DESIGN DISKURS
Es menschelt und sozielt wieder gehörig im Design. Von Human-Centered-Design bis hin zu Society-Centered Design 1 Ansätzen, ein weiteres Mal scheint das humanistische Projekt die Lebensverhältnisse zu verbessern erreich- und umsetzbar. Und zwar mit den Bordmitteln einer neujustierten Designpraxis, die nun nicht nur endlich die zentrale Entität gefunden hat, für die es zu entwerfen lohnt, sondern gleichzeitig auch die entsprechenden Toolkits bereitstellt, die entsprechende Ergebnisse fast schon garantieren.
Ein weiteres Mal lohnt es sich an dieser Stelle mit Bauchschmerzen auf den gestalterischen Optimismus und vor allem in das Vertrauen auf die Werkzeuge zu reagieren, dass diesen XYZ-Centered-Design entgegengebracht wird. Denn ganz gleich ob nun der Mensch, das Soziale oder Ökologie im Zentrum von Design stehen, es mangelt zum einen an grundlegendem Verständnis für die Relationalität und Vernetztheit der Welt, der Pluralität des Sozialen und der systemischen Komplexität Menschen und an Einsicht in die nicht instrumentell steuerbare Eigenlogik von Prozessen und Strukturen, die sich zwischen so heterogenen Entitäten, wie Sozialem, Artifiziellen, Natürlichen und Menschlichen einspielen.
Dies wird besonders deutlich im Fall von Mensch und Gesellschaft, denn obgleich Design seit Beginn der Ausdifferenzierung als eigenständiges Praxisfeld munter mit Gesellschaft und Mensch als Letzthorizont gestalterischer Bemühungen operiert, fällt die Bilanz des Erreichten in der ersten Hälfte des 21. Jahrhundert eher katastrophal aus. Ob im Fall von Überkonsum, der Vertiefung sozialer Differenz oder ganz banalen psychischen Belastungen, Design hat seine Finger im Spiel und täuscht sich selbst mit Floskeln wie Menschen-, Nutzer*innen-, Sozialitäts- oder Planetenzentriertheit über den Umstand hinweg, dass Großteile der beruflichen Praxis von Gestalter*innen damit beschäftigt ist, eben nicht damit beschäftigt ist Menschliches, Soziales oder Ökologisches, sondern Schnittstellen zu gestalten, die Menschliches, Psychisches, Materielles und Soziales ökonomischen Interessen anpasst. Auf diese Weise werden einer ästhetisch angetriebenen Ökonomie die entsprechenden Inszenierungswerte, Surplus-Versprechen und Erlebnisvorlagen verschafft, die in einer katalytischen Wirkung Bedürfnisse steigern, Angebote, Situationen und Räume emotional verdichten, die unsere vulnerablen kognitiven und psychischen Strukturen zu nutzen wissen und so einen Ressourcenverbrauch befeuern, der uns an die Grenze zum Überleben führt. Denn dort, wo von wirklichen Bedürfnissen, deren Überlappung es mit Interessen von Wirtschaft und Technologie 2 es zu suchen gilt, bleibt es unterkomplex. So lassen sich Bedürfnisse nicht nur mit den Mitteln des Designs in nicht stillbare Begehrnisse 3 transformieren und damit neue Knappheit erzeugen, wie Gernot Böhme zeigt, viel mehr lässt sich so auch die sozialpsychologische Grundlage für das Wachstumsdispositiv der Wirtschaft aufrechterhalten.
Die Liste der Nebenwirkungen von menschlicher Umwelt-, Gesellschafts- und Dinggestaltung ist also apokalyptisch umfangreich, an dieser Stelle nicht vollständig und natürlich sind auch nicht alle Positionen dieser Liste ursächlich allein dem modernem Design zuzuschreiben, schließlich ist auch Design historisch verflochten mit bestimmten Anlehnungskontexte und Realitätsbedingungen, die den gestalterischen Möglichkeitshorizont und die Erfolgswahrscheinlichkeit von Entwürfen bestimmen.
Was also tun? Mein Vorschlag lautet an dieser Stelle, den Abschied von zu simplen Beobachtungsinstrumente und Designansätzen wagen und auf Komplexität nicht mit Vereinfachung, sondern mit Komplexitätssteigerung zu reagieren. Doch nun der Reihe nach:
Mensch
Der Fehler Nummer 1 liegt bereits in der anthropozentrischen Gesamtausrichtung von Design. Wenn man den Mensch zum Maß aller Dinge und Maßnahmen macht, sollte zumindest der Komplexität des Menschen Rechnung tragen und diese Entität nicht als Einheit, sondern als Komplex denken. Das, was wir gemeinhin als Mensch verstehen, ist ein systemisch reichlich komplexer Zusammenhang, strukturell stärker an externe soziale, artifizielle und ökologische Systeme, interne biologische, psychische und kognitive Systeme gekoppelt und weniger autark von seinen Umweltbeziehungen als gemeinhin angenommen. Auch mit der Rationalität des Menschen ist es nicht weit her, fallen wir doch regelmäßig von kognitiven Verzerrungen herein, unterliegt unsere sinnliche Wahrnehmung bestimmten Gestaltgesetzen und spielen uns die Endloshorizonte unser Psychologie 4 immer wieder Schnippchen. Doch nicht nur im Hinblick auf die internen Strukturen verdeckt der Begriff Mensch Komplexität und Relationalität, auch die äußeren Verkopplungen werden überlagert und dann unreflektiert in Entwürfen stabilisiert.
Gesellschaft
Der Fehler Nummer 2 folgt dann schon fast zwangsläufig aus Fehler Nummer 1 und betrifft das zugrunde gelegte Verständnis des Sozialen im Design. Denn, wo der Mensch als Einheit verstanden wird, ist es ein Leichtes ihn zum Letztelement von Gesellschaft zu machen und das Soziale als Zusammenschluss von autonomen Einheiten gleichen Typs zu verstehen. Dieser Kurzschluss ist folgenreich, denn so lässt sich dann allerlei außerhalb des Sozialen verorten und in Opposition zum Gesellschaftlichen bringen, was eigentlich in das Soziale hineingehört, zum Beispiel Wirtschaft und Politik.
Nicht ohne Grund sprach sich Niklas Luhmann 5 dafür aus, den Mensch mit dem Hinweis auf systemische Komplexität in der Umwelt des Sozialen zu verorten und fort an als Zurechnungsadresse von Kommunikation und strukturell gekoppelte Voraussetzung des Sozialen zu behandeln. Auch die handlungsbasiert Praxeologie und die auf ontologische Diversität abzielende Akteurs-Netzwerktheorie halten den Menschen eher auf Abstand, in dem etwa die Relationalität von Handlung, Situation und Materialität betont wird oder auf die hybride Verfasstheit einer mit Artefakten bevölkerten Welt hingewiesen, in der sich genuin Menschliches nur schwer vom Dinglichen trennen lässt. In beiden Fällen handelt es sich um Erkenntnisangebote, die nun nicht mehr ganz so jungen Datums sind und die zumindest im überwiegenden Teil des Designs, und zwar jenem Teil, der jenseits von Designwissenschaft und experimentellen Designkulturen unseren Alltag gestaltet, kaum Niederschlag erfahren haben. Statt dessen dominieren marktkonforme Varianten und stark verkürzten Programmatiken und Toolkits, die zwar den internen und externen Unsicherheiten von Entwurfsprozessen Orientierung und Halt geben und als Unsicherheitsabsorptionsmechanismen 6 eignen, sich aber genau aus diesem Grund als Symbol gebrauchen lassen, mit dem in einer Purpose Driven Economy die entsprechenden Inszenierungswerte realisiert werden können.
Also auch dort wo das Soziale gestaltet werden soll, bekommt man es also mit Komplexität und Intransparenz 7 zu tun, dies gilt insbesondere für die moderne Gesellschaft und dürfte auch für die Gesellschaftsstruktur, die einst das Erbe der Moderne antreten wird. Hier trifft man nicht nur auf Kommunikationssysteme, Organisationen, Interaktion, Semantik und Handlung, sondern bekommt es auf all diesen Ebenen mit autonomen ablaufenden Prozessen und Logiken zu tun, die weder nicht synchronisieren 8 noch instrumentell steuern lassen, aber sich gehörig gegenseitig irritieren. Bei all dem muss zu dem mit Multiperspektivität und äußerst different Lebenslagen gerechnet werden, also dem Umstand, dass sich nicht nur in den jeweiligen gesellschaftlichen Bereichen unterschiedliche Perspektiven und Problembeschreibungen herausbilden, sondern auch Personen höchst diese Komplexe und ihre Wirkungen höchst unterschiedlich erfahren. Das Motto hier lautet also: Vertrackte Probleme 9 aller Orten und anders als es die gegenwärtig beobachtbaren autokratischen Bemühungen nahelegen, lassen sich zwar vertrackte Probleme 10 auf diese Weise durchaus bearbeiten, allerdings lassen sich Komplexität, Multiperspektivität und Pluralität meist nicht dauerhaft vollständig unterdrücken.
Umwelt
Der Fehler Nummer 3 zeigt sich dann in Designansätzen, die sich dezidiert der Frage von Nachhaltigkeit widmen. Auch hier wird die begriffliche Verkürzung und mangelndes Systembewusstsein zum Problem, denn Umwelt wird meist als externe Angelegenheit verstanden und nicht etwas zu dem Mensch und Gesellschaft immer schon in Beziehung stehen. Damit eignet sich also auch die Umwelt eignet sich nicht als alleiniges. Zentrum einer Designprogrammatik, zumindest nicht in der einfach Form eines XYZ-Designansatzes. Zwar scheint nichts dringender als die Logik umzukehren und nicht mehr die Natur an Mensch und das Soziales anzupassen, sondern das Sozialen und den Menschen an das Natürliche. Allerdings und dies wiederholt strukturell nur mein Argument, mit dem ich bereits Mensch und Gesellschaft aus dem Zentrum hinausbefördert habe, ist auch die Umwelt eine systemisch höchst-komplexe und systemisch vielfältige Angelegenheit und zu dem noch eine recht fluide Angelegenheit, die sowohl auf ihre Beschreibung wie auf ihre Gestaltung mit unvorhersehbaren Kollisionseffekten reagiert.
Wenn im Sinn von Umwelt, Mensch und Gesellschaft entworfen wird, sollte dies in einer Art geschehen, die der systemischen Komplexität von Mensch, Gesellschaft und Umwelt gerecht wird und dies mündet in dann in einer relationalen Designpraxis, die sich ihrer Selektivität bewusst ist. Die gute Nachricht ist: Diese Relationalität und Selektivität ist in Designprozessen grundsätzlich angelegt.
Relationalität
Um diese Überlegung zu verdeutlichen, lohnt es den Blick darauf zu lenken, was Design eigentlich tut. Wie immer beginnt dabei alles recht einfach, denn am Anfang aller Designbemühung, steht eine recht einfache Operation. Ein Zustand wird kontingent gesetzt, also als etwas beobachtet, dass so ist wie es ist auch anders möglich wäre. Grundsätzlich findet dieser Umgang mit Kontingenz in jedem gestaltenden Akt und nicht alleiniges Merkmal eines enger gefassten Design. Wenn alles was ist auch anders möglich wäre, dann schließt daran die Frage an, wie mit diesem nun offenen Möglichkeitshorizont umgegangen werden soll. Es geht also darum einen Soll-Zustand zu definieren, der in irgendeiner Art eine Verbesserung darstellt. Und an dieser Stelle kommt die Situiertheit, die Perspektive und die Motive der Beobachtenden ins Spiel und hier beginnen die Schwächen von auf Einzelaspekte zentrierten Ansätze ihre Wirkung zu entfalten. Zwar gelingt es mit den Toolkits neuerer Ansätze die größten Probleme – die Einzelpersonen Designperspektive, Diversität von Interessenslagen und ökologische Fragen – im Zaum zu halten, indem Betroffene von Design, ihre Lebenslagen und Perspektiven oder das Thema Nachhaltigkeit stärker im Designprozess berücksichtigt oder beteiligt werden. Wenn allerdings jedoch jeweils nur das Eine oder das Andere sprachlich und methodisch im Zentrum steht, wird die Chance zu einem holistischen Designapproach verschenkt.
Was also tun, wenn weder Mensch noch Gesellschaft noch Umwelt dazu taugen allein im Zentrum des Design zu stehen, es ebenfalls wenig erfolgsversprechend scheint, die anthropozentrische Ausrichtung von Design kurzer Hand in eine Ökozentrische umzuwandeln. Vielleicht ist es dies eine gute Gelegenheit Relationalität ins Zentrum zu stellen und Mensch, Gesellschaft und Umwelt zwar als simplifizierende Suchparameter für Konjunktion- und Differenzketten in Entwürfen zu behandeln, die jedoch den Vorteil hat deutlicher auf die komplexe Horizonte hinweisen, in den denen Design immer schon operiert wenn es die Schnittstellen zwischen artifiziellen, sozialen, kognitiven, psychischen, leiblichen und natürlichen Systemen 11 gestaltet und dabei relationale Gefüge errichtet, deren Wirkung nie vollständig kontrolliert werden können, aber immerhin unbestimmte Unbestimmtheit in bestimmte Unbestimmtheit überführen. Man könnte dieses Design dann Human-Social-Eco-Centered Design nennen oder der Kürze halber: Relationales Design.