Milan Design Week
Von Faszination über Kontemplation bis pure Langeweile – unsere DDC Mitglieder Barbara Glasner und Nicolas Markwald waren auf dem größten Designfestival der Welt unterwegs und schildern ihre Eindrücke per Wort und Bild.
Vom Aufspüren und Wiederentdecken — Barbara Glasners Mailand-Review
Fast hätte man den Eindruck haben können, es hätte weder die Corona bedingte Pandemie stattgefunden noch sich das Überthema Klimawandel/-katastrophe abgezeichnet. Die Straßen und Locations von Mailand waren voll von Menschen, auf engstem Raum und mit viel Getöse und Umarmungen. Nach zwei Jahren kontemplativer oder zögerlicher Einschränkung des Salone-Geschehens war die Party wieder eröffnet, teils öffentlich, teils hyper VIP.
Trotz 25-jähriger Salone-Erfahrung mit dem Vorsondieren und Planen der täglichen Besichtigungsrouten maße ich mir nicht an, mir annähernd einen umfassenden Überblick verschafft zu haben. Unzählige Ausstellungen in den klassischen Showrooms und den alternativen Off-Locations und mehrere hochkarätig besetzte Symposien waren einfach nicht unter einen Hut zu bringen. Die Auswahl der Präsentationsorte spielt nach wie vor die essenzielle Rolle in Mailand: entweihte Kirchen, historische Plätze, eine Pelota-Sporthalle, ein 1930er-Jahre Freibad, ein eleganter Tennisclub aus den 1920-Jahren, erbaut vom Architekten Giovanni Muzio, der auch die Triennale gebaut hat, die Ruine des ehemaligen Schlachthofgeländes für das Ausstellungsformat Alcova, das im Jahr zuvor im ehemaligen Militärkrankenhaus beheimatet war, Fabrikhallen, die Dropcity-Ausstellungsflächen in den Eisenbahndepots unter den Gleisen des Hauptbahnhofes, Ateliers, großbürgerliche Appartamenti, zweckentfremdete Restaurants, Palazzi in allen Größenordnungen, und zu guter Letzt: das klassische Messegelände in Rho.
Das Aufspüren, Wiederentdecken und Besuchen dieser Orte bereitet eigentlich die größte Freude und großen Erkenntnisgewinn, wenn man sich für Städte und deren besondere Architektur interessiert. Leider hat mich wie so oft in den letzten Jahren aber vor Ort dann beim Betrachten der Ausstellungsobjekte und Installationen die pure Langeweile übermannt. Die Erwartungshaltung schrumpft von Tag zu Tag und am Ende ist man vor lauter Copy Cats, Sondermüll-Materialien, anti-rezyklierbaren Entwürfen, pseudo-wissenschaftlichem Kontext, stupider Deko aus Baumarkt-Topfpflanzen und hier und da auch plump rassistischen und machohaften Darbietungen wie gelähmt und fragt nach dem eigentlichen Sinn des – ich zitiere die allgemeine Presselandschaft – „größten Designfestivals der Welt“.
Was es tatsächlich zum Festival werden lässt, sind in der Tat die Klassentreffen ähnlichen intensiven Begegnungen und der spontane Austausch mit der internationalen Gestalter*innenszene, den Herstellerfirmen, den Kurator*innen, Studierenden, Professor*innen und den Mailänder*innen selbst, die ihren Lebensraum für eine Woche großzügig teilen. Ebenso wie die dieses Jahr gleich fünffach angebotenen multidisziplinären Symposien und Panels in der Dropcity, im Spazio Dopo? (unter anderem mit dem form Design Magazin), bei Alcova, in der Triennale und im Teatro Filodrammatici („Prada Frames“), die sich qualitativ hochwertig mit relevanten Fragestellungen auseinandergesetzt haben.
Einige wirklich originelle Inszenierungen und wenige gute (sichtbare) Ansätze zum Thema Cradle to Cradle-Produktion, Kreislauffähigkeit, Transparenz in den Lieferketten und Ressourcen-Sensibilität waren auf jeden Fall gegeben, inspirierend und für die Bedeutung der Milan Design Week auch notwendig. Als internationales Branchentreffen wird die lombardische Metropole trotz immer launischem Aprilwetter wohl ihren Status Quo halten können, insofern die bestehenden wie kommenden Krisen es zulassen.
Mehr zu Barbara Glasner erfahrt ihr auf ihrem DDC Profil.