Das MYOW-System ermöglicht DIY-Makers, professionelle Wearables zu entwickeln. Bild: Katrin Greiner

DESIGN DISKURS

In der Zeit der Pandemie hat sich vieles verändert – auch im Design. Mit dem DDC Ehren­mitglied Gesche Joost spricht unser Vor­stand Felix Kosok über das Design Research Lab, die Digi­tali­sier­ung und neue Betäti­gungs­felder für Designer­*innen. Welche Fähig­keiten braucht es, um den digitalen Wandel zu meistern? Wie müssen wir die Rolle von Designer­*innen neu denken? Und sind Designer­*innen viel­leicht die besseren Politiker­*innen?

Veröffentlicht am 04.03.2022

Felix Kosok: Liebe Gesche, ich habe dich als eine sehr opti­mis­tische Person kennen­lernen dür­fen. Vor allem in der Laudatio von Thomas Ramge, die er auf dich bei unserem WAS IST GUT Symposium gehalten hat, wurde dieser Ein­druck bekräftigt. Trotzdem war das Jahr 2021 jetzt das zweite Pandemie Jahr, was auch an Optimist­*innen nicht ganz spur­los vorbei gegangen sein dürfte. Wie ging es dir in diesem Jahr per­sön­lich und was hast du für Ver­änder­ungen wahr­genommen?

Gesche Joost: Ich bin in der Tat immer sehr opti­mis­tisch. Für mich persön­lich konnte ich durch die Pandemie fest­stellen, dass ich mich relativ krisen­fest und resilient auf­ge­stellt und mir meine eigenen Nischen ge­sucht habe. Das traf auch auf meine Arbeit zu. In der veränderten Arbeits­situ­atio­nen, in der ich sämt­liche Sitz­ungen und Meetings von zuhause aus machen konnte, habe ich meine Effizienz noch einmal steigern können. Im Nach­hinein habe ich mich aber gefragt, ob das eigent­lich etwas Positives ist. Man wird nur noch mehr durch­ge­taktet durch die Video­kon­ferenzen. Das war die Kehr­seite der Verän­derung. Gerade am Anfang habe ich aber sehr positiv wahr­ge­nommen, dass unsere Gesell­schaft doch noch Wandlungs­fähig­keit besitzt. Plötzlich verän­dert sich die Bildung, eine Meeting­kultur muss sich um­stellen und auch das soziale Mit­einander musste sich an­passen. Das fand ich erst­mal alles interessant.

DDC Ehrenmitglied 2021: Prof. Gesche Joost. Bild: Design Research Lab

„Mein persönlicher Erfahrungs­horizont wurde erweitert und ja, man lernt wirklich in einer Krise.“

Gerade durch mein Um­feld und durch mein Team habe ich aber auch mit­be­kom­men, wie schwierig es für andere war, wie verletz­lich wir als Team aber auch als Indi­viduen sind. Es hat mir großen Respekt abver­langt, was junge Familien da gemeistert haben, und auch großes Mit­ge­fühl. Wirk­lich viele waren persön­lich betroffen durch Krank­heit und Schick­sals­schläge. Hier durfte ich auch erleben, wie unter­schied­lich Menschen auf Krisen reagieren: Ent­weder mit Flucht, oder sie kapselten sich ein, oder ganz im Gegen­teil suchten den Aus­tausch mit­ein­ander und teilten diese persön­lichen Schick­sale mit dem Rest des Teams. Wir haben eine sehr inten­sive Zeit durch­lebt, für die ich dank­bar bin. Diese Kultur wollen wir weiter pflegen. Mich hat diese Zeit auch darüber nach­denken lassen, welche Rolle wir eigent­lich als Führungs­person oder als Lehrende ein­nehmen. Wie persön­lich erreich­bar und ansprech­bar sind wir? Wie sind wir nicht nur fach­lich oder intellek­tuell, sondern auch emotional und sozial präsent? Diese Erfahr­ung war sehr heraus­fordernd, aber es hat mich in meinem Denken darüber bestärkt, wie Teams zusammen­kommen können. Mein persön­licher Erfahrungs­horizont wurde er­weitert und ja, man lernt wirklich in einer Krise.

Das Design Research Lab ist ein Labor für experimentelles Design und Forschung im Bereich der digitalen Gesellschaft. Bild: Katrin Greiner

Felix Kosok: Mir gefällt gut, dass du diese beiden Seiten der Verän­derung in deiner Ant­wort zusammen­bringst. Ich persön­lich kann auch aus meiner Praxis als Grafik- und Medien­designer berichten, dass es diese Effizienz­steiger­ung durch die erzwungene Digitali­sierung gab und ad hoc völlig neue Betätigungs­felder ent­standen sind, die neue Auf­träge mit sich brachten, die zum Teil wirk­lich nur rein digital gelöst werden mussten. Gleich­zeitig hatten viele be­fürchtet, dass das Soziale, das Zwischen­mensch­liche, in diesem Effizienz- und Digitali­sierungs­schub nun vollends aus der Gleich­ung ge­kürzt wird. Die soziale Distanz war vor allem auch eine digitale Distanz der Liefer­services mit elektronischen Zahl­ungen, der Online-Tickets und der Streams vom sicheren Zu­hause aus. Du hin­gegen hast erlebt, dass sich das nicht gegen­seitig aus­schließen muss, sondern dass das Digitale auch Werk­zeuge dafür sein können, das Zwischen­mensch­liche zu fördern.

Gesche Joost: Ja, genau. Selbst­ver­ständ­lich auf eine andere Weise, als wenn man sich physisch trifft, aber eben doch auf eine Weise – das fand ich toll. Als es in Deutsch­land aber ein kurzes Auf­atmen und Locker­ungen im September gab und wir uns mal mit dem ganzen Team zwischen­durch ge­troffen haben, da waren wir alle doch ein­fach total er­leichtert, dass wir uns wieder physisch sehen und einfach mit­ein­ander sein konnten – und das hat wieder eine ganz neue Quali­tät. Ich glaube, diese Krise hat das Spek­trum der Mög­lich­keiten erweitert, wie wir uns sozial begegnen können.

„Diese Krise hat das Spek­trum der Möglich­keiten erweitert, wie wir uns sozial begegnen können.“

Felix Kosok: Die Spektrums­erweiter­ung würde ich gleich auf­greifen wollen. Die Digitali­sierung ist näm­lich generell dein Spezial­gebiet. Was denkst du denn, wie verändert die Digitali­sierung ganz speziell das Design und das Designen? Ich hatte es schon kurz ange­rissen: Es ent­stehen neue Betätigungs­felder, vielleicht auch ganz neue Jobs, die Kommuni­kation und der Design­pro­zess verän­dern sich, aber: Welchen Ein­fluss hat die Digitali­sierung ganz generell auf das Design?

Gesche Joost: Die Digitali­sierung macht einen Riesen­unter­schied für das Design! Einen wun­der­­baren, wie ich finde. Hier gab es unter­schied­liche Phasen, regel­rechte Wellen. Aus persön­licher Pers­pektive, in den 90er Jahren, als ich studierte, gab es zum ersten Mal Inter­net, die ersten Web­sites, die ersten Web-fähigen Handys – und die ersten Ideen für mobile Nutzung waren aber ganz furcht­bar. Insgesamt brachte das aber ganz neue Arten des Aus­drucks hervor, die zu­nächst eher das Inter­face in den Vor­der­grund stellten. Aber schon damals wurden unsere Aus­drucks­möglich­keiten erweitert und es wurden viele neue Tools her­vor­ge­bracht. Schon damals war klar, dass wir alle program­mieren können müssen. Für mich gab's in den 90ern schon „no way back“.

Nach dieser Welle gab es jedoch das erste richtige Tief, in den 2000er Jahren, als die Internet­blase platzte. Auf dieses Tief folgte aber direkt die nächste Welle mit den ersten Ideen für Virtual Reality und diesen Cyborg Visionen. Auch aus einer femi­nistischen Per­spek­tive ließ sich die Frage stellen, wie man den eigenen Körper digital neu und jen­seits bio­logischer Grenzen erfinden kann und wie man das Ver­hältnis von Menschen und Technik denkt. Die Dis­kurse hierzu, die natür­lich schon viel früher starteten, waren stark von der Kunst in­spiriert und sehr frei und opti­mistisch. Ich denke da an Donna Haraways Manifest für Cyborgs.

„Als es in Deutsch­land aber ein kurzes Auf­atmen und Locker­ungen im September gab und wir uns mal mit dem ganzen Team zwischen­durch ge­troffen haben, da waren wir alle doch ein­fach total er­leich­tert, dass wir uns wieder physisch sehen und ein­fach mit­ein­ander sein konnten.“

Hierauf folgte dann die nächste Welle der Visuali­sierung von Daten und Informa­tionen, das war dann sozusagen das „next level“. Während das Inter­face der 90er flach ge­dacht wurde, ging es mit der Daten­visuali­sierung in die dritte Dimen­sion und sowieso in unser Denken hinein. Wie lassen sich Erkennt­nisse und Wissen fördern? Und als sich dieser Raum erst einmal ge­öffnet hatte, sprangen wir durch die nächste Revolu­tion zurück in den realen Raum durch Physical Computing. Mit Arduino und Raspberry Pi legten wir einfach los und durch Proces­sing wurde auch ein Design-Werkzeug er­öffnet, die einem kein Experten­tum im Code abver­langten, sondern zugäng­lich waren und durch ihren Community-basierten An­satz und Open Source wieder eine eigene Welt eröff­neten. Der Sprung vom Inter­face, zur Inter­action, zur Dimen­sion der Inter­aktion durch Material war wirk­lich spannend. Das LillyPad von Arduino war hier ein sehr wichtiges Tool für meinen Forschungs­be­reich. Mit dem LiliyPad konnten wir plötzlich inter­aktive Wear­ables gestalten. Hier hatte sich ein neues Feld für das Design Research Lab eröffnet, in dem auch viele junge Frauen tätig sind. Die haben selbst den Code ge­schrieben, selbst die Schalt­kreise gelötet und haben Smart Materials und Wear­ables als Elektronik­kompo­nenten neu erfunden. Das war ein wichtiger Durch­bruch. Plötz­lich haben wir es nicht mehr mit kleinen, harten Bau­stein­chen zu tun, sondern die Elektronik wird soft, kann viel­leicht sogar ge­strickt werden. Die Möglich­keiten und Potenziale, die das mit sich bringt, haben wir als Gesell­schaft noch gar nicht richtig verdaut, glaube ich.

Aber wie das so ist, mit dem techno­logischen Fort­schritt, stecken wir natür­lich direkt schon in einer neuen Welle der Virtual Reality. Hier gibt es jetzt einfach ein viel breiteres Spektrum an Werk­zeugen, die oft gar keine Neu­erfin­dungen mehr sind, sondern Wieder­ent­deck­ungen und Kombi­nationen besteh­ender Technologien.

Demnach glaube ich, dass sich die Betätigungs­felder von Designer­*innen expo­nen­tiell weiter erhöhen werden. Klar ist es dann eine Frage, was wir als Designer­*innen eigent­lich alles noch können müssten. Aber wir sind ja auch ganz gut darin, neues zu lernen. Aller­dings bräuchte es hierfür ein neues Design­studium, von dem wir in Deutsch­land aktuell noch wirklich weit ent­fernt sind. In unseren Hoch­schulen ist vieles noch sehr konvent­ionell angelegt. Dabei gäbe es doch so viele neue, groß­artige Welten zu ent­decken, die man dann durch die richtige Design­ausbil­dung meistern kann. Die Ent­wicklung zeigt uns, dass wir immer wieder einen neuen Auf­bruch wagen müssen.

Wie können Gruppen stärker in Stadtentwick­lungs­prozesse eingebunden werden, fragten sich Gesche Joost und Team mit dem Projekt Interpart. Bild: Katrin Greiner

Felix Kosok: Bevor wir noch zu den Schatten­seiten, oder den vermeint­lichen Schatten­seiten der Digitali­sierung kommen, lasse ich mich noch ein bisschen von deinem Opti­mis­mus an­stecken. Aus deinen Beschrei­bungen der Ent­wick­lung her­aus frage ich dich, was du denkst, warum digitale Techno­logien oft mit Community based-An­sätzen zusam­men­hängen? Das wäre tat­säch­lich etwas, das viel­leicht das Design­studium nicht ganz obsolet werden lässt – das darf ich natür­lich nicht sagen – aber er­weitert. Diese Heraus­bildung einer Design­com­munity von Leuten, die einen inspirieren und mit denen man gemein­sam experi­men­tiert. Warum hängt das gerade mit den digitalen Techno­logien, mit Program­mieren, mit dem Hacking zusam­men? Warum ist die Commu­nity hier immer so wichtig?

Gesche Joost: Das ist eine spannende Frage. Einmal, glaube ich, liegt das in der Kon­struktion des Inter­nets an sich begründet. Das dezen­trale Netz­werk hat einfach eine neue Struktur­kate­gorie auf den Plan gerufen. Eigentlich sind es Peer-to-Peer Netz­werke und es gibt keinen „Master“. Es gibt auch kein ein­zelnes Land, das die Gover­nance des Inter­nets bestimmt. Plötz­lich wächst eine dezentrale Struktur, von der wir auch lang­sam erst begreifen, was sie eigent­lich bedeutet. Klar ist es sehr schwierig, diese Struktur zu regu­lieren. Das Inter­net lässt sich nicht nach alten, aber eben auch demo­kratischen Strukturen ohne weiteres in den Griff bekom­men, dazu braucht es neue Insti­tu­tionen wie das Internet Governance Forum (IGF). Trotz­dem war es schon immer ein System, an dem viele mit­ge­arbeitet haben und sich eine Community heraus­bildete. Das Internet funktio­niert nur durch die Gemein­schaft derer, die es bauen und benutzen.

„Ich glaube, dass sich die Betätigungs­felder von Designer­*innen expon­entiell weiter erhöhen werden.“

Dass diese Gemein­schaften auch wieder Schatten­seiten haben, ist auch klar. Diese Blasen oder Filter Bubbles, in denen sich Gegen­öffent­lich­keiten heraus­kristalli­sieren, in denen eine Abnabelung vom gesell­schaft­lichen Konsens statt­findet, den es bei einer Meinungs­bildung in der Demo­kratie aber braucht, sind ein Problem. Das kann sich klarer­weise auch radi­kalisieren. Insgesamt über­wiegen in meinen eigenen Erfahr­ungen aber die positiven Seiten und die vielen neuen Welten, die hier­durch auch ent­stehen können. Die große Hoff­nung war ja, dass das Digitale auch explizit die Demo­kratie fördert, weil mehr Menschen Zu­gang haben, sich besser beteiligen und organi­sieren können. Auch wenn es nicht ganz so einfach ist und die Techno­logie und die Struktur das Problem selbst noch nicht lösen, ermög­lichen sie jedoch ein konti­nuier­liches Re-designen und Co-designen davon, wie wir gesell­schaftlich und sozial zu­sam­men­kom­men und gemeinsam die die großen gesellschaft­liche Heraus­forder­ungen angehen können. Diese Kraft wurde definitiv frei­ge­setzt und hat viel mehr Menschen die Möglich­keiten gegeben, sich selbst und mit anderen gemein­sam zu ver­wirklichen.

Felix Kosok: Du hast beschrieben, dass in den 90ern eine große Euphorie in Bezug auf das Internet, oder auf digitale Techno­logie generell gab. Jetzt frage ich mich, ganz persön­lich aus der Per­spek­tive eines betroffenen Designers – eines armen, kleinen Grafik­designers – ob dieses Szenario des ständigen techno­logischen Fort­schrittes nicht auch etwas Bedroh­liches, nämlich etwas ökonomisch Bedroh­liches ganz speziell für mich hat. Was passiert eigentlich, wenn KI-gestützte Logo­maker Logo­ytpen am digitalen Fließ­band aus­spucken, wenn große Software-Unter­nehmen Nutzer­daten scannen und Portfolio­platt­formen analy­sieren lassen, um hier­aus auto­matisiert eigene Designs zu generieren? Was bleibt da für mich als Grafik­designer eigent­lich noch zu tun übrig? Ist nicht die Digi­tali­sierung etwas, was mir ganz aktiv meinen Job weg­nehmen kann?

„No need to change, sondern Weiter­ent­wicklung – wie immer.“

Gesche Joost: Da glaube ich gar nicht dran! Es gab ja Ver­suche, durch eine KI eine Bach- oder Mozart-Sin­fonie kreieren zu lassen. Die KI wurde also mit der Musik gefüttert, aber es kam am Ende etwas ganz anderes als eine Sinfonie dabei heraus. Das Experi­ment war ent­täuschend. Generatives Design gibt es auch schon seit mindestens 20 Jahren, bei dem Algo­rithmen durch Variationen und Rekom­binationen Design erstellen. Was hier gestaltet wird, ist meiner Meinung nach aber etwas völlig anderes, eine neue Kategorie des Designs, oder vielleicht eher eine eigene Design­ästhetik des Genera­tiven. Diese Ästhetik hat nichts obsolet werden lassen, sondern nur das Spektrum erweitert. Dasselbe gilt, denke ich, auch für KI-Systeme. Ich bin auch am DFKI, am Deutschen Forschungs­zentrum für Künst­liche Intelli­genz. Was ich da lernen durfte – auch von meinen nerdigen Kolleg­*innen, die groß­artig sind und sehr tief in der Materie stecken – ist, dass KI sehr, sehr gut für die Massen­verar­beit­ungen von Daten ist. Ganz spezifische Tasks zu ver­arbeiten, Millio­nen von Loops, das bekom­men die super hin. Aber daraus etwas Schöpfer­isches zu ent­wickeln, was über reine Muster­erken­nung und Rekombi­nation hinaus­geht, sehe ich in näherer Zu­kunft nicht. Insofern würde ich die KI auch eher in unsere Werk­zeug­palette als Designer­*innen mit­auf­nehmen. Das ist dann niemals ein Ersatz für, sondern eine Erweiterung unserer Fähig­keiten. Da können wir, glaube ich, ganz entspannt sein. No need to change, sondern Weiter­ent­wick­lung – wie immer.

Die Hybrid Letter Box vom Design Reearch Lab wandelt analoge Eingaben mühelos in digitale Daten um und ist einer der ersten Zugangspunkte, die wir für unsere Nachbarschaftsinfrastruktur entwickelt haben. Bild: Katrin Greiner

Felix Kosok: Ich glaube auch, dass ich eine Weiter­ent­wicklung oder Er­weiter­ung unserer Tools an der Inte­gration von KI stark machen würde. Da können wir uns als Gestalter­*innen mit unserem kreativen Potenzial auch ruhig mal auf die Schulter klopfen. Viel­leicht muss ich in der Zukunft gar nicht mehr der­jenige sein, der die ganzen Logos selbst ge­staltet. Es ver­ändert sich auch meine Rolle im Gestaltungs­prozess, wenn ich KI integriere und in mein Reper­toire mit­aufnehme.

Gesche Joost: Ja, das glaube ich auch.

Felix Kosok: Was wir also eigent­lich für die neuen Werk­zeuge brauchen, sind neue Rollen­bilder, neue Ver­ständ­nisse von Design und von Gestal­tung. Du hast es auch schon ange­sprochen: Die große Hoffnung, die mit dem Internet ver­bunden wurde, war eine Demo­krati­sierung des Wissens sowie die Ermög­lichung von Teil­habe und aktiver Partizi­pation sowie Mit­gestal­tung einer neuen Welt. Das ist noch nicht ganz ge­glückt, aber viel­leicht fehlt ja bisher nur das bessere Design. Wäre das nicht ein Betätigungs­feld für die Designer­*innen der Zukunft: digitale Räume der Teil­habe zu schaffen?

Gesche Joost: Ich glaube, wir spielen hierbei wirk­lich eine wichtige Rolle. Vor allem aber auch da­durch, dass wir als Ge­stalter­*innen darauf auf­merk­sam ge­worden sind, wie wenig inklusiv diese digitalen Tools der Teil­habe bisher gestaltet waren. Die Techno­logie war für die breite Masse, aber über­haupt nicht inklusiv. Viele Menschen – ob auf­grund eines unter­schied­lichen Bildungs­standes, auf­grund unter­schied­lichen Alters oder kultureller Her­kunft, oder körperlicher Befähigung – waren einfach zu lange außen vor. Das führt zu einem Aus­einander­driften der Gesell­schaft, weil sich diese Gruppen dann auch irgend­wann nicht mehr mit­ge­meint fühlen, wenn es um Online-Partizi­pation bei politischen Pro­zessen geht, wenn demokratische Parteien „wir“ sagen.

„Die Ent­wicklung zeigt uns, dass wir immer wieder einen neuen Auf­bruch wagen müssen.“

Das hatte die Piraten­partei mit ihrer „liquid democracy“ super vor­ge­dacht. Aber auch hier hat es leider wieder die üblichen Ver­dächtigen ge­troffen, die sowie­so politisch engagiert waren. Auch im Design müssen wir uns mehr Mühe geben, ganz andere Gruppen nicht nur zu be­fragen, sondern auch aktiv in den Design­prozess mit­ein­zu­binden. Was wollen sie? Was interes­siert sie? Was ist eigent­lich ihre An­sprache? Gerade für ältere Menschen muss man ein­fach auf­zeigen, welche Vor­teile das Inter­net und die Digitali­sierung bringen. You know, what’s in it for me? Was bringt es mir per­sön­lich, mich ins Inter­net zu begeben?

Da müssen wir sehr genau hin­schauen. Ich nenne es „die soziale letzte Meile“. Beim Glas­faser­aus­bau spricht man auch von der „letzten Meile“ der Infra­struktur. Aber diese soziale letzte Meile, das ist die große Heraus­forderung. Bei deren Über­windung sind wir Designer­*innen super­wichtig. Dafür müssen wir uns aber auch aus unserer Komfort­zone bewegen. Das ist dann nicht immer für die Hipster und sieht nicht immer super aus, sondern manch­mal hat das dann vielleicht auch große Buch­staben für die Les­bar­keit, spricht viel­leicht in einer ein­facheren Sprache, oder spricht einfach auch All­tags­themen an. Ich glaube, da gibt es Mög­lich­keiten, sich als Designerin oder Designer zu betätigen und auch multi­modaler zu werden. Damit meine ich, dass nicht alles rein über das Visuelle geht – das sowieso nicht nur –, sondern auch über taktile oder akustische Schnitt­stellen.

In Berlin hat das Design Research Lab viele Social Design Projekte umges­etzt, bei denen wir in eine Nach­bar­schaft gegangen sind, in der viele Menschen mit Migrations­hinter­grund leben. Hier war es gar nicht so einfach, eine Über­setzung zu finden. Also haben wir viel mit Bildern oder Kommen­taren ge­ar­beitet. Wir haben eine Art analogen Twitter gebaut, einen Brief­kasten, in den man einfach eine Post­karte gesteckt hat. Auf dieser wurde gefragt: „Was möchtest du in deiner Nach­bar­schaft verändern?“ – in ver­schiedenen Sprachen. Als Antwort konnte man etwas auf­malen oder etwas schreiben. Dann hat man die Post­karte in den Brief­kasten ge­worfen. Die wurde digitali­siert, gescannt, und auf Twitter hoch­ge­laden als Bild. Das wurde dann auch an die Häuser­wand proji­ziert. So konnte man twittern, ohne einen eigenen Account besitzen zu müssen. Solche Schnitt­stellen zwischen analog und digital, zwischen physischem Ort und dem Netz, das ist ein super­spannender Zwischen­bereich, den wir viel aktiver gestalten könnten, um dort Zugänge zu schaffen.

Felix Kosok: Wir müssten Gestalter­*innen auch als Über­setzer ver­stehen, aber auch als Menschen, die neue Möglich­keits­räume durch Ge­staltung er­öffnen können.

Gesche Joost: Ganz genau.

Felix Kosok: Um mich nochmal zu wieder­holen: Die Digitali­sierung wirkte wie das perfekte Tool für Partizi­pation. Aus dem Ver­sprechen von freiem Zugang zum Wissen wurden aber gefilterte Wissens­blasen und Soziale Netz­werke, die Perspek­tiven eher ver­engen, als dass sie sie weiten. Genau hier wären Designer­*innen jetzt aber die per­fekten Media­toren, die inner­halb dieser Struk­­turen und Systeme Alter­nativen auf­zeigen können und neue Möglich­keits­räume auf­spannen. Alleine durch einen anderen Ge­brauch der digitalen Werk­zeuge können wir ja schon auf­zeigen, was alles sonst noch möglich ist und wie man die Dinge auch völlig anders machen könnte.

„Wir als Gestalter­*innen müssen schauen, wie man ganz unter­schied­lichen Menschen die Hand reichen kann, um die Möglich­keiten der Verän­derung allen zu eröffnen.“

Gesche Joost: Genau in diesem Zukunfts­entwerfen sind wir richtig gut. Das ist unsere größe Kompetenz. Auch eine Schnellig­keit in der Anpassungs­fähig­keit. Ich selbst bin da vielleicht schon zu alt und muss mir dann von meinen Studierenden erklären lassen, wie TikTok funktio­niert. Ich muss das neu lernen, weil die Neu­er­fin­dung dieser Kultur­techniken immer schneller geht. Und das ist doch toll. Das hat einen un­glaub­lich hohen Inno­vations­grad, den diese ständige Neu­erfindung mit sich bringt. Aber hier müssen wir wieder genau hin­schauen. Wenn ich in der aka­demischen Filter­blase das schon lernen muss, wie geht es dann anderen damit? Manche älteren Menschen wissen nicht mal, wie sie ein Handy bedienen müssen. Es ist auch rührend zu sehen, wenn bestimmte Gesten wie das Wischen oder Swipen als Kultur­technik nie er­lernt wurden, wenn diese Bewe­gungen nicht selbst­ver­ständ­lich sind. Wir als Gestalter­*innen müssen schauen, wie man ganz unter­schied­lichen Menschen die Hand reichen kann, um die Möglich­keiten der Ver­änder­ung allen zu eröffnen.

Felix Kosok: Wenn Designer­*innen doch so gute Ver­mittler­*innen sind, wie wäre es denn eigent­lich damit, wenn sie endlich in die Politik gehen würden? Wenn wir also nicht mehr ständig nur auf unsere eigene Expertise ver­weisen, sondern uns auch aktiv in die Politik mit ein­bringen. Wäre das eine gute Idee? Kann das funktio­nieren? Oder: Worauf müssten sich Designer­innen und Designer ge­fasst machen, wenn sie das machen.

Gesche Joost: Ich finde das ein spannendes Betätigungs­feld. Das war genau meine Moti­vation vor – keine Ahnung, vor wie vielen Jahren das genau war – in die Politik zu gehen. Am Design Research Lab haben wir so viele Social Design Projekte ver­wirklicht, mit Communi­ties, und es ging immer darum, Partizi­pation zu ermög­lichen. Es ging immer um gesell­schafts­politische Themen. Ich war aber nie partei­politisch enga­giert. Bis ich mir gesagt habe, ich ver­suche das jetzt, im traditio­nellen Raum der Politik etwas zu be­wirken. Ich war hierbei von Ent­wick­lungen in England inspiriert, wo es viel um Design von Public Services ging, genauso wie in Skandi­navien. In einigen Ministerien gibt es inzwischen Design und Co-Creation Spaces, wie etwa die Denk­fabrik im Arbeits­minis­terium. Idee von solchen Govern­ment Innovation Labs ist es, dass sie beim Policy Making kreativ mit­arbeiten, weil die Handeln­den der Regier­ung gemerkt haben, dass sie an Grenzen stoßen, wenn sie sich inner­halb des Herzens des polit­ischen und ver­walt­ungs­­tech­nischen Handelns nicht neu erfinden.

Mit dem PowerGrasp-Projekt hat Gesche Jost mit ihrem Design Research Lab ein tragbares soft-robotisches Assistenzsystem entwickelt. Bild: Katrin Greiner

Da gibt es viele solcher groß­artigen Experi­mente. Barcelona Digital City bei­spiels­wiese als die Stadt, die neu gestaltet wird, zusam­men mit Designer­*innen und Künstler­*innen und Tech­nolog­*innen. Eine Heraus­forder­ung für modernes Policy­ Making ist auch, auf aktueller Daten­basis zu arbeiten – also ein Evidence-based Policy Making / Decision Making – da spielen Designer­*innen eine große Rolle, weil sie die Tools ent­wickeln und die Pro­zesse, wie man Daten zu Erkennt­nissen gestalten kann. Das sind wichtige Ansätze, die wir in der Politik brauchen.

„Auch im Design müssen wir uns mehr Mühe geben, ganz andere Gruppen nicht nur zu befragen, sondern auch aktiv in den Design­prozess mit­ein­zu­binden.“

Meine eigene Erfahrung in der Politik, auch partei­politisch, ist aber eine komplett andere Welt. Es ist sehr traditio­nell. Innerhalb von politischen Parteien die Revo­lution aus­zu­rufen, ist schwer. Aber was die neue Bundes­regier­ung angeht, bin ich schon frohen Mutes bei dem Start, den sie hin­ge­legt haben. Zu fragen, wie man gestalter­isch oder gestalten­der politisches Handeln prakti­zieren könnte, ist der richtige Weg. Diesen Begriff der Gestaltung benutzt Robert Habeck auch explizit – das fand ich interes­sant. Er sagt, man solle etwas wagen, etwas ent­werfen, etwas gestalten. Mal schauen, wie erfolgreich die Regierung damit sein wird. Es ist ein harter Weg, ganz klar, aber, wenn man da unsere Design­haltung mit­rein­nehmen könnte und dieses Brücken­bauen, dieses Über­setzen, dieses gestalter­ische Ent­werfen in die Zukunft – das würde sicher zu einem Wandel der Politik führen.

Dieser Briefkasten spiegelt unser Ziel wider, dass weder Vorkenntnisse noch spezielle digitale Geräte erforderlich sind, um an dem sozio-materiellen Netzwerk teilzunehmen. Bild: Katrin Greiner

Felix Kosok: Ich persön­lich stelle es mir zer­mürbend vor, in der Politik als Designer­*in tätig zu sein, weil es doch ver­schiedene Zeit­ver­ständ­nisse zwischen Designer­*innen Politiker­*innen gibt. Aber irgend­wie brauchen demo­kratische Pro­zesse auch einfach Zeit, die Demo­kratie braucht Zeit. Wo machen diese Zeit­unter­schiede vielleicht Sinn? Und wo haben Designer­*innen ein Recht, darauf zu pochen, dass manche Sache schneller gehen könnten?

„Auch im Design müssen wir uns mehr Mühe geben, ganz andere Gruppen nicht nur zu befragen, sondern auch aktiv in den Design­prozess mit­einzubinden.“

Gesche Joost: Das finde ich eine ganz richtige Beobach­tung. Es ist manch­mal frustrierend, wenn man merkt, dass demo­kratische Aus­handlungs­prozesse müh­sam und zeit­raubend sind. Nehmen wir nur die Diskus­sion um die Impf­pflicht, da sind die Meinungen aufein­andergeprallt und es geht um ein klein­teiliges Aus­handeln von Kompro­missen. Genau das ist aber der Kern unserer Demokratie. Gerade wenn man schaut, wie China im Gege­nsatz zu uns mit der Pan­demie um­geht. Dort geht eine Stadt einfach in den kompletten Lockdown – aus die Maus. Dann haben sie keine Corona-Fälle mehr. Oder es wird fest­gestellt, dass die Luft­ver­schmutzung in Beijing ist zu hoch ist, des­wegen wird von jetzt auf gleich be­schlossen, dass sie keine Mopeds mit Ver­brennungs­motor mehr erlauben, sondern das alles auf E-Scooter umge­stellt wird. Einen Monat später ist das alles umge­setzt – sie scheinen also auch in Sache Klima­schutz effizienter zu sein. Solche auto­kratischen, ja diktator­ischen Sys­teme sind zum Teil schneller – aber eben gerade die demo­kratische Meinungs­bildung, die Wahr­ung der Rechte Einzelner und Ein­haltung der Grund­rechte – das ist das, wofür wir in Europa stehen. Das macht eine Demokratie aus.

„Auch wenn man sich manch­mal denkt, das könnte doch jetzt alles viel schneller gehen, wenn man nur durch­greifen würde, müssen auch wir als Designer­*innen be­greifen, dass Prozesse Zeit brauchen.“

Auch dieses Ringen um Ver­ständnis während der Pan­demie. Da wird um Ver­ständigung und Ver­ständnis gerungen. Da setzt sich auch der Bundes­präsident mit unter­schied­lichen Men­schen, auch mit Impf­gegnern, aus­ein­ander und will zuhören, weil es darum geht, es ge­mein­­sam aus­zu­handeln, damit alle die Corona-Maß­nahmen mit­tragen können. Solche Pro­zesse brauchen Zeit, führen aber zu einer frei­heit­lichen und offenen Gesell­schaft, an der wir teil­haben können und selbst auch Ver­ant­wort­ung tragen. Auch als Designer­*innen brauchen wir ein grund­legendes Ver­ständ­nis dafür, wie gesell­schaft­liche Akzep­tanz und gesell­schaft­licher Zusam­men­halt in einem demo­kratischen Mit­einander ent­stehen. Wenn wir dafür Brücken bauen können und Wege er­öffnen, haben wir viel erreicht.

Felix Kosok: Wenn ich unser Gespräch zusam­men­fassen würde, dann würde ich deinen Opti­mis­mus auf die Design­branche über­tragen wollen und laut in die Design­welt hin­ein­rufen: „Hey Leute, ihr habt schon die Expertise und Tools an der Hand! Ihr müsst nur euch selbst und eure Tätig­keit anders ver­stehen und fest­ge­fahrene Grenzen über­schreiten. Ihr müsst in diese neuen Be­tätigungs­felder hinein­gehen, weil Designer­*innen da wirk­lich gefragt sind.“ Würdest du meinen Open Call unter­schreiben?

Gesche Joost: Aber sicher. Wir hatten einmal eine groß­artige politische Akti­vistin ein­ge­laden, Renata Avila, und diese sagte in Bezug zum Policy Making in der Pan­demie: „We need designers in the decision making rooms. We need designers in the crisis rooms.“ Das fand ich cool, weil sie sagte als Juristin, wir brauchen Designer­*innen, wenn die Graden der Wissen­schaften zusam­men­sitzen und sich fragen, wie gestalten wir jetzt die nächsten Corona-Regeln. Da brauchen wir eben Designer­*innen! Ich fand es toll, dass jetzt andere Dis­zi­plinen uns schon dazu auf­fordern, daran teil­zu­nehmen und uns ein­zu­bringen. Wir sollten einfach sehr viel selbst­be­wus­ster sein. Ich habe erlebt, dass man oft offene Türen ein­rennt. Ja, wir Designer­*innen können echten Impact auf die Gesell­schaft haben!

Prof. Dr. Gesche Joost

Gesche Joost (*1974) lehrt seit 2011 an der Uni­versi­tät der Künste Berlin. Sie ist Leiter­in des Design Research Lab und arbeitet an den Schnitt­stellen zwischen Wissen­schaft, Politik und Digital­unter­nehmen. In ihrer Arbeit geht es um die digitale Trans­forma­tion in Gesell­schaft und Wirt­schaft. Studiert hat Gesche Joost an der Köln Inter­natio­nal School of Design, in ihrer Pro­mo­tion beschäf­tigte sie sich mit den Grund­zügen der Film­rhetorik. Am Deutschen For­schungs­zentrum für Künst­liche Intelli­genz gestaltet sie dazu neue Formen der Mensch-Technik-Inter­aktion. Sie ist Mit­glied in den Auf­sichts­räten von SAP, ING Deutsch­land und ottobock und hat 2016 das gemein­nützige Startup Calliope gGmbH mit­ge­gründet, das Kindern ab der Grund­schule digitale Bildung eröffnet.