Bild: Judith-Frederike Popp

DESIGN DISKURS

Verknüpfungen von Design und Transformation dienen immer wieder dazu, Utopien einer besseren Gesellschaft in scheinbar greifbare Nähe zu rücken. Judith-Frederike Popp zeigt auf, dass diese Zuschreibungen häufig begriffliche Leerstellen aufweisen, die aus philosophischer Perspektive in den Blick genommen werden können. Auf dieser Basis lässt sich darüber nachdenken, wie Design- und Transformationsprozesse auf ästhetische Weise in Kontakt treten.

Veröffentlicht am 06.04.22

Design und Transformation – Wahlverwandtschaften mit blinden Flecken

Auf den ersten Blick scheinen Trans­forma­tion und Design beziehungs­weise Gestal­tung aufs Engste mit­ein­ander ver­bunden: Letztere bezeich­nen eine Kultur­praxis, die spätes­tens seit Beginn von Indus­triali­sier­ung und Globali­sier­ung die gegen­ständ­liche Welt sowie unsere Navi­gation in dieser prägt. 1 Hinzu kommt: Vom Kunst­hand­werk bis zum er­weiter­ten Design­be­griff scheint sich Gestal­tung als Her­stell­ung, Präsen­tation und Ver­mitt­lung von All­tags­sinn durch All­tags­ästhetik ständig neu zu erfinden. Von diesen Be­obach­tungen wirkt es nur wie ein kleiner Schritt zu der Idee, dass Design unsere Welt, unser Han­deln in ihr und unseren Um­gang mit ihr auf funda­men­tale Weise trans­form­ieren kann. Diesen Schritt voll­ziehen viele Posi­tionen im Trans­forma­tions­design oder auch Social Design. 2 Dieser Schritt lässt sich jedoch auch proble­ma­ti­sieren: Zum einen wird häufig ein fixes Ver­ständnis von Trans­forma­tion vor­aus­ge­setzt. Zum anderen wird ange­nom­men, dass sich Design ein­deutig mit gesell­schaft­lichen Ver­besser­ungen ver­knüpfen lässt. Ich werde beide Punkte er­läutern, um dann zu er­kunden, in­wie­fern Design und Trans­forma­tion dennoch zusam­men ge­dacht werden können.



Begriffliche Feinheiten

Aus philosophischer Sicht erweist sich Trans­forma­tion als ähnlich kom­plex wie Ver­nünftig­keit oder Frei­heit. Mit diesen Begriffen teilt sie zwei Merk­male: Ihr Zustande­kommen ist an kom­plexe sozio-kultur­elle Beding­ungen gebun­den und ihre Zuschrei­bung ist norma­tiv aufgeladen.

Transformation kennt ein Vorher und ein Nachher und ist damit mit dem Begriff der Ver­änder­ung verwandt. Gleich­zeitig ist sie spezifischer: In einer Trans­formation wandelt sich die Form von etwas, während gleich­zeitig etwas erhal­ten bleibt. In der Lingu­istik zeigt sich dies zum Bei­spiel darin, dass eine Satz­struktur umge­wandelt wird, die ver­mittel­te Bedeu­tung dabei je­doch gleich bleibt. 3 Auf der Makro­ebene des Sozialen dient die Trans­forma­tion spätestens seit Karl Polanyis Theorie der „Great Trans­formation“ dazu, gesell­schaft­liche Wandlungs­pro­zesse zu be­schreiben. 4

In diesem Kontext wird auch dem Design im Verlauf des 20. Jahr­hunderts eine Position zuge­wiesen. Aus­gehend von seiner Aus­breitung durch die Ab­lösung von physischen Gegen­ständen und die ge­stal­terische Aneig­nung von Kommu­nika­tions- und Handlungs­räumen, wächst Design ein immer größerer Ein­fluss zu. 5 Über diesen Ein­fluss soll es durch die Trans­forma­tion unserer Alltags- und Lebens­welten auch unser Zusammen­leben transformieren.



Vom Wandel zum Fortschritt?

Hier kommt nun die normative Auf­ladung in den Blick: Trans­formation tritt als Verbes­serung bezieh­ungs­weise als Fort­schritt auf. Doch wer bestimmt, was als besserer Zu­stand gilt? Gesell­schaft­liche Ver­änder­ungen ent­pup­pen sich seit jeher als Aus­druck von Macht­be­zieh­ungen. Gesell­schaft­licher Fort­schritt ist daher ein kontro­verses Thema sozial­philo­soph­ischer Theorie. 6 Seit langem bean­sprucht ein euro­zent­ristischer Blick zu bestim­men, was als fort­schritt­liche Gesell­schaft gilt. Gleich­zeitig ist nicht klar, ob sich die mensch­liche Zivili­sation über­haupt in einer fort­schritt­lichen Ent­wick­lung befindet.


„Das Zustande­kommen von Trans­forma­tion ist an komplexe sozio-kulturelle Beding­ungen gebunden und ihre Zuschreibung ist normativ aufgeladen.“


Was bedeutet dies nun für das Ver­ständ­nis von Trans­forma­tion? Um den Wandel gesells­chaft­licher Ver­hält­nisse zu be­werten, müssen seine Pro­zesse und Akteur­*innen fort­laufend reflek­tiert werden. Dabei sind zum Beispiel Aus­zeich­nungen des Neuen oder der Inno­vation auf ihre Moti­vation hin zu über­prüfen. Diese Direk­tive lässt sich an Praktiken ver­an­schau­lichen, mit denen Trans­forma­tion ange­strebt wird – wozu auch das Design ge­hört. Wenn es ohne Selbst­reflex­ion zum Heils­bringer von Trans­forma­tion stili­siert wird, kommt Design nicht über eine Erkennt­nis des 20. Jahr­hunderts hinaus: der omni­präsen­ten Ver­ding­lich­ung kultur­eller Prak­tiken und ihrer sinn­lichen Gestal­tung. 7 Es tritt auf als blindes Instru­ment bestehen­der Ver­hält­nisse. 8 An die Stelle von Trans­forma­tion tritt die Wieder­holung bestehen­der Ver­wert­ungs- und Macht­strukturen. 9 Eine Ver­wand­lung der Form ist dann eigent­lich gar keine, da sie inner­halb eines Rahmens er­folgt, der selbst nicht in Frage ge­stellt wird. Hier hilft es dann auch nicht mehr weiter, wenn der In­halt eine schein­bar neue soziale Bezeich­nung wie Nach­haltig­keit, Gerechtig­keit oder Inklu­sion erhält.



Anders zusammensetzen – eine alternative Sichtweise

Ist das alles, was es zu Design und Trans­forma­tion zu sagen gibt? Meiner An­sicht nach er­geben sich weitere Möglich­keiten daraus, dass sich Trans­forma­tion zwischen Ver­gangen­heits­be­wälti­gung und Fort­schritts­glauben in einer pre­kären Balance zwischen Kon­struk­tivi­tät und Kritik er­fassen lässt. Hier wird deutlich, dass Trans­forma­tionen selten von einer zentralen In­stanz orga­ni­siert werden. Sie ereig­nen sich viel­mehr in einem bedeu­tungs- und ergebnis­offenen Pro­zess, der nicht so sehr aus rationalen Einzel­ent­schei­dungen ent­steht, sondern vor allem an Bedingt­heiten Gestalt ge­winnt und dabei für die Akteur­*innen zwischen Macht und Ohn­macht changiert.

Die bedeutung­soffene Dynamik teilt Trans­formation mit Design, wenn Letzteres als Praxis be­griffen wird, die sich in immer wieder anderen Konfi­gura­tionen reali­siert. Als interes­sante Frage erscheint hier nicht allein die nach Trans­forma­tion durch Design, sondern auch die nach einer Trans­forma­tion des Designs. Lässt sich Design als Praxis im Wandel so fassen, dass ein Raum für Trans­forma­tionen in radikal andere Formen dieser Praxis er­öffnet wird? Ist es mög­lich, eine solche Trans­forma­tion als Poten­zial von Design zu imaginieren?


„Lässt sich Design als Praxis im Wandel so fassen, dass ein Raum für Trans­forma­tionen in radikal andere Formen dieser Praxis eröffnet wird?“


Um Wandel zu er­fassen, braucht es kreative Praktiken des Imagi­nierens und Erzähl­ens, da die­se Klüfte zwischen Altem und Neuem zu über­brücken ver­mögen. 10 Außer­dem lenkt die Ima­gi­nation den Blick auf die Idee, Design als Verweis­struktur zu be­greifen: nicht allein darauf, wie Gesell­schaft sein sollte, sondern darauf, wie ästhetische Praktiken im Spannungs­ver­hältnis zu bestehenden Design­formen aus­sehen könnten. 11 Dabei wird die origi­näre Ver­mittlungs­kapa­­zi­tät von Design ein­ge­fangen: zwischen Kunst und All­tag, zwischen Produk­tion und Re­pro­dukt­ion, zwischen Sinn­lichkeit und Problemlösen.

Design ver­weist so auch darauf, was es be­deuten könnte, die Gestal­tung unserer Welt und un­serer selbst als gemein­same ästhetische Praxis zu be­greifen. Quali­täten einer solchen Praxis offen­baren sich nicht in Fanta­sien genialisch-isolierter Schöpf­ung, sondern zum Bei­spiel in der Hin­gabe an die Über­setzung von Bestehen­dem (in der ange­wand­ten Kunst), in der Anpas­sung an geteilte Umge­bungen (im Social oder Urban Design) oder in der Hin­wendung zum Aus­tausch von Wissen (im Informations­design). Diese Phänomene erfüllen nicht bereits das Poten­zial. Sie bringen jedoch zum Aus­druck, was dafür nötig wäre.


„Design verweist so auch darauf, was es bedeuten könnte, die Gestal­tung unserer Welt und unserer selbst als gemein­same ästhetische Praxis zu begreifen.“


So verweist Design auf eine Trans­formation, die eine andere Gestal­tung, eine ästhetische Praxis des geteil­ten und vermit­telten Hervor­bringens ermög­lichen könnte. Gleich­zeitig ver­weist be­steh­en­des Design darauf, was diese Möglich­keiten ver­hindert. Diese ambi­valente Verweis­struktur ist für eine Ein­ordnung von Trans­forma­tion und Design uner­läss­lich. Sie macht erfahr­bar, wie sehr der Trans­formations­begriff auf ästhetische Quali­täten zwischen bekannten Gestal­ten und zu erahnen­den Schemen ange­wiesen ist. Sie macht auch deut­lich, wie sehr sich auch ästhetische Dimen­sionen mensch­lichen Han­delns in einem Trans­formations­pro­zess befinden, dessen Aus­gang alles andere als ab­zusehen ist.

Quellenverzeichnis

1   Vgl. Gerda Breuer; Petra Eisele (Hg.) (2018): Design. Texte zur Geschichte und Theorie. Stuttgart: Reclam.
2   Vgl. u.a. Sommer, Bernd/Welzer, Harald (2017): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne. Berlin: Oekom Verlag; Banz, Claudia (2016): Social Design. Gestalten für die Transformation der Gesellschaft. Bielefeld: transcript.
3   Vgl. Hadumod Bußmann (Hg.) (2008): Lexikon der Sprachwissenschaft. 4. Auflage. Stuttgart: Kröner.
4   Schneidewind, Uwe (2018): Die große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch.
5   Vgl. Milev, Yana (Hg.) (2013): Design Kulturen. Der erweiterte Designbegriff im Entwurfsfeld der Kulturwissenschaft. Paderborn: Wilhelm Fink Verlag.
6   Allen, Amy (2016): The End of Progress. New York: Columbia University Press.
7   Haug, Wilhelm (1971): Kritik der Warenästhetik. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
8   Siehe zur Verwurzelung von Design in Machtstrukturen Recklies, Mara (2018): Epistemisch Ungehorsam sein. Zur Dekolonialisierung von Designdiskursen. In: Eva Knopf, Sophie Lembcke und Mara Recklies (Hg.): Archive dekolonialisieren. Mediale und epistemische Transformationen in Kunst, Design und Film. Bielefeld: transcript, S. 207–221; Buzon, Darin (2020): Design Thinking is a Rebrand for White Supremacy (https://dabuzon.medium.com/design-thinking-is-a-rebrand-for-white-supremacy-b3d31aa55831 (abgerufen am 06.02.2022)).
9   Vgl. u.a. Rogan, Kevin (2021): Keller Easterling’s Medium Design ignores the role of power in design (https://www.archpaper.com/2021/02/keller-easterling-medium-design-review/ (abgerufen am: 18.02.2022)); o/a (2014): The Designer As Phenomenon (https://criticalgraphicdesign.tumblr.com/post/51961889505/the-designer-as-phenomenon (abgerufen am: 18.02.2022)).
10   Schneidewind 2018: S. 39.
11   Die Verbindungen zwischen politisch-gesellschaftlichen und ästhetischen Verweisen sind Gegenstand des internationalen Symposiums Taking Sides. Gestaltung und Kunst zwischen Autonomie und Einmischung, das ich gemeinsam mit meiner Kollegin Prof. Johanna Diehl vom 20. bis zum 21.05.2022 an der Fakultät Gestaltung Würzburg organisiere. Weitere Informationen sowie Anmeldung bis zum 06.05. unter: https://fg.fhws.de/taking-sides.

Dr. Judith-Frederike Popp

ist Philosophin und lehrt und forscht als wissen­schaft­liche Mit­arbeiterin (Post-Doc) in der Theorie­abteil­ung der Fakul­tät Gestal­tung der Hoch­schule für ange­wandten Wissen­schaften Würz­burg-Schwein­furt. Sie hat über die konstruk­tiven Dimen­s­ionen prak­tischer Irratio­nali­tät promo­viert und arbei­tet aktu­ell an einer produk­tions­ästhet­ischen Kon­zep­tion von Subjekt­sein mit einem Fokus auf aktu­elle Span­nungs­felder zwischen Kunst und Design.