„Type & Politics“-Workshop von Golnar Kat-Rahmani an der UDK Berlin, Bild © Studio Kat Rahmani

DESIGN DISKURS

Golnar Kat-Rahmani ist eine in Berlin lebende iranische Grafikdesignerin, die sich mit der politischen Dimension von Typografie auseinandersetzt. DDC Vorstand Felix Kosok sprach mit ihr über die Rolle von Schrift für die eigene Identität, rassistische Strukturen in der Designbranche und die Bedeutung von interkulturellem Austausch.

Veröffentlicht am 04.05.2023

Felix Kosok: Liebe Golnar, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst. Als Grafikdesigner will ich mit dir natürlich vor allem über die politische Dimension von Typografie sprechen. Aber fangen wir von vorne an. Warum bist du Designerin geworden? 

Golnar Kat-Rahmani: Das war tatsächlich eine der wichtigsten Entscheidungen in meinem Leben. Aber auch eine komische Geschichte. Mit 17 Jahren war ich an einer Schule, die einen Schwerpunkt in Mathematik und Physik hatte. Es war sehr schwer, auf diese Schule zu kommen, da sie von der Nationalen Organisation zur Entwicklung exzeptioneller Talente ( سمپاد  SAMPAD) geleitet wurde. Dort wurde weder Kunst noch Sozialwissenschaften unterrichtet. Damals hätte sich wirklich niemand getraut, diese Schule einfach zu verlassen. Schon gar nicht für Kunst oder Design! Das habe ich aber gemacht. 

Seitdem ich zehn Jahre alt war, durfte ich an das staatliche Institut für klassische persische Kalligrafie und deren unterschiedlichen Stile lernen. Nebenbei habe ich immer viel gezeichnet. Ich spielte immer mit irgendeinem Stift. Nur damals wusste ich noch nicht, was das mit Typografie und Design zu tun hat. Aus meiner Familie war niemand kunstaffin und es gab auch noch keine sozialen Medien. Aber als ich entschieden hatte, doch keine Ingenieurin zu werden, war mir klar, dass ich etwas Visuelles machen wollte. Ich musste dann an private Schulen für die Eignungsprüfung lernen, da es im Iran sehr schwer ist, an guten Universitäten genommen zu werden. In diesem Unterricht wurde mir dann aber klar, dass das, was ich die ganze Zeit schon gemacht hatte, Typografie ist.

Golnar Kat-Rahmani, Bild © Vladimir Llovet Casademont

Felix Kosok: Gab es für dich Vorbilder? Oder hast du das wirklich alles selbst für dich herausgefunden? 

Golnar Kat-Rahmani: Bei uns zuhause gab es eine große Bibliothek, kein spezifischen Bücher über Kunst oder Design, aber die vielen Buchtitel haben mich begeistert. Die haben mich tatsächlich inspiriert. Sie waren voll mit Botschaften, sie haben mit Buchstaben gespielt, alles typografisch. 

Felix Kosok: Und wie bist du dann nach Deutschland gekommen? 

Golnar Kat-Rahmani: Ich hatte schon meinen Bachelor abgeschlossen und als Freelancerin in Teheran gearbeitet. Aber ich wollte einfach mehr über Grafikdesign lernen. Und das moderne Design, so wie wir es jedenfalls meistens kennen, kommt nun mal aus Nordeuropa und aus den USA. Da die Möglichkeiten im Iran aufgrund der schlechter werdenden politischen Situation sehr begrenzt waren, wollte ich unbedingt in Europa weiter studieren. Nachdem Ahmadineschād zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt worden war, verschlimmerte sich die Lage im Land rapide. Viele Professor*innen durften nicht mehr an den Hochschulen unterrichten. Es gab keine Perspektive mehr im Iran, keine Quelle für das Wissen über Design.

„Ich wollte den Iran nie verlassen. Ich dachte immer, ich muss bleiben, und weiter für die gute Sache kämpfen.“

Ich wollte den Iran nie verlassen. Ich dachte immer, ich muss bleiben, und weiter für die gute Sache kämpfen. Aber ab einem gewissen Punkt brauchte ich eine Pause, ein bis zwei Jahre im Ausland für einen Master, so dachte ich. Ich hatte immer den Plan, danach in den Iran zurückzukommen. Aber seitdem, wie wir alle wissen, hat sich die Situation nur noch verschlechtert. Also bin ich in Berlin geblieben.

Felix Kosok: An dieser Stelle würde ich deine persönliche Erfahrung mit der Typografie konkret deinem Projekt „Type & Politics“, verbinden. Ich kann mir vorstellen, dass du sehr viel mit Vorurteilen und stereotypen Zuweisungen zu kämpfen hattest, als du als junge Migrantin aus einem muslimischen Land nach Deutschland gekommen bist. Das sind dieselben Vorurteile, die der persischen oder arabischen Typografie entgegengebracht werden, wenn man sie in Deutschland im Stadtbild, auf Buchrücken oder auf Plakaten entdeckt, oder? 

Golnar Kat-Rahmani: Es gibt einfach bestimmte Schubladen, in die man einsortiert wird, wenn man offensichtlich fremd in einem Land ist. Bei manchen geht das vielleicht schneller als bei anderen. Ich will das gar nicht verteidigen, aber es hilft Menschen selbstverständlich dabei, sich im Leben zu orientieren. Vieles davon ist sicher auch unbewusst oder weil man es selbst nie anders erfahren hat. Kaum jemand ist bewusst und absichtlich rassistisch. Wir alle sind in bestimmten Strukturen groß geworden und haben davon bestimmte Bilder im Kopf, die uns dabei helfen sollen, die Welt zu sortieren.

Bei mir hatte das mehrere Ebenen. Natürlich war die Kommunikation an der Universität schwerer für mich, weil ich die Kultur nicht kannte und die Sprache erst lernen musste. Alle denken immer, sobald man die Sprache kann, ist man schon integriert. Aber in einem Designstudium geht das natürlich viel weiter. Man muss eine neue visuelle Welt kennenlernen und verstehen, um in ihr arbeiten zu können. Das konnte ich in keinem Sprachkurs lernen. Ich war fremd, eine Ausländerin, die eine ganz eigene visuelle Welt, ein eigenes Schriftsystem und eine Sprache in die deutsche Designkultur importierte. Das funktioniert überhaupt nicht von selbst, mit so einer fremden visuellen Welt an eine deutsche Hochschule zu kommen. Ich musste erst lernen, was von mir visuell im Studium erwartet wird und wie ich mich ausdrücken kann. Das war eine viel größere Herausforderung als „nur“ die Sprache zu lernen.

 

Workshop-Ergebnisse von „Type & Politics“, ABK Stuttgart – „Jiyan (Life)“ von Lolita Dudko, und „Shafafiat (Transparency)“ von Maryna Zevako, Bilder © Lolita Dudko, Maryna Zevako

Daneben gab es den Alltag und mein Aussehen. Ganz besonders ist mir hier aufgefallen, wie die Leute mich mit seltsamen Blicken verächtlich anschauten, wenn ich mit meinen Büchern in der U-Bahn fuhr. Ich lese super gerne in der U-Bahn. Damals natürlich immer auf Persisch! Für die Menschen in der U-Bahn schienen die Bücher mit arabischer Schrift aus einem religiösen Kontext des Islams zu kommen. Warum eine junge, modern aussehende Frau ohne Kopftuch nun diese vermeintlich radikalen Texte liest, das konnte niemand zusammenbringen. Die meisten fanden den Zusammenhang nicht als eine exotische Kombination aus fremdsprachiger Schrift und einer Migrantin, die aus einer anderen Kultur stammt und in Berlin wohnt, sondern eher als eine seltsame Kombination aus gewissen, skeptischen Vorurteilen. Ich habe sehr wohl die verächtlichen Blicke und die Islamfeindlichkeit mitbekommen.

„Ich hätte mir nie­mals vor­stellen kön­nen, dass ich je­mals in meinem Leben mit Religion oder mit Terror­is­mus in Ver­bin­dung ge­bracht würde.“

Das war die Geburtsstunde von „Type & Politics“. Schrift als Kulturgut und Werkzeug darf nicht derart negativ und ideologisch wahrgenommen werden. Meiner Meinung nach ist auch noch nicht wirklich erforscht, wie tief die Schrift als Kulturgut mit den Meinungen, den Haltungen und den Werten ihrer Benutzer*innen verbunden ist. Oder aber auch, wie schnell eine ganze Kultur, ihre Literatur und Poesie, als negativ behaftet abgestempelt wird, weil ihre Schrift hier diskriminiert wird.

Sommer Alphabet, Lettering auf Persisch, im Rahmen von „Type & Politics", Bild © Studio Kat Rahmani

Felix Kosok: Auf deiner Seite findet man direkt auch dieses sehr augenscheinliche Beispiel, wenn man arabische oder persische Typografie mit japanischer oder indischer Typografie vergleicht. Der arabischen Schrift wird voller Vorurteile begegnet, während die asiatischen Schriften eher Neugier oder exotische Vorstellungen hervorrufen.  

Golnar Kat-Rahmani: Ich habe hierzu tatsächlich auch sehr praktische Tests gemacht. Wir haben die gleiche Poesie auf einer Postkarte, und zwar in weißen Buchstaben auf schwarzem Hintergrund in arabischen und japanischen Lettern sowie in Devanagari, einer indischen Schrift, unterschiedlichen Menschen gezeigt. Die Assoziationen zu den Schriften gehen völlig auseinander, vor allem wenn die Leute schnell und quasi unbewusst antworten sollen. Die arabische Schrift löst oft ein Unwohlsein aus, weil sie als problematisch oder konfliktbeladen durch politische oder religiöse Kontexte wahrgenommen wird. Bei Deutschen entsteht das Gefühl, dass man sich erstmal zurückziehen muss, Abstand nehmen, um dann aus sicherer Entfernung die Schrift analysieren zu können. Sie wurde immer als fremd wahrgenommen. Bei der japanischen Schrift hingegen waren die Testpersonen neugierig, weil sie exotisch wirkt. Schließlich kennt man die auch von schlechten Tattoos. Oder vom Sushi-Restaurant um die Ecke. Bei der indischen Schrift waren die Assoziationen auch eher positiv: Sonne, bunte Farben, Yoga und Bollywood. Die japanische und indische Schrift wurde durchweg als unpolitisch wahrgenommen, während die arabisch-persische Schrift unmittelbar politisiert oder als Teil eines politischen Systems wahrgenommen wurde. Dabei ist doch alles politisch. Das kann ich dir als jemand, die aus dem Iran kommt, sagen.

„Beim Betrachten von arabischen Schriftzeichen existiert gegenwärtig eine emotionalisierte Reaktion.“

Anders als beim Betrachten von chinesischen Buchstaben existiert gegenwärtig eine emotionalisierte Reaktion auf arabische Schriftzeichen. Die Ursachen hierfür sind nicht in den Buchstaben selbst als Teil eines abstrakten Schriftsystems zu finden. Unsere Wahrnehmung und Meinungsbildung werden mehr denn je von einem sozialen, politischen und kulturellen Wandel bestimmt. Einige Faktoren wie das Erstarken des islamischen Terrorismus und dessen Erhebung zum zentralen Feind westlicher Kultur, die politische Instabilität im Nahen Osten, das oft schwierige Verhältnis unter den Religionen im täglichen Zusammenleben, eine zunehmende Islamfeindlichkeit und die flächendeckende Medienpräsenz der IS Flagge (mit ihren kontrastreichen, arabischen Lettern auf Schwarz) lassen die arabische Schrift nicht exotisch, sondern bedrohlich erscheinen und marginalisieren deren kulturellen Wert.

„Type & Politics“-Workshop von Golnar Kat-Rahmani an der UDK Berlin, Bild © Studio Kat Rahmani

Das hat mich dazu gebracht, „Type & Politics“ zu starten. Zunächst wollte ich überhaupt über diesen Umstand sprechen, den ich selbst negativ beim Bücherlesen in der U-Bahn erfahren hatte. Aber ich habe mich auch gefragt, was ich tun kann, um die Thematik um Schrift verändern und erweitern zu können. Mir war klar, dass ich keine Politikerin bin und keinen großen Einfluss habe. Ich hatte aber die Typografie, die Schriftgestaltung. 

Ich habe an ein Konzept gedacht, das die ganze Gesellschaft anspricht. Einen kurzen Vortrag über die Gründe und die Ursachen dieser negativen Konnotation von persisch-arabischer Schrift und dazu Typografie-Übungen, um die Schrift und ihre Welt kennen zu lernen. Außerdem einen kleinen Siebdruck-Workshop, um den neuen Look von dieser Schrift in die Gesellschaft zu bringen und nicht nur in gewisse geschlossene Design-Gruppen. Es soll eine Wirkung auf das öffentliche Bild über persisch-arabische Schrift haben, die anders ist als die täglichen katastrophalen und bedrohlichen Bilder aus Terror-Kontexten und radikal-islamischen Konflikten, die wir über Medien erfahren. Je mehr die Gesellschaft diese Schrift in neuen Kontexten und Looks erfährt, desto weniger wird sie sich an negative Bilder erinnern. Einfach aktiv solche Bilder durch positive Bilder/Grafik bekämpfen.

Unser Ziel im Workshop ist es, auf praktische Weise diesen negativen Assoziationen entgegenzuwirken, indem Grundlagen des arabischen Schriftsystems vermittelt, grafische Arbeiten spielerisch entwickelt und letztendlich Attribute wie Neugier, Ästhetik und Freude wieder in den Vordergrund gerückt werden. Im Idealfall erzeugt ein typografisches Interesse und der sachbezogene Umgang mit den schriftspezifischen Eigenheiten, Feinheiten und Fremdheiten, eine Rückkopplung auf die Wahrnehmung und fördert so den kulturellen Austausch, die interkulturelle Freundschaft und den Frieden. Besonders in Gesellschaften wie in Berlin.

„Je mehr die Gesellschaft diese Schrift in neuen Kontexten und Looks erfährt, desto weniger wird sie sich an negative Bilder erinnern.“

Felix Kosok: Wie erlebst du diesen Austausch mit den Grafikdesign-Studierenden? 

Golnar Kat-Rahmani: Sie sind alle super interessiert. Ich bin jedes Mal wieder positiv überrascht, wie unterschiedlich die Themen und Perspektiven sind, die sie in die arabisch-persische Typografie mitbringen. Dabei entstehen ganz neue Botschaften und eine Verbindung zu einer Kultur. Seit kurzem mische ich in den Workshops auch lateinische Schrift mit rein. Dabei haben die Teilnehmer*innen immer das positive Gefühl, die beiden Kulturen in einen Austausch und eine gute Mischung zu bringen, wenn beide Schriftsysteme in einen gleichberechtigten Dialog miteinander treten. 

Felix Kosok: Das finde ich einen sehr wichtigen Punkt, diesen Austausch und die Gleichberechtigung. Denn die Stigmatisierung von arabischer Typografie wirkt nicht nur im Westen oder in Europa. Was mir bei einem Besuch in Kairo im letzten Jahr aufgefallen war, ist, dass die Werbeschilder am Straßenrand in Neu-Kairo, dem New Administrative Capital, durchweg in lateinischer Schrift und auf Englisch gestaltet waren. Neu-Kairo als Planstadt ist aufgrund der hohen Immobilienpreise eine eher wohlhabende Stadt. In Kairo selbst war die Werbung dann wieder durch arabische Typografie ergänzt oder ganz auf Arabisch. Oft wurde das Arabische leider wie eine Übersetzung oder Untertitel zu den großen Werbeslogans behandelt. 

Am interessantesten fand ich es, wenn arabische und lateinische Typografie nebeneinander auftauchten und auch gleichberechtigt behandelt wurden. Dabei wird einem erst die Bedeutung von interkulturellem Austausch und der Einfluss bewusst, den unsere Kulturen aufeinander haben. Obwohl sie häufig negativ behaftet ist, kann die Schrift hierzu ein erster Zugang sein. Wie wichtig wäre es dann eigentlich, dass Grafikdesign-Studierende an deutschen Hochschulen in ihrem Studium auch andere Schriftsysteme wenigstens kennenlernen und so mit anderen Kulturen in Berührung kommen? 

Golnar Kat-Rahmani: Super wichtig wäre das! Durch meine Workshops an den Hochschulen weiß ich aber leider, dass das meistens nicht der Fall ist. Ich kann nur für Deutschland sprechen, wo ich das erlebt habe. Überall wird über den kulturellen Austausch gesprochen. Wenn es aber um die visuelle Kultur geht, die Schrift, dann gibt es an den Akademien leider nichts darüber im Studium zu erfahren. Wenn überhaupt, wie ich schon erwähnt hatte, wird über die Sprache gesprochen. Aber nur durch die Sprache lernt man eine Kultur nicht kennen und kann sich auch nicht integrieren. Man muss die ganze visuelle Welt erfahren und verstehen. Dabei geht es nicht nur um Oberflächen und Schönheit. Die visuelle Welt einer Kultur ist die Art und Weise, wie diese Kultur die Welt sieht, wie sie die Welt versteht. Welche Bedeutungen wir den Dingen beimessen, hängt stark damit zusammen, durch welche visuelle Kultur wir geprägt wurden. 

Deswegen geht es in den Workshops zur Typografie auch darum, dass die Studierenden verstehen, dass es verschiedene Stimmen gibt, in denen gesprochen wird, verschiedene visuelle Welten, die die Bedeutung der Sprache beeinflussen. Wenn man das niemals im Studium erfahren hat, dann fehlt das Bewusstsein hierfür. 

Andererseits ginge es hierbei auch um praktische Dinge. Wenn die Studierenden die Hochschule verlassen und in einer Agentur arbeiten, die im interkulturellen Kontext gestaltet, dann wissen sie gar nicht, wie sie in ihren Grafikprogrammen eine andere Schrift setzen können. Wenn die Schrift auf einmal von rechts nach links geschrieben werden muss, wie man die Programme darauf umstellt. Das wird immer wichtiger werden: durch die Globalisierung, die sozialen Medien, die Migration. Auf einer rein technischen Ebene wissen viele deutsche Designer*innen gar nicht, wie man ein Plakat in verschiedenen Schriftsystemen gestalten würde.

 

Plakat „100th Anniversary of the French Communist Party” von Golnar Kat-Rahmani, Paris 2020, Bild © Studio Kat Rahmani 100 Tage des Protestes für Frieden (Woman Life Freedom), Poster in A0, Namen von 443 jungen, iranischen Opfern, die gegen die religiöse Diktatur während der ersten 100 Tage der Proteste im Iran in 2022 protestierten, Bild © Studio Kat Rahmani

Felix Kosok: Schrift ist politisch – das hast du wirklich überzeugend dargelegt. Ich hätte noch tausend Fachfragen zur Typografie an dich, möchte aber noch auf ein weiteres politisches Thema im Design kommen. In der aktuellen Ausstellung des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu feministischen Grafikdesign mit dem Titel „The F* Word“ bist du auch mit einem Plakat für die kommunistische Partei in Frankreich vertreten. Aber auch für die feministische Revolution im Iran hast du wunderschöne typografische Designs zu dem Slogan Women, Life, Freedom (زن, زندگی, آزادی) entwickelt. Abgesehen vom Iran lässt sich zumindest in Deutschland feststellen, dass sich vieles für die Sichtbarkeit und Gleichberechtigung von weiblichen Designerinnen getan hat. Auch die Women of DDC unseres Clubs sind ein Beispiel hierfür. Bist du auch der Meinung, dass die Dinge generell besser geworden sind? 

Golnar Kat-Rahmani: Natürlich gibt es noch sehr viel Arbeit, die vor uns liegt. Nicht nur im Design, sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen. Das hört leider nie auf. Ich finde aber auch, dass sich spürbar etwas verändert hat. Frauen im Design werden gerade gepusht. Ich werde viel zu oft gefragt, ob ich diese aktuelle Bevorzugung gerecht finde. Ob es mich stören würde, wenn ich als Frau nur für die Quote eingeladen würde. Das sind zwar auch wichtige Debatten. Mir ist es aber egal, aus welchem Grund Frauen jetzt bevorzugt eine Bühne gegeben wird. Sowieso weiß man nie genau, aus welchen Gründen man für eine Bühne ausgewählt wird! Wie wir alle wissen, wurden Frauen in den letzten 2.000 Jahren systematisch unterdrückt und sie selbst und ihre Arbeit in der Öffentlichkeit unsichtbar gemacht. Wenn sich jetzt die Möglichkeit bietet, diese Ungerechtigkeit auszugleichen, dann ist es mir egal, welche Gründe das hat. Wichtig sind die Sichtbarkeit und die Repräsentation. Es gibt so viele Menschen und Organisationen, die sich gerade dafür einsetzen. Viel mehr als ich das tue. Das ist eine positive Entwicklung. Es bleibt aber eine Aufgabe für unsere Generation, weiter hieran zu arbeiten.

„In Deutschland hatte ich es am Anfang viel schwerer als ich mir das vorgestellt hatte.“

Felix Kosok: Nun bist du nicht nur eine Frau, sondern eine Migrantin aus einem muslimischen Land. In Deutschland bist du damit mehrfach marginalisiert. Im Deutschen Designer Club machen wir auch die Erfahrung, dass unser Engagement mit Privilegien zusammenhängt. Selbst ich als queerer Designer bin in einer privilegierten Position und habe die Zeit und die Ressourcen, mich diesen Themen zu widmen. Zeit, die andere nicht haben, weil sie eine neue Sprache lernen oder einfach in zwei Jobs gleichzeitig arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen. Und am Ende schlage ich zusätzliches kulturelles Kapital aus meiner Position und profitiere erneut. Überhaupt Design oder Kunst zu studieren, hängt bereits mit dem Privileg zusammen, von der eigenen Familie den Freiraum hierfür zu bekommen. Für viele Familien mit Migrationshintergrund ist der ökonomische Druck in Deutschland zu groß und Design wird nicht wirklich als Beruf anerkannt. 

Das ist ein strukturelles Problem. Der Zugang zum Design hat viel mit Netzwerken und Privilegien zu tun. Hast du die Hürden, die diese Strukturen einem aufbürden, auch erlebt? Und was können wir machen, um das zu ändern? Wie erreichen wir, dass sich auch andere Menschen in Deutschland von der Designbranche angesprochen fühlen? 

Golnar Kat-Rahmani: Tatsächlich hat mich das auch betroffen. Ich war eine Migrantin, die gar nicht alle Möglichkeiten kannte. Ich hatte keine Zugänge zu den meisten Netzwerken. Diese verschlossene Gesellschaft erfährt man in Deutschland umso mehr, wenn man so wie ich aus einer bestimmten Ecke der Welt kommt. Wie ich das schon beschrieben habe, hatte das sehr viel mit den Sprachkenntnissen und einem fehlenden Verständnis für die Kultur zu tun. Ich bin keine Anthropologin oder Sozialwissenschaftlerin. So jemand könnte diese Dinge sicher viel besser beschreiben. In Deutschland hatte ich es am Anfang viel schwerer als ich mir das vorgestellt hatte. Zugleich hatte ich den Vorteil, mit meinem Ansatz zur arabisch-persischen Typografie und dem Mix visueller Kulturen aus einer in Deutschland exotischen Ecke zu kommen. Das brachte berufliche Vorteile mit sich, weil es in dieser Ecke nicht so viele Designer*innen gibt. Ich bin inzwischen iranisch-deutsch. Ich kenne iranisch, wie auch deutsche visuelle Welten und fühle mich in beiden super komfortabel. Aber diese Position zu erreichen, hierfür sichtbar und überhaupt in der Gesellschaft akzeptiert zu werden, hat sehr lange gedauert.

 

Persische Typografie in SquareKufic, Silkscreenprint, limited edition, Gedicht von Omar Khayyam (1048–1131 v. Christus), Bild © Studio Kat Rahmani

Zusätzlich fällt mir auf, dass selbst in akademischen Kontexten die deutsche Sprache vorausgesetzt wird. Selbst wenn ich für „Type & Politics“ eingeladen werde, also auf Konferenzen spreche, bei denen das Publikum schon für die interkulturelle Dimension sensibler ist, wird häufig erwartet, dass ich die Vorträge auf Deutsch oder Englisch halte. Im Vergleich zur entgegengesetzten Situation würde dies fast nie passieren, dass zum Beispiel ein deutscher Muttersprachler*in im Iran, auch nach zehn Jahren, in der akademischen Szene seinen Vortrag auf Persisch hält. Aber selbst dann, wenn man sich als Nicht-Muttersprachler*in bemüht, den Vortrag auf Deutsch zu halten, werden die Fehler wahrgenommen und nicht die Mühe, das alles in einer anderen Sprache zu übersetzen. Darüber wird sich in Deutschland allgemein beschwert und in der akademischen oder in der Design-Szene teilweise noch stärker. Die Migrant*innen werden dadurch intellektuell unterschätzt. Dann muss man sich extra bemühen, solche Missverständnisse und Lücken zu füllen. Das sind all solche unsichtbaren Druckmittel!

Ein letzter Punkt, der mich selbst betroffen hat, ist mit meiner unfreiwilligen Spezialisierung verknüpft. Ich hatte nie das Ziel, als Designerin bekannt zu werden, die mit persisch-arabischer Schrift arbeiten kann. Ich habe mich extra bemüht, mich in lateinischer Typografie voranzubringen und auch in deutschsprachigen Projekten mitzuarbeiten, damit ich schneller und besser die deutsche Kultur und ihre Design-Szene kennenlernen kann. Es häuften sich dann aber die Anfragen, weil in Deutschland für interkulturelle Projekte einfach das Wissen fehlt. Das sind spannende Projekte und sie machen auch Spaß. Aber wie ich befürchtet hatte, war es Fluch und Segen zugleich: Ich wurde in die exotische Ecke geschoben und für mein Wissen marginalisiert. Ich werde seltener als Person für meinen persönlichen Stil als Grafikdesignerin angefragt. Die meisten Projektanfragen drehen sich oft um persisch-arabische Typografie in Kombination mit lateinischer Schrift oder andere Schriften. Das ist paradox. Stell dir vor, du hast aufgrund deiner besonderen Erfahrung eine spezielle Fähigkeit und wirst dann aber immer nur auf diesen einen Aspekt reduziert. Das ist etwas, was viele Migrant*innen erleben. Wir werden in eine Schublade gesteckt und dürfen sie dann repräsentieren – sonst aber nichts anderes. Das bringt echte ökonomische Nachteile mit sich. 

Felix Kosok: Kommen wir zur letzten Frage. Das Motto des DDCs in diesem Jahr sind ja Werte im Design. Was denkst du, welche Werte werden in Zukunft wichtig werden? 

Golnar Kat-Rahmani: Ganz ehrlich: Was sind denn Werte überhaupt? Bevor ich hier irgendwelche großen Begriffe nenne, finde ich es viel wichtiger, dass jeder und jede bewusst in sich geht und darüber nachdenkt, welche Werte ihm oder ihr persönlich wichtig sind. Das müssen wir auch vorurteilsfrei machen. Auf welche Werte stoße ich in mir selbst, wenn ich mir die Zeit nehme, darüber nachzudenken und in mir zu suchen? Es kann sein, dass wir dabei Dinge entdecken, die uns nicht gefallen, die heutzutage politisch nicht korrekt sind. Die Werte in mir entstehen auch dadurch, wo ich herkomme. Aber bevor ich einfach nur blind große Leitideen und Werte nachplappere, muss ich doch für mich selbst herausfinden, was ich eigentlich bin? Welche Werte habe ich in mir? Das wünsche ich mir in Zukunft mehr von Designerinnen und Designern.

Golnar Kat-Rahmani

ist eine in Berlin lebende Kreativdirektorin und Künstlerin aus dem Iran. Sie leitet das Studio Kat Rahmani, das sich auf mehrsprachige Typografie, Schriftgestaltung und Editorial Design konzentriert und sich auf persisch-arabische Schriften spezialisiert hat. Ihr aktuelles Initiativprojekt „Type & Politics“ zielt darauf ab, die arabisch-persische Schrift von ihren ideologischen und negativen Konnotationen zu befreien. Zu diesem Thema organisiert sie typografische Workshops an verschiedenen Hochschulen und hält Vorträge auf Designkonferenzen.

@GolnarKat