DESIGN DISKURS
Verknüpfungen von Design und Transformation dienen immer wieder dazu, Utopien einer besseren Gesellschaft in scheinbar greifbare Nähe zu rücken. Judith-Frederike Popp zeigt auf, dass diese Zuschreibungen häufig begriffliche Leerstellen aufweisen, die aus philosophischer Perspektive in den Blick genommen werden können. Auf dieser Basis lässt sich darüber nachdenken, wie Design- und Transformationsprozesse auf ästhetische Weise in Kontakt treten.
Design und Transformation – Wahlverwandtschaften mit blinden Flecken
Auf den ersten Blick scheinen Transformation und Design beziehungsweise Gestaltung aufs Engste miteinander verbunden: Letztere bezeichnen eine Kulturpraxis, die spätestens seit Beginn von Industrialisierung und Globalisierung die gegenständliche Welt sowie unsere Navigation in dieser prägt. 1 Hinzu kommt: Vom Kunsthandwerk bis zum erweiterten Designbegriff scheint sich Gestaltung als Herstellung, Präsentation und Vermittlung von Alltagssinn durch Alltagsästhetik ständig neu zu erfinden. Von diesen Beobachtungen wirkt es nur wie ein kleiner Schritt zu der Idee, dass Design unsere Welt, unser Handeln in ihr und unseren Umgang mit ihr auf fundamentale Weise transformieren kann. Diesen Schritt vollziehen viele Positionen im Transformationsdesign oder auch Social Design. 2 Dieser Schritt lässt sich jedoch auch problematisieren: Zum einen wird häufig ein fixes Verständnis von Transformation vorausgesetzt. Zum anderen wird angenommen, dass sich Design eindeutig mit gesellschaftlichen Verbesserungen verknüpfen lässt. Ich werde beide Punkte erläutern, um dann zu erkunden, inwiefern Design und Transformation dennoch zusammen gedacht werden können.
Begriffliche Feinheiten
Aus philosophischer Sicht erweist sich Transformation als ähnlich komplex wie Vernünftigkeit oder Freiheit. Mit diesen Begriffen teilt sie zwei Merkmale: Ihr Zustandekommen ist an komplexe sozio-kulturelle Bedingungen gebunden und ihre Zuschreibung ist normativ aufgeladen.
Transformation kennt ein Vorher und ein Nachher und ist damit mit dem Begriff der Veränderung verwandt. Gleichzeitig ist sie spezifischer: In einer Transformation wandelt sich die Form von etwas, während gleichzeitig etwas erhalten bleibt. In der Linguistik zeigt sich dies zum Beispiel darin, dass eine Satzstruktur umgewandelt wird, die vermittelte Bedeutung dabei jedoch gleich bleibt. 3 Auf der Makroebene des Sozialen dient die Transformation spätestens seit Karl Polanyis Theorie der „Great Transformation“ dazu, gesellschaftliche Wandlungsprozesse zu beschreiben. 4
In diesem Kontext wird auch dem Design im Verlauf des 20. Jahrhunderts eine Position zugewiesen. Ausgehend von seiner Ausbreitung durch die Ablösung von physischen Gegenständen und die gestalterische Aneignung von Kommunikations- und Handlungsräumen, wächst Design ein immer größerer Einfluss zu. 5 Über diesen Einfluss soll es durch die Transformation unserer Alltags- und Lebenswelten auch unser Zusammenleben transformieren.
Vom Wandel zum Fortschritt?
Hier kommt nun die normative Aufladung in den Blick: Transformation tritt als Verbesserung beziehungsweise als Fortschritt auf. Doch wer bestimmt, was als besserer Zustand gilt? Gesellschaftliche Veränderungen entpuppen sich seit jeher als Ausdruck von Machtbeziehungen. Gesellschaftlicher Fortschritt ist daher ein kontroverses Thema sozialphilosophischer Theorie. 6 Seit langem beansprucht ein eurozentristischer Blick zu bestimmen, was als fortschrittliche Gesellschaft gilt. Gleichzeitig ist nicht klar, ob sich die menschliche Zivilisation überhaupt in einer fortschrittlichen Entwicklung befindet.
„Das Zustandekommen von Transformation ist an komplexe sozio-kulturelle Bedingungen gebunden und ihre Zuschreibung ist normativ aufgeladen.“
Was bedeutet dies nun für das Verständnis von Transformation? Um den Wandel gesellschaftlicher Verhältnisse zu bewerten, müssen seine Prozesse und Akteur*innen fortlaufend reflektiert werden. Dabei sind zum Beispiel Auszeichnungen des Neuen oder der Innovation auf ihre Motivation hin zu überprüfen. Diese Direktive lässt sich an Praktiken veranschaulichen, mit denen Transformation angestrebt wird – wozu auch das Design gehört. Wenn es ohne Selbstreflexion zum Heilsbringer von Transformation stilisiert wird, kommt Design nicht über eine Erkenntnis des 20. Jahrhunderts hinaus: der omnipräsenten Verdinglichung kultureller Praktiken und ihrer sinnlichen Gestaltung. 7 Es tritt auf als blindes Instrument bestehender Verhältnisse. 8 An die Stelle von Transformation tritt die Wiederholung bestehender Verwertungs- und Machtstrukturen. 9 Eine Verwandlung der Form ist dann eigentlich gar keine, da sie innerhalb eines Rahmens erfolgt, der selbst nicht in Frage gestellt wird. Hier hilft es dann auch nicht mehr weiter, wenn der Inhalt eine scheinbar neue soziale Bezeichnung wie Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit oder Inklusion erhält.
Anders zusammensetzen – eine alternative Sichtweise
Ist das alles, was es zu Design und Transformation zu sagen gibt? Meiner Ansicht nach ergeben sich weitere Möglichkeiten daraus, dass sich Transformation zwischen Vergangenheitsbewältigung und Fortschrittsglauben in einer prekären Balance zwischen Konstruktivität und Kritik erfassen lässt. Hier wird deutlich, dass Transformationen selten von einer zentralen Instanz organisiert werden. Sie ereignen sich vielmehr in einem bedeutungs- und ergebnisoffenen Prozess, der nicht so sehr aus rationalen Einzelentscheidungen entsteht, sondern vor allem an Bedingtheiten Gestalt gewinnt und dabei für die Akteur*innen zwischen Macht und Ohnmacht changiert.
Die bedeutungsoffene Dynamik teilt Transformation mit Design, wenn Letzteres als Praxis begriffen wird, die sich in immer wieder anderen Konfigurationen realisiert. Als interessante Frage erscheint hier nicht allein die nach Transformation durch Design, sondern auch die nach einer Transformation des Designs. Lässt sich Design als Praxis im Wandel so fassen, dass ein Raum für Transformationen in radikal andere Formen dieser Praxis eröffnet wird? Ist es möglich, eine solche Transformation als Potenzial von Design zu imaginieren?
„Lässt sich Design als Praxis im Wandel so fassen, dass ein Raum für Transformationen in radikal andere Formen dieser Praxis eröffnet wird?“
Um Wandel zu erfassen, braucht es kreative Praktiken des Imaginierens und Erzählens, da diese Klüfte zwischen Altem und Neuem zu überbrücken vermögen. 10 Außerdem lenkt die Imagination den Blick auf die Idee, Design als Verweisstruktur zu begreifen: nicht allein darauf, wie Gesellschaft sein sollte, sondern darauf, wie ästhetische Praktiken im Spannungsverhältnis zu bestehenden Designformen aussehen könnten. 11 Dabei wird die originäre Vermittlungskapazität von Design eingefangen: zwischen Kunst und Alltag, zwischen Produktion und Reproduktion, zwischen Sinnlichkeit und Problemlösen.
Design verweist so auch darauf, was es bedeuten könnte, die Gestaltung unserer Welt und unserer selbst als gemeinsame ästhetische Praxis zu begreifen. Qualitäten einer solchen Praxis offenbaren sich nicht in Fantasien genialisch-isolierter Schöpfung, sondern zum Beispiel in der Hingabe an die Übersetzung von Bestehendem (in der angewandten Kunst), in der Anpassung an geteilte Umgebungen (im Social oder Urban Design) oder in der Hinwendung zum Austausch von Wissen (im Informationsdesign). Diese Phänomene erfüllen nicht bereits das Potenzial. Sie bringen jedoch zum Ausdruck, was dafür nötig wäre.
„Design verweist so auch darauf, was es bedeuten könnte, die Gestaltung unserer Welt und unserer selbst als gemeinsame ästhetische Praxis zu begreifen.“
So verweist Design auf eine Transformation, die eine andere Gestaltung, eine ästhetische Praxis des geteilten und vermittelten Hervorbringens ermöglichen könnte. Gleichzeitig verweist bestehendes Design darauf, was diese Möglichkeiten verhindert. Diese ambivalente Verweisstruktur ist für eine Einordnung von Transformation und Design unerlässlich. Sie macht erfahrbar, wie sehr der Transformationsbegriff auf ästhetische Qualitäten zwischen bekannten Gestalten und zu erahnenden Schemen angewiesen ist. Sie macht auch deutlich, wie sehr sich auch ästhetische Dimensionen menschlichen Handelns in einem Transformationsprozess befinden, dessen Ausgang alles andere als abzusehen ist.