DESIGN DISKURS
Im Deutschen Design Club widmen wir uns der Frage nach sinnstiftender Gestaltung in vielerlei Formaten. Besonders sichtbar wird dies beim DDC AWARD, den wir als konstant interaktives Projekt verstehen, bei dem die Frage WAS IST GUTe Gestaltung im Zentrum steht und iterativ und experimentell ergründet wird.
Vor dieser Aufgabenstellung haben wir im DDC unterschiedlichste Nachhaltigkeitsframeworks und Bewertungsmodelle vertieft betrachtet und geprüft, inwiefern sie Anhaltspunkte für die Bewertung von Einreichungen liefern können. Ein Ansatz stach dabei hervor, durch seine systemische Tiefe, seine ganzheitliche Perspektive und seine überraschende Zugänglichkeit für Designkontexte: die Permakultur.
Design wirkt immer systematisch!
Design kann zwei Dinge: Durch iterative, explorierende Prozesse Lösungen für Probleme finden. Diese Überwindung des Status Quo nennen wir meist Innovation. Dabei zeigt sich die zweite Fähigkeit des Designs: Es schafft Sinn. Menschen und Artefakte werden in neuen, sinnvolleren Beziehungen verbunden. Es entstehen Synergien und Symbiosen, neue Produkte oder Orte, die Prozesse und Beziehungen ermöglichen.
Wir Gestalter*innen suchen Kontextpassung: 1 die richtige Intervention für den richtigen Kontext. Dieses systemische Verständnis von Design ist nicht neu. Bei der sozialen Innovation werden menschliche und nicht-menschliche Akteure als Ökosysteme verstanden, um dann gezielt Einfluss auf ihre Beziehungen zu nehmen. Auch weniger systematisch, eher prozess- oder produktorientiert Denkende verändern durch ihre Praxis Systeme: zum Beispiel, wenn in Workshops mit Kund*innen die kollektiven Ziele und Sinnzusammenhänge neu ausgehandelt werden oder wenn ein Sitzmöbel systemische Auswirkungen erzeugt, weil es Zusammenkunft, Austausch und Verweilen erleichtert.
„Wir brauchen systematisches Bewusstsein in unserer Gestaltung, um den realen Auswirkungen näher zu kommen und um Probleme nachhaltig zu lösen.“
Die zentrale Herausforderung dabei: Wie entwickeln wir in einer vernetzten Welt komplexer Systeme Innovationen, die gleichzeitig ökologisch verträglich, sozial gerecht, ökonomisch tragfähig und technisch umsetzbar sind?
Sinn stiften und Probleme lösen in der Realität
Betrachten wir die Realität als das Netz der unendlich vielen Beziehungen, so sind wir mit höchst komplexen Zusammenhängen konfrontiert, die wir nicht in ihrer Gänze und Detailtiefe durchdringen und verstehen können. Dies limitiert unsere Möglichkeit, die systemischen Auswirkungen des Designs vollständig zu erfassen und somit Sinn zu stiften und Probleme zu lösen.
Zudem sind offene Systeme oft eher volatil und wandeln sich. Ständig entstehen neue oder veränderte Beziehungen und Reibungspunkte. Zu den ursprünglich zu lösenden Problemen kommen solche hinzu, die erst während des Gestaltungsprozesses auftreten und das Gesamtsystem dadurch in permanente Rekonfiguration versetzen.
Gestalter*innen begegnen dieser Komplexität auf unterschiedliche Weise: Sie zerlegen große Aufgaben in handhabbare Teilschritte und arbeiten iterativ – durch wiederholtes Ausprobieren, Lernen und Anpassen entwickeln sich hochwertige Lösungen. Heuristische Ansätze erlauben pragmatisches Vorgehen auf Basis von Erfahrungswissen, ohne den Anspruch theoretischer Perfektion. Durch Abstraktion und Generalisierung entstehen kreative Analogien: Bewährte Muster werden auf neue Kontexte übertragen und inspirieren innovative Lösungsansätze. Designresearch erschließt den Problemkontext, kollaborative Prozesse bündeln Expertenwissen. Pragmatisch bleibt auch der Rückgriff auf bereits etablierte und bewährte Lösungen, Verfahren oder Produkte.
Als eine systembezogene Variante der iterativen Vorgehensweise hat der Begriff des Transition Design Einzug gehalten und vereint unter sich eine Vielzahl der oben angedeuteten Strategien zur Bewältigung komplexer Probleme. Im Kern beschreibt Transition Design einen prozesshaften Gestaltungsansatz, bei dem durch Kontinuität tiefgreifende Verbesserung erreicht werden soll.
„Diese systematische Vorgehensweise schützt aber nicht davor, dass es im Prozess selbst zu Fehlern und Fehlentwicklungen kommen kann.“

Songdo, eine Smart City in Südkorea, wurde beispielsweise mit dem Ziel geplant und entwickelt, eine nachhaltige, technologisch vernetzte Stadt zu schaffen, die Ressourcen effizient nutzt. Trotz kontinuierlicher, datenbasierter Anpassungen blieben soziale Bedürfnisse dabei unberücksichtigt, was zu geringer Bewohnerzufriedenheit und stagnierender Bevölkerung führte. Zudem wurden die ökologischen Ziele nur teilweise erreicht. Die hohen Kosten und der langsame Zuzug machten Songdo wirtschaftlich betrachtet zu einem Fehlschlag. 2
Selbst datenbasiert lernende Gestaltungsprozesse können scheitern – wenn ihre Grundannahmen unvollständig oder falsch sind. Wie lässt sich dieser fundamentalen Schwachstelle nachkommen?
Werkzeuge der Sinnstiftung im Design
Um die Realitätsnähe ihrer systemischen Annahmen zu verbessern, entwickeln Designer methodische Hilfsmittel wie das Triple Layered Business Model Canvas, das soziale und ökologische Nachhaltigkeit bereits in der Geschäftsmodellentwicklung mitdenkt. Forecasting dient als entwurfsbasierte Methodologie, um potenzielle Zukünfte zu simulieren und zu prüfen, ob die Annahmen eines Konzepts langfristig tragfähig sind. Auch System Mapping hilft, die Komponenten eines Systems visuell miteinander zu verknüpfen, um gezielt Einfluss nehmen zu können.
Die genannten Methoden sind verdichtete Denksysteme – zugänglich für unsere kognitiven Grenzen, aber stets abstrahiert. Sie bieten einen Rahmen, in dem wir in strukturierter Logik denken und gestalten können, bilden jedoch nie die gesamte Komplexität eines Kontexts ab. Sie wirken begrenzend.
Um zusätzlich weitergefasste Perspektiven zu ermöglichen, entstehen ergänzend umfassendere Frameworks, die Gestaltungsprozesse systemischer strukturieren. Cradle to Cradle etwa ist ein technisch fundiertes Werkzeug, das bereits im Entwurf physikalische und materialwissenschaftliche Parameter berücksichtigt. Es schafft präzise Materialstrategien für echte Kreisläufe, bleibt dabei jedoch auf ökologische Stoffströme fokussiert und bildet soziale oder energetische Systemwirkungen nur eingeschränkt ab.
Im aktuellen Diskurs formiert sich daher eine Gestaltungsphilosophie: Regeneratives Design. Es beschreibt einen prozessorientierten Ansatz, der „darauf abzielt, menschliche und natürliche Systeme so zu gestalten, dass sie über die Zeit koexistieren, sich gegenseitig erneuern und gemeinsam weiterentwickeln.“ 3
Regeneratives Design formuliert damit genau jenen Anspruch, den ich als Sinnstiftung beschreiben würde und der wirkliche Kontextpassungen anstrebt. Gleichzeitig stellt dieser Ansatz neue Anforderungen an Designprozesse und verlangt ein grundlegend anderes Denken.
„Regenerative thinking requires shifting from mechanistic to living systems worldviews, which is unfamiliar and challenging for most practitioners.“ 4
Da dieses Denken viele klassische Gestaltungslogiken übersteigt, entstehen derzeit zahlreiche Frameworks zur Operationalisierung: etwa das REGEN Framework, LENSES, die Living Building Challenge, HDR’s Regenerative Design Framework oder Carol Sanford’s 7 Principles of Regenerative Design. Doch bislang bleibt ein zentrales Defizit: Keines dieser Modelle wurde als offenes, disziplinübergreifendes und zugleich praxistaugliches Werkzeug für Gestalter*innen entwickelt, das systemisch, kontextspezifisch und alltagstauglich zugleich anwendbar wäre.
Ein vertiefter Blick auf diesen noch jungen Diskurs erweist sich aber dennoch als wertvoll, weil dabei eine Gestaltungsphilosophie hervortritt, die zunehmend an Bedeutung gewinnt: die Permakultur. Ihre Prinzipien werden besonders häufig zitiert und haben bereits ein beachtliches Momentum entwickelt, weil sie eine zugängliche, offene Logik bieten, die systemisches Denken und Arbeiten ermöglicht. Die Übertragung und Anpassung der Permakultur-Prinzipien könnte also einen entscheidenden Beitrag zur Designpraxis leisten – als ein verständliches, belastbares und ganzheitliches Framework zur Bewertung von Gestaltungsprozessen, das von Designer*innen disziplinübergreifend und praxisnah angewandt werden kann.
Grundprinzipien einer Gestaltungsphilosophie; Permakultur
Permakultur ist eine Philosophie der Gestaltung, die auf die Prinzipien natürlicher Ökosysteme zurückgreift, um resiliente, vielfältige und anpassungsfähige Systeme zu entwickeln. Ein Hauptwerk ist „Permaculture: A Designer’s Manual“ von Bill Mollison. Er definierte Permakultur als „eine bewusste Gestaltung und Erhaltung von produktiven Systemen, die die Vielfalt, Stabilität und Widerstandskraft natürlicher Ökosysteme besitzen.“ 5
In seinem Werk stellt Mollison bereits dar, dass sich Permakultur als Gestaltungsphilosophie kategorisieren lässt und somit als universelles Designwerkzeug geeignet ist.

Permakultur strebt keine ideale Zukunft an, sondern resiliente Systeme, die Krisen standhalten, Überschüsse teilen und solidarische Beziehungen fördern. Damit ist Permakultur weniger ein dogmatisches Framework, sondern vielmehr eine Philosophie, die Veränderung im Entwurfs- und Implementierungsprozess bewusst zulässt. „Es geht […] mehr um Bewusstsein, um Wahrnehmen, um Begleiten und Unterstützen und weniger darum, einem Garten oder einem anderen Menschen ein eigenes Konzept überzustülpen.“ 6
Den Kern der Permakultur bilden ethische Grundlagen und Prinzipien, die die Gestaltung in ihrer systemischen Komplexität erfassen – und das auf bemerkenswert einfache Art und Weise:
- Earth Care
Sorge für die Erde: Erhalte Böden, Wasser, Luft, Pflanzen und Tiere durch regenerativen Umgang mit natürlichen Ressourcen.
- People Care
Sorge für die Menschen: Fördere Gesundheit, Bildung und Gerechtigkeit in Systemen, die menschliches Potenzial entfalten.
- Fair Share
Gerechtes Teilen: Überschüsse zurückführen an Erde, Gemeinschaft oder Kreisläufe, durch Begrenzung von Konsum und Wachstum.
Auf dieser Ethik basieren die zwölf Gestaltungsprinzipien nach David Holmgren. Sie bieten konkrete Denk- und Handlungsanleitungen für systemisches Gestalten, adäquat reduziert, praxisnah, prozessorientiert und kontextoffen:
- Beobachte und handle bewusst
Gestalte mit, nicht gegen natürliche Muster.
- Sammle und speichere Energie
Nutze natürliche und soziale Ressourcen zur Vorsorge.
- Erziele Ertrag
Sicherstellung von Nutzen als Grundlage funktionierender Systeme.
- Nutze Selbstregulierung und Feedback
Korrigiere Fehlentwicklungen frühzeitig.
- Nutze erneuerbare Ressourcen
Verringere Abhängigkeit von endlichen Stoffen.
- Produziere keinen Abfall
Vermeide Verschwendung durch funktionale Kreisläufe.
- Gestalte vom Muster zum Detail
Beginne beim System, nicht beim Symptom.
- Integriere statt zu trennen
Fördere Synergien statt Isolation.
- Nutze kleine und langsame Lösungen
Robustheit durch Skalierbarkeit.
- Nutze Vielfalt
Vielfalt schafft Resilienz.
- Nutze Randzonen und Übergänge
Zwischenräume sind besonders produktiv.
- Reagiere kreativ auf Veränderung
Wandel wird zur Ressource, nicht zur Bedrohung.

Diese Prinzipien wirken in Kombination und lassen sich gleichermaßen auf Umweltwirkungen, Ertrag, soziale Stabilität oder Langlebigkeit anwenden. Sie fördern das Denken in Beziehungen statt in Kompromissen und ermöglichen es, Synergien zwischen konkurrierenden Zielen sichtbar zu machen.
Zwar kann Permakultur in Designdisziplinen wirken, doch auf den ersten Blick – jenseits ihrer agrarischen Herkunft – nur abstrakt. Themen wie Ästhetik oder technologische Innovation erscheinen nicht unmittelbar eingebunden. Doch mit etwas Transferleistung lassen sich auch diese Aspekte sinnvoll integrieren, gerade weil Permakultur auf verständlichen, offenen Prinzipien basiert und nicht auf dogmatischen Regeln.
Der erweiterte Design Permakultur Begriff
Die Permakulturbewegung entstand in den 1970er Jahren in Australien als Antwort auf Umweltzerstörung, industrielle Landwirtschaft und die soziale Entwurzelung durch urbane Industrialisierung. Bill Mollison und David Holmgren entwickelten erste Konzepte für eine Lebensweise, die nicht auf Ausbeutung, sondern auf Kooperation und Regeneration basiert.
Ursprünglich aus dem Begriff „permanent agriculture“ abgeleitet, wurde Permakultur schon in den 1980er Jahren als universelles Modell verstanden – anwendbar auf Wohnformen, Energieversorgung, Bildungsprozesse oder Organisationen. Holmgren systematisierte später die Prinzipien, was ihre internationale Verbreitung auch in Europa und Nordamerika förderte.
„Die Frage liegt nahe: Was hat all das mit Gestaltung in so unterschiedlichen Bereichen wie beispielsweise User Experience Design, Markenstrategie oder Organisationsentwicklung zu tun?“
So vielfältig wie Design in unterschiedlichen Disziplinen angewendet wird, so anschlussfähig ist auch die Permakultur als Gestaltungsphilosophie. Sie bietet keine fertigen Lösungen, sondern Prinzipien, mit denen komplexe Systeme bewusst, kooperativ und ökologisch tragfähig gestaltet werden können. „Der eigentliche Wert der Permakultur liegt nicht in landwirtschaftlichen Ergebnissen, sondern in ihrer Fähigkeit, komplexe Systeme durch einfache, kooperative Prinzipien zu gestalten.“ 7
Permakultur lässt sich nicht auf Selbstversorgung oder ökologischen Gartenbau reduzieren. Sie stellt grundsätzliche Fragen: nach Machtverhältnissen, sozialer Gerechtigkeit und globaler Verantwortung. Sie denkt Gestaltung systemisch und fordert Verantwortung, nicht nur im Umgang mit natürlichen Ressourcen, sondern auch im sozialen Miteinander. Mollison formulierte es klar: „Permakultur bedeutet, Verantwortung für das eigene Leben und das der kommenden Generationen zu übernehmen.“ 8
Diese Haltung lässt sich direkt auf Organisationen und kreative Prozesse übertragen. Thomas Diener, Geschäftsführer der Fairwork GmbH, beschreibt im Gespräch mit Les Enfants Terribles: „Sobald die Permakultur den Garten verlässt, reduziert sie sich zu einer Philosophie. Es ist eine Arbeit mit Analogien. Viele Prinzipien der Permakultur können jedoch bruchlos auf die Organisation eines Unternehmens übertragen werden – zum Beispiel das Prinzip, dass jedes Element mehrere Funktionen hat und sich die Elemente in einem möglichst dichten Netzwerk gegenseitig unterstützen.“
Damit wird deutlich: Permakultur bietet ein Denkmodell, das sich für die Gestaltung von Services, Marken, Organisationen oder Produkten ebenso eignet wie für landwirtschaftliche Systeme.
Ich lade euch daher ein, die Permakultur-Prinzipien als Reflexionswerkzeug auf eure eigene gestalterische Praxis anzuwenden: Betrachte einen aktuellen Entwurf – unabhängig davon, ob es sich um ein digitales Produkt, ein Service-Konzept oder ein Organisationsmodell handelt. Gehe dann systematisch die Prinzipien durch. Frage dich bei jedem einzelnen: Wird es berücksichtigt? Wird es vielleicht vernachlässigt? Wo entstehen unerwartete Wechselwirkungen?
Du wirst feststellen: Die Prinzipien erlauben es, komplexe Zusammenhänge greifbar zu machen – ohne sie zu banalisieren. Sie machen Systemdenken konkret und handhabbar. Dennoch wird uns diese Überprüfung anhand der klassischen Permakultur-Prinzipien manchmal schwerfallen, daher brauchen wir griffige Analogien, um den Transfer in unseren Gestaltungalltag zu erleichtern und eine reibungslose Anwendung zu ermöglichen.
Permakultur im Design
Wenn Permakultur eine Philosophie der Gestaltung ist – wie gestaltet man dann konkret? Und wie verhält sich dieser Ansatz zu klassischen Designprozessen wie dem Double Diamond?
Der von David Holmgren entwickelte Gestaltungsprozess der Permakultur folgt einem zyklischen Ablauf, der mit der sorgfältigen Beobachtung des jeweiligen Ortes beginnt. Dabei kommen Methoden wie Zonen- und Sektorenanalyse, Mustererkennung und die Kartierung vorhandener Ressourcen zum Einsatz. Darauf folgt eine Bewertungsphase, in der das beobachtete System anhand der ethischen Grundsätze: Earth Care, People Care und Fair Share, sowie anhand der zwölf Gestaltungsprinzipien reflektiert wird. Erste Designideen und Szenarien entstehen meist in Form modularer Pläne oder Skizzen und werden in einem iterativen Implementierungsprozess anhand der Prinzipien erprobt. Wichtig: Der Prozess endet nicht mit der Umsetzung. Er geht über in eine kontinuierliche Pflege-, Beobachtungs- und Anpassungsphase, in der das System dynamisch weiterentwickelt wird. 9
Dem gegenüber steht der „Double Diamond“, ein vielfach eingesetztes Modell des Design Council, das den Gestaltungsprozess in vier methodisch strukturierte Phasen unterteilt:
- Discover (Recherche und Kontextanalyse),
- Define (Problemdefinition),
- Develop (Ideenentwicklung und Prototyping) und
- Deliver (Testen und Umsetzen).
Der Double Diamond nutzt gezielt divergente und konvergente Denkphasen. In der Discover-Phase wird mithilfe von Interviews, Beobachtungen und Mapping-Methoden ein breites Verständnis aufgebaut, das in der Define-Phase verdichtet wird. In der Develop-Phase folgen Ideation, Szenarienarbeit und Prototyping, bevor in Deliver-Phase getestet und finalisiert wird (Design Council, 2019).
Ein Vergleich zeigt: Beide Modelle folgen einer strukturierten Abfolge von Analyse, Entwicklung und Umsetzung – inklusive anschließender Reflexion. Doch während der Double Diamond stark auf methodische Stringenz und lineare Phasenlogik setzt, ist der Permakulturprozess zyklisch, ortsspezifisch und feedback-orientiert. Er reagiert situativ und erlaubt ein tiefes Eingehen auf wechselnde Kontexte.
Hier zeigt sich eine größere Nähe zum Transition Design, das ebenso iterativ, systemisch und an langfristigem Wandel orientiert ist. Beide Ansätze, Permakultur und Transition Design, verstehen Gestaltung nicht als lineare Problemlösung, sondern als fortlaufenden Lernprozess innerhalb komplexer Systeme.
„Interventionen sind keine endgültigen Antworten, sondern bewusst gesetzte Impulse mit offener Entwicklungsperspektive.“
Zugleich wurde auch der Double Diamond weiterentwickelt: In der 2019 überarbeiteten Version betont das Modell stärker die Einbindung systemischer Denkweisen, iteratives Lernen und kontinuierliches Feedback in allen Phasen. Zudem werden Nutzerinnen und Stakeholder nicht länger nur als Zielgruppe, sondern als aktive Co-Gestalterinnen verstanden. Der Prozess wird dadurch flexibler, adaptiver und besser geeignet für komplexe, vernetzte Herausforderungen und rückt näher an den permakulturellen Gestaltungsprozess heran.
Der von Holmgren 2002 beschriebene Gestaltungsprozess teilt somit bereits viele Charakteristika moderner Designauffassungen: Beobachtung (Design Research), Iteration, hermeneutische Methoden (z. B. Visualisierungen), Feedbackintegration und ein Fokus auf Prozess und Offenheit anstelle finaler Zielbilder. In dieser Hinsicht sollte kein grundsätzlicher Widerspruch zu heutigen Designlogiken bestehen. Permakultur lässt sich sinnvoll adaptieren und kann auch in Agenturen und Studios Anwendung finden. Gerade durch den prozessorientierten Zugang eignet sich Permakultur als Werkzeug für persönliche Reflexionen zur Kontextpassung oder für kollektive Gestaltungsprozesse, etwa in Fokusgruppen und bei partizipativem Design.
Die Prinzipien der Permakultur bilden ein solides und offenes Denksystem, das nicht auf normative Lösungen setzt, sondern systemisch fundiertes und ethisch reflektiertes Handeln fördert – auch im Bereich der Gestaltung. Für Gestalter*innen eröffnen sie neue Perspektiven für verantwortungsvolles Design. Um diese Potenziale zu erschließen, braucht es einen Transfer der Permakultur in die Gestaltungspraxis. Die Bewertungskriterien des DDC AWARD zeigen beispielhaft, wie sich Permakultur-Grundsätze erfolgreich adaptieren lassen.
Permakultur für den DDC AWARD
Die zwölf Permakultur-Prinzipien helfen dem DDC AWARD, zwei Anforderungen zu vereinen: eine fundierte systemische Bewertung von Passung und regenerativer Wirkung einerseits und partizipationsfördernde Zugänglichkeit andererseits.
Damit unterscheidet sich unser Ansatz grundlegend von herkömmlichen Design Awards, die sich in der Regel auf formale Ästhetik, funktionale Aspekte und bestenfalls Ressourcenschonung im Lebenszyklus konzentrieren. Diese Aspekte bleiben bei uns ebenfalls relevant, werden jedoch in ein umfassenderes Verständnis der Systemwirkung und in einen partizipativen Bewertungsprozess eingebettet. Potenzielle Widersprüche, etwa zwischen ökonomischem Erfolg und sozialen oder ökologischen Auswirkungen, können dabei aufgelöst oder sogar synergetisch verbunden wurden.
Um eine praxisnahe und konkrete Bewertung von Design zu ermöglichen, haben wir die Prinzipien der Permakultur in anwendbare Kriterien und eine fachgerechte Sprache übersetzt.

Die 12 Prinzipien als Kriterien im DDC AWARD
- VIELFALT, EFFIZIENZ UND NACHHALTIGKEIT
Kontextverständnis und Nutzerzentrierung (Beobachte und interagiere)
Kriterium:
Das Design sollte auf einem tiefen Verständnis der Zielgruppe, des Nutzungskontexts und relevanter Umgebungsfaktoren basieren. Interaktionen müssen intuitiv und zielführend gestaltet sein. - RESSOURCEN NUTZEN UND ERHALTEN
Ressourcenerhalt und Effizienz (Sammle und speichere Energie)
Kriterium:
Das Design sollte sparsam mit Ressourcen umgehen, Effizienz steigern und regenerative Ansätze einbeziehen. - EIN POSITIVER ERTRAG MOTIVIERT UND FÖRDERT
Mehrwerte schaffen (Erziele Ertrag)
Kriterium 3.1 Symbolfunktion:
Das Design sollte Symbole und Bedeutungen integrieren, die über den rein funktionalen Aspekt hinausgehen und den Nutzer*innen kulturelle, emotionale oder soziale Werte vermitteln.
Kriterium 3.2 Formale ästhetische Funktion:
Das Design sollte nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch und emotional ansprechend sein.
Kriterium 3.3 Anzeichenfunktion:
Das Design sollte klare Hinweise und Signale für seine Nutzung und Bedeutung geben, sodass Nutzerinnen intuitiv verstehen, wie es zu verwenden ist.
Kriterium 3.4 Finanzielle Nachhaltigkeit und ökonomischer Mehrwert:
Das Design sollte finanzielle Mehrwerte schaffen – sei es durch direkte Gewinne, tragbare Finanzierungsmodelle oder langfristige gesamtwirtschaftliche Vorteile. - FEEDBACK ERKENNEN, LERNEN UND UMSETZEN
Anpassungsfähigkeit und kontinuierliches Lernen (Selbstregulation und Feedback)
Kriterium:
Das Design sollte anpassungsfähig und flexibel sein, indem es auf Veränderungen und Feedback dynamisch reagiert und einen kontinuierlichen Lernprozess unterstützt. - DIE QUELLE VON RESSOURCEN PFLEGEN
Regenerative Ressourcen nutzen (Nutze erneuerbare Ressourcen und Dienstleistungen)
Kriterium:
Das Design sollte Materialien, Prozesse und Energiequellen einsetzen, die regenerativ und zukunftsfähig sind. - REPARIEREN UND WIEDERVERWENDEN
Kreislaufdenken und Abfallvermeidung (Erzeuge keinen Abfall)
Kriterium:
Das Design sollte den gesamten Lebenszyklus berücksichtigen, Abfall vermeiden und Lösungen für Wiederverwendung oder Recycling bieten. - SYSTEME ERKENNEN UM SIE ZU GESTALTEN
Musterbasierte Skalierung und Anpassung fördern (Gestalte von Mustern zu Details)
Kriterium:
Das Design sollte auf erkennbaren Mustern basieren, die eine kohärente Skalierung ermöglichen und sich gleichzeitig flexibel an lokale, kulturelle oder soziale Kontexte anpassen lassen. - STABILITÄT DURCH VIELFALT UND KOMPLEXITÄT
Kollaborative Synergien schaffen (Integriere anstatt zu trennen)
Kriterium:
Das Design sollte Verbindungen und Synergien zwischen Elementen, Nutzergruppen und Systemen fördern, um kollaborative Effekte zu maximieren. - EINFACHE STRATEGIEN FÜR BELASTBARE LÖSUNGEN
Transformationsbefähigung durch Einfachheit und Langlebigkeit (Nutze kleine und langsame Lösungen)
Kriterium:
Das Design sollte bewusst einfach und kontextbezogen gestaltet sein, um langfristigen Wandel und nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. - SICHERHEIT UND UNTERSTÜTZUNG DURCH DIVERSITÄT
Lokale Ressourcen und Potenziale nutzen (Nutze und schätze die Vielfalt lokaler Ressourcen und Umgebung)
Kriterium:
Das Design sollte lokale Materialien, Fertigungsprozesse und kulturelle Besonderheiten berücksichtigen und aktiv nutzen. - ÜBERGÄNGE ALS CHANCEN NUTZEN
Innovation und Inklusion durch Marginalität und Randbereiche (Nutze Ränder und schätze das Marginale)
Kriterium 11.1 Innovationsgrad durch Marginalität:
Das Design sollte ungenutzte Potenziale an den Rändern und Übergängen sozialer, technologischer oder kultureller Systeme erkennen und für innovative Lösungen nutzen.
Kriterium 11.2 Ganzheitliche Inklusion:
Das Design sollte marginalisierte Gruppen, nichtmenschliche Akteure und diverse Nutzungsbedürfnisse umfassend einbeziehen, um eine ganzheitliche und inklusive Lösung zu entwickeln. - KREATIVITÄT FÜR VERÄNDERUNG NUTZEN
Ganzheitliche Wirkung durch systemische Lösungen (Nutze und reagiere kreativ auf Veränderungen)
Kriterium:
Das Design sollte durch systemisches Denken soziale, ökologische und technologische Dimensionen miteinander verbinden, um eine langfristige, transformative Wirkung zu entfalten.
Die Bewertung dieser komplexen Wirkungszusammenhänge erfordert eine gewisse Tiefe – etwa durch Implementierungsdaten, die von den Einreichenden bereitgestellt werden können, sofern verfügbar. Entscheidender ist jedoch der Bewertungsprozess selbst: eine demokratische und kollaborative Evaluation, die durch die Jury und einen interdisziplinären Expert*innenrat erfolgt, der aus Vertreter*innen der Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft besteht.

WAS IST GUT
Der DDC AWARD hat bereits in der Vergangenheit mit seiner Ausrichtung einen Paradigmenwechsel angestoßen – hin zu einem Designverständnis, das die Komplexität unserer Welt ernst nimmt. Nun erfolgt der nächste Schritt: eine systemische, zugängliche Bewertungslogik, die ganzheitlich alle Wirkungsdomänen von Design erfasst. Dazu gehören auch ökonomische Aspekte und klassische Kriterien wie formale Ästhetik. Diese traditionellen Bewertungsmaßstäbe kommen in Designwettbewerben, die primär auf „Impact“ ausgerichtet sind, häufig zu kurz.
Permakultur bietet hierfür das geeignete Rahmenwerk. Als praxisnahe, ganzheitliche Denkweise macht sie nicht nur die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Gestaltungszielen sichtbar, sondern ermöglicht es, diese integriert zu betrachten. So lassen sich scheinbare Widersprüche produktiv auflösen und systemische Synergien zwischen ökologischer, sozialer Nachhaltigkeit und wirtschaftlichen Zielen entwickeln. Ihre klare, zugängliche Struktur fördert Kollaboration und Diskurs – und macht sie zu einem wirksamen Instrument für einen Paradigmenwechsel im Design: weg von oberflächlichen Nachhaltigkeitsversprechen, hin zu substanziellen, systemisch fundierten Entscheidungen.
„Permakultur maximiert die Synergie im Design – nicht die Effizienz einzelner Elemente. Im Fokus stehen die Beziehungen zwischen ihnen, sodass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.“ 10
1 | Willis, Anne-Marie. “Ontological Designing.” Design Philosophy Papers (2006): n. pag. Print. |
2 | Kitchin, R. (2014). The real-time city? Big data and smart urbanism. GeoJournal, 79 (1), S. 1–14. |
3 | Arup. (2023, September). What is regenerative design? Abgerufen am 19. Juni 2025, von www.arup.com/insights/what-is-regenerative-design |
4 | Mang, P., & Reed, B. (2012). Designing from Place: A Regenerative Framework and Methodology. Building Research & Information, 40 (1), S. 23–38. |
5 | Mollison, B. (1988). Permaculture: A Designer’s Manual. Tagari Publications. |
6 | Les Enfants Terribles. (o. J.). Soziale Permakultur. In Gutes neues Arbeiten – Magazin. Abgerufen am 19. Juni 2025, von www.enfants-terribles.org/magazin/soziale-permakultur |
7 | Mollison, B. (1988). Permaculture: A Designer’s Manual. Tagari Publications. |
8 | EBD |
9 | vgl. Holmgren, D. (2002). Permaculture: Principles and Pathways Beyond Sustainability. Holmgren Design Services. S. 41–44 |
10 | Mollison, B., & Slay, R. (1991). Edible Forest Gardening (Archived version from November 1, 2011). Abgerufen am 26. Juni 2025, von www.edibleforestgardens.com |