DESIGN DISKURS
Was ist gutes Design? Daniel Martin Feige, Philosoph und Professor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, geht dieser Frage im aktuellen DESIGN DISKURS vor allem mit Blick auf Mittel und Zweck auf den Grund.
Seit der Genese des Designs war es vom Versprechen begleitet, nicht allein unter funktionalen und ästhetischen Gesichtspunkten gute Gegenstände hervorzubringen, sondern auch einen Beitrag zur Beantwortung der sozialen Frage zu leisten. Bereits hier zeigt sich eine grundlegende Spannung im Design und des Designs selbst: Design versucht auf soziale Schieflagen zu antworten und produziert für die Massen erschwingliche und in hinreichend großer Zahl verfügbare Gegenstände. Wenn es aber so ist, dass die Weise des Produzierens von Designgegenständen wie das Design schlechthin sich selbst der industriellen Revolution verdankt, so könnte man in polemischer Zuspitzung sagen, dass das Design nach Antworten auf Probleme sucht, an denen es selbst Anteil hat. Es löst Herausforderungen der sozialen Frage mit Mitteln, die sie erst haben entstehen lassen. Eine solche Rekonstruktion ist zweifelsohne zugespitzt, wenn nicht polemisch. Denn zum einen ist nicht ausgemacht, dass jede Form der industriellen Produktion qua industrieller Produktion schon von einer einheitlichen Logik bestimmt ist. Denn gerade Strömungen wie das Bauhaus und später Ulm haben versucht, Aspekte industrieller Produktion anders zu denken als bloß im Sinne einer Logik der marktkonformen Effizienz. Nicht zuletzt gälte es nicht eine Geschichte des Designs zu erzählen, sondern eine Vielzahl solcher sich überkreuzender Geschichten; so gewinnt die Idee der Synthese, die das Bauhaus angestrebt hat, einen anderen Sinn, wenn man sie statt mit Blick auf die Geschichte des Industrial Designs mit Blick auf die Geschichte des Grafikdesigns nachverfolgen würde.
„Design löst Herausforderungen der sozialen Frage mit Mitteln, die sie erst haben entstehen lassen.“
Dennoch möchte ich geltend machen, dass eine entsprechende Spannung kennzeichnend für das Design ist. Vilém Flusser hat in seiner bekannten wie berüchtigten Kritik des Designs geltend gemacht, 1 dass das „Gute“, auf das das Design zielt, immer schon von seinem Gegenteil durchkreuzt wird – weil es nämlich in Wahrheit qua Design nur auf ein eingeschränkt „Gutes“ zielen kann. Flussers Argument ist wie folgt zu verstehen: „gut“ kann etwas in mindestens zwei Hinsichten sein. Einmal im Sinne einer Antwort auf die Frage, wozu etwas gut ist. Eine solche Frage fragt nach ‚Zwecken‘. Im anderen Fall hingegen wird „gut“ so verstanden, dass es nach ‚Mitteln‘ und nicht nach Zwecken fragt. Ein schlichtes Beispiel: Ich kann vorhaben, meine kranke Großmutter zu besuchen und fragen, ob das eine gute Sache ist, was sie im Regelfall sicher ist (und ich muss natürlich auch hier verschiedene Güter abwägen; wenn mein Kind gerade einen Unfall hatte, werde ich etwas anderes tun, als meine Großmutter zu besuchen). Von der Frage, was der Zweck meiner Handlung ist, muss die Frage unterschieden werden, ob eine Handlung „gut“ hinsichtlich der Verwirklichung dieses Zwecks ist. Wenn ich meine Großmutter besuchen will, sie aber im Nachbarort wohnt, ich nicht den Bus nehme, sondern laufe und mitten in der Nacht ankomme, sodass der Besuch ins Wasser fällt, war diese Handlung in instrumenteller Hinsicht sicherlich „schlecht“. Auf diese Unterscheidung spielt Flusser an, wenn er sagt, dass Design als Design auch dann, wenn es „gut“ ist, immer schlecht ist; es hat seines Erachtens nichts mit dem Reich der Zwecke zu tun, sondern allein mit dem Reich der Mittel.
„Von einem Designgegenstand, der fragwürdigen Zwecken dient, zum Beispiel Schusswaffen, können wir dennoch sagen, er sei als Designgegenstand ‚gut‘ – im Sinne von ‚gut gemacht‘.“
Auch wenn Flussers Position derart zu schlicht ist, dass er übergeht, dass für die Verwirklichung bestimmter Zwecke bestimmte Mittel notwendig sein könnten (und mehr noch: Dass sich Zwecke im Lichte der Mittel in ihrem Sinn verändern 2 ): Er trifft einen Punkt mit seiner Kritik des Designs. Das wird ersichtlich daran, dass wir im Regelfall auch von einem Designgegenstand, der fragwürdigen Zwecken dient (ich denke hier zum Beispiel an Schusswaffen, die allein für die Tötung von Menschen bestimmt sind), dennoch sagen können, er sei als Designgegenstand „gut“ – im Sinne von „gut gemacht“. Dass wir diese Redeweise für verständlich und nicht für einen Kategorienfehler halten zeigt folgendes an: Die Frage, ob ein Designgegenstand „gut“ ist, könnte eine andere Frage sein, als die Frage, ob er für einen wünschenswerten Zweck gemacht ist.
Flussers Designkritik fußt natürlich auf einem durchaus klassischen Begriff des Designs; Design hat hier etwas mit Funktionen zu tun, die in bestimmten Formen verwirklicht sind. Man könnte mutmaßen, dass das Problem nicht im Design selbst, sondern in diesem ‚Begriff‘ des Designs liegt. Ich möchte allerdings geltend machen, dass eine solche kritische Analyse, wie Flusser sie vorgestellt hat, in verwandter Weise auch jüngere Entwicklungen im Design trifft. Auch wenn wir die am Funktionsbegriff orientierte Theorie des Designs verlassen und uns gegenwärtigen Designpraktiken zuwenden, treffen wir auf ein verwandtes Problem.
Unter Lemmata wie „Social Design“ sind in den letzten Jahren Theorien wie Praktiken des Designs hervorgetreten, die nicht länger im funktionalistischen Paradigma zu erläutern sind. Als Vorläufer könnten hier unter anderem die Arbeiten von Papanek und Burckhardt gelten; Letzterer hatte in seinem bekannten Text „Design ist unsichtbar“ daran erinnert, 3 dass in Designentscheidungen immer weitergehende soziale Kontext mit-gestaltet werden und zu einem Re-Design der Gesellschaft aufgerufen. Wer nur auf Gegenstände unter funktionalen wie ästhetischen Gesichtspunkten schaut, merkt nicht, dass er oder sie bestehende soziale Institutionen (und wir können ergänzen: Machtverhältnisse, Geschlechterrollen und so fort) reproduziert – Verhältnisse, die nicht natürlich und damit in Wahrheit auch Designentscheidungen zugänglich sind.
„Wenn ‚Social Design‘ einerseits ein Verfahren meint, andererseits eine Norm, so geraten beide notwendigerweise in Konflikt miteinander.“
Allerdings ist ein solches Re-Design selbst wiederum von einer Variante des Problems betroffen, das schon Flusser hervorgehoben hat. 4 Meinem Verständnis nach taucht im Social Design das „Soziale“ sowohl als Beschreibung des Verfahrens auf, als auch als ausgezeichnetes Ziel dieses Verfahrens. Es soll nicht allein das Richtige entstehen – bessere soziale Verhältnisse –, sondern sie sollen zugleich in der richtigen Weise – nämlich zum Beispiel in Form partizipativer Prozesse, im Zuge derer die Stimme der Designer*innen eine unter vielen Stimmen wird – in die Welt kommen. Ein solches Vorgehen ersetzt den Gedanken von Designer*innen, die am Reißbrett soziale Probleme beheben, durch den Gedanken, dass die Lösung wie überhaupt die spezifische Bestimmung dieser Probleme nicht unter Ausklammerung der von ihnen betroffenen Menschen erarbeitet werden kann.
So berechtigt dieses Anliegen sein mag: Das Problem eines solchen Vorgehens ist, dass in ihm die Spannung, die bei Flusser zwischen dem instrumentell Guten und der Frage der Güte der Zwecke auftaucht, hier als Spannung zwischen dem Sozialen als Verfahren und dem Sozialen als Ziel wieder auftaucht. Wenn „Social Design“ das Soziale sowohl als Form des Hervorbringens begreift als auch als das, was hervorgebracht wird; wenn es einerseits ein Verfahren meint, andererseits eine Norm, so geraten beide notwendigerweise in Konflikt miteinander. Denn ein Verfahren führt nicht per se zu dem Guten und die „Güte“ der erarbeiteten Lösung (das zeigen nicht zuletzt neurechte Appropriationen von ursprünglich emanzipativen Formen der politischen Intervention) kann nicht allein unter Verweis auf das Verfahren begründet werden.
Was ist die Konsequenz daraus? Sie lautet, dass wir anerkennen müssen, dass Design, wenn es gut geht, auf etwas zielt, dass es doch niemals positiv hervorzubringen in der Lage ist – gerade, weil es eine Praxis meint, die etwas wirklich werden lässt, etwas implementiert, Gestaltungen als Lösungen anbietet, muss es immer zugleich anerkennen, dass das, worum es ihm geht, mehr und auch anderes sein muss, als es selbst bewerkstelligen kann. Auch wenn Design soziale Aspekte unseres Zusammenlebens in den Blick nehmen muss: Wer das Soziale selbst als Gegenstand des Designs begreift, endet nicht bei einer sozialen Form des Gestaltens, sondern bei etwas, das zugleich droht, eine Sozialtechnologie zu werden.