Milan Design Week

Von Faszination über Kontemplation bis pure Langeweile – unsere DDC Mitglieder Barbara Glasner und Nicolas Markwald waren auf dem größten Designfestival der Welt unterwegs und schildern ihre Eindrücke per Wort und Bild.

Veröffentlicht am 04.05.2023



Vom Aufspüren und Wiederentdecken — Barbara Glasners Mailand-Review


Fast hätte man den Ein­druck haben können, es hätte weder die Corona bedingte Pan­demie statt­ge­funden noch sich das Über­thema Klima­wandel/-kata­stro­phe abge­zeichnet. Die Straßen und Locations von Mai­land waren voll von Men­schen, auf eng­stem Raum und mit viel Ge­töse und Um­armun­gen. Nach zwei Jahren kon­tem­pla­tiver oder zöger­licher Ein­schränk­ung des Salone-Geschehens war die Party wieder er­öffnet, teils öffent­lich, teils hyper VIP.

„A valuable collection of things“: Materialien und Elemente des ehemaligen Schlachthofes, auf dem das Ausstellungsformat Alcova stattfand, Parfumbar von Byredo im Spazio Maiocchi, Fotos © Barbara Glasner

Trotz 25-jähriger Salone-Er­fahr­ung mit dem Vor­son­dieren und Planen der täg­lichen Be­sichtigungs­routen maße ich mir nicht an, mir an­nähernd einen um­fassen­den Über­blick ver­schafft zu haben. Unzähl­ige Aus­stell­ungen in den klassischen Show­rooms und den alter­nativen Off-Locations und mehrere hoch­karätig besetzte Sym­posien waren ein­fach nicht unter einen Hut zu bringen. Die Aus­wahl der Prä­sen­tations­orte spielt nach wie vor die essen­zielle Rolle in Mai­land: ent­weihte Kirchen, his­torische Plätze, eine Pelota-Sport­halle, ein 1930er-Jahre Frei­bad, ein eleganter Tennis­club aus den 1920-Jahren, erbaut vom Architekten Giovanni Muzio, der auch die Trien­nale ge­baut hat, die Ruine des ehe­mali­gen Schlacht­hof­ge­ländes für das Aus­stellungs­format Alcova, das im Jahr zuvor im ehe­maligen Militär­kranken­haus be­hei­matet war, Fabrik­hallen, die Dropcity-Aus­stellungs­flächen in den Eisen­bahn­depots unter den Gleisen des Haupt­bahn­hofes, Atel­iers, groß­bürger­liche Appartamenti, zweck­ent­fremdete Restau­rants, Palazzi in allen Größen­ord­nun­gen, und zu guter Letzt: das klassische Messe­gelände in Rho.

Barbara Glasner bei der Vorstellung ihres Buches „Most Touched“ im Spazio Dopo? (rechts neben Vera Sacchetti), Foto © Driving The Human

Das Aufspüren, Wieder­ent­decken und Be­suchen dieser Orte be­reitet eigent­lich die größte Freude und großen Erkennt­nis­ge­winn, wenn man sich für Städte und deren besondere Archi­tek­tur interes­siert. Leider hat mich wie so oft in den letzten Jahren aber vor Ort dann beim Be­trach­ten der Aus­stell­ungs­ob­jekte und In­stallati­onen die pure Lange­weile über­mannt. Die Er­wartungs­halt­ung schrumpft von Tag zu Tag und am Ende ist man vor lauter Copy Cats, Sonder­müll-Materi­alien, anti-rezyk­lier­baren Ent­würfen, pseudo-wissen­schaft­lichem Kon­text, stupider Deko aus Bau­markt-Topf­pflan­zen und hier und da auch plump rassistischen und macho­haften Dar­biet­ungen wie ge­lähmt und fragt nach dem eigent­lichen Sinn des – ich zitiere die allge­meine Presse­land­schaft – „größten Design­festivals der Welt“.

Nathalie du Pasquiers Fassadengestaltung für Assab One, Foto © Barbara Glasner, Stefan Diez in der von ihm betreuten Ausstellung „Rethinking the Elements of Architecture“ von der Angewandten Wien auf dem SaloneSatellite, Foto © Moriz Fischer

Was es tatsächlich zum Festi­val werden lässt, sind in der Tat die Klassen­treffen ähnlichen inten­siven Begeg­nun­gen und der spon­tane Aus­tausch mit der inter­natio­nalen Gestalter­*innen­szene, den Her­steller­firmen, den Kurator­*innen, Studieren­den, Pro­fes­sor­*innen und den Mai­länder­*innen selbst, die ihren Lebens­raum für eine Woche groß­zügig teilen. Eben­so wie die dieses Jahr gleich fünf­fach ange­botenen multi­diszi­pli­nären Sym­posien und Panels in der Drop­city, im Spazio Dopo? (unter anderem mit dem form Design Magazin), bei Alcova, in der Trien­nale und im Teatro Filodram­matici („Prada Frames“), die sich qualita­tiv hoch­wertig mit rele­van­ten Frage­stell­ungen aus­ein­ander­ge­setzt haben.

Einige wirklich origi­nelle Insze­nier­ungen und wenige gute (sicht­bare) An­sätze zum Thema Cradle to Cradle-Produk­tion, Kreis­lauf­fähig­keit, Trans­parenz in den Liefer­ketten und Res­sour­cen-Sensi­bili­tät waren auf jeden Fall ge­ge­ben, inspirier­end und für die Be­deut­ung der Milan Design Week auch not­wendig. Als inter­natio­nales Branchen­treffen wird die lombardische Metro­pole trotz immer laun­ischem April­wetter wohl ihren Status Quo halten kön­nen, inso­fern die be­stehen­den wie kom­men­den Krisen es zulassen.

Mehr zu Barbara Glasner erfahrt ihr auf ihrem DDC Profil.