INTERVIEW
In Costa Rica hat Ina Knobloch ein Baumhaus gebaut, dessen Holz sie selbst vor 30 Jahren angepflanzt hat. Im Gespräch mit Judith Augustin (DDC) spricht die promovierte Biologin, Autorin, Regisseurin und Produzentin über die Herausforderungen des Bauens in den Tropen, die Recherche ohne Internet und die Überraschungen, die ein Projekt über drei Jahrzehnte hinweg mit sich bringt. Es geht um nachhaltiges Design und Bauen im Einklang mit der Natur, Biodiversität, interdisziplinäre Zusammenarbeit und die zentrale Rolle des Regenwaldes für unser globales Klima.
Judith Augustin: Du lebst und arbeitest seit Jahren sowohl in Frankfurt am Main als auch in Costa Rica und hast auf der Halbinsel Nicoya, in Nosara, ein außergewöhnliches Baumhaus realisiert. Was hat dich ursprünglich nach Costa Rica gebracht?
Ina Knobloch: Die Forschung. Als Biologin habe ich in den 1980er Jahren über eine Pflanze, Dioscorea bulbifera, promoviert, die mich direkt in die Tropen führte. Damals gab es eine Kooperation meiner Universität mit einem Forschungsinstitut in Costa Rica – ich bekam ein Stipendium und war 1987 das erste Mal dort.
Judith Augustin: Wie alt warst du, als du deinen ersten Baum in Costa Rica gepflanzt hast, und wie kam es dazu?
Ina Knobloch: Ich war 24 Jahre alt und promovierte noch, als ich meinen ersten Baum in Costa Rica pflanzte. Es war die Zeit, als der Klimaschutz zunehmend in den Fokus rückte, und mir wurde schnell klar, dass das Anpflanzen einheimischer Bäume in einer Region, in der fast alle Wälder vor allem für Viehweiden abgeholzt worden waren, eine wirkungsvolle Maßnahme sein könnte. Später gründete ich den Verein „Tropica Verde“, um Spenden für diese Aufforstungsprojekte zu sammeln.
Judith Augustin: Hattest du von Anfang an die Idee, dass diese Bäume irgendwann Teil eines Baumhauses werden würden?
Ina Knobloch: Den Traum ein Baumhaus zu bauen, hatte ich schon als Kind. Die Idee mit den gepflanzten Bäumen zu bauen kam sehr bald mit meinem Engagement vor Ort. Als die Bäume nach Jahrzehnten groß genug waren und ich ein Grundstück auf „meinem“ Hügel am Meer, Mangrovensumpf und Schildkrötenstrand erwerben konnte, wollte ich mit dem Baumhaus ein nachhaltiges Pilotprojekt schaffen, das inspiriert.
Judith Augustin: Am Anfang eines Designprozesses steht oft die Recherche. Zu Beginn deines Projekts gab es noch kein Google und kaum Literatur zum Bauen in den Tropen. Wie hast du dein Projekt begonnen?
Ina Knobloch: Meine Recherche fand hauptsächlich vor Ort statt: Ich bin viel gereist, habe in Frankreich, Schweden und Costa Rica nach Inspirationen gesucht und mit Architekten und Ingenieuren gesprochen, die auf Baumhäuser spezialisiert sind. Die Erkenntnis, die ich dabei gewann, war, dass es viele unterschiedliche Philosophien und Ansätze im Baumhausbau gibt: Manche Architekten bestehen darauf, direkt in die Bäume zu bauen, während andere lieber auf Stelzen konstruieren, um die Natur weniger zu beeinträchtigen.
Judith Augustin: Auch dein Baumhaus ist nicht direkt auf oder in einem Baum gebaut. Warum hast du dich gegen diese Bauweise entschieden?
Dr. Ina Knobloch: Das direkte Bauen in einem Baum ist in den Tropen eine komplexe Angelegenheit. Die klimatischen Bedingungen, besonders das extreme Wachstum der Bäume während der Regenzeit, machen es sehr schwierig, eine stabile und langfristig haltbare Konstruktion zu realisieren. Außerdem wollte ich ein Gebäude schaffen, das sowohl funktional als auch ästhetisch ansprechend ist, ohne den Baum zu belasten. Deswegen habe ich mich für eine Konstruktion auf Stelzen entschieden, die sich dennoch harmonisch in das Baumkronendach einfügt und das Gefühl gibt, tatsächlich in einem Baum zu wohnen.
Judith Augustin: Wie bist du speziell mit den klimatischen Bedingungen und den Herausforderungen des tropischen Trockenwalds umgegangen?
Ina Knobloch: Eine der größten Herausforderungen war der ständige Wechsel zwischen Regen- und Trockenzeiten. Während der Trockenzeit schrumpfen viele Baumarten erheblich, nur um in der Regenzeit wieder rapide zu wachsen, was der Hauptgrund war, weshalb ich nicht in die Bäume gebaut habe. Ansonsten erfordert das feuchte Klima eine sehr gute Belüftung, um Schimmelbildung zu vermeiden. Die Anordnung der Räume und die Materialien, die ich verwendete, sind genau darauf abgestimmt. Die Dächer sind zum Beispiel so konzipiert, dass sie sowohl Schutz vor der Sonne bieten als auch genügend Luftzirkulation ermöglichen.
Judith Augustin: Kannst du uns durch den Designprozess deines Baumhauses führen? Was waren die wichtigsten gestalterischen Überlegungen?
Ina Knobloch: Der Designprozess begann natürlich mit der Auswahl der richtigen Bäume und dem Verständnis für die spezifische Biodiversität der Region. Es war mir wichtig, Arten zu wählen, die sich gegenseitig unterstützen und eine nachhaltige Waldstruktur fördern. In der Trockensaison etwa spielen bestimmte Bäume eine wichtige Rolle, weil sie das Wasser effizient binden und somit das Mikroklima verbessern.Außerdem habe ich viel Wert darauf gelegt, dass das Baumhaus nicht einfach „aufgepfropft“ wirkt, sondern organisch in die Landschaft übergeht. Die klimatischen Bedingungen erforderten Materialien, die sowohl hitze- als auch feuchtigkeitsbeständig sind. Hier spielte traditionelles Wissen eine große Rolle – viele Materialien und Techniken, die ich verwendete, basieren auf dem, was in der Region seit Jahrhunderten genutzt wird.
Judith Augustin: Welche Rolle spielt die Biodiversität in deinem Konzept?
Dr. Ina Knobloch: Biodiversität ist der Schlüssel. Ein Monokultursystem ist anfällig für Krankheiten und Schädlinge, während ein artenreicher Wald robust und selbstregulierend ist. Ich habe darauf geachtet, unterschiedliche Baumarten zu pflanzen, die nicht nur die biologische Vielfalt fördern, sondern auch verschiedene Funktionen erfüllen: als Lebensraum für Tiere, als Schutz vor Erosion und natürlich als Baumaterial. Es geht darum, ökologische Kreisläufe zu respektieren und sie in den Designprozess zu integrieren.
Judith Augustin: Du erwähnst, dass Alltagsgegenstände dein Design beeinflusst haben. Wie kam es zum Beispiel zur Idee, Strohhalme als Inspiration für tragende Strukturen zu verwenden?
Ina Knobloch: Tatsächlich kam diese Idee aus der Not heraus. Der ursprünglich geplante, massive Rundträger war gerade nicht lieferbar, und so habe ich mich von einfachen Formen inspirieren lassen. Ich erinnerte mich an die Stabilität von gebündelten Strohhalmen – sie können, wenn sie richtig arrangiert sind, erstaunlich stabil sein. Diese Idee hat mein Architekt aufgegriffen und die tragenden Strukturen meines Baumhauses als überkreuzte, leichte Stahlträger gestaltet, die an das Prinzip der Strohhalme erinnern. Dieses Design passt auch perfekt zur natürlichen Ästhetik, die ich im Baumhaus anstrebe.
Judith Augustin: Wir haben uns ja bei einer Veranstaltung der Women of DDC kennengelernt. Welche Herausforderungen hast du speziell als Frau in diesem Projekt erlebt, und wie bist du damit umgegangen?
Ina Knobloch: Es ist kein Geheimnis, dass Frauen in solchen Projekten oft nicht ernst genommen werden – besonders in der Baubranche. Auch in Costa Rica gab es Situationen, in denen ich mich gegen traditionelle Vorurteile durchsetzen musste. Wichtig ist es, sich immer auf Augenhöhe zu präsentieren und sich nicht entmutigen zu lassen. Auch Kompetenz, Beharrlichkeit, Durchsetzungsvermögen und Geduld sind hierbei sehr hilfreich.
Judith Augustin: Dein Baumhaus befindet sich in Nosara auf der Halbinsel Nicoya, einem Ort, den ich sehr gut kenne, weil meine Mutter in den 1990er Jahren hier ein Haus gebaut hat. Was bedeutet dir dieser Ort, und wie beeinflusst er deine Arbeit?
Ina Knobloch: Nosara ist ein ganz besonderer Ort für mich. Die Natur hier ist sehr präsent, und die Gemeinschaft lebt damit im Einklang. Mein persönliches Retreat, mitten in einer „Blue Zone“. Dieser Ort inspiriert mich jeden Tag aufs Neue – Tiere und Pflanzen, die Nähe zum Meer oder die Menschen, die sich für Nachhaltigkeit und Umweltschutz engagieren. Das Baumhaus ist nicht nur mein Rückzugsort, sondern auch ein Platz, an dem ich Ideen entwickeln und umsetzen kann. Nosara bietet die perfekte Balance zwischen Abgeschiedenheit und kreativem Austausch – und genau das spiegelt sich in meiner Arbeit wider.