DESIGN DISKURS
Bis heute gilt Sichtbarkeit als eines der Hauptziele von Designerinnen, die im Beruf, in Organisationen, wo auch immer, avancieren wollen. Doch welche Formen und Formate im Design von Frauen heute und in der Designgeschichte gibt es? Welche Motivationen, welche Ziele haben sie?
Wenngleich die Behebung des Defizit an öffentlicher Wahrnehmung von Frauen im Design in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat, sind es doch nicht allein Statistiken, die auf die „gaps“ zwischen den Geschlechtern hinweisen, sondern es ist auch die Erinnerung an eine opake, exkludierende Geschichte, die Frauen aus der Öffentlichkeit ausgrenzte und diskriminierte. Angesichts einer solchen Asymmetrie in der Wahrnehmung der Geschlechter könnte man Rückschlüsse darauf ziehen, dass Frauen tatsächlich keine guten Werke vollbrachten, und wenn, dann nur kaum Erwähnenswertes hervorgebracht haben. Wie nun wird dieser blinde Fleck in der Erinnerung verhandelt? Welche Formen von Erinnerung gibt es und wie knüpfen Designerinnen heute an ihre eigene Geschichte an?
„obstacle race“
„Why Have There Been No Great Women Artists?“, der Titel von Linda Nochlins grundlegendem Text über die mangelnde Sichtbarkeit von Frauen im Kulturbetrieb, ein Aufsatz von 1971 – heute als kleines Buch wieder neu aufgelegt, weil er zum Klassiker geworden ist –, ging von einer simplen Frage an einen Kollegen aus, nachdem beide eine Ausstellung von berühmten Kunstwerken in einem amerikanischen Museum besucht hatten: „Wie kommt es eigentlich, dass hier keine berühmten Frauen zu sehen sind?“
Nochlin geht nun dieser Frage nach und untersucht die systemischen Restriktionen, die Frauen daran gehindert haben, in der Kunstwelt die gleiche Anerkennung wie ihre männlichen Kollegen zu erlangen. Sie argumentiert, dass das Defizit an „großartigen“ Künstlerinnen nicht auf einen Mangel an Talent zurückzuführen sei, sondern vielmehr auf institutionelle Barrieren, die Frauen die gleichen Bildungs- und Berufschancen wie Männern verwehrt hätten. Sie stellte die Idee von „Größe“ selbst in Frage – eine Vorstellung, die in der Kunst- wie Designwelt stark verbreitet ist, wenn von Genies, Stars, Pionieren, Erfindern und Innovatoren etc. die Rede ist – und wies darauf hin, dass es sich dabei um ein Konstrukt handelt, das oft vom Geschlecht beeinflusst und von gesellschaftlichen Strukturen geprägt ist, die Männer begünstigten.
„Wie kommt es eigentlich, dass hier keine berühmten Frauen zu sehen sind?“
Diese Konstrukte bauen Hürden auf, die von Frauen nur schwer zu überwinden waren. „The Obstacle Race“ war dann ein paar Jahre später ein geradezu ikonischer Text der australischen Feministin Germaine Greer über den Hindernislauf von Künstlerinnen, die innere und äußere Hindernisse zu bewältigen hatten, um wahrgenommen zu werden und erfolgreich arbeiten zu können. Solche Texte waren charakteristisch für die 1970er Jahre. Sie fokussierten sich auf die Diskriminierungen von Frauen und die Einschränkungen ihrer Autonomie. Dies entsprach einer historischen Realität und lässt sich an zahlreichen Restriktionen nachweisen, denen Frauen auf dem Weg zu einer Berufstätigkeit unterlagen.
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Gleichwohl inspiriert insbesondere der Artikel von Linda Nochlins immer noch auch heute Frauen im Design deshalb, weil er sich mit der Neubewertung des gestalterischen Kanons auseinandersetzt. Auch im Design ist seit Jahrzehnten der Prozess eingetreten, das „gute Design“, das heißt einen normativen ästhetischen Kanon, in Frage zu stellen und die Narrative der Designgeschichte, die die Werke von Frauen ausklammern. Indem hier Diversität als neue Orientierung propagiert wird, inspirierte er auch Frauen dazu, die Arbeit von Designerinnen neu zu entdecken und zu fördern.
Angesichts einer Welle von Ausstellungen, Büchern, Netzwerken, öffentlichen Auftritten von Frauen in den letzten Jahren scheint diese Sichtweise fast schon ein wenig überholt. Dennoch sei darauf hingewiesen, dass heute immer noch diese Stereotypen reproduziert werden. 2017 erschien beispielsweise ein zweibändiges voluminöses und bilderreiches Werk über Grafikdesign mit dem Titel „Design-Pioniere: Die Erfindung der grafischen Moderne“. Der Autor wählte acht Designpioniere aus, darunter keine einzige Frau. Im Appendix tauchen unter 63 weiteren Designer*innen nur drei Frauen auf: Käthe Kollwitz, Aenne Koken und Dore Mönkemeyer-Corty. Infolgedessen firmieren Frauen hier als Ausnahmen. Der erste Band wird als „längst überfälliges Übersichtswerk über die Entstehung einer visuellen Sprache, die unser zeitgenössisches ästhetisches Verständnis so nachhaltig prägen sollte“ beworben und soll angeblich ein „umfassendes Bild der fesselnden Entwicklungsgeschichte des Grafikdesigns in Deutschland ab dem späten Kaiserreich bis hin zum Beginn des Zweiten Weltkriegs“ bieten. Nicht durch Zufall erinnert der Buchtitel an das Werk des Deutschen Nikolaus Pevsner, der in England 1936 den Band „Pioneers of the Modern Movement from William Morris to Walter Gropius“ herausgab. Es avancierte zum Standardwerk in vielen Ländern, auch Deutschland, hatte viele Neuauflagen und dominierte die Geschichtsschreibung über viele Jahrzehnte. Auch bei ihm sind Frauen nur marginal erwähnt.
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Aufgrund der bis heute fortdauernden dominanten Narrative der kanonischen Designgeschichtsschreibung sind in Sammlungen und Archiven von Grafikdesign nur wenige Frauen zu finden. So konnte das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg 2023 darauf hinweisen, dass in seiner Plakatsammlung von 400.000 Beispielen aus dem 19. und 20. Jahrhundert nur 1,5 Prozent der Werke von Frauen sind. Die Kunstbibliothek Berlin kann in der eigenen Plakat-Sammlung in der Zeit vor 1914 nur 40 Gestalterinnen gegenüber 957 männlichen Gestaltern aufweisen.
Spurensuche
Durch den versteinerten Zustand der Geschichte, der kaum Informationen über die Repräsentanz von Frauen im Design zulässt, ist diese Arbeit weitgehend nur durch (teure) Forschung zu leisten. Den „Ursprüngen“ des Ungleichverhältnisses der Geschlechter im Design in Deutschland geht seit 2024 das dreijährige Forschungsprojekt UNSEEN der Hochschule Mainz nach mit dem Fokus auf Grafikdesignerinnen zwischen 1865, dem Beginn der organisierten Frauenbewegung, und 1919, der Gründung der Weimarer Republik und der Zulassung von Frauen zu Kunstakademien, zu dem ich als begleitende Kooperationspartnerin beitragen konnte. Hier wird eine nahezu unvergleichliche Fülle an Beispielen weiblicher Kreativität „entdeckt“, die ein ganz anderes Bild von Designgeschichte enthüllt. Die Spurensuche ist aufwändig. Eine solche Forschungsarbeit ist nur möglich durch die hochdotierte staatliche Unterstützung zu bewältigen, in diesem Falle des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).
In anderen Ländern wie die den USA und England ist das Defizit nicht in solchem Maße vorhanden wie in Deutschland. Das hat mehrere Gründe. Ein Grund ist sicherlich daran zu finden, dass die Designgeschichte nicht so sehr durch den Kanon guter Gestaltung eingeengt war wie in Deutschland. Dennoch ist die stärkere Wahrnehmung von Designerinnen in vielen Fällen noch immer dadurch geprägt, dass sie durch ihr „gutes Design“ quasi auf Augenhöhe mit ihren männlichen Kollegen hervorgetreten sind. Eine Fülle an Publikationen, Ausstellungen und auch Filmen soll dies heute unter Beweis stellen.
„Die stärkere Wahrnehmung von Designerinnen ist in vielen Fällen noch immer dadurch geprägt, dass sie durch ihr ‚gutes Design‘ quasi auf Augenhöhe mit ihren männlichen Kollegen hervorgetreten sind.“
Zum Beispiel lässt sich an der jährlichen Auslobung von herausragenden Designer*innen in der „Hall of Fame“ des American Institute of Graphic Arts (AIGA) der Proporz der Geschlechter ablesen, der in den ersten Dekaden des 20. Jahrhundert ohne Frauen auskam, dann erst schwankend Designerinnen aufnahm und erst heute auf Geschlechtergerechtigkeit achtet. Schwedische Designerinnen haben deshalb die „Hall of Fame“ durch eine „Hall of Femmes“ ergänzt – ein 2009 gegründetes Projekt, das die Arbeit von Frauen in Art Direction und Design hervorheben will und entsprechende Publikationen über die Ausgelobten herausgibt – dies bestätigt eher den traditionellen Kanon einer Designhistoriografie, die sich auf herausragende Einzelfiguren, auf die Pionier*innen und Hero*innen, die Innovator*innen und Erfinder*innen, die das „gute Design“ vertreten, fokussiert.
Design als kollektiver Prozess
Trotz der häufig genug erwähnten Einsicht, dass die Entstehung und Produktion von Design als kollektiver Prozess betrachtet werden sollte, ging und geht man in der Geschichtsschreibung selten konkret weiter, manchmal nur einen Schritt, indem man auf ein Team aufmerksam macht, das den Entwurfsprozess begleitete oder Frauen, die die eigentlichen Gestalterinnen waren. Die traditionelle Konzentration auf den Entwurf und auf die Entwerfer*innen hat dazu geführt, dass das Produkt als innovative und fortschrittliche Leistung eines/r Einzelnen betrachtet wurde. Dass die Produktion von Design in den meisten Fällen ein arbeitsteiliger Prozess ist, wird meist unhinterfragt vorausgesetzt, aber nicht weiter verfolgt.
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Der Mangel an solchen Untersuchungen betrifft zwar Männer ebenso wie Frauen, doch zählten Frauen ganz besonders zu den vielen Anonymen. Auch unterlagen sie besonderen Bedingungen in ihrer Arbeit, was heute noch bei Themen des „gender pay gap“, des „gender pension gap“ und der „care“-Arbeit Beachtung findet.
Nur wenige Studien konzentrieren sich allerdings auf den Produktionsbereich selbst. Insbesondere britische Designwissenschaftlerinnen haben diese besondere Situation von Frauen untersucht. Cheryl Buckley hat beispielsweise 1986 auf die patriarchalische Struktur der Erzählung von Designgeschichte hingewiesen. An einem konkreten Beispiel, den bekannten Industrieunternehmen für Töpferwaren im „Art Potter Studio“ von Henry Doulton, sowie Wedgewood, Minton u.a. , untersuchte sie 1990 die hierarchische Ordnung und die geschlechtlichen Strukturen der Arbeit und wies die Diskriminierung von Frauen in verschiedenen Bereichen nach. Ein paar Jahre zuvor hatte sie einen der wichtigsten Texte über Frauen im Design herausgegeben: „Made in Patriarchy: Toward a Feminist Analysis of Women and Design“. Claudia Mareis, die sich in Deutschland in besonderer Weise um Designtheorie verdient gemacht hat, lässt sie 2021 noch einmal in ihrer Publikation „Design Struggles. Intersecting Histories, Pedagogies, and Perspectives, 2021, zusammen mit Nina Paim et al., zu Wort kommen.
Es sind aber nur wenige vergleichbare Studien über die vielen Unsichtbaren im Designprozess unternommen worden. In einem Forschungsprojekt der University of Reading, veröffentlicht als digitaler Clip mit dem Titel „Women in Type. Rediscovering Women’s contribution to type history“ werden die Rollen und die Verantwortlichkeiten der Beteiligten in der Monotype Corporation und Linotype Limited zwischen 1910 und 1990 in den größten britischen Unternehmen auf den Geschlechterproporz hin untersucht.
Es kommt zu dem Ergebnis: „Unsere Forschung zeigt, dass eine Reihe von Schriftherstellern in ganz Europa Frauen in Abteilungen beschäftigten, die alternativ als Zeichenstudios, Zeichenbüros oder Abteilungen für typografische Entwicklung bezeichnet wurden. Diese Frauen arbeiteten täglich an der Entwicklung und Produktion von Schriften, die schließlich fast immer männlichen Designern zugeschrieben wurden“.
„Biete Flächen für widerständige feministische Anzeigen.“
Auf andere Art und Weise hat die Designerin Anja Kaiser vor ein paar Jahren auf Frauen in ihrem Umkreis aufmerksam gemacht, die normalerweise eher weniger öffentlich sichtbar sind. Ihre Arbeit ist ein besonderes und signifikantes Beispiel für die spezifische Vernetzung von Grafikdesign, Aktivismus und etablierten Institutionen wie Hochschulen, Museen beziehungsweise städtischen Kunstgalerien. Anja Kaiser entschloss sich, eine digitale Werbekampagne im Leipziger Stadtraum mit bewegten Bildern zu organisieren. Mit der Frage „Whose. Agency?“ betitelt, wollte sie die Wirkmacht von Agent*innen jenseits von Werbefirmen erproben, die sich im öffentlichen Raum artikulieren. Sie benutzte bereits vorhandene digitale Poster-Light-Werbeflächen, die ansonsten für die ökonomische Verwertungen von Firmenprodukten gekauft wurden.
Kaiser bewegt sich in einem feministisch-aktivistischen Umfeld. Auf der Einladung zur Aktion waren explizit aktivistische Gruppen angesprochen, sich mit eigenen Textbausteinen zu beteiligen: „queer, punks, homo core babes, not grrrrrrlz, DIY witches & anarchist punk players“. Die Aktivist*innen hatten bislang meist auf illegalen Flächen auf sich aufmerksam machen können. Kaisers Aufforderung lautete: „biete Flächen für widerständige feministische Anzeigen“. Sie wollte den Gruppen eine Stimme im städtischen Raum geben, sich folglich der rein ökonomischen Verwertung des öffentlichen Raumes als dem Symbol der Demokratie entgegensetzen. Folglich betrachtet sie ihre Arbeit als politische Aktion.
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Darüber hinaus gab sie 2021, zusammen mit Rebecca Stephany, das Buch „Glossary Of Undisciplined Design“ heraus. Beide führen darin ihre Kritik am etablierten „guten Design“ fort. Feministische Gesellschaftskritik ist ein wesentliches Element ihrer bewusst undisziplinierten Forschungsinstrumente und visuellen Artikulationen. Sie reichen von Printmedien über Installationen, Videoarbeiten, Performances bis hin zu kuratorischer Praxis und kunstkritischem Schreiben. Dabei spielt die Rückbesinnung auf die Geschichte von Grafikdesign eine Rolle und designtheoretische Positionen, wie sie insbesondere durch Martha Scotfords Idee von einer „Messy History“ in den 1990er Jahren gefordert wurde oder durch das designpädagogische Curriculum für Frauen von Sheila Levrant de Bretteville an der CalArt in den 1970er Jahren. Die neuen Artikulationen bauen bereits auf einer Genealogie weiblicher Artikulationen Proteste im Design auf.
Aktivismus
Anders als die wissenschaftliche Forschung und der Kulturbetrieb verfuhr der Aktivismus, wenn es um Sichtbarkeit von Frauen ging. Der Aktivismus geht davon aus, dass sich im offiziellen Kulturbetrieb radikale Versuche zeigen, Homogenität und Eindeutigkeit herzustellen, Diversität und divergierende Meinungen autoritativ still zu stellen.
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Eines der bekanntesten Beispiele ist ein Plakat der Guerilla Girls in New York: „Do women have to be naked to get into the Met.Museum? More than 5% of the artists in the Modern Art sections are women, but 85 % of the Nudes are female“, womit die Gruppe auf die in der Kunstgeschichte beliebten Frauenakte hinwies, hier ein Akt von Ingres. Die erste Gruppe der Guerilla Girls wurde 1985 in New York City mit dem Ziel gegründet, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in den Mittelpunkt der Kunstszene und des Kunstbetriebs zu rücken. Die Gruppe setzt bis heute Culture Jamming in Form von Postern, Büchern, Plakaten und öffentlichen Auftritten und Aktionen ein, um Sexismus und Rassismus sowie Diskriminierung und Korruption in der Kunstwelt an dem Vorbild und Ideal weißer Männer aufzudecken. Ihr Ziel ist die Gleichbehandlung in der Kunstwelt.
Hier vermischt sich der Hinweis auf die mangelnde Sichtbarkeit mit „female empowerment“: Die Künstlerinnen weisen auf die Asymmetrie hin und protestieren lautstark mit spektakulären Aktionen dagegen. Allerdings bieten sie noch keine Alternativen man.
Selbstermächtigung
Welche Formen und Formate von „female empowerment“ gab es und welche stehen heute an? In meinem Buch „HerStories in Graphic Design“, 2023 bei Jovis Publishers erschienen und gestaltet von Katja Lis, gehe ich ausschließlich auf Designerinnen ein, die ihr Heft in die eigene Hand genommen haben, die Alternativen geschaffen und Kollektive und Netzwerke von Frauen gegründet haben. Und die sich vor allem für andere Frauen und für Frauenanliegen eingesetzt.
Da ist eine Heroin aus den USA, die in Deutschland vermutlich keine/r kennt: Candace Wheeler. Sie stammt aus einer kinderreichen, presbyterianischen Familie, die auf einer Farm in der Nähe von New York lebte. Und sie ist ein typisches Beispiel für den religiös gefärbten philanthropischen Pragmatismus, der in Amerika um 1900 vorherrschte.
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Presbyter waren gegen die Sklavenhaltergesellschaft eingestellt, was zu dieser Zeit eine besondere Bedeutung hatte, weil die Sezessionskriege zwischen 1861 und1865 ausbrachen, in denen die Sklavenfrage entscheidend für den Konflikt zwischen den Süd- und den Nordstaaten war. Der Krieg ging mit sehr hohen Verlusten einher: Für Frauen bedeutete das, dass Väter, Ehemänner, Brüder fielen, keine Versorger mehr waren und die Frauen infolgedessen verarmten.
Viele Designerinnen griffen deshalb zur Selbsthilfe. Insbesondere Grafikdesignerinnen spielten hier eine große Rolle, denn das Buchgewerbe war in den Großstädten Boston, New York, Chicago mit seinen großen Verlagen äußerst prosperierend.
„Sie ist eine Heroin aus den USA, die in Deutschland vermutlich keine/r kennt: Candace Wheeler.“
Candace Wheeler startete ihre Karriere nach ihrer Heirat und der Geburt von vier Kindern mit 50 Jahren. Sie gründete 1877 die “Society of Decorative Art” in New York. Die Organisation bot Frauen Unterricht in angewandter Kunst an und half ihnen beim Verkauf ihrer Werke, was ihnen ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Unabhängigkeit verschaffte. 1878 gründete sie in New York die Initiative „Exchange for Women’s Work“ (die bis 2003 existierte). Hier konnten Frauen ihre Arbeiten verkaufen. Wiederum ein Jahr später, 1879, fusionierten Candace Wheeler and Louis Comfort Tiffany in einem gemeinsamen Geschäft für Interieur Design. Sie hatten extrem lukrative Aufträge im ganzen Land. 1883 gründete Wheeler die Firma „Associated Artists“, in der nur Frauen arbeiten durften. Sie produzierten vorwiegend Tapeten und Textilien. 1883 baute sie ein Erholungsheim für Arbeiterinnen in den Catskills, Onteora. 1893, im Altenr von 66 Jahren, richtete sie das „Women’s Building“ auf der Weltausstellung in Chicago ein. Ein Fries in der großen Rotunde des “Woman's Building” listete die “golden names of women who in past and present centuries have done honor to the human race“. Er wurde 1979 das große Vorbild Judy Chicago's „The Dinner Party“.
Dies sind nur einige ihrer überaus engagierten Tätigkeitsfelder. Viele weitere Designerinnen folgten ihrem Beispiel. Wie die philanthropisch ausgerichteten Vereine hatten die von Frauen gegründeten Ausbildungsstätten hauptsächlich die Unterstützung von Frauen für Frauen zum Ziel. Sie waren infolgedessen nicht einfach Karrierenetzwerke. Die meisten der von Frauen gegründeten Ausbildungsstätten wurden zum Grundstein heutiger staatlicher oder kommunaler Bildungseinrichtungen wie Museen und Designschulen.
„Von 260 Denkmäler von bedeutenden Persönlichkeiten der französischen Geschichte in Paris sind nur 40 von Frauen.“
Wie kann man nun heute an solche Herrinnen erinnern? Die Eröffnungsveranstaltung der olympischen Spiele 2024 zeigt dafür ein sehr schönes Beispiel. Um auf den Einfluss großer französischer Frauen der Geschichte aufmerksam zu machen, haben sich die Veranstalter*innen der Olympischen Spiele in Paris einen besonderen Akt einfallen lassen. Während der Eröffnungsfeier auf der Seine wurden zehn Statuen aus im Fluss stehenden Sockeln hochgefahren. Mit der Aktion wollten die Organisatoren bekannte Persönlichkeiten ins Rampenlicht rücken, die Statuen sollen nach den Spielen in Paris aufgestellt werden. Denn von 260 Denkmäler von bedeutenden Persönlichkeiten der französischen Geschichte in Paris sind nur 40 von Frauen. Begonnen wurde die Parade mit einem Bildnis der Revolutionärin und Frauenrechts-Aktivistin Olympe de Gouges aus dem 18. Jahrhundert. Sie stellte das Motto der Französischen Revolution in Frage: „Liberté, égalité, fraternité" – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Olympe de Gouges verfasste ein Manifest für Schwesterlichkeit. Ein weiteres Denkmal zeigte die Autorin Simone de Beauvoir, deren Text „Das andere Geschlecht“ 1949 für die zweite Frauenbewegung von größter Bedeutung war. Ein weiteres Denkmal wurde Christine de Pizan gewidmet, die 1405 „Le Livre de la Cité des Dames“ in ihrer eigenen Druckerei herausgab. Es wurde zum Ausgangspunkt der Querelle des Femmes, einer Debatte um die Geschlechterordnung, die seit dem 14. Jahrhundert in Europa geführt wurde.
Sichtbarkeit von Designerinnen heute
Manche der Formen und Formate von Sichtbarkeit in der Geschichte sind obsolet geworden. Doch erstaunlich viele Anliegen, mit denen sich Designerinnen beschäftigten, haben ein großes Beharrungsvermögen. Das ist nach wie vor die Doppel- und Mehrfachbelastung von Frauen; die Dominanz des westlichen Weltbildes; Equal Pay Gap und Equal Pension Gap; eine weltweite Auseinandersetzung mit Abtreibung; Frauengesundheit; auch Frauenhass, der laut neuesten Statistiken in Deutschland zugenommen haben soll; Diversität der Geschlechteridentitäten, u.v.a.m. Es lohnt gerade deshalb, einen Schwerpunkt auf ihre Sichtbarkeit mit Mitteln von Design zu sorgen.