die Sache des Designs für die Demokratie nun endgültig verloren? Nicht, wenn wir dazu bereit sind, Demokratie anders und neu zu denken, radikaler, sowie Dominik Herold dies in seinem Vortrag beim DDC Konvent für demokratisches Design theoretisch ausführt. Demokratie nicht nur als Regierungs-, sondern als Lebensform, bedeutet dann, dass die Möglichkeit zu ihrer Ausgestaltung jedem und jeder offenstehen muss, dass die Gestaltbarkeit der Demokratie selbst ein höheres Gut ist, als die Festlegung auf eine bestimmte Form. Demokratie bedeutet dann, dass wir gemeinsam die Dinge auch immer anders ausgestalten könnten, als sie es gerade sind.
Was in diesem Sinn als demokratisches Design zu verstehen wäre, habe ich an anderer Stelle ausführlicher behandelt. 16 Bei einer Podiumsdiskussion, an der ich teilnahm, wurde die Frage gestellt, ob wir als Designer*innen dazu bereit wären, den Tisch von Putin als Auftrag zu gestalten. Ließe sich demokratisches Design innerhalb einer Diktatur bewerkstelligen, müsste meine Antwort „Ja!“ sein. Denn gutes Design beinhaltet nicht nur die Vorstellung eines Auftraggebers, sondern verändert das Setting und betrifft somit immer mehrere Menschen. Demokratisches Design schließlich bedeutet, dass die Dinge sich verändern, entwickeln können. So hätte auch ein Tisch Einfluss auf die Politik, die an ihm gemacht wird, und könnte neue Gestaltungsspielräume eröffnen, Brüche provozieren und Dinge verändern. Jedoch ist dies innerhalb einer Diktatur, in der alles auf eine Einheit abzielt, vergeblich. Eine Diktatur lässt sich nicht durch Design, sondern nur durch Widerstand überwinden.
Ein Auszug meines Fazits zu demokratischem Design als Ausblick und Hoffnung: „Gutes Design ist wesentlicher Teil einer demokratischen Kultur der Freiheit. […] Demokratisches Design macht schließlich ästhetisch aus den gestalteten Dingen der Welt uns angehende Sachen. Durch gutes Design zeigt sich [die] Welt […] uns in ihrer Gestaltbarkeit.“ 17