DESIGN DISKURS
In der Zeit der Pandemie hat sich vieles verändert – auch im Design. Mit dem DDC Ehrenmitglied Gesche Joost spricht unser Vorstand Felix Kosok über das Design Research Lab, die Digitalisierung und neue Betätigungsfelder für Designer*innen. Welche Fähigkeiten braucht es, um den digitalen Wandel zu meistern? Wie müssen wir die Rolle von Designer*innen neu denken? Und sind Designer*innen vielleicht die besseren Politiker*innen?
Felix Kosok: Liebe Gesche, ich habe dich als eine sehr optimistische Person kennenlernen dürfen. Vor allem in der Laudatio von Thomas Ramge, die er auf dich bei unserem WAS IST GUT Symposium gehalten hat, wurde dieser Eindruck bekräftigt. Trotzdem war das Jahr 2021 jetzt das zweite Pandemie Jahr, was auch an Optimist*innen nicht ganz spurlos vorbei gegangen sein dürfte. Wie ging es dir in diesem Jahr persönlich und was hast du für Veränderungen wahrgenommen?
Gesche Joost: Ich bin in der Tat immer sehr optimistisch. Für mich persönlich konnte ich durch die Pandemie feststellen, dass ich mich relativ krisenfest und resilient aufgestellt und mir meine eigenen Nischen gesucht habe. Das traf auch auf meine Arbeit zu. In der veränderten Arbeitssituationen, in der ich sämtliche Sitzungen und Meetings von zuhause aus machen konnte, habe ich meine Effizienz noch einmal steigern können. Im Nachhinein habe ich mich aber gefragt, ob das eigentlich etwas Positives ist. Man wird nur noch mehr durchgetaktet durch die Videokonferenzen. Das war die Kehrseite der Veränderung. Gerade am Anfang habe ich aber sehr positiv wahrgenommen, dass unsere Gesellschaft doch noch Wandlungsfähigkeit besitzt. Plötzlich verändert sich die Bildung, eine Meetingkultur muss sich umstellen und auch das soziale Miteinander musste sich anpassen. Das fand ich erstmal alles interessant.
„Mein persönlicher Erfahrungshorizont wurde erweitert und ja, man lernt wirklich in einer Krise.“
Gerade durch mein Umfeld und durch mein Team habe ich aber auch mitbekommen, wie schwierig es für andere war, wie verletzlich wir als Team aber auch als Individuen sind. Es hat mir großen Respekt abverlangt, was junge Familien da gemeistert haben, und auch großes Mitgefühl. Wirklich viele waren persönlich betroffen durch Krankheit und Schicksalsschläge. Hier durfte ich auch erleben, wie unterschiedlich Menschen auf Krisen reagieren: Entweder mit Flucht, oder sie kapselten sich ein, oder ganz im Gegenteil suchten den Austausch miteinander und teilten diese persönlichen Schicksale mit dem Rest des Teams. Wir haben eine sehr intensive Zeit durchlebt, für die ich dankbar bin. Diese Kultur wollen wir weiter pflegen. Mich hat diese Zeit auch darüber nachdenken lassen, welche Rolle wir eigentlich als Führungsperson oder als Lehrende einnehmen. Wie persönlich erreichbar und ansprechbar sind wir? Wie sind wir nicht nur fachlich oder intellektuell, sondern auch emotional und sozial präsent? Diese Erfahrung war sehr herausfordernd, aber es hat mich in meinem Denken darüber bestärkt, wie Teams zusammenkommen können. Mein persönlicher Erfahrungshorizont wurde erweitert und ja, man lernt wirklich in einer Krise.
Felix Kosok: Mir gefällt gut, dass du diese beiden Seiten der Veränderung in deiner Antwort zusammenbringst. Ich persönlich kann auch aus meiner Praxis als Grafik- und Mediendesigner berichten, dass es diese Effizienzsteigerung durch die erzwungene Digitalisierung gab und ad hoc völlig neue Betätigungsfelder entstanden sind, die neue Aufträge mit sich brachten, die zum Teil wirklich nur rein digital gelöst werden mussten. Gleichzeitig hatten viele befürchtet, dass das Soziale, das Zwischenmenschliche, in diesem Effizienz- und Digitalisierungsschub nun vollends aus der Gleichung gekürzt wird. Die soziale Distanz war vor allem auch eine digitale Distanz der Lieferservices mit elektronischen Zahlungen, der Online-Tickets und der Streams vom sicheren Zuhause aus. Du hingegen hast erlebt, dass sich das nicht gegenseitig ausschließen muss, sondern dass das Digitale auch Werkzeuge dafür sein können, das Zwischenmenschliche zu fördern.
Gesche Joost: Ja, genau. Selbstverständlich auf eine andere Weise, als wenn man sich physisch trifft, aber eben doch auf eine Weise – das fand ich toll. Als es in Deutschland aber ein kurzes Aufatmen und Lockerungen im September gab und wir uns mal mit dem ganzen Team zwischendurch getroffen haben, da waren wir alle doch einfach total erleichtert, dass wir uns wieder physisch sehen und einfach miteinander sein konnten – und das hat wieder eine ganz neue Qualität. Ich glaube, diese Krise hat das Spektrum der Möglichkeiten erweitert, wie wir uns sozial begegnen können.
„Diese Krise hat das Spektrum der Möglichkeiten erweitert, wie wir uns sozial begegnen können.“
Felix Kosok: Die Spektrumserweiterung würde ich gleich aufgreifen wollen. Die Digitalisierung ist nämlich generell dein Spezialgebiet. Was denkst du denn, wie verändert die Digitalisierung ganz speziell das Design und das Designen? Ich hatte es schon kurz angerissen: Es entstehen neue Betätigungsfelder, vielleicht auch ganz neue Jobs, die Kommunikation und der Designprozess verändern sich, aber: Welchen Einfluss hat die Digitalisierung ganz generell auf das Design?
Gesche Joost: Die Digitalisierung macht einen Riesenunterschied für das Design! Einen wunderbaren, wie ich finde. Hier gab es unterschiedliche Phasen, regelrechte Wellen. Aus persönlicher Perspektive, in den 90er Jahren, als ich studierte, gab es zum ersten Mal Internet, die ersten Websites, die ersten Web-fähigen Handys – und die ersten Ideen für mobile Nutzung waren aber ganz furchtbar. Insgesamt brachte das aber ganz neue Arten des Ausdrucks hervor, die zunächst eher das Interface in den Vordergrund stellten. Aber schon damals wurden unsere Ausdrucksmöglichkeiten erweitert und es wurden viele neue Tools hervorgebracht. Schon damals war klar, dass wir alle programmieren können müssen. Für mich gab's in den 90ern schon „no way back“.
Nach dieser Welle gab es jedoch das erste richtige Tief, in den 2000er Jahren, als die Internetblase platzte. Auf dieses Tief folgte aber direkt die nächste Welle mit den ersten Ideen für Virtual Reality und diesen Cyborg Visionen. Auch aus einer feministischen Perspektive ließ sich die Frage stellen, wie man den eigenen Körper digital neu und jenseits biologischer Grenzen erfinden kann und wie man das Verhältnis von Menschen und Technik denkt. Die Diskurse hierzu, die natürlich schon viel früher starteten, waren stark von der Kunst inspiriert und sehr frei und optimistisch. Ich denke da an Donna Haraways Manifest für Cyborgs.
„Als es in Deutschland aber ein kurzes Aufatmen und Lockerungen im September gab und wir uns mal mit dem ganzen Team zwischendurch getroffen haben, da waren wir alle doch einfach total erleichtert, dass wir uns wieder physisch sehen und einfach miteinander sein konnten.“
Hierauf folgte dann die nächste Welle der Visualisierung von Daten und Informationen, das war dann sozusagen das „next level“. Während das Interface der 90er flach gedacht wurde, ging es mit der Datenvisualisierung in die dritte Dimension und sowieso in unser Denken hinein. Wie lassen sich Erkenntnisse und Wissen fördern? Und als sich dieser Raum erst einmal geöffnet hatte, sprangen wir durch die nächste Revolution zurück in den realen Raum durch Physical Computing. Mit Arduino und Raspberry Pi legten wir einfach los und durch Processing wurde auch ein Design-Werkzeug eröffnet, die einem kein Expertentum im Code abverlangten, sondern zugänglich waren und durch ihren Community-basierten Ansatz und Open Source wieder eine eigene Welt eröffneten. Der Sprung vom Interface, zur Interaction, zur Dimension der Interaktion durch Material war wirklich spannend. Das LillyPad von Arduino war hier ein sehr wichtiges Tool für meinen Forschungsbereich. Mit dem LiliyPad konnten wir plötzlich interaktive Wearables gestalten. Hier hatte sich ein neues Feld für das Design Research Lab eröffnet, in dem auch viele junge Frauen tätig sind. Die haben selbst den Code geschrieben, selbst die Schaltkreise gelötet und haben Smart Materials und Wearables als Elektronikkomponenten neu erfunden. Das war ein wichtiger Durchbruch. Plötzlich haben wir es nicht mehr mit kleinen, harten Bausteinchen zu tun, sondern die Elektronik wird soft, kann vielleicht sogar gestrickt werden. Die Möglichkeiten und Potenziale, die das mit sich bringt, haben wir als Gesellschaft noch gar nicht richtig verdaut, glaube ich.
Aber wie das so ist, mit dem technologischen Fortschritt, stecken wir natürlich direkt schon in einer neuen Welle der Virtual Reality. Hier gibt es jetzt einfach ein viel breiteres Spektrum an Werkzeugen, die oft gar keine Neuerfindungen mehr sind, sondern Wiederentdeckungen und Kombinationen bestehender Technologien.
Demnach glaube ich, dass sich die Betätigungsfelder von Designer*innen exponentiell weiter erhöhen werden. Klar ist es dann eine Frage, was wir als Designer*innen eigentlich alles noch können müssten. Aber wir sind ja auch ganz gut darin, neues zu lernen. Allerdings bräuchte es hierfür ein neues Designstudium, von dem wir in Deutschland aktuell noch wirklich weit entfernt sind. In unseren Hochschulen ist vieles noch sehr konventionell angelegt. Dabei gäbe es doch so viele neue, großartige Welten zu entdecken, die man dann durch die richtige Designausbildung meistern kann. Die Entwicklung zeigt uns, dass wir immer wieder einen neuen Aufbruch wagen müssen.
Felix Kosok: Bevor wir noch zu den Schattenseiten, oder den vermeintlichen Schattenseiten der Digitalisierung kommen, lasse ich mich noch ein bisschen von deinem Optimismus anstecken. Aus deinen Beschreibungen der Entwicklung heraus frage ich dich, was du denkst, warum digitale Technologien oft mit Community based-Ansätzen zusammenhängen? Das wäre tatsächlich etwas, das vielleicht das Designstudium nicht ganz obsolet werden lässt – das darf ich natürlich nicht sagen – aber erweitert. Diese Herausbildung einer Designcommunity von Leuten, die einen inspirieren und mit denen man gemeinsam experimentiert. Warum hängt das gerade mit den digitalen Technologien, mit Programmieren, mit dem Hacking zusammen? Warum ist die Community hier immer so wichtig?
Gesche Joost: Das ist eine spannende Frage. Einmal, glaube ich, liegt das in der Konstruktion des Internets an sich begründet. Das dezentrale Netzwerk hat einfach eine neue Strukturkategorie auf den Plan gerufen. Eigentlich sind es Peer-to-Peer Netzwerke und es gibt keinen „Master“. Es gibt auch kein einzelnes Land, das die Governance des Internets bestimmt. Plötzlich wächst eine dezentrale Struktur, von der wir auch langsam erst begreifen, was sie eigentlich bedeutet. Klar ist es sehr schwierig, diese Struktur zu regulieren. Das Internet lässt sich nicht nach alten, aber eben auch demokratischen Strukturen ohne weiteres in den Griff bekommen, dazu braucht es neue Institutionen wie das Internet Governance Forum (IGF). Trotzdem war es schon immer ein System, an dem viele mitgearbeitet haben und sich eine Community herausbildete. Das Internet funktioniert nur durch die Gemeinschaft derer, die es bauen und benutzen.
„Ich glaube, dass sich die Betätigungsfelder von Designer*innen exponentiell weiter erhöhen werden.“
Dass diese Gemeinschaften auch wieder Schattenseiten haben, ist auch klar. Diese Blasen oder Filter Bubbles, in denen sich Gegenöffentlichkeiten herauskristallisieren, in denen eine Abnabelung vom gesellschaftlichen Konsens stattfindet, den es bei einer Meinungsbildung in der Demokratie aber braucht, sind ein Problem. Das kann sich klarerweise auch radikalisieren. Insgesamt überwiegen in meinen eigenen Erfahrungen aber die positiven Seiten und die vielen neuen Welten, die hierdurch auch entstehen können. Die große Hoffnung war ja, dass das Digitale auch explizit die Demokratie fördert, weil mehr Menschen Zugang haben, sich besser beteiligen und organisieren können. Auch wenn es nicht ganz so einfach ist und die Technologie und die Struktur das Problem selbst noch nicht lösen, ermöglichen sie jedoch ein kontinuierliches Re-designen und Co-designen davon, wie wir gesellschaftlich und sozial zusammenkommen und gemeinsam die die großen gesellschaftliche Herausforderungen angehen können. Diese Kraft wurde definitiv freigesetzt und hat viel mehr Menschen die Möglichkeiten gegeben, sich selbst und mit anderen gemeinsam zu verwirklichen.
Felix Kosok: Du hast beschrieben, dass in den 90ern eine große Euphorie in Bezug auf das Internet, oder auf digitale Technologie generell gab. Jetzt frage ich mich, ganz persönlich aus der Perspektive eines betroffenen Designers – eines armen, kleinen Grafikdesigners – ob dieses Szenario des ständigen technologischen Fortschrittes nicht auch etwas Bedrohliches, nämlich etwas ökonomisch Bedrohliches ganz speziell für mich hat. Was passiert eigentlich, wenn KI-gestützte Logomaker Logoytpen am digitalen Fließband ausspucken, wenn große Software-Unternehmen Nutzerdaten scannen und Portfolioplattformen analysieren lassen, um hieraus automatisiert eigene Designs zu generieren? Was bleibt da für mich als Grafikdesigner eigentlich noch zu tun übrig? Ist nicht die Digitalisierung etwas, was mir ganz aktiv meinen Job wegnehmen kann?
„No need to change, sondern Weiterentwicklung – wie immer.“
Gesche Joost: Da glaube ich gar nicht dran! Es gab ja Versuche, durch eine KI eine Bach- oder Mozart-Sinfonie kreieren zu lassen. Die KI wurde also mit der Musik gefüttert, aber es kam am Ende etwas ganz anderes als eine Sinfonie dabei heraus. Das Experiment war enttäuschend. Generatives Design gibt es auch schon seit mindestens 20 Jahren, bei dem Algorithmen durch Variationen und Rekombinationen Design erstellen. Was hier gestaltet wird, ist meiner Meinung nach aber etwas völlig anderes, eine neue Kategorie des Designs, oder vielleicht eher eine eigene Designästhetik des Generativen. Diese Ästhetik hat nichts obsolet werden lassen, sondern nur das Spektrum erweitert. Dasselbe gilt, denke ich, auch für KI-Systeme. Ich bin auch am DFKI, am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. Was ich da lernen durfte – auch von meinen nerdigen Kolleg*innen, die großartig sind und sehr tief in der Materie stecken – ist, dass KI sehr, sehr gut für die Massenverarbeitungen von Daten ist. Ganz spezifische Tasks zu verarbeiten, Millionen von Loops, das bekommen die super hin. Aber daraus etwas Schöpferisches zu entwickeln, was über reine Mustererkennung und Rekombination hinausgeht, sehe ich in näherer Zukunft nicht. Insofern würde ich die KI auch eher in unsere Werkzeugpalette als Designer*innen mitaufnehmen. Das ist dann niemals ein Ersatz für, sondern eine Erweiterung unserer Fähigkeiten. Da können wir, glaube ich, ganz entspannt sein. No need to change, sondern Weiterentwicklung – wie immer.
Felix Kosok: Ich glaube auch, dass ich eine Weiterentwicklung oder Erweiterung unserer Tools an der Integration von KI stark machen würde. Da können wir uns als Gestalter*innen mit unserem kreativen Potenzial auch ruhig mal auf die Schulter klopfen. Vielleicht muss ich in der Zukunft gar nicht mehr derjenige sein, der die ganzen Logos selbst gestaltet. Es verändert sich auch meine Rolle im Gestaltungsprozess, wenn ich KI integriere und in mein Repertoire mitaufnehme.
Gesche Joost: Ja, das glaube ich auch.
Felix Kosok: Was wir also eigentlich für die neuen Werkzeuge brauchen, sind neue Rollenbilder, neue Verständnisse von Design und von Gestaltung. Du hast es auch schon angesprochen: Die große Hoffnung, die mit dem Internet verbunden wurde, war eine Demokratisierung des Wissens sowie die Ermöglichung von Teilhabe und aktiver Partizipation sowie Mitgestaltung einer neuen Welt. Das ist noch nicht ganz geglückt, aber vielleicht fehlt ja bisher nur das bessere Design. Wäre das nicht ein Betätigungsfeld für die Designer*innen der Zukunft: digitale Räume der Teilhabe zu schaffen?
Gesche Joost: Ich glaube, wir spielen hierbei wirklich eine wichtige Rolle. Vor allem aber auch dadurch, dass wir als Gestalter*innen darauf aufmerksam geworden sind, wie wenig inklusiv diese digitalen Tools der Teilhabe bisher gestaltet waren. Die Technologie war für die breite Masse, aber überhaupt nicht inklusiv. Viele Menschen – ob aufgrund eines unterschiedlichen Bildungsstandes, aufgrund unterschiedlichen Alters oder kultureller Herkunft, oder körperlicher Befähigung – waren einfach zu lange außen vor. Das führt zu einem Auseinanderdriften der Gesellschaft, weil sich diese Gruppen dann auch irgendwann nicht mehr mitgemeint fühlen, wenn es um Online-Partizipation bei politischen Prozessen geht, wenn demokratische Parteien „wir“ sagen.
„Die Entwicklung zeigt uns, dass wir immer wieder einen neuen Aufbruch wagen müssen.“
Das hatte die Piratenpartei mit ihrer „liquid democracy“ super vorgedacht. Aber auch hier hat es leider wieder die üblichen Verdächtigen getroffen, die sowieso politisch engagiert waren. Auch im Design müssen wir uns mehr Mühe geben, ganz andere Gruppen nicht nur zu befragen, sondern auch aktiv in den Designprozess miteinzubinden. Was wollen sie? Was interessiert sie? Was ist eigentlich ihre Ansprache? Gerade für ältere Menschen muss man einfach aufzeigen, welche Vorteile das Internet und die Digitalisierung bringen. You know, what’s in it for me? Was bringt es mir persönlich, mich ins Internet zu begeben?
Da müssen wir sehr genau hinschauen. Ich nenne es „die soziale letzte Meile“. Beim Glasfaserausbau spricht man auch von der „letzten Meile“ der Infrastruktur. Aber diese soziale letzte Meile, das ist die große Herausforderung. Bei deren Überwindung sind wir Designer*innen superwichtig. Dafür müssen wir uns aber auch aus unserer Komfortzone bewegen. Das ist dann nicht immer für die Hipster und sieht nicht immer super aus, sondern manchmal hat das dann vielleicht auch große Buchstaben für die Lesbarkeit, spricht vielleicht in einer einfacheren Sprache, oder spricht einfach auch Alltagsthemen an. Ich glaube, da gibt es Möglichkeiten, sich als Designerin oder Designer zu betätigen und auch multimodaler zu werden. Damit meine ich, dass nicht alles rein über das Visuelle geht – das sowieso nicht nur –, sondern auch über taktile oder akustische Schnittstellen.
In Berlin hat das Design Research Lab viele Social Design Projekte umgesetzt, bei denen wir in eine Nachbarschaft gegangen sind, in der viele Menschen mit Migrationshintergrund leben. Hier war es gar nicht so einfach, eine Übersetzung zu finden. Also haben wir viel mit Bildern oder Kommentaren gearbeitet. Wir haben eine Art analogen Twitter gebaut, einen Briefkasten, in den man einfach eine Postkarte gesteckt hat. Auf dieser wurde gefragt: „Was möchtest du in deiner Nachbarschaft verändern?“ – in verschiedenen Sprachen. Als Antwort konnte man etwas aufmalen oder etwas schreiben. Dann hat man die Postkarte in den Briefkasten geworfen. Die wurde digitalisiert, gescannt, und auf Twitter hochgeladen als Bild. Das wurde dann auch an die Häuserwand projiziert. So konnte man twittern, ohne einen eigenen Account besitzen zu müssen. Solche Schnittstellen zwischen analog und digital, zwischen physischem Ort und dem Netz, das ist ein superspannender Zwischenbereich, den wir viel aktiver gestalten könnten, um dort Zugänge zu schaffen.
Felix Kosok: Wir müssten Gestalter*innen auch als Übersetzer verstehen, aber auch als Menschen, die neue Möglichkeitsräume durch Gestaltung eröffnen können.
Gesche Joost: Ganz genau.
Felix Kosok: Um mich nochmal zu wiederholen: Die Digitalisierung wirkte wie das perfekte Tool für Partizipation. Aus dem Versprechen von freiem Zugang zum Wissen wurden aber gefilterte Wissensblasen und Soziale Netzwerke, die Perspektiven eher verengen, als dass sie sie weiten. Genau hier wären Designer*innen jetzt aber die perfekten Mediatoren, die innerhalb dieser Strukturen und Systeme Alternativen aufzeigen können und neue Möglichkeitsräume aufspannen. Alleine durch einen anderen Gebrauch der digitalen Werkzeuge können wir ja schon aufzeigen, was alles sonst noch möglich ist und wie man die Dinge auch völlig anders machen könnte.
„Wir als Gestalter*innen müssen schauen, wie man ganz unterschiedlichen Menschen die Hand reichen kann, um die Möglichkeiten der Veränderung allen zu eröffnen.“
Gesche Joost: Genau in diesem Zukunftsentwerfen sind wir richtig gut. Das ist unsere größe Kompetenz. Auch eine Schnelligkeit in der Anpassungsfähigkeit. Ich selbst bin da vielleicht schon zu alt und muss mir dann von meinen Studierenden erklären lassen, wie TikTok funktioniert. Ich muss das neu lernen, weil die Neuerfindung dieser Kulturtechniken immer schneller geht. Und das ist doch toll. Das hat einen unglaublich hohen Innovationsgrad, den diese ständige Neuerfindung mit sich bringt. Aber hier müssen wir wieder genau hinschauen. Wenn ich in der akademischen Filterblase das schon lernen muss, wie geht es dann anderen damit? Manche älteren Menschen wissen nicht mal, wie sie ein Handy bedienen müssen. Es ist auch rührend zu sehen, wenn bestimmte Gesten wie das Wischen oder Swipen als Kulturtechnik nie erlernt wurden, wenn diese Bewegungen nicht selbstverständlich sind. Wir als Gestalter*innen müssen schauen, wie man ganz unterschiedlichen Menschen die Hand reichen kann, um die Möglichkeiten der Veränderung allen zu eröffnen.
Felix Kosok: Wenn Designer*innen doch so gute Vermittler*innen sind, wie wäre es denn eigentlich damit, wenn sie endlich in die Politik gehen würden? Wenn wir also nicht mehr ständig nur auf unsere eigene Expertise verweisen, sondern uns auch aktiv in die Politik mit einbringen. Wäre das eine gute Idee? Kann das funktionieren? Oder: Worauf müssten sich Designerinnen und Designer gefasst machen, wenn sie das machen.
Gesche Joost: Ich finde das ein spannendes Betätigungsfeld. Das war genau meine Motivation vor – keine Ahnung, vor wie vielen Jahren das genau war – in die Politik zu gehen. Am Design Research Lab haben wir so viele Social Design Projekte verwirklicht, mit Communities, und es ging immer darum, Partizipation zu ermöglichen. Es ging immer um gesellschaftspolitische Themen. Ich war aber nie parteipolitisch engagiert. Bis ich mir gesagt habe, ich versuche das jetzt, im traditionellen Raum der Politik etwas zu bewirken. Ich war hierbei von Entwicklungen in England inspiriert, wo es viel um Design von Public Services ging, genauso wie in Skandinavien. In einigen Ministerien gibt es inzwischen Design und Co-Creation Spaces, wie etwa die Denkfabrik im Arbeitsministerium. Idee von solchen Government Innovation Labs ist es, dass sie beim Policy Making kreativ mitarbeiten, weil die Handelnden der Regierung gemerkt haben, dass sie an Grenzen stoßen, wenn sie sich innerhalb des Herzens des politischen und verwaltungstechnischen Handelns nicht neu erfinden.
Da gibt es viele solcher großartigen Experimente. Barcelona Digital City beispielswiese als die Stadt, die neu gestaltet wird, zusammen mit Designer*innen und Künstler*innen und Technolog*innen. Eine Herausforderung für modernes Policy Making ist auch, auf aktueller Datenbasis zu arbeiten – also ein Evidence-based Policy Making / Decision Making – da spielen Designer*innen eine große Rolle, weil sie die Tools entwickeln und die Prozesse, wie man Daten zu Erkenntnissen gestalten kann. Das sind wichtige Ansätze, die wir in der Politik brauchen.
„Auch im Design müssen wir uns mehr Mühe geben, ganz andere Gruppen nicht nur zu befragen, sondern auch aktiv in den Designprozess miteinzubinden.“
Meine eigene Erfahrung in der Politik, auch parteipolitisch, ist aber eine komplett andere Welt. Es ist sehr traditionell. Innerhalb von politischen Parteien die Revolution auszurufen, ist schwer. Aber was die neue Bundesregierung angeht, bin ich schon frohen Mutes bei dem Start, den sie hingelegt haben. Zu fragen, wie man gestalterisch oder gestaltender politisches Handeln praktizieren könnte, ist der richtige Weg. Diesen Begriff der Gestaltung benutzt Robert Habeck auch explizit – das fand ich interessant. Er sagt, man solle etwas wagen, etwas entwerfen, etwas gestalten. Mal schauen, wie erfolgreich die Regierung damit sein wird. Es ist ein harter Weg, ganz klar, aber, wenn man da unsere Designhaltung mitreinnehmen könnte und dieses Brückenbauen, dieses Übersetzen, dieses gestalterische Entwerfen in die Zukunft – das würde sicher zu einem Wandel der Politik führen.
Felix Kosok: Ich persönlich stelle es mir zermürbend vor, in der Politik als Designer*in tätig zu sein, weil es doch verschiedene Zeitverständnisse zwischen Designer*innen Politiker*innen gibt. Aber irgendwie brauchen demokratische Prozesse auch einfach Zeit, die Demokratie braucht Zeit. Wo machen diese Zeitunterschiede vielleicht Sinn? Und wo haben Designer*innen ein Recht, darauf zu pochen, dass manche Sache schneller gehen könnten?
„Auch im Design müssen wir uns mehr Mühe geben, ganz andere Gruppen nicht nur zu befragen, sondern auch aktiv in den Designprozess miteinzubinden.“
Gesche Joost: Das finde ich eine ganz richtige Beobachtung. Es ist manchmal frustrierend, wenn man merkt, dass demokratische Aushandlungsprozesse mühsam und zeitraubend sind. Nehmen wir nur die Diskussion um die Impfpflicht, da sind die Meinungen aufeinandergeprallt und es geht um ein kleinteiliges Aushandeln von Kompromissen. Genau das ist aber der Kern unserer Demokratie. Gerade wenn man schaut, wie China im Gegensatz zu uns mit der Pandemie umgeht. Dort geht eine Stadt einfach in den kompletten Lockdown – aus die Maus. Dann haben sie keine Corona-Fälle mehr. Oder es wird festgestellt, dass die Luftverschmutzung in Beijing ist zu hoch ist, deswegen wird von jetzt auf gleich beschlossen, dass sie keine Mopeds mit Verbrennungsmotor mehr erlauben, sondern das alles auf E-Scooter umgestellt wird. Einen Monat später ist das alles umgesetzt – sie scheinen also auch in Sache Klimaschutz effizienter zu sein. Solche autokratischen, ja diktatorischen Systeme sind zum Teil schneller – aber eben gerade die demokratische Meinungsbildung, die Wahrung der Rechte Einzelner und Einhaltung der Grundrechte – das ist das, wofür wir in Europa stehen. Das macht eine Demokratie aus.
„Auch wenn man sich manchmal denkt, das könnte doch jetzt alles viel schneller gehen, wenn man nur durchgreifen würde, müssen auch wir als Designer*innen begreifen, dass Prozesse Zeit brauchen.“
Auch dieses Ringen um Verständnis während der Pandemie. Da wird um Verständigung und Verständnis gerungen. Da setzt sich auch der Bundespräsident mit unterschiedlichen Menschen, auch mit Impfgegnern, auseinander und will zuhören, weil es darum geht, es gemeinsam auszuhandeln, damit alle die Corona-Maßnahmen mittragen können. Solche Prozesse brauchen Zeit, führen aber zu einer freiheitlichen und offenen Gesellschaft, an der wir teilhaben können und selbst auch Verantwortung tragen. Auch als Designer*innen brauchen wir ein grundlegendes Verständnis dafür, wie gesellschaftliche Akzeptanz und gesellschaftlicher Zusammenhalt in einem demokratischen Miteinander entstehen. Wenn wir dafür Brücken bauen können und Wege eröffnen, haben wir viel erreicht.
Felix Kosok: Wenn ich unser Gespräch zusammenfassen würde, dann würde ich deinen Optimismus auf die Designbranche übertragen wollen und laut in die Designwelt hineinrufen: „Hey Leute, ihr habt schon die Expertise und Tools an der Hand! Ihr müsst nur euch selbst und eure Tätigkeit anders verstehen und festgefahrene Grenzen überschreiten. Ihr müsst in diese neuen Betätigungsfelder hineingehen, weil Designer*innen da wirklich gefragt sind.“ Würdest du meinen Open Call unterschreiben?
Gesche Joost: Aber sicher. Wir hatten einmal eine großartige politische Aktivistin eingeladen, Renata Avila, und diese sagte in Bezug zum Policy Making in der Pandemie: „We need designers in the decision making rooms. We need designers in the crisis rooms.“ Das fand ich cool, weil sie sagte als Juristin, wir brauchen Designer*innen, wenn die Graden der Wissenschaften zusammensitzen und sich fragen, wie gestalten wir jetzt die nächsten Corona-Regeln. Da brauchen wir eben Designer*innen! Ich fand es toll, dass jetzt andere Disziplinen uns schon dazu auffordern, daran teilzunehmen und uns einzubringen. Wir sollten einfach sehr viel selbstbewusster sein. Ich habe erlebt, dass man oft offene Türen einrennt. Ja, wir Designer*innen können echten Impact auf die Gesellschaft haben!