Ina Knobloch und Judith Augustin auf der Terrasse des Baumhauses – fotografiert mit einer alten Hasselblad. Bild © Philip Augustin

INTERVIEW

In Costa Ri­ca hat Ina Knobloch ein Baum­haus ge­baut, des­sen Holz sie selbst vor 30 Jah­ren an­ge­pflanzt hat. Im Ge­spräch mit Ju­dith Au­gus­tin (DDC) spricht die pro­mo­vier­te Bio­lo­gin, Au­to­rin, Re­gis­seu­rin und Pro­du­zen­tin über die Her­aus­for­de­run­gen des Bau­ens in den Tro­pen, die Re­cher­che oh­ne In­ter­net und die Über­ra­schun­gen, die ein Pro­jekt über drei Jahr­zehn­te hin­weg mit sich bringt. Es geht um nach­hal­ti­ges De­sign und Bau­en im Ein­klang mit der Na­tur, Bio­di­ver­si­tät, in­ter­dis­zi­pli­nä­re Zu­sam­men­arbeit und die zen­tra­le Rol­le des Re­gen­wal­des für un­ser glo­ba­les Kli­ma.

Veröffentlicht am 04.09.2024

Ju­dith Au­gus­tin: Du lebst und ar­bei­test seit Jah­ren so­wohl in Frank­furt am Main als auch in Costa Ri­ca und hast auf der Halb­in­sel Ni­coya, in No­sa­ra, ein au­ßer­ge­wöhn­li­ches Baum­haus rea­li­siert. Was hat dich ur­sprüng­lich nach Costa Ri­ca ge­bracht?

Ina Knobloch: Die For­schung. Als Bio­lo­gin ha­be ich in den 1980er Jah­ren über ei­ne Pflan­ze, Dio­scorea bul­bi­fe­ra, pro­mo­viert, die mich di­rekt in die Tro­pen führ­te. Da­mals gab es ei­ne Ko­ope­ra­ti­on mei­ner Uni­ver­si­tät mit ei­nem For­schungs­in­sti­tut in Costa Ri­ca – ich be­kam ein Sti­pen­di­um und war 1987 das ers­te Mal dort.

Um das Baumhaus von Ina Knobloch in Nosara in Costa Rica herum wurde aufgeforstet, um eine nachhaltige Waldstruktur zu fördern. Bild © Philip Augustin
Der Stelzenbaum ist von gebündelten Strohhalmen inspiriert. Bild © Philip Augustin

Ju­dith Au­gus­tin: Wie alt warst du, als du dei­nen ers­ten Baum in Costa Ri­ca ge­pflanzt hast, und wie kam es da­zu?

Ina Knobloch: Ich war 24 Jah­re alt und pro­mo­vier­te noch, als ich mei­nen ers­ten Baum in Costa Ri­ca pflanz­te. Es war die Zeit, als der Kli­ma­schutz zu­neh­mend in den Fo­kus rück­te, und mir wur­de schnell klar, dass das An­pflan­zen ein­hei­mi­scher Bäu­me in ei­ner Re­gi­on, in der fast al­le Wäl­der vor al­lem für Vieh­wei­den ab­ge­holzt wor­den wa­ren, ei­ne wir­kungs­vol­le Maß­nah­me sein könn­te. Spä­ter grün­de­te ich den Ver­ein „Tro­pi­ca Ver­de“, um Spen­den für die­se Auf­fors­tungs­pro­jek­te zu sam­meln.

Ju­dith Au­gus­tin: Hat­test du von An­fang an die Idee, dass die­se Bäu­me ir­gend­wann Teil ei­nes Baum­hau­ses wer­den wür­den?

Ina Knobloch: Den Traum ein Baum­haus zu bau­en, hat­te ich schon als Kind. Die Idee mit den ge­pflanz­ten Bäu­men zu bau­en kam sehr bald mit mei­nem En­ga­ge­ment vor Ort. Als die Bäu­me nach Jahr­zehn­ten groß ge­nug wa­ren und ich ein Grund­stück auf „mei­ne­m“ Hü­gel am Meer, Man­gro­ven­sumpf und Schild­krö­ten­strand er­wer­ben konn­te, woll­te ich mit dem Baum­haus ein nach­hal­ti­ges Pi­lot­pro­jekt schaf­fen, das in­spi­riert.

Biologin, Autorin, Regisseurin, Produzentin und Baumhaus-Macherin: Ina Knobloch. Bild © Judith Augustin

Ju­dith Au­gus­tin: Am An­fang ei­nes De­sign­pro­zes­ses steht oft die Re­cher­che. Zu Be­ginn dei­nes Pro­jekts gab es noch kein Goog­le und kaum Li­te­ra­tur zum Bau­en in den Tro­pen. Wie hast du dein Pro­jekt be­gon­nen?

Ina Knobloch: Mei­ne Re­cher­che fand haupt­säch­lich vor Ort statt: Ich bin viel ge­reist, ha­be in Frank­reich, Schwe­den und Costa Ri­ca nach In­spi­ra­tio­nen ge­sucht und mit Ar­chi­tek­ten und In­ge­nieu­ren ge­spro­chen, die auf Baum­häu­ser spe­zia­li­siert sind. Die Er­kennt­nis, die ich da­bei ge­wann, war, dass es vie­le un­ter­schied­li­che Phi­lo­so­phi­en und An­sät­ze im Baum­haus­bau gibt: Man­che Ar­chi­tek­ten be­ste­hen dar­auf, di­rekt in die Bäu­me zu bau­en, wäh­rend an­de­re lie­ber auf Stel­zen kon­stru­ie­ren, um die Na­tur we­ni­ger zu be­ein­träch­ti­gen.

Die Bäume für das Baumhaus wuchsen 30 Jahre. Der Mittelformatfilm, mit dem das Foto aufgenommen wurde, ist fast ebenso alt. Bild © Philip Augustin

Ju­dith Au­gus­tin: Auch dein Baum­haus ist nicht di­rekt auf oder in ei­nem Baum ge­baut. War­um hast du dich ge­gen die­se Bau­wei­se ent­schie­den?

Dr. Ina Knobloch: Das di­rek­te Bau­en in ei­nem Baum ist in den Tro­pen ei­ne kom­ple­xe An­ge­le­gen­heit. Die kli­ma­ti­schen Be­din­gun­gen, be­son­ders das ex­tre­me Wachs­tum der Bäu­me wäh­rend der Re­gen­zeit, ma­chen es sehr schwie­rig, ei­ne sta­bi­le und lang­fris­tig halt­ba­re Kon­struk­ti­on zu rea­li­sie­ren. Au­ßer­dem woll­te ich ein Ge­bäu­de schaf­fen, das so­wohl funk­tio­nal als auch äs­the­tisch an­spre­chend ist, oh­ne den Baum zu be­las­ten. Des­we­gen ha­be ich mich für ei­ne Kon­struk­ti­on auf Stel­zen ent­schie­den, die sich den­noch har­mo­nisch in das Baum­kro­nen­dach ein­fügt und das Ge­fühl gibt, tat­säch­lich in ei­nem Baum zu woh­nen.

Der Cocoon-Effekt von Baumhäusern entsteht durch die Verbindung von vielen kleinen Räumen durch Brücken und Treppen. Bild © Philip Augustin
Bild © Philip Augustin

Ju­dith Au­gus­tin: Wie bist du spe­zi­ell mit den kli­ma­ti­schen Be­din­gun­gen und den Her­aus­for­de­run­gen des tro­pi­schen Tro­cken­walds um­ge­gan­gen?

Ina Knobloch: Ei­ne der grö­ß­ten Her­aus­for­de­run­gen war der stän­di­ge Wech­sel zwi­schen Re­gen- und Tro­cken­zei­ten. Wäh­rend der Tro­cken­zeit schrump­fen vie­le Baum­ar­ten er­heb­lich, nur um in der Re­gen­zeit wie­der ra­pi­de zu wach­sen, was der Haupt­grund war, wes­halb ich nicht in die Bäu­me ge­baut ha­be. An­sons­ten er­for­dert das feuch­te Kli­ma ei­ne sehr gu­te Be­lüf­tung, um Schim­mel­bil­dung zu ver­mei­den. Die An­ord­nung der Räu­me und die Ma­te­ria­li­en, die ich ver­wen­de­te, sind ge­nau dar­auf ab­ge­stimmt. Die Dä­cher sind zum Bei­spiel so kon­zi­piert, dass sie so­wohl Schutz vor der Son­ne bie­ten als auch ge­nü­gend Luft­zir­ku­la­ti­on er­mög­li­chen.

Ju­dith Au­gus­tin: Kannst du uns durch den De­sign­pro­zess dei­nes Baum­hau­ses füh­ren? Was wa­ren die wich­tigs­ten ge­stal­te­ri­schen Über­le­gun­gen?

Ina Knobloch: Der De­sign­pro­zess be­gann na­tür­lich mit der Aus­wahl der rich­ti­gen Bäu­me und dem Ver­ständ­nis für die spe­zi­fi­sche Bio­di­ver­si­tät der Re­gi­on. Es war mir wich­tig, Ar­ten zu wäh­len, die sich ge­gen­sei­tig un­ter­stüt­zen und ei­ne nach­hal­ti­ge Wald­struk­tur för­dern. In der Tro­cken­sai­son et­wa spie­len be­stimm­te Bäu­me ei­ne wich­ti­ge Rol­le, weil sie das Was­ser ef­fi­zi­ent bin­den und so­mit das Mi­kro­kli­ma ver­bes­sern.Au­ßer­dem ha­be ich viel Wert dar­auf ge­legt, dass das Baum­haus nicht ein­fach „auf­ge­pfropf­t“ wirkt, son­dern or­ga­nisch in die Land­schaft über­geht. Die kli­ma­ti­schen Be­din­gun­gen er­for­der­ten Ma­te­ria­li­en, die so­wohl hit­ze- als auch feuch­tig­keits­be­stän­dig sind. Hier spiel­te tra­di­tio­nel­les Wis­sen ei­ne gro­ße Rol­le – vie­le Ma­te­ria­li­en und Tech­ni­ken, die ich ver­wen­de­te, ba­sie­ren auf dem, was in der Re­gi­on seit Jahr­hun­der­ten ge­nutzt wird.

Ju­dith Au­gus­tin: Wel­che Rol­le spielt die Bio­di­ver­si­tät in dei­nem Kon­zept?

Dr. Ina Knobloch: Bio­di­ver­si­tät ist der Schlüs­sel. Ein Mo­no­kul­tur­sys­tem ist an­fäl­lig für Krank­hei­ten und Schäd­lin­ge, wäh­rend ein ar­ten­rei­cher Wald ro­bust und selbst­re­gu­lie­rend ist. Ich ha­be dar­auf ge­ach­tet, un­ter­schied­li­che Baum­ar­ten zu pflan­zen, die nicht nur die bio­lo­gi­sche Viel­falt för­dern, son­dern auch ver­schie­de­ne Funk­tio­nen er­fül­len: als Le­bens­raum für Tie­re, als Schutz vor Ero­si­on und na­tür­lich als Bau­ma­te­ri­al. Es geht dar­um, öko­lo­gi­sche Kreis­läu­fe zu re­spek­tie­ren und sie in den De­sign­pro­zess zu in­te­grie­ren.

Judith Augustin (DDC) und Ina Knobloch beim Interview. Bild © Philip Augustin

Ju­dith Au­gus­tin: Du er­wähnst, dass All­tags­ge­gen­stän­de dein De­sign be­ein­flusst ha­ben. Wie kam es zum Bei­spiel zur Idee, Stroh­hal­me als In­spi­ra­ti­on für tra­gen­de Struk­tu­ren zu ver­wen­den?

Ina Knobloch: Tat­säch­lich kam die­se Idee aus der Not her­aus. Der ur­sprüng­lich ge­plan­te, mas­si­ve Rund­trä­ger war ge­ra­de nicht lie­fer­bar, und so ha­be ich mich von ein­fa­chen For­men in­spi­rie­ren las­sen. Ich er­in­ner­te mich an die Sta­bi­li­tät von ge­bün­del­ten Stroh­hal­men – sie kön­nen, wenn sie rich­tig ar­ran­giert sind, er­staun­lich sta­bil sein. Die­se Idee hat mein Ar­chi­tekt auf­ge­grif­fen und die tra­gen­den Struk­tu­ren mei­nes Baum­hau­ses als über­kreuz­te, leich­te Stahl­trä­ger ge­stal­tet, die an das Prin­zip der Stroh­hal­me er­in­nern. Die­ses De­sign passt auch per­fekt zur na­tür­li­chen Äs­the­tik, die ich im Baum­haus an­stre­be.

Ju­dith Au­gus­tin: Wir ha­ben uns ja bei ei­ner Ver­an­stal­tung der Wo­men of DDC ken­nen­ge­lernt. Wel­che Her­aus­for­de­run­gen hast du spe­zi­ell als Frau in die­sem Pro­jekt er­lebt, und wie bist du da­mit um­ge­gan­gen?

Ina Knobloch: Es ist kein Ge­heim­nis, dass Frau­en in sol­chen Pro­jek­ten oft nicht ernst ge­nom­men wer­den – be­son­ders in der Bau­bran­che. Auch in Costa Ri­ca gab es Si­tua­tio­nen, in de­nen ich mich ge­gen tra­di­tio­nel­le Vor­ur­tei­le durch­set­zen muss­te. Wich­tig ist es, sich im­mer auf Au­gen­hö­he zu prä­sen­tie­ren und sich nicht ent­mu­ti­gen zu las­sen. Auch Kom­pe­tenz, Be­harr­lich­keit, Durch­set­zungs­ver­mö­gen und Ge­duld sind hier­bei sehr hilf­reich.

Die Dächer sind so konzipiert, dass sie sowohl Schutz vor der Sonne bieten als auch genügend Luftzirkulation ermöglichen. Bild © Philip Augustin
Bild © Philip Augustin

Ju­dith Au­gus­tin: Dein Baum­haus be­fin­det sich in No­sa­ra auf der Halb­in­sel Ni­coya, ei­nem Ort, den ich sehr gut ken­ne, weil mei­ne Mut­ter in den 1990er Jah­ren hier ein Haus ge­baut hat. Was be­deu­tet dir die­ser Ort, und wie be­ein­flusst er dei­ne Ar­beit?

Ina Knobloch: No­sa­ra ist ein ganz be­son­de­rer Ort für mich. Die Na­tur hier ist sehr prä­sent, und die Ge­mein­schaft lebt da­mit im Ein­klang. Mein per­sön­li­ches Re­tre­at, mit­ten in ei­ner „Blue Zo­ne“. Die­ser Ort in­spi­riert mich je­den Tag aufs Neue – Tie­re und Pflan­zen, die Nä­he zum Meer oder die Men­schen, die sich für Nach­hal­tig­keit und Um­welt­schutz en­ga­gie­ren. Das Baum­haus ist nicht nur mein Rück­zugs­ort, son­dern auch ein Platz, an dem ich Ide­en ent­wi­ckeln und um­set­zen kann. No­sa­ra bie­tet die per­fek­te Ba­lan­ce zwi­schen Ab­ge­schie­den­heit und krea­ti­vem Aus­tausch – und ge­nau das spie­gelt sich in mei­ner Ar­beit wi­der.

Auch in Costa Rica wünschen wir uns mehr Präsidentinnen. Bild © Philip Augustin

Dr. Ina Knobloch

Ge­bo­ren 1963 in Karls­ru­he lebt die pro­mo­vier­te Bio­lo­gin als Film­pro­du­zen­tin und freie Au­to­rin in Frank­furt am Main und Costa Ri­ca. 1989 grün­de­te sie den Tro­pen­schutz­ver­ein Tro­pi­ca Ver­de und wid­met sich seit­dem dem Na­tur­schutz, dem Fil­men und Schrei­ben. Mehr als 100 Do­ku­men­ta­tio­nen und Fern­seh­bei­trä­ge pro­du­zier­te und mo­de­rier­te sie un­ter an­de­rem für die ARD, das ZDF und ar­te. Dar­über hin­aus schreibt sie Ro­ma­ne, Sach­bü­cher und Ar­ti­kel. Knobloch ist Vor­sit­zen­de des Deut­schen Jour­na­lis­ten-Ver­bands für Frank­furt am Main. Im Herbst er­scheint ihr Buch „Mein Costa Ri­ca. 40 Jah­re im Ein­satz für den Dschun­gel“ bei Na­tio­nal Geo­gra­phic.