Geflüchtete auf einem seeuntüchtigen Boot im Mittelmeer.
Foto: UNHCR / Giuseppe Cartoteruto

DESIGN DISKURS

Auch wenn „Design für die Demokratie“ das dies­jährige Motto des DDCs ist, stellt sich Felix Kosok die Frage, ob Design diesem An­spruch über­haupt gerecht werden kann. Schlim­mer noch: Wenn wir den Zu­stand unserer Welt be­trach­ten, müssten wir dann nicht zu dem Schluss kommen, dass Design anti­demo­kratisch ist?

Veröffentlicht am 04.05.2022

Ein anti-demokratischer Funktionalismus

Diese Frage, die ich in diesem Beitrag anhand von Bei­spielen nach­gehen möchte, ist eine schallende Ohr­feige für die gesamte Tradi­tion des modernen Designs. Denn mit der funktio­nalen Aus­ge­staltung unserer Lebens­welt wurde seit der Industri­ali­sier­ung eine egalitäre und demo­kratische Hoff­nung ver­bun­den. Schon der Archi­tekt Louis H. Sullivan („form follows function“), will just in der Reduk­tion auf die Funktion nichts weniger als den Geist der Demo­kratie er­kannt haben, der seinen Aus­druck in organi­sierter sozialer Form sucht. 1 Die Arts and Crafts-Be­wegung unter William Morris adressierte im Ange­sicht des sich voll ent­falten­den Industrie­kapi­talismus in England die soziale Frage durch ihr Design. Eine Per­spek­tive, die sich schließ­lich in Deutsch­land auch das Bau­haus unter Walter Gropius an­eignete, das dezidiert als Insti­tu­tion für die Demo­krati­sier­ung der Gesell­schaft durch modernes Design 1919 ge­gründet wurde. 2 Und auch die Nach­folge­insti­tution, die Hoch­schule für Gestalt­ung in Ulm, wurde von Inge Aicher-Scholl, Otl Aicher und Max Bill ex­plizit als Insti­tution der Demo­krati­sierung der Gesell­schaft durch Design in Erinner­ung an Aicher-Scholls Gesch­wister, die Weiße Rose, 1953 etabliert. 3 Dies veran­lasst den Design­historiker Gert Selle dazu, im Blick auf die Moderne ins­ge­samt von einem „demo­kra­tischen Funktio­na­lismus“ 4 zu sprechen.

Aber reicht eine Auf­list­ung der Gründungs­väter des modernen Designs aus, um eine Kon­gru­enz zwischen Design und Demo­kratie zu be­legen? Oder ist in das Pro­gramm der Moderne selbst nicht viel­mehr eine Ten­denz zu einer anti-demo­kratischen totalen Gestalt­bar­keit ein­ge­schrie­ben? Kurz­um: Denkt man das Pro­gramm der Moderne konse­quent zu Ende, scheint sich eine Ver­mut­ung zu bestät­igen: Design ist zutiefst anti-demo­kratisch. Durch drei Kritik­punkte an der Moderne möchte ich er­läutern, was ich unter anti-demo­kratischen Design ver­stehe: Ob­wohl es die große Leist­ung der frühen Gestaltungs­moderne war, Design in einem gesell­schaft­lichen Zusam­men­hang denken zu wollen, muss deren Begriff guter Ge­stalt­ung für (1) die Verkürz­ung ab­strakter, demo­kratischer Gleich­heit, für (2) einen un­über­seh­baren, geistes­aristo­kra­tischen Pater­nalis­mus sowie für (3) eine gefähr­liche Ten­denz hin zu einer sozial­techno­logischen Totali­sierung kriti­siert werden.

Zu (1): Abstrakte demo­kratische Gleich­heit hat die Eigen­art, sich in ihr Gegen­teil, in Zwang und Kon­formi­täts­druck, zu ver­kehren, wenn man sie als Ziel setzt und ver­sucht, sie materi­ell zu ver­wirk­lichen. Abstrakte demo­kratische Gleich­heit also sollte sich in der Sach­lich­keit und der Ehr­lich­keit der Produkte und beim Er­füllen der gleichen Be­dürf­nisse zeigen. Doch dass alle Menschen schlafen, essen, trinken, atmen und in Sicher­heit leben müssen, sagt kaum etwas da­rüber aus, wie genau sie diese Grund­be­dürf­nisse be­frie­digen wollen. Das gesell­schaft­lich ver­mittelte und das natür­liche Moment des Bedürf­nisses lassen sich nicht trennen und keine Hierar­chie der Be­frie­di­gung gener­ieren. 5 Versucht man dies den­noch, spielt uns die ange­nom­mene, konkrete Gleich­heit aller Menschen einen Streich und ver­kehrt sich in Zwang zur An­gleich­ung, der Be­sonder­heiten nivelliert. Nord­korea­nische Einheits­fri­suren, die Pflicht des Tragens von Kurz­haar­fri­suren, wären ein Extrem­bei­spiel dieser Tendenz.

Nordkoreaniasche Propaganda Werbung mit adequaten Haarschnitten

Zu (2): Als „Diktatur der Philan­thropen“ bezeichnet Gerd de Bruyn das gut gemeinte Be­vor­mund­ungs­design der Moderne. 6 Denn tat­säch­­liche Parti­zi­pation war im Pro­gramm des Bau­hauses nicht vor­ge­sehen. Es ging darum, als Ge­stalt­ungs­expert­*innen das Wesen der Dinge zu er­forschen und diesem seine funktio­nale Ge­stalt zu geben. Die eigene, parti­ku­lare Po­sition, die eigene, not­wendiger­weise ein­ge­schränkte Per­spek­tive, wurde beim Ab­zielen auf das uni­ver­sal anzu­wen­dende Prinzip von „form follows function“ über­gangen. Die Schön­heit eines demo­kratischen Funkti­ona­lis­mus war somit auch keine indi­vidu­elle Aus­hand­lung des Design­prozes­ses, sondern die Ein­sicht in die ob­jektive Not­wendig­keit der Reduk­tion auf die Funk­tion. So ver­stan­den wäre Design ein un­auf­halt­samer evo­lutio­närer Prozess, der ledig­lich vor­an­ge­trieben werden musste – auch gegen den Willen einer un­auf­ge­klärten Be­völker­ung. Dieser geistes­aristo­kra­tische Pater­na­lis­mus zer­stört den Raum für Plurali­tät und ließ sich des­halb auch sehr gut mit dem Design des Nazi-Regimes ver­ein­baren – wie bei­spiel­s­weise in den Designs des Bau­haus­meisters Herbert Bayer für die Rassen­hygiene Aus­stellung „Wunder des Lebens“. 7

Foto aus der Berliner Ausstellung „Wunder des Lebens“; Foto: Bundesarchiv, Bild 102-16748 / Georg Pahl

Schließlich zu (3): In ihr Extrem getrieben enden beide Ten­denzen in der totalen Gestalt­bar­keit, die alle Bereiche unseres Lebens und des Sozialen einer instru­men­tellen Ver­nunft sowie sämt­liche Ge­stalt­ung einem letzt­gültigen funktio­nalen Design unter­ordnen – designte Sozial­techno­logie. Es darf nichts Über­flüs­siges mehr geben. Die emanzi­pa­tor­ischen Be­stre­bun­gen eines demo­kra­tischen Funktio­na­lis­mus kommen an ihr selbst­ver­schul­detes Ende und mutieren zu einem anti-demo­kra­tischen Tota­litar­ismus, wie Claude Lefort dies be­schreibt: „die Vor­stellung einer homo­genen und für sich selbst durch­sichtigen Gesell­schaft“, welche „die gesell­schaft­liche Teil­ung in allen Formen [leugnet]“, die kein Außen mehr kennt und in der Behaupt­ung uni­ver­sali­sier­barer, fakt­ischer Gleich­heit „alle Zeichen des Unter­schiedes“ be­streitet. 8 Es wäre das Ende jeg­licher ge­schicht­licher Ent­wick­lung. Eine solche materi­ell-ideo­lo­gische Grund­lage einer Gemein­schaft von Gleichen muss nicht mehr ge­staltet, sondern nur noch ver­waltet werden. Die indus­tri­elle Ver­nicht­ung von lebens­un­wertem Leben sowie Putins Traum von einem Groß­russischen Reich, der heute diesen un­er­träg­lichen Krieg vor­an­treibt, finden ihre Ent­sprech­ung in diesem Design.

Plan des Vernichtungslagers Auschwitz. Der Bauhausschüler Fritz Ertl war als Stellvertreter der Bauleitung in die Planung involviert. Foto: Fritz Schumann/Edition Ost

Hände in Unschuld waschen

Dass es in Diktaturen kein demo­kratie­fördern­des Design geben kann – und ich würde be­haup­ten: auch kein gutes Design! – sollte klar ge­worden sein. Dass Design leider einen wesent­lichen Teil zur Stabi­li­sier­ung totali­tärer Sys­teme bei­trägt, eben­so. Das anti-demo­kra­tische Pro­blem mit dem Design je­doch in die historische Dis­tanz oder in die geo­gra­fische Ferne zu ver­schie­ben, täuscht über anti-demo­krat­isches Design inner­halb unserer Demo­kratien hin­weg. Neben dem Ein­satz von Design für die offen anti-demo­kratischen neu-rechten Be­we­gun­gen inner­halb von Euro­pa, die über Memes, Web­sites, Poster und Maga­zine die ganze Klavi­atur des Kom­muni­kations­de­signs ein­setzen, 9 sind es nicht selten demo­kratisch ge­wählte Regier­ungen selbst, die wissent­lich oder un­wissent­lich anti-demo­kra­tisches Design um­setzen. Dies ge­schieht dann nicht direkt zur Reali­sier­ung einer uto­pischen Ein­heits­vision, doch meistens zur Ex­klu­sion von Fremden.

In ihrem Vor­trag beim DDC Kon­vent für demo­kratisches Design weist die Design­wissen­schaft­lerin Bianca Herlo auf das simple so wie ein­drück­liche Bei­spiel einer Park­bank hin, dass es Ob­dach­losen ver­un­mög­lichen soll, auf dieser zu schlafen. Gestaltete Struk­turen ver­kör­pern interne Macht­be­zieh­ungen, Ein- und Aus­schluss­mecha­nismen, die sich an­hand bestimmter Dis­krimi­nier­ungs­vek­toren orien­tieren. Aus dem Bereich der digi­talen Infra­struk­turen bringt Herlo das Beispiel von algo­rith­mischen Biases, die auf­grund un­hinter­fragter Vor­an­nahmen ent­stehen. Ein Google-Such­algo­rith­mus, der Menschen mit schwarzer Haut­farbe als Goril­las identi­fi­zierte, oder aber Sen­soren an Seifen­spendern, die die Hände von People of Color nicht wahr­neh­men, sind nur einige der bekannt­esten Bei­spiele hier­für. Wer wird als Stand­ard ge­setzt? Von welchem Menschen­bild geht das Design dieser Struk­turen aus?

Über die be­schrie­benen Aus­schluss­mecha­nis­men defi­niert sich auch die töd­lichste Außen­grenze der Welt – die Grenze der Euro­pä­ischen Union. Der Design­wissen­schaft­ler Mahmoud Keshavarz be­schreibt in seiner Analyse von Pässen, Gren­zen und Flücht­lings­lager als designte Struk­turen und inter­aktive Devices diese anti-demo­kratischen Techno­logien der Macht. 10 Es ist die spezi­fische Eigen­schaft von Design als Kom­plize dieser Techno­logien der Macht, Techno­logie un­sicht­bar werden zu lassen, sie zu normali­sieren, damit gleich­zeitig zu legiti­mieren und ge­tarnt als Werk­zeug zum Er­reichen eines kom­fort­ablen Lebens zu be­werben. Diese Ver­strickungen des Designs mit einem un­hinter­frag­bar ge­wordenen Kapi­talis­mus, der die Grund­lagen unseres Lebens auf diesem Planeten zer­stört, thema­ti­siert ebenso Ruben Pater in einer breit ange­legten Analyse. 11

Post-demokratische Indifferenz

Aber nicht jede*r Designer*in arbeitet für Front­ex oder Multi­nation­als. Nicht alles Design agiert offen anti-demo­kratisch oder macht sich zum Kom­plizen von Aus­schluss und Dis­krimi­nier­ung oder der Zer­stör­ung unseres Planeten. Aber reicht das schon aus? Ist Design schon gut für die Demo­kratie, solange es nicht aktiv gegen sie ein­ge­setzt wird? In diesem ab­s­chließen­den Teil möchte ich einen Blick auf die inneren Logik­en des Designs werfen, welche trotz bester Intent­ionen die Demo­kratie aus­höhlen und lang­sam zer­setzen. Beson­ders gefähr­lich sind diese Ten­den­zen, da sie nicht aus einem Miss­brauch des Designs heraus ent­stehen, sondern dem Design selbst imma­nent sind. Wenn un­sicht­bare Funk­tionen und hyper-sicht­bare Formen im Design aus­ein­ander­fallen, dann haben wir es mit zwei Ver­falls­ten­denzen zu schaffen: dem Verlust der Be­streit­bar­keit von Ent­scheidungs­findung einer­seits, dem Ver­lust der Be­deutung von Differen­zen anderer­seits. Beide lassen sich mit dem fran­zösischen Philo­sophen Jaqcues Rancière als post-demo­kratisch be­schreiben, da sie den schleichen­den Ver­fall demo­krat­ischer Gesell­schaften be­fördern. 12 Dieser schlei­chende Ver­fall voll­zieht sich durch das Ver­leug­nen demo­krat­ischer Macht, was Ent­scheidungs­findung zur allein­igen Auf­gabe von Ex­pert­*innen macht, sowie durch die Be­förder­ung einer para­doxen In­differ­enz der Öffent­lich­keit gegen­über diesem Ver­fall. Beide Ten­den­zen laufen dabei Hand in Hand: Ohne die Ohn­macht­s­be­haupt­ung käme es nicht zur Be­deutungs­losig­keit des Hyper-Sicht­baren. Für beide Ten­denzen will ich die Platt­formen der Sozialen Medien als paradig­matisches Bei­spiel heranziehen.

„The world is on its way to ruin and it’s happening by design“ – diagnos­ti­ziert der UX-Designer Mike Monteiro. 13 Gemeint ist hier die schleichen­de Zer­setz­ung unserer Öffent­lich­keit, das Er­zeugen von Filter­blasen sowie die Hyper-Individu­ali­sier­ung der Ein­zelnen durch die Inter­net-Gigan­ten, allen voran Alpha­bet und Meta. Über die offen anti-demo­kratischen Züge solcher Techno­logien der Macht, wie sie Keshavarz be­schreibt, bein­halten sie auch eine schleichende, post-demo­kratische Ver­falls­ten­denz. Erst die kontroll­ge­sell­schaft­lichen sozialen Medien und das über­wachungs­kapi­talist­ische Daten­sam­meln von Face­book, Google und Amazon, welche die Meinungs­forsch­ung in digitale Ver­haltens­forsch­ung kon­ver­tierten, ermög­licht diese indi­vidu­ali­sierte und singu­lari­sierte Öffent­lich­keit, in der Fake News und Pro­pa­ganda wirken können – durch ihr Design. Durch ihr Design, dessen eigent­liche Funk­tionen des Daten­sam­melns hinter schönen und glatten Ober­flächen ver­schwin­den und un­sicht­bar werden, zer­setzen sie einen ge­teilten Diskurs­raum.

Nach Shoshana Zuboff, die den Begriff des Über­wachungs­kapi­talis­mus prägte, sind die „korrum­pierten Infor­ma­tionen“ sogar eine „zwangs­läufige Folge der radi­kalen Indif­ferenz“ und ge­hören wesent­lich zu den sozialen Netz­wer­ken dazu. 14 Dies ist die eigent­liche, post-demo­kratisch zu nennende Mani­pula­tion durch das Netz: nicht die propa­gan­dist­ische Mani­pu­la­tion der Massen, sondern die sozial­techno­log­ische Mani­pu­la­tion einer post-demo­kratischen Gemein­schaft in­differ­enter Ein­zelner. Weiter arbeiten Google und Face­book nach Zuboff bestän­dig daran, den „Mythos“ ihrer eigene „Unvermeid­lich­keit“ sowie Alter­nativ­losig­keit rhetorisch, tech­nisch, jurist­isch und schließ­lich auch gestalter­isch sicher­zu­stellen. Design­ent­schei­dungen werden nicht nur un­sicht­bar, sondern unkritisierbar.

Diese Zersetzung demo­kratischer Gesell­schaften durch un­kriti­sier­bare Design­ent­schei­dungen sowie Mani­pulation ist jedoch nur die eine Seite einer post-demo­kratischen Her­aus­forder­ung des Designs, nur eine Richtung des Ver­falls. Erst durch das Zusam­men­spiel mit der zweiten Ten­denz zur Seite der Ober­fläche, der Form und der Sicht­bar­keit hin kann sie voll­um­fäng­lich wirk­sam werden. Das Paradigma der All-Sicht­bar­keit von Viel­falt, die auf ein frei wählendes Sub­jekt trifft, das eigen­ver­ant­wort­lich und für sich selbst ent­scheiden soll, wie es sich selbst und seine eigene Identi­tät durch das ange­botene Design ver­wirk­lichen möchte, ver­schiebt alle Ver­ant­wort­ung auf die Ein­zelnen. Demo­kratie wird zur Kauf­ent­schei­dung und zum indi­vidu­ellen Style. Ein Miss­ver­ständ­nis von be­zieh­ungs- und vor­aus­setzungs­loser Frei­heit, wie es die freie Wahl und die abso­lut freie Meinungs­äußer­ung pro­pa­gieren, kann sich in Folge als Modell erst wirk­lich durch­setzen. Design wird inner­halb der Öko­no­mie der Auf­merk­sam­keit und der Selbst­ver­wirk­lich­ung, der Flexi­bi­li­tät und indi­vidu­ali­stisch lös­barer Pro­bleme zu einem „anything goes“ de­poten­ziert, für das jede*r am Ende des Tages selbst verantwortlich ist.

Schlimmer noch: Durch Design werden vor­mals bedeut­same polit­ische Dif­feren­zen depo­ten­ziert. Das Depo­tenzieren von Differ­enz wird in den Sozialen Medien beson­ders deut­lich, wenn diese ledig­lich eine Platt­form der Zur­schau­stel­lung von identi­täts­logischer Dif­fer­enz an­bieten, bei­spiels­weise durch den Like-Button als regen­bogen­farbener Pride-Button; oder wie kürz­lich durch das Aus­schmücken des eigenen Profils mit der Flagge der Urkaine. In einer Gesell­schaft, in der alles irgend­wie und auf irgend­eine Art schon ge­stal­tet werden kann, weil alles irgend­wie gestalt­bar ist, in der alles neben­ein­ander sicht­bar werden kann und es nichts mehr gibt, das die Ord­nung grund­legend heraus­fordert, wird Design zum differenz­ent­leerenden Styl­ing der eigenen Identi­tät. Design wird „anästhetisch“, weil es für bedeut­same Differ­enzen de­sensi­bi­li­siert und zu­gleich die wirk­lichen Design­ent­schei­dungen der Kritik entziehen. 15

Where do we go from here?

Ist die Sache des Designs für die Demo­kratie nun end­gültig ver­loren? Nicht, wenn wir dazu be­reit sind, Demo­kra­tie anders und neu zu denken, radi­kaler, sowie Dominik Herold dies in seinem Vor­trag beim DDC Kon­vent für demo­kra­tisches Design theo­retisch aus­führt. Demo­kratie nicht nur als Regier­ungs-, sondern als Lebens­form, be­deu­tet dann, dass die Mög­lich­keit zu ihrer Aus­ge­stalt­ung jedem und jeder offen­stehen muss, dass die Gestalt­bar­keit der Demo­kratie selbst ein höheres Gut ist, als die Fest­legung auf eine bestimmte Form. Demo­kratie bedeutet dann, dass wir gemein­sam die Dinge auch immer anders aus­ge­stalten könnten, als sie es gerade sind.

Was in diesem Sinn als demo­kratisches Design zu ver­stehen wäre, habe ich an anderer Stelle aus­führ­licher be­han­delt. 16 Bei einer Podiums­disku­s­sion, an der ich teil­nahm, wurde die Frage ge­stellt, ob wir als Designer­*innen dazu be­reit wären, den Tisch von Putin als Auf­trag zu ge­stalten. Ließe sich demo­kratisches Design inner­halb einer Dikta­tur be­werk­stell­igen, müsste meine Antwort „Ja!“ sein. Denn gutes Design bein­haltet nicht nur die Vor­stell­ung eines Auf­trag­gebers, sondern ver­ändert das Setting und be­trifft somit immer mehrere Menschen. Demo­krat­isches Design schließ­lich be­deutet, dass die Dinge sich ver­ändern, ent­wickeln können. So hätte auch ein Tisch Ein­fluss auf die Politik, die an ihm ge­macht wird, und könnte neue Gestalt­ungs­spiel­räume er­öffnen, Brüche pro­vo­zieren und Dinge ver­än­dern. Jedoch ist dies inner­halb einer Dikta­tur, in der alles auf eine Ein­heit ab­zielt, vergeb­lich. Eine Dikta­tur lässt sich nicht durch Design, sondern nur durch Wider­stand überwinden.

Ein Aus­zug meines Fazits zu demo­kratischem Design als Aus­blick und Hoff­nung: „Gutes Design ist wesent­licher Teil einer demo­krat­ischen Kultur der Freiheit. […] Demo­kratisches Design macht schließ­lich ästhetisch aus den gestalt­eten Dingen der Welt uns an­gehende Sachen. Durch gutes Design zeigt sich [die] Welt […] uns in ihrer Gestaltbarkeit.“ 17

Quellenverzeichnis

1   Louis H. Sullivan, Kindergarten Chats and Other Writings, New York 1947, S. 99.
2   Magdalena Droste, Bauhaus 1919–1933, Neuauflage 2019, Köln 2019.
3   Vgl. Gert Selle, Geschichte des Designs in Deutschland, aktualisierte und erw. Neuausg., Frankfurt/M, New York 2007, S. 268.
4   Ebd. S. 175.
5   Vgl. für diesen Punkt Theodor W. Adorno, »Thesen über Bedürfnis«, in: ders., Gesammelte Schriften, Band 8, S. 445-452.
6   Vgl. Gerd de Bruyn, Die Diktatur der Philanthropen. Entwicklung der Stadtplanung aus dem utopischen Denken, Braunschweig, Wiesbaden 1996.
7   Vgl. hierzu u. a.: Winifried Nerdinger (Hg.), Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus. Zwischen Anbiederung und Verfolgung, München 1993, oder Xenia Riemann, »Die ›Gute Form‹ und ihr Inhalt. Über die Kontinuität des sachlichen deutschen Designs zwischen 1930 und 1960« in: Kritische Berichte (1/2006), S. 52–62.
8   Claude Lefort, »Die Frage der Demokratie«, in: Ulrich Rödel (Hg.), Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie, Frankfurt/M 1990, S. 281–297, hier: S. 287.
9   Vgl. hierzu die Beiträge im Tagungsband der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung: Michelle Christensen, Jesko Fezer, Bianca Herlo, Daniel Hornuff, Gesche Joost (Hg.): Lechts und Rinks. Auseinandersetzungen mit dem Design der Neuen Rechten, Hamburg 2020.
10   Vgl. Mahmoud Keshavarz, The Design Politics of the Passport. Materiality, Immobility, and Dissent, London, New York, Oxford u.a. 2018.
11   Ruben Pater, Caps Lock. How Capitalism Took Hold of Graphic Design and How to Escape from It, Amsterdam 2021.
12   Jacuqes Rancière, Das Unvernehmen. Politik und Philosophie, Frankfurt/M 2002.
13   Mike Monteiro, Ruined by Design. How Designers Destroyed the World, and What We Can Do to Fix It, San Francisco 2019, S. 10.
14   Shoshana Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, S. 580.
15   Vgl. Juliane Rebentisch, Die Kunst der Freiheit. Zur Dialektik demokratischer Existenz, Frankfurt/M 2012, S. 368–374.
16   Vgl. Felix Kosok, Form, Funktion und Freihiet. Über die ästhetisch-politische Dimension des Designs, Bielefeld 2020.
17   Ebd., S. 364.

Dr. Felix Kosok

Dr. Felix Kosok ist Design­wissen­schaft­ler und Grafik­designer. 2020 promo­vierte er an der HfG Offen­bach zur ästhetisch-polit­ischen Dimen­sion des Designs. Der Schwer­punkt seiner Forsch­ung liegt in den Be­reichen Design­ästhetik sowie polit­isches Grafik­design. Neben der For­schung ist er in der Design­kolla­bora­tion Bureau069 selbst gestalter­isch tätig. Für seine Arbeiten hat Felix Kosok bereits viele Aus­zeich­nun­gen er­halten. Seit 2021 ist Felix Kosok Professor für Grafik­design und Design­theorie an der German Inter­natio­nal Uni­versity Berlin sowie Teil des Vor­standes des DDC.