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DESIGN DISKURS

Es menschelt und sozielt wieder gehörig im Design. Von Human-Centered-Design bis hin zu Society-Centered Design 1 Ansätzen, ein weiteres Mal scheint das humanistische Projekt die Lebens­ver­hält­nisse zu ver­bessern erreich- und umsetz­bar. Und zwar mit den Bord­mitteln einer neu­justierten Design­praxis, die nun nicht nur end­lich die zentrale Entität ge­funden hat, für die es zu ent­wer­fen lohnt, sondern gleich­zeitig auch die ent­sprechen­den Tool­kits bereit­stellt, die ent­sprechende Ergeb­nisse fast schon garantieren.

Veröffentlicht am 02.06.2022

Ein weiteres Mal lohnt es sich an dieser Stelle mit Bauch­schmerzen auf den gestalter­ischen Optimis­mus und vor allem in das Ver­trauen auf die Werk­zeuge zu reagieren, dass diesen XYZ-Centered-Design ent­gegen­ge­bracht wird. Denn ganz gleich ob nun der Mensch, das Soziale oder Öko­logie im Zentrum von Design stehen, es mangelt zum einen an grund­legen­dem Ver­ständ­nis für die Relatio­nali­tät und Ver­netzt­heit der Welt, der Plurali­tät des Sozialen und der system­ischen Komplexi­tät Menschen und an Ein­sicht in die nicht instru­men­tell steuer­bare Eigen­logik von Pro­zessen und Struk­turen, die sich zwischen so hetero­genen Enti­täten, wie Sozi­alem, Artifi­ziellen, Natür­lichen und Men­schlichen einspielen.

Dies wird besonders deutlich im Fall von Mensch und Gesell­schaft, denn obgleich Design seit Beginn der Aus­differen­zierung als eigen­ständiges Praxis­feld munter mit Gesell­schaft und Mensch als Letzt­hori­zont gestalter­ischer Bemüh­ungen oper­iert, fällt die Bilanz des Erreich­ten in der ersten Hälfte des 21. Jahr­hundert eher kata­stro­phal aus. Ob im Fall von Über­konsum, der Ver­tiefung sozialer Differenz oder ganz banalen psychischen Belastungen, Design hat seine Finger im Spiel und täuscht sich selbst mit Floskeln wie Menschen-, Nutzer­*innen-, Soziali­täts- oder Planeten­zen­triert­heit über den Um­stand hinweg, dass Groß­teile der beruf­lichen Praxis von Ge­stalter­*innen damit be­schäftigt ist, eben nicht damit be­schäftigt ist Mensch­liches, Soziales oder Öko­logisches, sondern Schnitt­stellen zu gestalten, die Mensch­liches, Psychisches, Materi­elles und Soziales öko­nomischen Inter­essen anpasst. Auf diese Weise werden einer ästhetisch ange­triebenen Ökonomie die ent­sprechen­den Ins­zenierungs­werte, Surplus-Ver­sprechen und Erlebnis­vor­lagen ver­schafft, die in einer kata­lytischen Wirkung Bedürf­nisse steigern, Ange­bote, Situ­atio­nen und Räume emotio­nal ver­dichten, die unsere vulner­ablen kogni­tiven und psych­ischen Struk­turen zu nutzen wissen und so einen Ressourcen­ver­brauch be­feuern, der uns an die Grenze zum Über­leben führt. Denn dort, wo von wirk­lichen Bedürf­nissen, deren Über­lappung es mit Interessen von Wirt­schaft und Techno­logie 2 es zu suchen gilt, bleibt es unter­kom­plex. So lassen sich Bedürf­nisse nicht nur mit den Mitteln des Designs in nicht still­bare Begehr­nisse 3 trans­formieren und damit neue Knapp­heit er­zeugen, wie Gernot Böhme zeigt, viel mehr lässt sich so auch die sozial­psycho­logische Grund­lage für das Wachs­tums­­­dispositiv der Wirt­schaft aufrecht­erhalten.

Die Liste der Neben­wirk­ungen von mensch­licher Umwelt-, Gesell­schafts- und Ding­gestalt­ung ist also apo­kalyp­tisch umfang­reich, an dieser Stelle nicht voll­ständig und natür­lich sind auch nicht alle Positio­nen dieser Liste ur­sächlich allein dem modernem Design zuzu­schreiben, schließ­lich ist auch Design histor­isch ver­flochten mit bestim­mten Anlehnungs­kontexte und Realitäts­be­ding­ungen, die den gestalter­ischen Möglich­keits­hori­zont und die Erfolgs­wahr­schein­lich­keit von Ent­würfen bestimmen.

Was also tun? Mein Vor­schlag lautet an dieser Stelle, den Ab­schied von zu simplen Be­obach­tungs­instru­mente und Design­an­sätzen wagen und auf Komplexi­tät nicht mit Ver­ein­fachung, sondern mit Komplexi­täts­steiger­ung zu reagieren. Doch nun der Reihe nach:


Mensch

Der Fehler Nummer 1 liegt bereits in der anthro­po­zent­rischen Gesamt­aus­richtung von Design. Wenn man den Mensch zum Maß aller Dinge und Maß­nahmen macht, sollte zumin­dest der Kom­plexi­tät des Menschen Rech­nung tragen und diese Enti­tät nicht als Ein­heit, sondern als Kom­plex denken. Das, was wir gemein­hin als Mensch ver­stehen, ist ein system­isch reich­lich kom­plexer Zusammen­hang, struktur­ell stärker an externe soziale, artifi­zielle und öko­logische Systeme, interne bio­lo­gische, psychische und kogni­tive Systeme ge­koppelt und weniger autark von seinen Umwelt­be­zieh­ungen als gemein­hin ange­nom­men. Auch mit der Ratio­nali­tät des Menschen ist es nicht weit her, fallen wir doch regel­mäßig von kogni­tiven Ver­zerrun­gen herein, unter­liegt unsere sinn­liche Wahr­nehmung bestim­mten Gestalt­gesetzen und spielen uns die Endlos­horizonte unser Psycho­logie 4 immer wieder Schnipp­chen. Doch nicht nur im Hin­blick auf die internen Struk­turen ver­deckt der Begriff Mensch Kom­plexi­tät und Relatio­­nalität, auch die äußeren Ver­kopp­lungen werden über­lagert und dann un­reflektiert in Ent­­würfen stabilisiert.


Gesellschaft

Der Fehler Nummer 2 folgt dann schon fast zwangs­läufig aus Fehler Nummer 1 und be­trifft das zu­grunde gelegte Ver­ständnis des S­ozialen im Design. Denn, wo der Mensch als Einheit ver­standen wird, ist es ein Leichtes ihn zum Letzt­element von Gesell­schaft zu machen und das Soziale als Zusammen­schluss von auto­nomen Ein­heiten gleichen Typs zu ver­stehen. Dieser Kurz­schluss ist folgen­reich, denn so lässt sich dann aller­lei außer­halb des Sozialen ver­orten und in Opposition zum Gesell­schaft­lichen bringen, was eigent­lich in das Soziale hinein­gehört, zum Bei­spiel Wirtschaft und Politik.

Nicht ohne Grund sprach sich Niklas Luhmann 5 dafür aus, den Mensch mit dem Hin­weis auf systemische Kom­­plexität in der Umwelt des Sozialen zu ver­orten und fort an als Zu­rech­nungs­adresse von Kommuni­kation und struk­tur­ell gekoppelte Voraus­setzung des Sozialen zu behan­deln. Auch die hand­lungs­basiert Praxe­ologie und die auf onto­logische Diversi­tät abziel­ende Akteurs-Netz­werk­theorie halten den Menschen eher auf Abstand, in dem etwa die Relatio­nalität von Hand­lung, Situation und Materia­lität betont wird oder auf die hybride Ver­fasst­heit einer mit Arte­fakten bevölker­ten Welt hin­ge­wiesen, in der sich genuin Men­schliches nur schwer vom Ding­lichen trennen lässt. In beiden Fällen handelt es sich um Erkenntnis­ange­bote, die nun nicht mehr ganz so jungen Datums sind und die zumin­dest im über­wiegen­den Teil des Designs, und zwar jenem Teil, der jen­seits von Design­wissen­schaft und experimen­tellen Design­kulturen unseren All­tag gestal­tet, kaum Nieder­schlag er­fahren haben. Statt dessen dominieren markt­kon­forme Varian­ten und stark ver­kürzten Programm­atiken und Tool­kits, die zwar den internen und externen Unsicher­heiten von Entwurfs­prozessen Orien­tierung und Halt geben und als Un­sicher­heits­absorptions­mechanismen 6 eignen, sich aber genau aus diesem Grund als Symbol gebrauchen lassen, mit dem in einer Purpose Driven Economy die ent­sprechenden Inszenier­­­ungs­werte realisiert werden können.

Also auch dort wo das Soziale gestaltet werden soll, bekommt man es also mit Kom­plexi­tät und Intran­sparenz 7 zu tun, dies gilt ins­beson­dere für die moderne Gesell­schaft und dürfte auch für die Gesell­schafts­struktur, die einst das Erbe der Moderne an­treten wird. Hier trifft man nicht nur auf Kommunikations­systeme, Organisationen, Interaktion, Semantik und Handlung, sondern bekommt es auf all diesen Ebenen mit autonomen ab­laufenden Prozessen und Logiken zu tun, die weder nicht synchroni­sieren 8 noch instru­men­tell steuern lassen, aber sich gehörig gegen­seitig irri­tieren. Bei all dem muss zu dem mit Multi­per­spek­tivi­tät und äußerst different Lebens­lagen gerech­net werden, also dem Um­stand, dass sich nicht nur in den jeweil­igen gesell­schaftlichen Be­reichen unter­schiedliche Per­spek­tiven und Problem­beschreibungen heraus­bilden, sondern auch Personen höchst diese Kom­plexe und ihre Wirk­ungen höchst unter­schied­lich er­fahren. Das Motto hier lautet also: Ver­trackte Probleme 9 aller Orten und anders als es die gegen­wärtig beobacht­baren auto­kratischen Bemüh­ungen nahe­legen, lassen sich zwar ver­trackte Probleme 10 auf diese Weise durch­aus bear­beiten, aller­dings lassen sich Komplexi­tät, Multi­perspek­tivität und Plurali­tät meist nicht dauer­haft voll­ständig unter­drücken.


Umwelt

Der Fehler Nummer 3 zeigt sich dann in Design­an­sätzen, die sich dezi­diert der Frage von Nach­haltig­keit widmen. Auch hier wird die begriff­liche Verkürz­ung und mangelndes System­bewusst­sein zum Problem, denn Um­welt wird meist als externe Ange­legen­heit ver­standen und nicht etwas zu dem Mensch und Gesell­schaft immer schon in Bezieh­ung stehen. Damit eignet sich also auch die Um­welt eignet sich nicht als allein­iges. Zentrum einer Design­program­matik, zumin­dest nicht in der einfach Form eines XYZ-Design­an­satzes. Zwar scheint nichts drin­gender als die Logik umzu­kehren und nicht mehr die Natur an Mensch und das Soziales anzu­passen, sondern das Sozialen und den Menschen an das Natür­liche. Aller­dings und dies wieder­holt struktur­ell nur mein Argu­ment, mit dem ich bereits Mensch und Gesell­schaft aus dem Zent­rum hinaus­be­fördert habe, ist auch die Umwelt eine system­isch höchst-kom­plexe und system­isch viel­fältige Ange­legen­heit und zu dem noch eine recht fluide Angelegen­heit, die sowohl auf ihre Be­schrei­bung wie auf ihre Gestalt­ung mit un­vorher­seh­baren Kollis­ions­effekten reagiert.

Wenn im Sinn von Umwelt, Mensch und Gesell­schaft ent­worfen wird, sollte dies in einer Art geschehen, die der system­ischen Kom­plexität von Mensch, Gesell­schaft und Um­welt gerecht wird und dies mündet in dann in einer relatio­nalen Design­praxis, die sich ihrer Selek­tivi­tät bewusst ist. Die gute Nach­richt ist: Diese Relatio­nali­tät und Selek­tivi­tät ist in Design­pro­zessen grund­sätz­lich ange­legt.


Relationalität

Um diese Über­legung zu verdeut­lichen, lohnt es den Blick darauf zu lenken, was Design eigent­lich tut. Wie immer beginnt dabei alles recht einfach, denn am Anfang aller Design­be­mühung, steht eine recht ein­fache Operation. Ein Zustand wird kontin­gent gesetzt, also als etwas beobachtet, dass so ist wie es ist auch anders mög­lich wäre. Grund­sätz­lich findet dieser Um­gang mit Kontin­genz in jedem gestalten­den Akt und nicht allein­iges Merk­mal eines enger gefassten Design. Wenn alles was ist auch anders mög­lich wäre, dann schließt daran die Frage an, wie mit diesem nun offenen Möglich­keits­hori­zont umge­gangen werden soll. Es geht also darum einen Soll-Zustand zu defi­nieren, der in irgendeiner Art eine Verbesserung darstellt. Und an dieser Stelle kommt die Situiertheit, die Pers­pek­tive und die Motive der Beobach­ten­den ins Spiel und hier beginnen die Schwächen von auf Einzel­aspekte zentrierten Ansätze ihre Wirkung zu ent­falten. Zwar gelingt es mit den Tool­kits neuerer Ansätze die größten Probleme – die Einzel­per­sonen Design­pers­pek­tive, Diversi­tät von Interessens­lagen und ökologische Fragen – im Zaum zu halten, indem Betroffene von Design, ihre Lebens­lagen und Perspek­tiven oder das Thema Nach­haltig­keit stärker im Design­prozess berück­sichtigt oder beteiligt werden. Wenn aller­dings jedoch jeweils nur das Eine oder das Andere sprach­lich und methodisch im Zentrum steht, wird die Chance zu einem holist­ischen Design­app­roach ver­schenkt.

Was also tun, wenn weder Mensch noch Gesell­schaft noch Um­welt dazu taugen allein im Zent­rum des Design zu stehen, es eben­falls wenig erfolgs­ver­sprechend scheint, die anthro­pozent­rische Aus­richtung von Design kurzer Hand in eine Öko­zent­rische umzu­wandeln. Viel­leicht ist es dies eine gute Gelegen­heit Relatio­nali­tät ins Zent­rum zu stellen und Mensch, Gesell­schaft und Um­welt zwar als simpli­fizieren­de Such­para­meter für Konjunk­tion- und Differenz­ketten in Ent­würfen zu behan­deln, die jedoch den Vor­teil hat deut­licher auf die kom­plexe Hori­zonte hin­weisen, in den denen Design immer schon operiert wenn es die Schnitt­stellen zwischen artifi­ziellen, sozialen, kogni­tiven, psychischen, leib­lichen und natür­lichen Systemen 11 gestaltet und dabei relatio­nale Gefüge errichtet, deren Wirkung nie voll­ständig kontroll­iert werden können, aber immer­hin unbe­stimmte Un­bestimmt­heit in bestimmte Un­bestimmt­heit über­führen. Man könnte dieses Design dann Human-Social-Eco-Centered Design nennen oder der Kürze halber: Relationales Design.

Quellenverzeichnis

1   Mutabor (2021); Next Level Report 2021, Hamburg.
2   Brown, Tim (2009); Change by Design. Wie Design Thinking Organisationen verändert und zu mehr Innovationen führt, Verlag Franz Vahlen, München.
3   Böhme, Gernot (2016); Ästhetischer Kapitalismus, Suhrkamp Verlag, Berlin.
4   Baecker, Dirk (2018); 4.0 oder Die Lücke die der Rechner lässt, Merve Verlag, Leipzig.
5   Luhmann, Niklas (1984); Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Suhrkamp, Frankfurt am Main. S. 66.
6   Baecker, Dirk (2015); Designvertrauen: Unsicherheitsabsorption in der nächsten Gesellschaft, In: Merkur Zeitschrift, Vol. 69, Nr. 799.
7   Nassehi, Armin (2021); Unbehagen. Theorie der überforderten Gesellschaft, Verlag C.H.Beck, München. S. 44
8   Nassehi (2021); S. 85
9   Rittel, Horst & Webber, Melvin M. (1973); Dilemmas in einer allgemeinen Theorie der Planung, In: Reuter, Wolf D. & Jonas, Wolfgang; Thinking Design. Birkhäuser Verlag, Basel. S.S. 20–38
10   Roberts, Nancy (2000); Wicked Problems and Network Approaches to Resolution, In: International Public Management Review, Vol.1, Issue 1.
11   Groll, Sandra (2021); Zwischen Kontingenz und Notwedigkeit: Zur Rolle des Designs in der Gesellschaft der Gegenwart

Dr. Sandra Groll

Dr. Sandra Groll ist Designwissenschaftlerin, Systemtheoretikerin und Designerin. Seit 2017 ist sie Mitglied im Herausgeberrats „Board of International Research in Design“ des Birkhäuser Verlags. Sie forscht zum Verhältnis von Design und Gesellschaft und promovierte 2020 an der HfG Offenbach. Von 2016 bis 2018 war sie Vertretungsprofessorin für Systemdesign an der Kunsthochschule Kassel. Sie lehrte und lehrt an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland und ist seit 2020 als freie Beraterin in der Kreativwirtschaft tätig.