DESIGN DISKURS
Designer*innen können systemische Veränderungen projizieren, sich mit den Auswüchsen des digitalen Kapitalismus auseinandersetzen, neue Formate der Zusammenarbeit und neue Möglichkeiten zur Förderung lokaler Praktiken auftun, Formen des Widerstands ausüben und neue Designprinzipien verinnerlichen und weiterentwickeln.
Die Rolle von Design verändert sich rasant angesichts der weitreichenden Bedeutung einer menschenzentrierten, sozial und ökologisch nachhaltigen digitalen Transformation. Nachdem die Disziplin lange ein euphorisches Narrativ des Internets mitgetragen hat, richten sich die Augen von Gestalter*innen ebenso wie die der Öffentlichkeit immer konkreter auf die Risiken, welche digitale Technologien mit sich bringen: Machtakkumulation, Überwachung, Ungleichbehandlung durch automatisierte Systeme, die Verletzung der Privatsphäre und die nicht-einvernehmliche Nutzung persönlicher Daten einerseits; ebenso wie der Ressourcenverbrauch und die Ausbeutung von Regionen des sogenannten globalen Südens. Der Prozess der Digitalisierung wird dabei nicht mehr als rein technisches Problem, sondern als ein gesellschaftliches Phänomen begriffen.
Wie kann also Gestaltung dazu beitragen, dass Individuen und Kollektive sich selbstbestimmt und sicher im Digitalen bewegen und Digitalisierungsprozesse mitgestalten können – im Sinne einer gerechteren Zukunft für Menschen und Umwelt? Welche Handlungsspielräume haben Designer*innen, wenn sie die Auswirkungen der Digitalisierung auf Menschen und Umwelt verstärkt berücksichtigen und gleichzeitig Aspekte von Demokratie, Partizipation und Teilhabe adressieren? Wenn es darum geht, die Gesellschaft zukunftsfähig zu gestalten – was Ziel zahlreicher aktueller sozialen Bewegungen ist, benötigen wir als Individuen und Kollektive keine Semantik der Alternativlosigkeit. Im Konvolut kultureller Produktionen können Designer*innen zu Zukunftsvorstellungen beitragen, die Menschen befähigen, ins Handeln zu kommen, um auf subjektiver, gesellschaftlicher und planetarischer Ebene Probleme gemeinsam zu identifizieren und zu bearbeiten. Sie können Vorschläge zu alternativen Systemen und Formen des Miteinanders machen. Sie können dazu beitragen, dass demokratische Handlungsfähigkeit sichergestellt wird, indem sie zur Transparenz über die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden (etwa bei der Regulierung oder Produktion von digitalen Technologien) verhelfen. Sie können ihre Kompetenzen dafür einsetzen, dass die Anpassung der Digitalisierung an die Bedürfnisse der Gesellschaft begünstigt wird, indem sie sich in die Gestaltung von Aushandlungsprozessen und deliberativer Formen öffentlicher Debatten einbringen; Projekte initiieren, die die Logiken des Gegeneinanders, des Schneller, Weiter, Größer überwinden und in Logiken der Fairness, der Nachhaltigkeit, der Fürsorge und des Teilens übersetzen. Sie können systemische Veränderungen projizieren, sich mit den Auswüchsen des digitalen Kapitalismus auseinandersetzen und neue Formen der Zusammenarbeit, neue Möglichkeiten zur Förderung lokaler Praktiken auftun oder Formen des Widerstands praktizieren, neue Designprinzipien (Design Justice Principles, First Things First Manifests, Zehneinhalb Thesen zum Design für die Demokratie) verinnerlichen und weiterentwickeln.
Neulich habe ich eine Kurzstudie zu Fragen der nachhaltigen Digitalisierung und der digitalen Souveränität in einem interdisziplinären Team mit Kolleg*innen vom Weizenbaum-Institut erstellt. 1 In der Studie haben sich einige zentrale Aspekte herauskristallisiert, die die Rolle von Design bei der Konzeption und Entwicklung von Möglichkeitsräumen für Mitgestaltung und demokratische Teilhabe auch für Nicht-Designer*innen explizit machen. Design verknüpft dabei sowohl umweltpolitische Fragen als auch Fragen einer gerechteren und inklusiveren digitalen Transformation, vor allem in den Aspekten digitale Kompetenz und digitale Bildung, soziale und digitale Inklusion, Verringerung von Ungleichheiten und Gemeinwohlorientierung. Diese Aspekte finden sich auch unter den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Dort sind beispielsweise Verringerung von Ungleichheiten, Gerechtigkeit, Bildung für alle und starke Institutionen als gesellschaftliche Leitziele festgeschrieben. Design kann dabei eine zentrale Rolle spielen, wenn es sich etwa der gesellschaftlichen Teilhabe im und durch Design verschreibt und das durch Design zur Verfügung gestellte Instrumentarium nutzt, um möglichst viele Perspektiven in Entscheidungsprozesse einzubinden, möglichst verschiedene Arten von Wissen aufeinander zu beziehen, damit Komplexitäten auch gesellschaftsrelevant adressiert werden können.
Die Dispositionen, aus denen heraus Dinge, Artefakte, Systeme, Prozesse und digitale Technologien gestaltet und genutzt werden, entstammen einer Welt, die entlang verschiedener Achsen von Ungleichheiten geprägt ist. Entsprechend sind Diskriminierungen, Exklusion, Unterdrückung und Gewalt im Analogen wie Digitalen nach wie vor wirkmächtig. 2
Als eine Disziplin, die Zusammenhänge aufzuzeigen, blinde Flecken aufzudecken, verschiedene Perspektiven zusammenzubringen oder subversiv zu agieren vermag, kann Design im Prozess der Digitalisierung das gesellschaftliche Interesse für eine nachhaltige Entwicklung in den Vordergrund stellen – auf ökonomischer, ökologischer und sozialer Ebene. Das bedeutet mitunter, Fragen nach den notwendigen Voraussetzungen zur Befähigung der Menschen in Bezug auf Verwirklichungsmöglichkeiten auf dem Weg zu einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung zu adressieren (in Anlehnung an den Befähigungsansatz von Amartya Sen und Martha Nussbaum). Das bedeutet auch danach zu fragen, wie sowohl Betroffene als auch Beteiligte auf dem Weg in eine sozial-ökologisch nachhaltige digitale Transformation mitgenommen werden können. Ein zentrales Ergebnis der oben erwähnten Kurzzeit-Studie ist, dass mehr Räume und Formate des Austauschs, des Lernens und der Zusammenarbeit geschaffen und gestaltet werden müssen, um die Komplexität und Dynamik aktueller, miteinander eng verwobener Herausforderungen (be-)greifen und adressieren zu können. Dazu gehören auch inter- und transdisziplinäre Kooperationen, die verschiedene Diskurse aufeinander beziehen und Räume dafür schaffen, dass unterschiedliche Wissensbestände, Perspektiven und Interessen zusammenkommen – im Sinne gesellschaftlicher Teilhabe.
Design braucht dafür gezielte Förderung inter- und transdisziplinärer (Forschungs-)Projekte und internationaler Kooperationen, um verschiedene kulturelle, soziale und gesellschaftliche Perspektiven bei der Entwicklung von Technologien und Konzepten zu berücksichtigen. Es braucht Möglichkeiten der Finanzierung, um Sensibilität und ein Bewusstsein für globale Perspektiven auf Nachhaltigkeit und Digitalisierung entfalten zu können. Hier ist also sowohl die Forschungsförderung selbst als auch die Forschungsgemeinschaft gefragt, transdisziplinäre und transformative Forschung als gesellschaftsrelevant anzuerkennen, zu fördern und zu praktizieren. Dazu gehören auch Projekte der kritischen Digitalisierungsforschung, die in Zusammenarbeit mit akademischen und nicht-akademischen Vertreter*innen durchgeführt werden (Partner*innen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft), niederschwellige Austausch- und Aushandlungs-Formate und horizontale Kooperationen gehören dazu. Ebenso, dass die Gestaltungs- und Entwicklungsteams selbst diverser werden. Damit erhöhen sich die Chancen, globale Ungerechtigkeiten, Genderfragen und das Gender Data Gap,3 gesellschaftliche und dementsprechend auch digitale Diskriminierung anzugehen, denn die Erfahrungen, Einstellungen, Gerechtigkeitsvorstellungen möglichst vieler werden idealerweise in Gestaltungsprozesse einbezogen. Damit beziehen sich Fragen nach der Einbindung von Menschen mit unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen direkt auf die Gestaltung von Artefakten, Systemen und Prozessen.
Wer sich davon angesprochen fühlt, vermag ins Handeln kommen. Es ist nicht die Pflicht von Designer*innen, auf Kosten ihrer Selbsterhaltung zu agieren. Aber es ist unser aller Zeit, darüber nachzudenken und zu verstehen beziehungsweise Vorstellungen darüber zu entwickeln, wie wir subjektive, gesellschaftliche und planetarische Interessen besser aufeinander beziehen können – denn wir haben aktuell das Wissen, die Voraussetzungen und bestenfalls auch das Bewusstsein darum.