WAS IST GUT
Welchen Beitrag können Designer*innen zu einer lebenswerten Zukunft leisten? Der Architekt und Professor für Designtheorie Friedrich von Borries gab uns im Gespräch für das DDC MAG 02 Anregungen dazu. Seine Ideen sind unter anderen in den Projekt-Wettbewerb WAS IST GUT eingeflossen, den der DDC für 2021 ausgerufen hat – er steht unter der Schirm—schaft von Friedrich von Borries.
Nicht nur die Klimakatastrophe, auch andere ökologische wie soziale Krisen stellen uns vor große Herausforderungen. Wie können wir Designer*innen unseren Beitrag für eine bessere Zukunft leisten? Welche Verantwortung tragen wir dabei? Was bedeutet das für unsere Praxis? Die Gesellschaft und ihre Systeme stehen in vielerlei Hinsicht auf dem Prüfstand – dies betrifft selbstverständlich auch unsere Profession. Veränderungen werden kommen – nur wenn wir die Notwendigkeit zur Veränderung annehmen, können wir den Wandel gestalten. Daher möchten wir als Deutscher Designer Club eine Debatte anregen; das Interview mit Friedrich von Borries verstehen wir als Auftakt dazu. Als Ausstellungsmacher, Architekt und Designprofessor kann von Borries von einer höheren Warte das Feld überblicken und Unbequemes aussprechen. Sicher ist, dass all unsere Fragen nicht auf einmal beantwortet werden können. Sicher ist aber auch, dass wir uns ihnen stellen müssen.
Liest man ihr Buch „Weltentwerfen“, hat man das Gefühl, jeder ist Designer*in und alles ist Design – da wird das Selbst, die Gesellschaft und schließlich die Welt gestaltet. Braucht man dann überhaupt noch Design als Kategorie?
Friedrich von Borries: Ich verstehe Design nicht so, dass man Architektur und Stadtplanung davon abkoppelt. Wenn wir von Gestaltung der Lebenswelt sprechen, ist Design eine sehr breite, vieles umfassende Disziplin. Letztlich ist im Anthropozän alles Gegenstand von Gestaltung. Was noch lange nicht heißt, dass alles Design ist und noch lange nicht den Design-Begriff auflöst – sondern im Gegenteil, es macht ihn wichtiger.
Worin sehen Sie die Verantwortung von Design und Designer*innen?
Gestalter*innen haben eine große Verantwortung für unsere gestaltete Umwelt, für die Räume, die uns täglich umgeben, in denen wir sitzen, leben – bis hin zu den Möbeln und technischen Geräten, die einen großen sozialen und ökologischen Impact haben. Wir wissen, dass wir in einer Consumer Culture leben, die nicht besonders nachhaltig ist, und die zudem global gesehen nicht gerecht ist. Wir wissen auch, dass Designer*innen – von Produktdesigner*innen bis zu Informations- und Grafikdesigner*innen – einen sehr hohen Anteil am Erfolg dieser Konsumgesellschaft haben. Und an dem Punkt haben Gestalter*innen und Designer*innen nicht nur Verantwortung, sondern sogar auch Schuld. Verantwortung ist positiv formuliert, man muss auch über Schuld diskutieren.
Ist jetzt die Zeit des großen Reparierens, der Selbstkritik für Designer*innen?
Reparieren ist ja schön und gut, aber mein Appell geht noch in eine andere Richtung: Gibt es nicht noch andere Bereiche in der Gesellschaft, in denen Design einen produktiven Beitrag leisten kann? Ist es wirklich richtig, dass wir unsere gestalterische Energie darauf reduzieren, Dinge besser zu verkaufen? Können wir Gestalter*innen nicht noch einen viel wichtigeren Beitrag leisten, als nur nachzudenken: Wie machen wir den Stuhl noch nachhaltiger, wie machen wir eine Verpackung recyclingfähiger, wie entwerfen wir Häuser so, dass sie gut umgenutzt werden können? Das ist auch alles sinnvoll, auf einer ersten Ebene. Wie können wir das, was in den letzten Jahren falsch gelaufen ist, reparieren? Oder anders machen? Und der zweite Schritt ist: Welche gesellschaftlichen Bereiche könnten von der gestalterischen Kreativität, Denkfreude und Erfindungslust profitieren?
„Gestalter*innen und Designer*innen haben nicht nur Verantwortung, sondern sogar auch Schuld.“
In „Weltentwerfen“ ermutigen Sie Designer*innen, sich ihrer entwerfenden Haltung bewusst zu werden: Damit meinen Sie, dass Designer*innen nicht nur ästhetischen, funktionalen und ökonomischen Aspekten folgen sollen, sondern auch politischen und ethischen. Sollen Designer*innen jetzt Aktivisten werden? Oder brauchen wir etwa ein Gestaltungsministerium? Wie wird die/der Designer*in ganz konkret – politisch?
Ich glaube, das einfachste wäre, jeder nimmt sich einen Tag die Woche oder einen Monat im Jahr, in dem er andere Projekte macht. Oder ein Projekt im Büro parallel. Für das er nicht bezahlt wird. Das nicht bemessen wird an den klassischen Erfolgskriterien. Sondern das wichtig für unsere Gesellschaft ist. Das kann etwa heißen, dass er einer sozialen Initiative hilft oder selber eine auf die Beine stellt. Also, da gibt es verschiedene Wege. Ich habe einen Freund, der ist Zahnarzt, der macht im Sommer nicht vier Wochen Urlaub, sondern arbeitet als Zahnarzt in Afrika, kriegt kein Geld dafür, findet es aber wichtig. Das würde ich mir von Designer*innen und Architekt*innen auch wünschen. Das wäre mein Appell, es auf die politische Ebene zu schieben. Ein Gestaltungsministerium wäre nicht so wirksam, da würden sich die falschen Lobbygruppen Einfluss verschaffen.
Wobei das Politische und das Ethische ja schon mal im Design eine Rolle gespielt haben, unter Otl Aicher ...
Unsere Generation ist Opfer des „Conservative Turn“ der 80er Jahre, nachdem die großen sozialutopischen Ansprüche der 70er Jahre, unserer Eltern, sich in Luft aufgelöst haben und in den 80ern und 90ern der Hedonismus gefeiert wurde. Unsere Generation, die nachfolgende noch mehr, muss sich den politischen Raum wieder zurückerobern. Man kann sich „Fridays for Future“ zum Vorbild nehmen, das sind halt Schüler*innen, die können freitags streiken. Wir haben eine Ausbildung, wir haben eine Profession, wir müssen freitags nicht streiken, wir können aber freitags arbeiten für andere Formen und Inhalte als die, für die wir montags bis donnerstags arbeiten.
„Wir müssen darüber nachdenken, in welchen Bereichen wir in unserem Leben folgenlos sein können.“
Aber wir sind Kinder einer sehr gesättigten Generation. Was auf uns jetzt zukommt, ist die Frage, nicht besser zu gestalten, sondern einfach gar nicht zu gestalten. Wie kriegt man das vermittelt, das Garnichts?
Aus diesem Grund mache ich ein Seminar: „Nichtstun und dumm rumstehen“. Manchmal ist es besser, nichts zu tun, als weiter den alten Scheiß. Die Student*innen sind sehr motiviert, aber es fällt ihnen unheimlich schwer, nichts zu tun. Wir haben beim letzten Mal zwei Stunden rumgestanden und nichts getan. Dann haben wir reflektiert, wie es einem dabei ergangen ist. Auf einer symbolischen Metaebene: Was macht man, und was lässt man besser bleiben? Ich habe seit zwei Jahren ein Projekt im Auftrag vom Bundesumweltministerium zum Thema „Kunst und Nachhaltigkeit“, und ich versuche, das Ministerium vom Konzept „Folgenlosigkeit“ zu überzeugen. „Folgenlosigkeit“ könnte den Begriff „Nachhaltigkeit“ ablösen, denn der ist ökonomisch total verseucht – und steht heute letztlich nur noch für eine neue Form von Profitorientierung. Wir müssen darüber nachdenken, in welchen Bereichen wir in unserem Leben folgenlos sein können. Sehr schwierig, weil das das Selbstverständnis unserer Gesellschaft infrage stellt, weil wir immer auf Selbstverwirklichung, Selbstwirksamkeit und Erfolg aus sind.
Braucht es da nicht eher eine Wertedebatte? Sollte man da nicht an die Werte von Gestalter*innen gehen?
Wir haben gesamtgesellschaftlich relativ ähnliche Werte. Man wird auf wenige Menschen treffen, die sagen: „Luxus pur, Umwelt scheißegal.“ In der Parteienlandschaft erzählt kaum einer, Nachhaltigkeit sei nicht wichtig. Ich glaube, die Werte sind es nicht. In „Weltentwerfen“ spreche ich von Übung, von praktischer Konditionierung. Ein Porsche ist, weil ich damit groß geworden bin, weil ich so geprägt bin, total geil. Und ich hätte gerne einen. Ich habe keinen, obwohl ich mir so ne gebrauchte Schüssel durchaus leisten könnte. Aber ich finde es falsch. Es ist ein Ankämpfen, ein Angehen gegen eine Prägung, die man hat. Ich glaube, wir brauchen ein neues Schulfach wie Lebenskunst, wo man ein Leben einübt, was anderen Werten folgt. Die Werte kennen wir, die teilen wir – aber wir haben keine Übung. Wir wissen, dass vegetarisches Essen viel gesünder und ökologischer ist. Dennoch haben wir den Impuls, bei Einladungen, festlich, groß: Fleisch. Aus Konditionierung, aus etlichen Jahren Weihnachts- und Sonntagsbraten. Ich glaube, wir kriegen das nur durch Übung, durch aktives Handeln anders geprägt.
2010 sagten Sie anhand einer Ausstellung und einem Buch voraus, wie wir Menschen uns dem Klimawandel anpassen werden – dazu würden wir in sogenannten „Klimakapseln“ leben. Bislang ist dies nicht eingetreten – lagen Sie falsch?
„Klimakapseln“ ist Fiktion und nicht Prognose. Deshalb würde ich nicht sagen, dass ich falsch lag, wenn etwas nicht eingetreten ist. Aber vieles, was ich dort beschreibe, ist bereits eingetreten. Zum Beispiel die globale Flüchtlingsthematik – lange vor der sogenannten Flüchtlingswelle. In „Klimakapseln“ haben die Flüchtlinge das Glück, dass es eine schwimmende Insel im Meer gibt, so dass sie nicht ertrinken müssen. Und im Moment ertrinken sie, was wesentlich schlimmer ist.
Sie schreiben in „Klimakapseln“: „Die ganze Stadt ist klimaneutral. Die Autos habe ich als Erstes abgeschafft.“ Sind wir auf dem richtigen Weg, wenn Sie sich die Entwicklungen in Deutschland anschauen?
Ich glaube, wir wissen alle, dass die Politik, die gemacht wird, nicht übereinstimmt mit den Zielen, die diese Politik definiert hat. Die Klimaziele werden im Moment nicht erreicht. Die spannende Frage ist: Was heißt das jetzt für uns als Disziplin, wie müssen wir damit umgehen? Und da kommen wir jetzt wieder auf den Freitag und auf die Frage, was kann Design und Gestaltung tatsächlich tun? Und ich glaube, wir müssen unseren eigenen Friday for Future erfinden, an dem wir nicht demonstrieren gehen, sondern in die Büros gehen und positive Zukunftsbilder entwickeln. Und Vorschläge für Lebenswelten machen, die funktionieren, die attraktiv sind, die lebenswert sind, die begeistern, die überzeugen – das können Designer*innen alles. Aber die halt auch zukunftsfähiger sind als das, woran man – und das ist dann vielleicht die Schizophrenie von Kritik im Kapitalismus – montags bis donnerstags arbeitet. Da stehen wir auch in der Pflicht, weil das ja auch kein anderer kann! Also, die Wissenschaftler*innen können es methodisch nicht. Und die Politik traut sich nicht. Wenn Sie heute mit Menschen darüber reden, wie das sinnvolle Leben aussieht, ökologisch gesehen, dann fehlen ja die konkreten Bilder, die konkreten Vorbilder, die genauso stark sind wie das Bild des Porsches.
„Wir müssen unseren eigenen Friday for Future erfinden, an dem wir nicht demonstrieren gehen, sondern in die Büros gehen und positive Zukunftsbilder entwickeln.“
Wie groß ist denn der Beitrag allgemein von Design auf die Bewältigung der verschiedenen Umweltkrisen – Klimaerwärmung, Ressourcenverknappung oder globale Migration?
Der Beitrag ist relativ klein, wenn wir ihn beschränken auf den reinen Reparaturbetrieb – wenn wir jetzt versuchen, die Tetra-Pak-Verpackung noch besser recyclefähig zu machen, oder versuchen den Strömungswiderstandswert einer Limousine zu optimieren. Der Beitrag kann relativ groß sein, wenn es uns gelingt, Lebensbilder zu gestalten und zu entwerfen, die deutlich machen, dass ein glückliches Leben nicht nur eines ist, was sich im großen Einfamilienhaus mit dickem Auto und Sommerurlaub auf der Karibikinsel vollzieht. Dieser andere Lebensstil wird natürlich auch seine Ausrüstungsgegenstände haben, seine Statussymbole. Wenn Design darauf einen wünschenswerten, überzeugenden Ausblick gibt, dann kann es sehr, sehr wirkungsvoll sein.
Unsere Diskussion führt ja im Grunde auf eine Frage hinaus: Schaffen wir es, die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen? Schafft es die Menschheit zu überleben?
Dass unser planetares System ein Ende hat und die Menschen irgendwann ein Ende haben, das wissen wir ja. Dass sie ein anpassungs-, wandlungsfähiges und erfolgreiches Lebewesen sind, das wissen wir auch. Ich glaube, die Frage ist eher: Wie sieht die Welt aus, die dabei entsteht? Wünschen wir uns, in dieser Welt zu leben? Für mein nächstes Buch „Die Stadt der Zukunft. Wege in die Globalopolis“, das ich zusammen mit Benjamin Kasten geschrieben habe, haben wir Zeichnungen gemacht, die zeigen, dass die Fläche von Australien genügen würde, 9 Milliarden Menschen bei der Dichte von einer europäischen Großstadt unterzubringen. Dann ist es wahrscheinlich auch kein Problem, 50 Milliarden Menschen auf der Erde unterzubringen. Dann ist natürlich das, was wir heute Natur nennen, anders und gibt es vielleicht nicht mehr. Der Mensch entwirft sich ja auch weiter. Und vielleicht ist das, was sich dann aus uns entwickelt, auch nicht mehr das, was wir als Mensch bezeichnen würden: hybride Wesen aus Mensch und Maschine, mit Chips im Hirn, die das Denken noch ein bisschen schneller machen. Das ist die Frage: Will man so leben? Und wenn man da eine Entscheidung getroffen hat: Was heißt das für die eigene Arbeit, für das eigene Handeln? Geht man davon aus, dass alle Menschen so leben? Oder sind wir halt privilegiert, und die anderen haben Pech gehabt? Die Welt wird untergehen – das ist totaler Quatsch. Ob mit oder ohne uns – die wird noch ein bisschen bestehen. In welcher Form auch immer.
Also müssen wir anfangen zu gestalten.
Und das sind ja die klassischen Gestaltungsfragen: Wie will ich leben? Und was brauche ich dafür?