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DESIGN DISKURS

Was ist gutes Design? Daniel Martin Feige, Philo­soph und Profes­sor an der Staat­lichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, geht dieser Frage im aktuellen DESIGN DISKURS vor allem mit Blick auf Mittel und Zweck auf den Grund.

Veröffentlicht am 01.06.2021

Seit der Genese des Designs war es vom Ver­sprechen be­gleitet, nicht allein unter funktio­nalen und ästhet­ischen Gesichts­punkten gute Gegen­stände hervor­zu­brin­gen, sondern auch einen Bei­trag zur Be­ant­wort­ung der sozialen Frage zu leisten. Bereits hier zeigt sich eine grund­legende Span­nung im Design und des Designs selbst: Design versucht auf soziale Schief­lagen zu ant­worten und produ­ziert für die Massen er­schwing­liche und in hin­reich­end großer Zahl ver­füg­bare Gegen­stände. Wenn es aber so ist, dass die Weise des Produ­zierens von Design­gegen­ständen wie das Design schlecht­hin sich selbst der indus­triel­len Revo­lution ver­dankt, so könnte man in pole­mischer Zu­spitz­ung sagen, dass das Design nach Ant­worten auf Pro­bleme sucht, an denen es selbst An­teil hat. Es löst Heraus­forder­ungen der sozialen Frage mit Mitteln, die sie erst haben ent­stehen lassen. Eine solche Rekon­struk­tion ist zweifels­ohne zu­ge­spitzt, wenn nicht pole­misch. Denn zum einen ist nicht aus­gemacht, dass jede Form der indus­triel­len Produktion qua indus­triel­ler Pro­duk­tion schon von einer ein­heit­lichen Logik be­stimmt ist. Denn gerade Ström­ungen wie das Bau­haus und später Ulm haben ver­sucht, Aspekte indus­trieller Produk­tion anders zu denken als bloß im Sinne einer Logik der markt­kon­formen Effi­zienz. Nicht zuletzt gälte es nicht eine Ge­schichte des Designs zu er­zählen, sondern eine Viel­zahl solcher sich über­kreuzen­der Ge­schich­ten; so ge­winnt die Idee der Syn­these, die das Bau­haus ange­strebt hat, einen anderen Sinn, wenn man sie statt mit Blick auf die Ge­schichte des Indus­trial Designs mit Blick auf die Ge­schichte des Grafik­designs nach­ver­folgen würde.

„Design löst Her­aus­forder­ungen der sozialen Frage mit Mitteln, die sie erst haben ent­stehen lassen.“

Dennoch möchte ich geltend machen, dass eine ent­sprech­ende Span­nung kenn­zeich­nend für das Design ist. Vilém Flusser hat in seiner bekan­nten wie berüch­tig­ten Kritik des Designs geltend ge­macht, 1 dass das „Gute“, auf das das Design zielt, immer schon von seinem Gegen­teil durch­kreuzt wird – weil es näm­lich in Wahr­heit qua Design nur auf ein ein­geschränkt „Gutes“ zielen kann. Flussers Argu­ment ist wie folgt zu ver­stehen: „gut“ kann etwas in min­destens zwei Hin­sichten sein. Einmal im Sinne einer Ant­wort auf die Frage, wozu etwas gut ist. Eine solche Frage fragt nach ‚Zwecken‘. Im anderen Fall hin­gegen wird „gut“ so ver­standen, dass es nach ‚Mitteln‘ und nicht nach Zwecken fragt. Ein schlichtes Beispiel: Ich kann vor­haben, meine kranke Groß­mutter zu be­suchen und fragen, ob das eine gute Sache ist, was sie im Regel­fall sicher ist (und ich muss natür­lich auch hier ver­schiedene Güter ab­wägen; wenn mein Kind gerade einen Un­fall hatte, werde ich etwas anderes tun, als meine Groß­mutter zu be­suchen). Von der Frage, was der Zweck meiner Hand­lung ist, muss die Frage unter­schieden werden, ob eine Handlung „gut“ hin­sicht­lich der Ver­wirk­lichung dieses Zwecks ist. Wenn ich meine Groß­mutter bes­uchen will, sie aber im Nach­bar­ort wohnt, ich nicht den Bus nehme, sondern laufe und mitten in der Nacht an­komme, sodass der Besuch ins Wasser fällt, war diese Hand­lung in instru­men­teller Hinsicht sicher­lich „schlecht“. Auf diese Unter­scheidung spielt Flusser an, wenn er sagt, dass Design als Design auch dann, wenn es „gut“ ist, immer schlecht ist; es hat seines Erachtens nichts mit dem Reich der Zwecke zu tun, sondern allein mit dem Reich der Mittel.

„Von einem Design­gegen­stand, der frag­würdigen Zwecken dient, zum Bei­spiel Schuss­waffen, können wir den­noch sagen, er sei als Design­gegen­stand ‚gut‘ – im Sinne von ‚gut gemacht‘.“

Auch wenn Flussers Position der­art zu schlicht ist, dass er über­geht, dass für die Ver­wirk­lichung bestim­mter Zwecke bestimmte Mittel not­wen­dig sein könnten (und mehr noch: Dass sich Zwecke im Lichte der Mittel in ihrem Sinn ver­ändern 2 ): Er trifft einen Punkt mit seiner Kritik des Designs. Das wird er­sicht­lich daran, dass wir im Regel­fall auch von einem Design­gegen­stand, der frag­würdigen Zwecken dient (ich denke hier zum Beispiel an Schuss­waffen, die allein für die Tötung von Menschen bestimmt sind), dennoch sagen können, er sei als Design­gegen­stand „gut“ – im Sinne von „gut gemacht“. Dass wir diese Rede­weise für ver­ständ­lich und nicht für einen Kategorien­fehler halten zeigt folgendes an: Die Frage, ob ein Design­gegen­stand „gut“ ist, könnte eine andere Frage sein, als die Frage, ob er für einen wünschens­werten Zweck ge­macht ist.

Flussers Design­kritik fußt natür­lich auf einem durch­aus klass­ischen Be­griff des Designs; Design hat hier etwas mit Funk­t­ionen zu tun, die in bestimmten Formen verwirklicht sind. Man könnte mut­maßen, dass das Pro­blem nicht im Design selbst, sondern in diesem ‚Begriff‘ des Designs liegt. Ich möchte allerdings geltend machen, dass eine solche kritische Analyse, wie Flusser sie vor­gestellt hat, in ver­wand­ter Weise auch jüngere Ent­wick­lungen im Design trifft. Auch wenn wir die am Funktions­be­griff orientierte Theorie des Designs ver­lassen und uns gegen­wärtigen Design­praktiken zu­wenden, treffen wir auf ein verwandtes Problem.

Unter Lemmata wie „Social Design“ sind in den letzten Jahren Theorien wie Praktiken des Designs her­vor­getreten, die nicht länger im funktio­nal­istischen Paradigma zu er­läutern sind. Als Vor­läufer könnten hier unter anderem die Arbeiten von Papanek und Burck­hardt gelten; Letzterer hatte in seinem bekan­nten Text „Design ist unsichtbar“ daran erinnert, 3 dass in Design­ent­schei­dungen immer weiter­gehende soziale Kontext mit-gestaltet werden und zu einem Re-Design der Gesellschaft auf­ge­rufen. Wer nur auf Gegen­stände unter funktio­nalen wie ästhet­ischen Gesichts­punkten schaut, merkt nicht, dass er oder sie besteh­ende soziale Insti­tu­tio­nen (und wir können ergänzen: Macht­ver­hältnisse, Geschlecht­er­rollen und so fort) repro­duziert – Ver­hält­nisse, die nicht natür­lich und damit in Wahr­heit auch Design­ent­schei­dungen zu­gänglich sind.

„Wenn ‚Social Design‘ einer­seits ein Verfahren meint, anderer­seits eine Norm, so ge­raten beide not­wendiger­weise in Konflikt mit­einander.“

Aller­dings ist ein solches Re-Design selbst wieder­um von einer Variante des Pro­blems be­trof­fen, das schon Flusser her­vor­ge­hoben hat. 4 Meinem Ver­ständnis nach taucht im Social Design das „Soziale“ so­wohl als Be­schrei­bung des Ver­fahr­ens auf, als auch als aus­ge­zeich­netes Ziel dieses Ver­fahr­ens. Es soll nicht allein das Richtige ent­stehen – bessere soziale Ver­hält­nisse –, sondern sie sollen zugleich in der richtigen Weise – nämlich zum Beispiel in Form parti­zi­pativer Pro­zesse, im Zuge derer die Stimme der Designer­*innen eine unter vielen Stim­men wird – in die Welt kommen. Ein solches Vor­gehen ersetzt den Ge­danken von Designer­*innen, die am Reiß­brett soziale Probleme beheben, durch den Ge­danken, dass die Lösung wie über­haupt die spezifische Be­stimmung dieser Probleme nicht unter Aus­klammerung der von ihnen be­trof­fenen Men­schen erar­beitet werden kann.

So be­rechtigt dieses An­liegen sein mag: Das Problem eines solchen Vor­gehens ist, dass in ihm die Span­nung, die bei Flusser zwischen dem instru­men­tell Guten und der Frage der Güte der Zwecke auf­taucht, hier als Span­nung zwischen dem Sozialen als Ver­fahren und dem Sozialen als Ziel wieder auf­taucht. Wenn „Social Design“ das Soziale sowohl als Form des Her­vor­bringens be­greift als auch als das, was her­vor­ge­bracht wird; wenn es einer­seits ein Ver­fahren meint, andererseits eine Norm, so ge­raten beide not­wendiger­weise in Konflikt mit­ein­ander. Denn ein Ver­fahren führt nicht per se zu dem Guten und die „Güte“ der er­ar­beiteten Lösung (das zeigen nicht zuletzt neu­rechte Appro­pri­ati­onen von ursprünglich eman­zi­pati­ven Formen der polit­ischen Inter­ven­tion) kann nicht allein unter Ver­weis auf das Ver­fahren be­gründet werden.

Was ist die Konse­quenz daraus? Sie lautet, dass wir aner­ken­nen müssen, dass Design, wenn es gut geht, auf etwas zielt, dass es doch nie­mals positiv her­vor­zu­bringen in der Lage ist – gerade, weil es eine Praxis meint, die etwas wirk­lich werden lässt, etwas imple­men­tiert, Gestal­tungen als Lösun­gen an­bietet, muss es immer zu­gleich aner­kennen, dass das, worum es ihm geht, mehr und auch anderes sein muss, als es selbst be­werk­stelligen kann. Auch wenn Design soziale Aspekte unseres Zu­sammen­lebens in den Blick nehmen muss: Wer das Soziale selbst als Gegen­stand des Designs be­greift, endet nicht bei einer sozi­alen Form des Ge­staltens, son­dern bei etwas, das zu­gleich droht, eine Sozial­techno­logie zu werden.

Quellenverzeichnis

1   Vilém Flusser, Vom Stand der Dinge. Eine kleine Philosophie des Designs, Göttingen: Steidl 1997, S. 35 ff.
2   Vgl. dazu unter technikphilosophischer Perspektive Christoph Hubig, Die Kunst des Möglichen I. Technikphilosophie als Reflexion der Medialität, Bielefeld: Transcript 2006, v. a. Kapitel 4.
3   Vgl. Lucius Burckhardt, „Design ist unsichtbar“, in: Klaus T. Edelmann, Gerrit Terstiege (Hg.), Gestaltung Denken. Grundlagentexte zu Design und Architektur, Basel: Birkhäuser 2010, S. 211–217.
4   Vgl. zur Ausarbeitung dieser Kritik Daniel M. Feige, „Zur Dialektik des Social Design. Ästhetik und Kritik in Kunst und Design“, in: Studienhefte Problemorientiertes Design, Hamburg: Adocs 2019

 

DDCAST Folge 40 mit Prof. Dr. Daniel Martin Feige – Warum Design-Philosophie?

Prof. Dr. Daniel Martin Feige

ist Professor für Philosophie und Ästhetik in der Fach­gruppe Design an der Staat­lichen Aka­demie der Bildenden Künste Stuttgart. Zum Design hat er 2018 im Suhrkamp-Verlag das Buch „Design. Eine phi­lo­so­phische Analyse“ veröffentlicht.