DESIGN DISKURS
Sternchen, Unterstrich, Doppelpunkt oder doch lieber ein ganz neues Zeichen? Durch Hacking Typography wird das Zweigeschlechtersystem dekonstruiert und gendersensible Zeichen zu politischen Unruhestifter*innen. Ein Plädoyer für die gestalterische Auseinandersetzung mit gendersensibler Sprache.
Sternchen, Unterstrich, Doppelpunkt oder doch lieber ein ganz neues Zeichen? Die Diskussion um die Nutzung von Gendersprachformen ist inzwischen auch in der Typografie angekommen. Während auf der einen Seite – wie üblich – Stimmen von weißen, cis-männlichen Star-Designern in den Medien eine Plattform für ihre Meinung zum Thema bekommen, werden auf der anderen Seite die Stimmen der nachrückenden Generationen von Grafikdesigner*innen immer lauter. Und diese machen sich für einen queeren, feministischen und antidiskriminierenden Umgang mit Typografie stark. Doch warum ist die Auseinandersetzung mit gendersensibler Sprache überhaupt ein Thema für Gestalter*innen?
Sprache produziert Wirklichkeit
Sprache ist nicht bloß ein neutrales Mittel zur Kommunikation. Sprechen, Schreiben, Lesen und Hören sind aktive Handlungen, um mit anderen in Kontakt zu treten, Wirklichkeiten zu produzieren und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen – oder zu verhindern. In der deutschen Sprache gilt aktuell noch immer die Form des generischen Maskulinums als die allgemeingültige, ‚neutrale‘ Form für alle Personenbezeichnungen. Wenn sich also beispielsweise ein Verein als „Deutscher Designer Club“ bezeichnet, soll automatisch klar sein, dass Frauen, nicht-binäre, intergender, agender und transgender Personen auch Teil dieses Designer*innen-Clubs sein können, ohne sie extra zu benennen. Als ich jedoch in meinem Mailpostfach die Anfrage vom DDC fand, ob ich Lust hätte, für sein Magazin einen Artikel über gendersensible Typografie zu schreiben, hatte ich bei der Selbstbezeichnung „Deutscher Designer Club“ direkt eine Gruppe cis-männlicher, erfolgreicher Designer vor Augen. Und genau das ist das Problem. Es gibt inzwischen zahlreiche sprachwissenschaftliche Studien, die die ein- und ausschließende Macht von Sprache zeigen. Sie alle zeigen, wie sehr Sprache unser Denken und unser Vorstellungsvermögen beeinflusst und erweitert. Heißt im Umkehrschluss – was nicht benannt wird, wird auch nicht mitgedacht.
„Ich hatte bei der Selbstbezeichnung ‚Deutscher Designer Club‘ direkt eine Gruppe cis-männlicher, erfolgreicher Designer vor Augen.“
An dieser Stelle kommt dann die gendersensible Sprache ins Spiel. In den letzten Jahrzehnten wurden von Aktivist*innen eine ganze Reihe verschiedener Sprachformen entwickelt, um neben der männlichen Form auch alle anderen geschlechtlichen Identitäten sichtbar zu machen. Diese Methoden und Vorschläge bezwecken eine sprachliche Dekonstruktion des Zweigeschlechtersystems, ein Hacking der strukturierten Linguistik und der starren Orthografie. Ich verwende den Begriff „Hacking“ für eine Störung oder einen Eingriff in bestehende gesellschaftliche Normen – in diesem Fall in die orthografischen und typografischen Normen.
Bei den gängigsten dieser gendersensiblen Hacks wird zwischen der maskulinen und der femininen Form ein neues Zeichen (Stern, Schrägstrich, Unterstrich etc.) hinzugefügt. Je nach Bedeutung dieses Zeichens werden entweder nur die binären Geschlechter Frau und Mann in der Sprache sichtbar gemacht oder das gesamte Spektrum der Geschlechtsidentitäten.
Typografie und Verantwortung
Diese gendersensiblen Zeichen sorgen bei vielen Typograf*innen neben der politischen vor allem auch auf visueller Ebene für erhitzte Gemüter. So geht es hier neben den üblichen Kritikpunkten (Störung des Leseflusses, falsche Grammatik, Eingriff in die künstlerische Freiheit, inhaltliches Unverständnis) nun auch um typografische Kriterien. Dem mikrotypografischen Regelwerk folgend reißt der Unterstrich Löcher in den Text und zerstört die Harmonie des Weißraums. Das große „I“ im Wort sieht aus wie ein sich wiederholender Tippfehler, der Asterisk attackiert das Schriftbild mit Stolpersteinen und bringt die Lesegewohnheiten des Auges in Aufruhr. Doch ist nicht genau das die Aufgabe und Kompetenz von Typografie und Grafikdesign – Informationen und Inhalte visuell zu vermitteln, ihnen eine passende Form zu geben und bestmögliche Gestaltungslösungen für solche visuellen Problemstellen zu finden? Ich sehe mich als Grafikdesignerin in einer politischen Verantwortung, Inhalte und Informationen, welche ich visuell kommuniziere, kritisch zu hinterfragen. Ich trage Verantwortung dafür, innerhalb meiner Gestaltung Diskriminierungsformen wie Rassismus, Klassismus, Sexismus und Ableismus bewusst wahrzunehmen und nicht zu reproduzieren. Und wenn Genderstern und Co als störend empfunden werden, warum dann nicht an Strategien zur Verbesserung arbeiten?
Gendersensible Orthotypografie oder Gender-Trouble der Zeichen?
Eine Möglichkeit wäre es, in die gendersensiblen Hacks typografisch einzugreifen, um sie ausgehend von den oben genannten typografischen Kritikpunkten zu verbessern. In der Praxis bedeutet das beispielsweise auszuprobieren, was es verändert, wenn der Genderstern von seiner hohen Position auf die Höhe eines Kleinbuchstabens runtergesetzt wird oder der Gender-Gap etwas von seiner Breite verliert und dadurch weniger weiße Löcher im Text entstehen. Solche Eingriffe von Typograf*innen können es ermöglichen, die gendersensiblen Hacks alltagstauglich anzupassen und in den gängigen Umgang mit Sprache und Schrift einzugliedern.
„Ich sehe mich als Grafikdesignerin in einer politischen Verantwortung, Inhalte und Informationen, welche ich visuell kommuniziere, kritisch zu hinterfragen.“
Andererseits ist doch die ursprüngliche Funktion der Hacks, auf die patriarchalen Normen der Sprache hinzuweisen und sie bewusst zu stören. Was bleibt also von der aktivistischen Funktion gendersensibler Zeichen übrig, wenn sie im Lesefluss verschwinden? Im Sinne von Judith Butlers Aufruf nach ‚Gender Trouble‘ könnte man gendersensible Sprachformen auch als politische Unruhestifter*innen betrachten. Es ist kein Zufall, dass für diese Sprachformen visuell auffällige Formen wie Stern oder Unterstrich gewählt wurden. So ist doch die politische Funktion dieser Zeichen, auf die patriarchale Struktur unserer Sprache hinzuweisen und für Aufruhr im Schriftbild zu sorgen. Ein völlig anderer gestalterischer Ansatz wäre es also, typografisch das Gegenteil der geforderten Kriterien zu erzeugen und mittels der Hacks für möglichst viele Störfaktoren in der Typografie zu sorgen.
Eine weitere denkbare Zukunftsvision ist die Gestaltung eines ganz neuen, noch unbesetzten Zeichens für Gendersensibilität in unserer Sprache. Im französischen Sprachraum hat das zum Beispiel die Schriftgestalterin Clara Sambot bereits vorgemacht und in ihren Schriften neue Zeichen für nicht-binäre Pronomen und gendersensible Endungen aufgenommen. Doch wäre es neben solchen individuellen Vorschlägen auch vorstellbar, dass es irgendwann ein universelles gendersensibles Zeichen gibt, welches Teil unseres Standard-Zeichensatzes wird?
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass in unserer Sprache schon immer bestehende Formen und Zeichen neu besetzt oder hinzugefügt wurden. So wurde Anfang der 1970er-Jahre das @-Zeichen erstmals für den Mail-Verkehr eingesetzt und ist dort bis heute geblieben. Grund dafür war, dass das Zeichen seine ursprüngliche Funktion im Laufe der Zeit verloren hatte, es ihm aber dennoch gelungen war, vom Bleisatz über die Schreibmaschine bis zur Computertastatur bestehen zu bleiben. Als die Programmierer*innen dann nach einem Zeichen für den digitalen Briefverkehr suchten, entschieden sie sich kurzerhand für das bereits vorhandene, unbenutzte @-Zeichen. Diese einfache Zugänglichkeit des @-Zeichens auf der Tastatur war dabei ein wichtiges Kriterium, welches auch bei der Neuaufnahme eines eigenen gendersensiblen Zeichens bedacht werden müsste.
„Wenn sich Gestalter*innen und Leser*innen mit der Zeit an gendersensible Sprachformen gewöhnen, wird damit im besten Fall auch ein Wandel im Denken entstehen.“
Bis es so weit ist, gibt es viele Möglichkeiten, mit den bestehenden gendersensiblen Zeichen typografisch zu experimentieren und sie den Bedürfnissen entsprechend anzupassen. Das Missy Magazine nutzt zum Beispiel seit seinem Redesign ausschließlich von FLINTA*s gestaltete Schriften, die einen eigenen Genderstern in Größe eines Kleinbuchstabens beinhalten. Die Artdirektorin Daniela Burger berichtete mir, dass der Stern nun denselben Stellenwert wie alle anderen Buchstaben einnehme und durch seine Position auf der Asterisk-Taste auch auf der Tastatur ganz simpel zu erreichen ist.
Hacking Typography
Zusammenfassend gesagt finde ich es großartig, wenn Genderstern, Doppelpunkt oder Gender-Gap durch typografische Anpassungen gesellschaftsfähig werden. Denn wenn sich Gestalter*innen und Leser*innen mit der Zeit daran gewöhnen und gendersensible Sprachformen das generische Maskulinum ablösen, wird damit im besten Fall auch ein Wandel im Denken entstehen und ein Verständnis über die Aussage der Symbole einhergehen.
Es gibt viele Wege, für Unruhe im patriarchalen System zu sorgen. Und wenn sich der Deutsche Designer Club für einen schlichten, unauffälligen Genderstern im Titel entscheiden sollte, unterstütze ich gerne mit typografischen Vorschlägen. In allen anderen Kontexten, die schon jetzt bereit sind, dies zuzulassen, verwende ich möglichst auffällige gendersensible Sprachhacks.