DESIGN DISKURS
DDC Vorstandssprecherin Bettina Knoth ist strategisch denkende Gestalterin. DDC Mitglied und Vorstand des Brand Clubs Christian Prill ist gestaltender Stratege. In ihrer Arbeit schließen die beiden die Lücken, die bei der Konstruktion und Entwicklung von Markenidentitäten und Design entstehen. Ein Austausch über Brand Gaps, demokratische Marken, gesellschaftspolitische Verantwortung, die Bereitschaft zu Scheitern, die Grenzen von Co-Kreation und die Idee eines Markentools mit Multiperspektive.
Bettina Knoth: Wir wollten ja heute über Brand Gaps sprechen, also die Stellen, die in der Realität von Marken und ihrer Entwicklung nicht so richtig funktionieren. Mir fällt dazu eine Situation ein, die ich häufig in meiner Arbeit erlebe, wenn ich in ein Unternehmen neu reinkomme: Es gab bereits eine für sich genommen gute Markenstrategie und ein für sich genommen gutes Brand Design. Und dann passte doch beides nicht richtig zusammen und das Ergebnis funktioniert nicht im Markt. Ich frage mich dann: Wie konnte es dazu kommen? Mir scheint, dass sich die Beteiligten im Laufe des Prozesses nicht wirksam miteinander ausgetauscht haben.
Christian Prill: Ja, das ist wirklich interessant. Dieses Phänomen beobachte ich ebenfalls. Ich glaube tatsächlich, dass miteinander reden hilft. Aber diese Kommunikation, also der Workflow, sollte unbedingt geleitet werden. Es geht dabei um so etwas wie Team-Guidance. Dafür braucht es eine Vorstellung davon, wohin die Marke sich entwickeln kann und um ein klares Bild. Und um viel Fingerspitzengefühl dabei, wie Menschen miteinander wirksam für ein Ziel arbeiten können.
„Leute mit Strategie- oder mit Design-Fokus haben immer mal wieder ziemlich unterschiedliche Sichtweisen, wie die Marke sich entwickeln sollte.“
Das ist oft einfach eine Typ-Frage der Beteiligten, scheint mir. Deswegen ist es wichtig, diesen Weg im Sinne der Marke übergeordnet zu moderieren.
Bettina Knoth: Moderieren klingt mir zu neutral. Zu den Strategie- und Designfokussierten auf der einen Seite kommen ja auf der anderen auch die Geschäftsleitung, Beteiligte aus Produktentwicklung, Marketing, Vertrieb und viele mehr. Sie alle sollen in die Lage versetzt werden, die Essenz von Strategie, Kommunikation und Design zu verinnerlichen, damit zu arbeiten und sie weiterzuentwickeln. Und das mit dem Anspruch, dass alles nachhaltig auf die Marke einzahlt. Im Grunde genommen bist Du da schnell bei der Frage, wie demokratisch solche Workflows oder auch Marken insgesamt sind und sein können. Ein Thema, das uns im DDC in diesem Jahr besonders intensiv beschäftigt. In der Auseinandersetzung darüber haben wir übrigens festgestellt, dass wir ein geteiltes Verständnis der Perspektive brauchen, aus der wir auf die Verbindung von Demokratie und Design schauen, um uns sinnvoll darüber austauschen zu können.
Christian Prill: Aus einer kundenzentrierten Perspektive ist die Frage danach, wie demokratisch Marken insgesamt sein können, sehr schnell beantwortet, denn die Leute stimmen ja mit ihrer Entscheidung oder Verweigerung ab. Also, ob sie ein Produkt kaufen, einen Service oder ein Angebot nutzen oder ob sie bereit sind, eine Marke zu empfehlen oder nicht. Mehr Mitbestimmung geht ja gar nicht. Das Museum of Failure hat da sehr eindrückliche Exponate.
„Aus der Sicht des Unternehmens, also des Brand Owners, stellen sich die Dinge schon wieder anders dar: Co-Kreation ist gut, findet aber dort seine Grenze, wo zu viel Offenheit ist. Da sollte ein Plan entwickelt werden, in welche Richtung es gehen wird.“
Das ist Risiko-Management für Marken. Die Frage ist dann nur: Wer kann denn diesen Plan entwickeln? Und worauf sollte er fußen? Ich glaube, es ist immer eine Gratwanderung zwischen Kundenbedürfnissen, dem klaren Bild der eigenen Identität und einer Vorstellung davon, wie ein Unternehmen in die Zukunft gehen will, also ein Innovationsthema. Was ja immer notwendigerweise auch den Mut und Willen zum vorübergehenden Scheitern mit einschließt.
Bettina Knoth: Die Voraussetzung für die Kaufentscheidung ist allerdings schon, dass du als Kund*in überhaupt Zugang zu dieser Marke hast. Wenn man das global oder auch demografisch betrachtet, sind viele Menschen davon ausgeschlossen. Insofern ist das mit der Demokratie in diesem Zusammenhang so eine Sache.
„Neben den verschiedenen Dimensionen, die du gerade genannt hast, ist die Bereitschaft zu Scheitern, glaube ich, essenziell für das Voranschreiten einer Marke.“
Es gibt auch Phasen, in die man es sogar zwingend mit einkalkulieren muss, um als Marke glaubwürdig zu bleiben. Ich denke dabei z. B. an Nike und die Verbindung zu Colin Kaepernick, auch wenn das jetzt nicht im Zusammenhang mit einer Innovation gestanden hat. Der kreative Prozess an sich ist aus meiner Sicht kein demokratischer Vorgang. Aber natürlich können wir uns im Rahmen von Co-Kreation gegenseitig inspirieren. Und im besten Fall wird die Idee, die von einer Person ausgesprochen oder dargestellt wird, von den anderen Beteiligten als richtig empfunden. Das setzt natürlich ein gemeinsames Verständnis voraus. Unter Kreativen beginnt das im Entwurfsprozess einer Marke schon mit den Ergebnissen von Recherchen und der Gestaltung von Moodboards und ersten Entwürfen.
Christian Prill: Und das ist wiederum die kommunikative Übersetzungsleistung der Strategie, die direkt mit den Beteiligten im Unternehmen entstanden ist. Also, der geteilten Auffassung der Marke, ihre Ziele und ihr Sinngehalt.
Bettina Knoth: Stimmt. Und genau an diesem Punkt kommt es häufig zu einer der Lücken, mit der eine Marke Gefahr läuft, in ihrer Herausbildung zu stagnieren. Ich habe schon erlebt, dass eine Strategie nie weiter in eine Organisation getragen wurde und im Kreise derer hängen geblieben ist, die sie erarbeitet haben. In einem anderen Fall hat das Management versucht, seine Mitarbeitenden und Kooperationspartner*innen mit einer verkürzten Version des Markenkerns zu erreichen und wurde missverstanden. Daraus sind eins zu eins Darstellungen dessen, was dabei kommuniziert wurde, hervorgegangen. Das hat sich im Unternehmen durchgesetzt und neben einigen Subbrands sogar eine ganze Abteilung und Services geformt. Die Marke hat eine Schlagseite bekommen und das Leistungsangebot wurde im Markt nicht mehr verstanden. Alternativ kann die Verkürzung einer Markenstrategie auch als Bullshit-Bingo wahrgenommen werden.
„Aus meiner Sicht sollte jeder Mitarbeitende Zugang zu einer verständlichen Form der Strategie haben, um sie für die eigene Arbeit nutzen zu können. Das wäre für mich eine Art und Weise, die ich im Hinblick auf die Möglichkeit, zu partizipieren, zumindest im Ansatz als demokratisch empfinden würde.“
Christian Prill: Und hast du auch einen Vorschlag zum Schließen des Brand Gaps zwischen Strategie und Design?
Bettina Knoth: Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, dass Markenentwickler*innen zwischen der Erarbeitung der Strategie und der Gestaltung von Erlebnissen eine Art Multiperspektive für eine Marke erzeugen oder ein Tool entwerfen, mit dem sich eine Marke in ihren unterschiedlichen Ausprägungen steuern lässt. Ich denke dabei an so etwas wie Erlebnis-Prinzipien, die für ein ganzheitliches Markenerlebnis inklusive der Produktentwicklung sorgen und durch die die verschiedenen Nutzer*innen-Bedürfnisse an den Berührungspunkten mit der Marke berücksichtigt werden können. Das setzt viel Selbstverantwortung und Kommunikation beim Entwickeln dieser Erlebnisse voraus. Eigentlich ist das auch eine Art von Befähigung der eigenen Mitarbeiter*innen.
Christian Prill: Das wäre dann ein Markentool, das dauerhaft für die Kommunikation zwischen Geschäftsleitung, Marketing, Brandmanagement und Produktentwicklung eingesetzt werden könnte.
„Ich finde es sinnvoll, sich auch nochmal wieder vor Augen zu führen, woraus denn eigentlich Marken bestehen.“
Es sind ja nicht die Maschinen oder Unternehmensgebäude, die den Wert der Marken ausmachen. Auch nicht die Logos und Erscheinungsbilder, jedenfalls nicht nur. Wenn Interbrand das jährliche Markenwert-Ranking veröffentlicht, dann ist dort vor allem eins abgebildet: das Vertrauen der Menschen in einen Leistungszusammenhang, der unter einem bestimmten Namen wie Apple, Coke und Tesla angeboten wird. Es geht bei Marken also vor allem um Vertrauen. Insofern sind sie systemrelevanter Sozial-Kitt. Wer gutes Vertrauensmanagement betreiben will, schließt die Brand Gaps oder lässt sie gar nicht erst zu.
Bettina Knoth: Und auch, wenn das eine Menge Management, Aufwand und natürlich Kommunikation bedeutet, lohnt es sich. Damit hast Du als Marke stets sehr schnell klare Antworten auf neue Herausforderungen. Und die werden immer komplexer.
„Heute trägt jede Marke eine ökonomische, ökologische, soziale und vor allem auch gesellschaftspolitische Verantwortung.“
Darüber sind sich die wenigsten bewusst – eine weitere Lücke. Patagonia ist ein aktuelles und prominentes Beispiel dafür. Die Marke stellt ihre Unternehmungen in den Dienst des Planeten, kommuniziert die Endlichkeit des Wachstums und fordert zur Partizipation auf. Ich finde, das ist eine sehr vielversprechende Entwicklung.