DESIGN DISKURS
Bo Kreter und Kurt Neudorf haben zusammen die Agentur B O K U gegründet, mit der sie die Werte wie Diversität, Inklusion und Nachhaltigkeit in ihrer Arbeit ganz klar voranstellen. Prof. Dr. Felix Kosok sprach mit ihnen über praktizierten Idealismus, diverse Vorbilder und weshalb sie gerne Pelmeni essen.
Felix Kosok: Bevor wir uns dem Thema von Werten und Verantwortung im Design widmen, möchte ich erst ein bisschen was über B O K U erfahren. Wie seid ihr als Partner zusammengekommen? Wie funktioniert eure Zusammenarbeit?
Kurt Neudorf: Unsere Geschichte beginnt vor etwa zweieinhalb Jahren. Zu der Zeit arbeiteten wir beide noch in einer größeren Agentur und haben uns dort kennengelernt. Ich in der Kreation und Bo in der Beratung. Ich war bereits ein Jahr in der Agentur, kannte die ganzen internen Prozesse schon, als Bo dazukam. Wir wurden dann relativ schnell auf einen Kunden gesetzt, bei dem wir alles ein bisschen anders gemacht haben, weil Bo die Prozesse mitbrachte, die er sich zuvor angeeignet hatte. Diese Zusammenarbeit empfand ich als sehr viel interessanter als das, was ich zuvor kennengelernt hatte. Gerade, weil alles stärker mit Werten aufgeladen war. Wir haben uns dann auch privat getroffen und unsere gemeinsame Liebe zu Pelmeni entdeckt. Aber das nur so nebenbei. Man muss dazu sagen, dass das genau während der Kontaktbeschränkungen im Zuge der COVID-19-Pandemie war. Vielleicht kam es auch daher, dass sich bei uns beiden immer mehr Frust entwickelte, dass das, was wir da machten, nicht richtig wertgeschätzt wurde.
Bo Kreter: Von daher dachten wir, dass es an der Zeit wäre, das Ganze einfach zu zweit auszuprobieren. Ich hab’ da nicht viel zu ergänzen. Ich war nach sieben Jahren Erfahrung in Agenturen zurück in die Heimat nach Hannover gezogen. Etwas naiv hatte ich erwartet, dass es dort vielleicht noch anders sein könnte. War’s dann leider nicht. Ich habe wirklich überall diese veralteten Muster angetroffen, die immer nur nach dem Gewinn fragten. Es wurde aus einer Dienstleister*innen-Mentalität heraus agiert und gestaltet. Das hat uns beide frustriert. Und in Verbindung zu dem ein oder anderen Vodka Shot, den es zu den Pelmeni gab, haben wir den Entschluss gefasst, dass wir etwas Eigenes machen müssen, bei dem wir uns von dieser Mentalität freimachen. Entweder das klappt oder auch nicht, aber wir hätten es wenigstens probiert.
Felix Kosok Die Pelmeni scheinen magisch zu sein. Habt ihr da ein Spezialrezept für?
Bo Kreter: Als ich neu in der Agentur war, wollte ich herausfinden, mit wem ich mich wohl gut verstehen würde. Meine Standardfrage zum Einstieg ist hierbei immer: Was isst du gerne? Und Kurts Antwort „Japanisch und Pelmeni“ hat dann gleich geklickt. In Hannover gibt es ein Restaurant, das Pelmeni selbst macht. In meiner Überheblichkeit habe ich dann behauptet, dass meine besser schmecken – wobei ich am Ende Recht behalten sollte.
Kurt Neudorf: In den drei Stunden, in denen wir kleine Teigtaschen nach Bos Rezept zusammengeknetet haben, hatten wir dann auch über die unterschiedlichsten Sachen gesprochen. So kam sehr schnell eine Verbindung zustande.
Felix Kosok: Neben der gemeinsamen Vorliebe für gefüllte Teigtaschen würde mich noch interessieren, was ihr denn dieser Dienstleister*innen-Mentalität entgegensetzt. Wie würdet ihr eure geschäftlichen Beziehungen jetzt beschreiben?
Bo Kreter: Als eine Partnerschaft, in der man sich auf Augenhöhe begegnet. Immerhin verfolgt man ja zusammen ein gemeinsames Ziel. Deswegen nehmen wir uns als Agentur auch heraus, darauf hinzuweisen, wenn etwas in unseren Augen nicht optimal läuft oder besser und anders gemacht werden könnte. Denn in einer Partnerschaft bekommt man von uns ja nicht nur unser handwerkliches Können, sondern auch unsere Perspektive und unser Wissen dazu.
Kurt Neudorf: Co-Kreation ist hier das Stichwort, nicht nur gemeinsam mit den Kund*innen, sondern auch zwischen Kreation und Beratung. In einer Partnerschaft würde es nicht passieren, dass Bo als Berater Kund*innen beispielsweise fünf Postings verspricht, ohne mit mir darüber zu sprechen, ob das überhaupt sinnvoll ist. So hatte ich das leider in Agenturen bisher kennengelernt. Wir beide setzen uns jetzt aber mit den Projektpartner*innen zusammen hin und überlegen, was gemacht werden kann. Wollen wir diese Woche überhaupt was posten? Wie wollen wir das angehen? So entsteht ein viel wertvollerer Prozess, der beiden Seiten mehr bringt. „Wertschaffende Person“ ist eine Bezeichnung, die wir zuletzt lieber verwendet haben, als „Dienstleister*in“. Jemand, der oder die einen Mehrwert schafft, das trifft es für uns besser.
Bo Kreter: Hinzu kommt, dass wir als Duo auch sehr idealistisch sind. Wir sind nicht unbedingt von Zahlen getrieben. Klar muss man sich als Agentur finanzieren können. Aber wir haben schon das Selbstverständnis, dass wir nicht jedes Projekt annehmen, nur um am Ende des Monats einen bestimmten Kontostand zu erreichen. Das gibt uns die Freiheit, uns als wertschaffende Personen und nicht als dienstleistende Personen zu verstehen.
Felix Kosok: Jetzt seid ihr von selbst schon auf das Thema der Werte gekommen, um die sich unser Gespräch ja drehen soll. Euch zeichnet nicht nur eure gestalterische Arbeit aus, sondern dass ihr eurer Gestaltung auch ganz klar die Werte Diversität, Inklusion und Nachhaltigkeit voranstellt. Designer*innen sprechen zwar immer viel über Weltverbesserung, in klassischen Agenturen traf man aber bisher weniger auf wertebasiertes Handeln. Wie kam es dazu, dass ihr das so klar für euch definiert habt?
Kurt Neudorf: Die Arbeit in der Agentur hat uns beide stark geprägt – im negativen Sinn. Das hat in uns beiden das Bedürfnis geweckt, aus diesem Kreis, aus dem Hamsterrad, auszubrechen. Das Wort „Idealismus“ wird im Design immer so abwertend verwendet. Dabei finde ich, dass man genau mit diesem Idealismus viel stärker noch nach außen treten könnte. Denn aus diesem Idealismus lässt sich ein Mehrwert schaffen, wenn die Grundvoraussetzungen stimmen.
Bo Kreter: In meiner Agenturlaufbahn habe ich einfach viel zu häufig gesehen, dass es keine Haltung, keine Werte und keine eigene Position gibt. Es wird das gemacht, was Kund*innen wollen – selbst wenn es rassistisch, sexistisch, queer- oder transfeindlich ist. Wenn man selbst Teil einer marginalisierten Gruppe ist, kann man das irgendwann nicht mehr mitmachen. Wenn wir schon werbewirksame Bilder gestalten, die die Öffentlichkeit beeinflussen, dann haben wir auch eine Verantwortung für diese Bilder. Für mich war einfach der Punkt erreicht, an dem ich dachte: Ich kann das besser! Vor allem, wenn man sieht, wie große Marken für angeblich besonders diverse Kampagnen gefeiert werden. Puh! Wenn da noch so viel Luft nach oben ist, dann sind wir ja gerade erst am Anfang. Da kam noch das taktische Kalkül hinzu. Mit meiner spezifischen Expertise in Diversität können wir gerade hier natürlich sehr gut beraten. Und Kurt bringt sein Wissen aus dem Design mit, wenn es um Inklusion geht.
Felix Kosok: Seitdem ihr aus der Agenturwelt ausgestiegen seid, könnte sich ja einiges getan haben. Große Marken kommen gerade bei einem jüngeren Zielpublikum nicht mehr an, wenn ihre Produkte und ihre Werbung nicht wertebasiert sind. Was glaubt ihr: Setzt sich euer Modell langsam durch?
Bo Kreter: Je kleiner eine Agentur ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie das auch schon verinnerlicht haben. Je größer die Organisation ist, desto schwieriger wird es, neue Prozesse zu etablieren. Das ist meiner Meinung nach eine wirkliche Gefahr. Wir waren zuletzt auch in Kontakt mit den Big Playern in der Werbung, auf Events und ähnlichem. Und ich habe das Gefühl, es sind die „einfachen“ Mitarbeiter*innen, die sich im Bezug zu Werten stärker positionieren und Sachen vorantreiben wollen. Ob das dann auch in der Chef*innen-Etage ankommt, hängt von der Agentur und den Entscheidungsträger*innen ab. Die Angst davor, Kund*innen zu verlieren, oder durch den vermeintlichen Mehraufwand Gewinn einzubüßen, ist auf dieser Ebene leider häufig der negativ ausschlaggebende Faktor. Da trifft die Moral auf den Kontostand. Wie man das ganze gewinnbringend und wertschaffend umsetzen könnte, wird gar nicht erst gesehen.
Felix Kosok: Denn tatsächlich schreibt ihr wiederum euch diese Werte nicht einfach nur auf die Fahne, sondern ihr verpflichtet eure Projektpartner*innen dazu, dabei mitzuhelfen, diese immateriellen Werte in materiellen Wert umzusetzen. Bei euch wird Ethik und Ökonomie nicht getrennt gedacht. Alle eure Projektpartner*innen zahlen eine Sozialsteuer von 3 Prozent zusätzlich zu eurem Agenturpreis, die für gemeinnützige Projekte gespendet wird, die sich für Diversität und Vielfalt in der Gesellschaft einsetzen. Wie reagieren neue Projektpartner*innen, wenn sie von der Pauschale erfahren?
Kurt Neudorf: Diejenigen, die als Erstes davon erfahren, sind ja nicht zwangsläufig auch die, deren Geld dann ausgegeben wird. Viele sind überrascht und müssen mit der Buchhaltung überhaupt erst klären, wie sich das ganze abrechnen ließe. In klassischen Betrieben gibt es häufig gar keine Möglichkeit, so eine Sozialsteuer verrechenbar zu machen. Das ist für viele umständlich. Was aber viel wichtiger ist als die buchhalterische Überraschung, ist der erste Eindruck des Konzepts. Und der ist durchweg positiv. Alle halten das für eine sehr gute Idee. Und als kleine Ergänzung: Wir selbst spenden dann ja auch 3 Prozent von unserem Gehalt, so dass es am Ende knapp 6 Prozent sein dürften.
Bo Kreter: Wie Kurt schon angerissen hat, haben wir das Glück – oder das Pech, je nachdem, wie man das sieht – meistens mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, die selbst kein Gewinn erzielen dürfen. Die hantieren mit bestimmten Budgets, die am Ende des Jahres ausgegeben sein müssen. Und solche Nicht-Leistungen wie eine Sozialsteuer sind gegenüber dem Controlling meistens schwer zu erklären. Nichtsdestotrotz hatten wir bisher niemanden, der oder die diese Sozialsteuer vehement abgelehnt hätte. Klar gibt es Rückfragen dazu, wo genau das Geld dann landen wird. Aber genau diese Fragen wollen wir ja provozieren, weil man dann in ein Gespräch kommt. Dann können wir uns darüber austauschen, warum diese Projekte wichtig sind. Vielen ist es ehrlicherweise aber auch egal. Trotzdem freuen wir uns darüber, wenn wir gemeinsam mit unseren Projektpartner*innen etwas zurückgeben können.
Kurt Neudorf: Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass so eine Sozialsteuer in Zukunft sogar ein Vorteil in einer Verhandlung sein könnte. Wenn gleichzeitig ein Mehrwert für einen guten Zweck geschaffen wird, kann das ein entscheidender Faktor für die Vergabe von Budgets sein. Je mehr Agenturen damit vorangehen, desto mehr wird sich das Ganze durchsetzen.
Felix Kosok: Ja, ich persönlich fände das auch sehr gut, wenn sich diese Idee des wertebasierten Handelns im Design weiterverbreitet. Wie seid ihr selbst eigentlich auf die Idee gekommen?
Bo Kreter: Das ist gar nicht unsere eigene Idee. Die Berliner Werbeagentur DOJO, die allgemein ja für progressive und edgy Kampagnen bekannt ist, machte das auch schon. Auch wenn sie sonst manchmal die ein oder andere Grenze überschritten haben, haben sie das auf jeden Fall sehr richtig gemacht. Um wirklich etwas zurückzugeben, schmeißt man dann halt keine geilen Agenturpartys, sondern spendet an gute Zwecke. Diesen Impuls, den sie da gesetzt haben, fanden wir einfach super schlau und ich hab‘ nie verstanden, warum das andere nicht auch machen.
Kurt Neudorf: Blöd, dass es die Mehrwertsteuer schon gibt. Das wäre ja eigentlich ein super Wort dafür.
Felix Kosok: Die Zusammenarbeit mit euch inklusive der Sozialsteuer ist ja quasi auch so etwas wie ein Erziehungsprogramm für eure Projektpartner*innen, dass sie für die Themen sensibilisiert. Gab es dennoch Kund*innen, deren Auftrag ihr abgelehnt habt, weil ihr einfach keine Chance für eine wertebasierte Zusammenarbeit gesehen habt?
Bo Kreter: Ich erinnere mich konkret an zwei Fälle, bei denen wir die Möglichkeit hatten, unseren „Mann“ zu stehen. Oder sagen wir lieber: unseren Mensch zu stehen. In einem Fall ging es am Ende wirklich nur noch um Zahlen, an denen auch unsere Arbeit gemessen werden sollte. Die Person wollte glaube ich einfach wahnsinnig schnell unglaublich viel Geld verdienen. Sie war zwar selbst Teil einer marginalisierten Gruppe. Diversität war für sie aber nur ein Verkaufsargument unter anderen. Hauptsache schnell und viel. Soweit ich mich erinnere, war das auch die einzige Person, die von der Sozialsteuer nicht besonders angetan war. Wir haben lange überlegt, ob wir in dem Fall ein Angebot abgeben sollen. Es hat uns aber innerlich so widerstrebt, dass wir es dann einfach gelassen haben.
Kurt Neudorf: In einem anderen Fall hat es auch schon auf der persönlichen Ebene nicht wirklich gut funktioniert. Das war eine Person, die diese „hustle culture“ sehr verinnerlicht hatte, also diesen Gedanken der permanenten Performance und Leistung. So fangen wir aber keine Geschäftsbeziehung an. Schon gar nicht, wenn das im Erstgespräch schon so deutlich wird. Das Produkt war auch nicht wirklich spannend für uns. Für eine wertbasierte Gestaltung muss es auch auf der persönlichen Ebene laufen.
Bo Kreter: Und dann gab es tatsächlich doch noch einen Fall, bei dem wir die laufende Zusammenarbeit einfach haben auslaufen lassen. Da flogen auch gerne mal ein paar homophobe Floskeln durch den Raum oder Rassismus und rassistische Äußerungen wurden belächelt. Mitten im Projekt wollten wir die Zusammenarbeit nicht beenden. Aber als es um die Verlängerung ging, war für uns beide klar, dass es in dieser Konstellation nicht weitergeht. Die Bezahlung war bei diesem Projekt tatsächlich gut. Aber aufgrund der fehlenden gemeinsamen Werte war es nichts, womit wir unsere Lebenszeit weiter verbringen wollten.
Kurt Neudorf: Hat tatsächlich auch nicht weh getan, als wir uns von dem Projekt getrennt haben.
Felix Kosok: Ihr stellt die Dienstleistungsmentalität in dem Sinn ja auch völlig auf den Kopf, dass eure Projektpartner*innen nicht nur tolle Gestaltung von euch geliefert bekommen, sondern ihr gebt ihnen zugleich auch noch die Möglichkeit, sich wertebasiert weiterzubilden und weiterzuentwickeln. Design eröffnet ja immer die Möglichkeit, dass sich Dinge verändern und anders gemacht werden können. Gäbe es aber auch Projekte oder Kund*innen, bei denen ihr überhaupt keine Chance für diese Veränderung seht? Die ihr also selbst aus diesem erzieherischen Anspruch heraus ablehnen müsstet?
Bo Kreter: Als wir uns zusammengesetzt haben, um unseren Businessplan zu schreiben, war das tatsächlich auch eine Art von Selbstfindungsphase. Hierbei haben wir auch darüber gesprochen, dass für uns klar sein muss, dass wir für bestimmte Kund*innen niemals arbeiten würden, egal wie groß das Budget ist. Nestlé oder die AfD wären Beispiele. Wir selbst können ja nur für die Werte von Diversität, Inklusion und Nachhaltigkeit einstehen, wenn sich das auch in unseren Projektpartner*innen widerspiegelt. Selbst wenn man überlegen würde, wie man durch so ein Werte-Erziehungsprogramm die AfD schön bunt bekommen würde; wie fällt das auf uns zurück, wenn man BOKU mit der AfD assoziiert? Bei der Partei wäre “schön bunt” sicherlich nur oberflächlich. Wir verstehen unsere geschäftlichen Partnerschaften als Beziehungen, die länger angelegt sind. Von daher müssen wir für uns abklären, welche Partner*innen wirklich zu uns passen und mit welchen wir uns auch wohl fühlen. Selbst wenn es das diverseste, inklusivste, nachhaltigste Plakat der AfD wäre, würden wir mit dem Design nicht in Verbindung gebracht werden wollen. Oder die Modemarke Balenciaga, die ja gerade auch einen Shitstorm abbekommen hat. Die war zwar eine Zeit lang sehr hip, aber wirklich wertebasiert war das nie. Das würde dann auch nicht zu uns passen. Ich will hier auch gar nicht pauschalisieren. Es gibt bestimmt auch Marken, die in der Vergangenheit einfach schlecht beraten wurden. Oder denen es bisher egal war, die aber jetzt ihre Kultur verändern wollen. Man muss nicht alle verteufeln, die bisher nichts gemacht haben. Klar sind die Themen Inklusion, Diversität und Nachhaltigkeit gerade super relevant. Aber wie bereits erwähnt, verändern sich große Institutionen nur sehr langsam. Berechtigterweise wird die erste diverse Kampagne dann meistens etwas beäugt. Das sieht dann oft nach Pink-, Green-, oder Brownwashing aus. Aber das Ganze ist ein Prozess.
Kurt Neudorf: Ich würde das nochmal unterstreichen. Wir pauschalisieren sehr ungerne. Eigentlich hören wir allen erstmal zu. Das hat – leider – Grenzen. Auch im Industriedesign gibt es Grenzen, von dem, was sich durch Design verändern lässt. Wenn man Waffen designt, dann kann das beim besten Willen keine gute Sache sein. Aber irgendwer macht es ja trotzdem. Uns ist der offene Dialog sehr wichtig. Aber wenn, wie Bo schon erwähnt hat, wir merken, dass offensichtlich Pinkwashing betrieben werden soll, dann sind wir da sehr empfindlich.
Felix Kosok: Die Waffe ist ein gutes Beispiel. Selbst mit dem größten Idealismus und einer unendlichen Offenheit dafür, alles zu verändern, kreuzen sich hier das praktische Gute mit dem ethischen Guten. Eine Waffe funktioniert dann praktisch gut, wenn sie verletzt oder tötet. Und dementsprechend kann sie in einem ethischen Sinn nie gut sein. Das ist ein Fakt in der Funktion, den man auch durch das beste und innovativste Design nicht verändern wird. Genauso ist die AfD eine Partei, die nicht auf dem Boden unserer demokratischen Verfassung operiert, weswegen sie vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Auch das ist ein Fakt, der sich nicht durch gutes Design verändern lässt.
Bo Kreter: Sobald man auf der Basis von Werten handelt, lassen sich bestimmte böse Dinge einfach nicht mehr gut gestalten.
Felix Kosok: Das Thema Diversität im Design ist für euch besonders wichtig. Jedenfalls findet man auf eurer Seite einen Glossar mit wichtigen Begriffen aus dem Spektrum von einer Vielfalt von Geschlechtsidentitäten und Lebensentwürfen, aber auch von Marginalisierung. Man kann sich also schon vor dem ersten Treffen direkt mit euch weiterbilden. In deutschen Designhochschulen und in der Designlandschaft generell fehlt es aber noch an Diversität. Was können wir Designer*innen tun, um Diversität zu fördern?
Kurt Neudorf: Da gibt es wahrscheinlich tausend unterschiedliche Punkte, an denen man ansetzen könnte. Aber vorweg: Schade, dass du das so negativ wahrnimmst. An meiner Hochschule damals war gelebte Diversität tatsächlich ein großes Thema und ich habe das ganz anders in Erinnerung. Das war wirklich schön. Aber ich gebe dir Recht, die allgemeine Auseinandersetzung mit dem Thema hinkt etwas hinterher. Sowohl das Design als auch die Kunst erhöhen durch ihre elitäre Außenwirkung sehr schnell die Hemmschwelle für bestimmte Menschen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, weil sie sich gar nicht angesprochen fühlen. Wir müssten Design und Design Thinking definitiv schon viel früher an Schulen vermitteln, um diese Hemmschwellen, die ja Exklusionsmechanismen sind, abzubauen. Design ist ein wichtiges Werkzeug bei der Transformation unserer Gesellschaft – und man kann damit auch noch Geld verdienen! Das ist eine nicht ganz unwesentliche Botschaft. Ganz allgemein würde es darüber hinaus auch helfen, wenn an Hochschulen diversen und marginalisierten Gruppen das offene Ausleben der eigenen Identität nicht nur ermöglicht wird, sondern sie auch dazu ermutigt werden. Dafür müssen wir Diversität zelebrieren.
Bo Kreter: Ich würde zur Hochschulperspektive noch die gesellschaftliche Sicht ergänzen. Und hier hinkt es in der Produktion und Umsetzung von Design noch mit der Diversität, weil immer noch hinterfragt wird, ob sich das verkaufen lässt. Müssen wir nicht möglichst den Durchschnitt ansprechen und kommerziell sein? Das fängt schon so früh an, wenn das Shampoo für Jungs blau mit Piraten und das für Mädchen rosa mit Prinzessin ist. Warum trauen wir uns hier nicht mehr? Ich finde, Teil einer Schulausbildung müsste sein, dass man auch die eigenen Sehgewohnheiten und Klischees hinterfragt. Warum trägt die gemalte Prinzessin ein pinkes Kleid und hat blonde Haare? Warum hat der Ritter immer helle Haut und blaue Augen? Solche Muster verschwinden nicht einfach von selbst. Man muss sie aktiv durchbrechen, indem man sich selbst herausfordert. Manchmal müssen wir im Leben einfach dazu aufgefordert werden, etwas bewusst anders zu machen, als wir es bisher getan haben. Wir müssten schon viel früher lernen, dass nicht nur die Sachen gut sind, durch die man ganz viel Geld verdient, sondern dass Veränderung und Bewegung an sich auch einen Wert haben.
Kurt Neudorf: Diverse Vorbilder wären auch schön.
Bo Kreter: Und eben auch das Bewusstsein dafür, dass auch nicht betroffene Personen sich mit Marginalisierung und Diskriminierung auseinandersetzen dürfen – und müssen. Auch die große Mehrheit sollte keine Angst davor haben, sich für diese Themen stark zu machen, solange sie mit Expert*innen zusammen agiert. Es gibt aktuell eine völlig ungesunde Fehlerkultur. Alle haben davor Angst, etwas falsch zu machen. Wir brauchen aber den Freiraum von Fehlern, um gemeinsam agieren zu können.
Felix Kosok: Neben den von euch bereits genannten Werten, gibt es welche, von denen ihr glaubt, dass sie in Zukunft besonders wichtig sein werden?
Bo Kreter: Empathie ist für mich der wichtigste Wert. Wir müssen uns in unser Gegenüber hineinversetzen können, um an gemeinsamen Problemen ansetzen zu können. Ohne Empathie sind wertebasierte Gestaltung und wertschätzende Kommunikation einfach ganz schwer. Vielleicht auch dieser etwas altmodische, christliche Wert der Nächstenliebe; wenn der endlich mal wirklich verstanden würde. Dann würde sich schon einiges verbessern.
Kurt Neudorf: Ich kann ja nicht in die Zukunft schauen. Ich kann mir nur von meinem eigenen ideologischen Standpunkt aus wünschen, dass Werte wie Solidarität und Gemeinwohl in Zukunft wieder eine größere Rolle spielen werden. Leider bin ich da eher dystopisch eingestellt, was die Überwindung des Egos und die Entwicklung von Persönlichkeitsstrukturen angeht. Ich hoffe trotzdem, dass das ganze einen anderen Kurs nehmen wird, um hier die Piraten-Sprache aufzugreifen.