Bild: Webseite des Museum of Failure

DESIGN DISKURS

DDC Vorstands­sprecherin Bettina Knoth ist strategisch denkende Gestalt­er­in. DDC Mitglied und Vorstand des Brand Clubs Christian Prill ist gestalten­der Stratege. In ihrer Arbeit schließen die beiden die Lücken, die bei der Kon­struk­tion und Ent­wick­lung von Marken­identi­täten und Design ent­stehen. Ein Aus­tausch über Brand Gaps, demo­kratische Marken, gesell­schafts­politische Verant­wortung, die Bereit­schaft zu Scheitern, die Grenzen von Co-Kreation und die Idee eines Marken­tools mit Multiperspektive.

Veröffentlicht am 06.07.2022

Bettina Knoth: Wir wollten ja heute über Brand Gaps sprechen, also die Stellen, die in der Re­ali­tät von Marken und ihrer Ent­wick­lung nicht so richtig funktio­nieren. Mir fällt dazu eine Situ­ation ein, die ich häu­fig in meiner Arbeit erlebe, wenn ich in ein Unter­nehmen neu rein­komme: Es gab bereits eine für sich genom­men gute Marken­strategie und ein für sich genom­men gutes Brand Design. Und dann passte doch beides nicht richtig zusam­men und das Ergeb­nis funktio­niert nicht im Markt. Ich frage mich dann: Wie konnte es dazu kommen? Mir scheint, dass sich die Beteiligten im Laufe des Prozesses nicht wirk­sam mit­ein­ander ausge­tauscht haben.


Christian Prill:
Ja, das ist wirklich interes­sant. Dieses Phäno­men beo­bachte ich eben­falls. Ich glaube tat­säch­lich, dass mit­ein­ander reden hilft. Aber diese Kommu­ni­kation, also der Work­flow, sollte unbe­dingt ge­leitet werden. Es geht dabei um so etwas wie Team-Guidance. Dafür braucht es eine Vor­stellung davon, wohin die Marke sich ent­wickeln kann und um ein klares Bild. Und um viel Finger­spitzen­ge­fühl dabei, wie Menschen mit­ein­ander wirk­sam für ein Ziel arbeiten können.

„Leute mit Strategie- oder mit Design-Fokus haben immer mal wieder ziem­lich unter­schied­liche Sicht­weisen, wie die Marke sich entwickeln sollte.“

Das ist oft ein­fach eine Typ-Frage der Betei­ligten, scheint mir. Des­wegen ist es wichtig, diesen Weg im Sinne der Marke über­ge­ordnet zu moderieren.

Bild Bettina Knoth: Jörg Rothhaar

Bettina Knoth: Moderieren klingt mir zu neutral. Zu den Strategie- und Design­fokus­sierten auf der einen Seite kommen ja auf der anderen auch die Geschäfts­leitung, Beteiligte aus Produkt­ent­wicklung, Marketing, Ver­trieb und viele mehr. Sie alle sollen in die Lage ver­setzt werden, die Essenz von Strategie, Kommuni­kation und Design zu ver­inner­lichen, damit zu arbeiten und sie weiter­zu­ent­wickeln. Und das mit dem An­spruch, dass alles nach­haltig auf die Marke ein­zahlt. Im Grunde genom­men bist Du da schnell bei der Frage, wie demo­kratisch solche Work­flows oder auch Marken ins­ge­samt sind und sein können. Ein Thema, das uns im DDC in diesem Jahr beson­ders inten­siv beschäftigt. In der Aus­ein­ander­setz­ung darüber haben wir übrigens fest­gestellt, dass wir ein geteil­tes Ver­ständ­nis der Per­spek­tive brauchen, aus der wir auf die Ver­­­bin­dung von Demo­kratie und Design schauen, um uns sinn­voll darüber aus­tauschen zu können.

Christian Prill: Aus einer kunden­zen­trierten Per­spektive ist die Frage danach, wie demo­kratisch Marken ins­ge­samt sein können, sehr schnell beant­wortet, denn die Leute stim­men ja mit ihrer Ent­scheidung oder Ver­weiger­ung ab. Also, ob sie ein Produkt kaufen, einen Service oder ein Ange­bot nutzen oder ob sie bereit sind, eine Marke zu empfehlen oder nicht. Mehr Mit­bestim­mung geht ja gar nicht. Das Museum of Failure hat da sehr ein­drückliche Exponate.

„Aus der Sicht des Unter­nehm­ens, also des Brand Owners, stellen sich die Dinge schon wieder anders dar: Co-Kreation ist gut, findet aber dort seine Grenze, wo zu viel Offen­heit ist. Da sollte ein Plan entwickelt werden, in welche Rich­tung es gehen wird.“

Das ist Risiko-Manage­ment für Marken. Die Frage ist dann nur: Wer kann denn diesen Plan ent­wickeln? Und worauf sollte er fußen? Ich glaube, es ist immer eine Grat­wander­ung zwischen Kunden­be­dürf­nissen, dem klaren Bild der eigenen Identi­tät und einer Vor­stell­ung davon, wie ein Unter­nehmen in die Zukunft gehen will, also ein Inno­vations­thema. Was ja immer not­wendiger­weise auch den Mut und Wil­len zum vor­über­gehenden Scheitern mit einschließt.

Bettina Knoth: Die Voraus­setzung für die Kauf­ent­schei­dung ist aller­dings schon, dass du als Kund*in über­haupt Zu­gang zu dieser Marke hast. Wenn man das global oder auch demo­grafisch betrachtet, sind viele Menschen davon aus­ge­schlossen. Insofern ist das mit der Demo­kratie in diesem Zusam­men­hang so eine Sache.

„Neben den ver­schiedenen Dimen­sionen, die du gerade genannt hast, ist die Bereit­schaft zu Scheitern, glaube ich, essen­ziell für das Vor­an­schreiten einer Marke.“

Es gibt auch Phasen, in die man es sogar zwingend mit ein­kalku­lieren muss, um als Marke glaub­würdig zu bleiben. Ich denke dabei z. B. an Nike und die Ver­bindung zu Colin Kaepernick, auch wenn das jetzt nicht im Zusammen­hang mit einer Inno­vation ge­standen hat. Der kreative Prozess an sich ist aus meiner Sicht kein demo­kratischer Vor­gang. Aber natür­lich können wir uns im Rahmen von Co-Kreation gegen­seitig inspi­rieren. Und im besten Fall wird die Idee, die von einer Person aus­ge­sprochen oder dar­ge­stellt wird, von den anderen Beteilig­ten als richtig em­pfunden. Das setzt natür­lich ein gemein­sames Ver­ständ­nis voraus. Unter Krea­ti­ven beginnt das im Ent­wurfs­­prozess einer Marke schon mit den Ergeb­nissen von Re­cher­chen und der Gestalt­ung von Mood­boards und ersten Entwürfen.

Zeit für die Toilette: Diese kalorienarmen und fettfreien Chips waren 48 Monate auf dem Markt. Sie enthalten Olestra. Der umstrittene Zusatzstoff verlor schnell an Popularität, weil er in größeren Mengen zu Magenkrämpfen und Durchfall führte.

Christian Prill: Und das ist wiederum die kommuni­kative Über­setzungs­leistung der Strate­gie, die direkt mit den Betei­lig­ten im Unter­nehmen ent­stan­den ist. Also, der geteil­ten Auf­fassung der Marke, ihre Ziele und ihr Sinngehalt.


Bettina Knoth: Stimmt. Und genau an diesem Punkt kommt es häufig zu einer der Lücken, mit der eine Marke Gefahr läuft, in ihrer Heraus­bildung zu stag­nieren. Ich habe schon erlebt, dass eine Strate­gie nie weiter in eine Organi­sation getragen wurde und im Kreise derer hängen ge­blieben ist, die sie erar­beitet haben. In einem anderen Fall hat das Manage­ment ver­sucht, seine Mit­arbeiten­den und Ko­operations­partner­*innen mit einer ver­kürzten Version des Marken­kerns zu er­reichen und wurde miss­ver­stan­den. Daraus sind eins zu eins Dar­stell­ungen dessen, was dabei kom­muni­ziert wurde, her­vor­ge­gan­gen. Das hat sich im Unter­nehmen durch­ge­setzt und neben einigen Sub­brands sogar eine ganze Ab­teilung und Ser­vices ge­formt. Die Marke hat eine Schlag­seite bekom­men und das Leistungs­an­ge­bot wurde im Markt nicht mehr ver­stan­den. Alter­nativ kann die Ver­kür­zung einer Marken­strategie auch als Bull­shit-Bingo wahr­genom­men werden.

„Aus meiner Sicht sollte jeder Mit­arbeiten­de Zu­gang zu einer ver­ständ­lichen Form der Strategie haben, um sie für die eigene Arbeit nutzen zu können. Das wäre für mich eine Art und Weise, die ich im Hin­blick auf die Möglich­keit, zu partizipieren, zumin­dest im Ansatz als demo­kratisch empfinden würde.“

Christian Prill: Und hast du auch einen Vor­schlag zum Schließen des Brand Gaps zwischen Strategie und Design?


Bettina Knoth: Eine Möglich­keit wäre zum Bei­spiel, dass Marken­ent­wickler­*innen zwischen der Erar­beitung der Strate­gie und der Gestalt­ung von Erleb­nissen eine Art Multi­per­spek­tive für eine Marke erzeu­gen oder ein Tool ent­werfen, mit dem sich eine Marke in ihren unter­schied­lichen Aus­prägungen steuern lässt. Ich denke dabei an so etwas wie Erleb­nis-Prin­zipien, die für ein ganz­heit­liches Marken­er­leb­nis inklusive der Produkt­ent­wicklung sorgen und durch die die ver­schiedenen Nutzer­*innen-Bedürf­nisse an den Berührungs­punkten mit der Marke berück­sich­tigt werden können. Das setzt viel Selbst­ver­ant­wort­ung und Kom­muni­kation beim Ent­wickeln dieser Erleb­nisse voraus. Eigent­lich ist das auch eine Art von Befähi­gung der eigenen Mit­arbeiter­*innen.

Patagonias Botschaft lautet: Wir sind im Geschäft, um unseren Heimatplaneten zu retten. Die Outdoor-Marke hat sich von seinen Wachstumskennzahlen verabschiedet.

Christian Prill: Das wäre dann ein Marken­tool, das dauerhaft für die Kommuni­kation zwischen Geschäfts­leitung, Marke­ting, Brand­manage­ment und Produkt­ent­wick­lung ein­ge­setzt werden könnte.

„Ich finde es sinn­voll, sich auch noch­mal wieder vor Augen zu führen, woraus denn eigentlich Marken be­stehen.“

Es sind ja nicht die Maschinen oder Unter­nehmens­ge­bäude, die den Wert der Marken aus­machen. Auch nicht die Logos und Er­schein­ungs­bilder, jeden­falls nicht nur. Wenn Inter­brand das jähr­liche Markenwert-Ranking veröffent­licht, dann ist dort vor allem eins abge­bildet: das Ver­trauen der Men­schen in einen Leistungs­zu­sam­men­hang, der unter einem be­stim­mten Namen wie Apple, Coke und Tesla ange­boten wird. Es geht bei Marken also vor allem um Ver­trauen. Inso­fern sind sie system­rele­vanter Sozial-Kitt. Wer gutes Ver­trauens­manage­ment be­treiben will, schließt die Brand Gaps oder lässt sie gar nicht erst zu.

Bettina Knoth: Und auch, wenn das eine Menge Manage­ment, Auf­wand und natürlich Kom­muni­kation bedeutet, lohnt es sich. Damit hast Du als Marke stets sehr schnell klare Ant­worten auf neue Heraus­forder­ungen. Und die werden immer kom­plexer.

„Heute trägt jede Marke eine ökonomische, öko­lo­gische, soziale und vor allem auch gesell­schafts­polit­ische Verantwortung.“

Darüber sind sich die wenigsten bewusst – eine weitere Lücke. Patagonia ist ein aktuelles und prominentes Beispiel dafür. Die Marke stellt ihre Unter­nehm­ungen in den Dienst des Planeten, kommuni­ziert die End­lich­keit des Wachs­tums und fordert zur Partizi­pation auf. Ich finde, das ist eine sehr viel­ver­sprechende Ent­wicklung.

Bettina Knoth

Bettina Knoth ist Inhaberin und Kreativ­direktorin des Branding- und Innovations­hubs Labstract, Vor­stands­­sprecherin des Deutschen Designer Clubs und Autorin. Ihre Arbeit bewegt sich im Bereich Marken­ent­wicklung, Strategie und Design, Cross-Innovation, Format­ent­wicklung, Story­telling und Text. Bei Labstract realisiert sie damit konkrete Lösungen für die Trans­forma­tion von Unter­nehmen und Insti­tuti­onen. Ihre Arbeiten wurden viel­fach ausgezeichnet. 


Christian Prill

Christian Prill, Geschäftsführer STRAT FWD GmbH, Vorstand Brand Club, DDC-Mitglied. Mit STRAT FWD ent­wickelt er inhaber­ge­führte Design-Agen­turen weiter und erar­beitet für deren Kunden Marken- und Kom­muni­kations­strate­gien. Ihn interes­siert vor allem die Ver­knüpf­ung von Strategie und Design für mehr Wert­schöpf­ung. Seine Gedanken teilt er in Vor­trägen und Ver­öffent­lichungen, zuletzt in seinem Buch „81 Minuten Fluid Brands“.