Es gibt viele typo­grafische Varian­ten, um gender­sensible Sprache zu visu­ali­sieren. Bild: Hannah Witte

DESIGN DISKURS

Sternchen, Unterstrich, Doppel­punkt oder doch lieber ein ganz neues Zeichen? Durch Hacking Typography wird das Zwei­geschlech­ter­system dekon­stru­iert und gender­sen­sible Zeichen zu polit­ischen Un­ruhe­­stifter*innen. Ein Plä­doyer für die gestal­terische Aus­einan­der­setzung mit gender­sen­sibler Sprache.

Veröffentlicht am 04.08.2021

Sternchen, Unterstrich, Doppelpunkt oder doch lieber ein ganz neues Zeichen? Die Diskus­sion um die Nutz­ung von Gender­sprach­formen ist in­zwischen auch in der Typo­grafie ange­kom­men. Während auf der einen Seite – wie üblich – Stimmen von weißen, cis-­männ­lichen Star-Design­ern in den Medien eine Platt­form für ihre Mein­ung zum Thema bekom­men, werden auf der anderen Seite die Stimmen der nach­rücken­den Genera­tio­nen von Grafik­designer­*innen immer lauter. Und diese machen sich für einen queeren, feminis­tischen und anti­dis­krimi­nieren­den Um­gang mit Typo­grafie stark. Doch warum ist die Aus­ein­ander­setzung mit gender­sensibler Sprache über­haupt ein Thema für Gestalter*innen?

 

Sprache produziert Wirklichkeit

Sprache ist nicht bloß ein neutrales Mittel zur Kom­muni­kation. Sprechen, Schreiben, Lesen und Hören sind aktive Hand­lungen, um mit anderen in Kontakt zu treten, Wirk­lich­keiten zu produ­zieren und gesell­schaft­liche Teil­habe zu ermög­lichen – oder zu verhin­dern. In der deutschen Sprache gilt aktuell noch immer die Form des gener­ischen Masku­linums als die all­gemein­­gül­tige, ‚neutrale‘ Form für alle Personen­be­zeich­nungen. Wenn sich also bei­spiels­weise ein Verein als „Deutscher Designer Club“ bezeich­net, soll auto­matisch klar sein, dass Frauen, nicht-binäre, inter­gender, agender und trans­gender Personen auch Teil dieses Designer­*innen-Clubs sein können, ohne sie extra zu benen­nen. Als ich jedoch in meinem Mail­post­fach die Anfrage vom DDC fand, ob ich Lust hätte, für sein Magazin einen Artikel über gender­sensible Typo­grafie zu schreiben, hatte ich bei der Selbst­bezeich­nung „Deutscher Designer Club“ direkt eine Gruppe cis-männ­licher, erfolg­reicher Designer vor Augen. Und genau das ist das Problem. Es gibt inzwischen zahl­reiche sprach­wissen­schaft­liche Studien, die die ein- und aus­schließende Macht von Sprache zeigen. Sie alle zeigen, wie sehr Sprache unser Denken und unser Vor­stellungs­ver­mögen be­ein­flusst und er­weitert. Heißt im Umkehr­schluss – was nicht benannt wird, wird auch nicht mit­ge­dacht.

„Ich hatte bei der Selbst­be­zeich­nung ‚Deutscher Designer Club‘ direkt eine Gruppe cis-männ­licher, erfolg­reicher Designer vor Augen.“

An dieser Stelle kommt dann die gender­sensible Sprache ins Spiel. In den letzten Jahr­zehnten wurden von Akti­vist­*innen eine ganze Reihe ver­schiedener Sprach­formen ent­wickelt, um neben der männ­lichen Form auch alle anderen geschlecht­lichen Identi­täten sicht­bar zu machen. Diese Methoden und Vor­schläge be­zwecken eine sprach­liche Dekon­struk­tion des Zwei­geschlechter­systems, ein Hacking der struktur­ierten Lingu­istik und der starren Ortho­grafie. Ich verwende den Begriff „Hacking“ für eine Störung oder einen Ein­griff in be­stehende gesell­schaft­liche Nor­men – in diesem Fall in die ortho­grafischen und typo­grafischen Normen.

„Typohacks – Handbuch für Typo­grafie und gender­sensible Sprache“ von Hannah Witte erscheint im Oktober 2021 im form Verlag. Bild: Hannah Witte

Bei den gängigsten dieser gender­sensiblen Hacks wird zwischen der masku­linen und der femi­ninen Form ein neues Zeichen (Stern, Schräg­strich, Unter­strich etc.) hinzu­gefügt. Je nach Bedeu­tung dieses Zeichens werden ent­weder nur die binären Ge­schlechter Frau und Mann in der Sprache sicht­bar gemacht oder das gesamte Spektrum der Geschlechts­identitäten.

 

Typografie und Verantwortung

Diese gender­sensiblen Zeichen sorgen bei vielen Typograf­*innen neben der polit­ischen vor allem auch auf visu­eller Ebene für er­hitzte Gemüter. So geht es hier neben den üblichen Kritik­punkten (Störung des Lese­flusses, falsche Gram­matik, Ein­griff in die künstler­ische Frei­heit, inhalt­liches Unver­ständ­nis) nun auch um typo­grafische Kriterien. Dem mikro­typo­grafischen Regel­werk folgend reißt der Unterstrich Löcher in den Text und zerstört die Har­monie des Weiß­raums. Das große „I“ im Wort sieht aus wie ein sich wieder­holender Tipp­fehler, der Aste­risk attackiert das Schrift­bild mit Stolper­steinen und bringt die Lese­gewohn­heiten des Auges in Auf­ruhr. Doch ist nicht genau das die Auf­gabe und Kompe­tenz von Typo­grafie und Grafik­design – Infor­matio­nen und Inhalte visuell zu ver­mitteln, ihnen eine passende Form zu geben und best­mögliche Gestaltungs­lösungen für solche visu­ellen Problem­stellen zu finden? Ich sehe mich als Grafik­designerin in einer politischen Ver­ant­wortung, Inhalte und Infor­mationen, welche ich visuell kommu­niziere, kritisch zu hinter­fragen. Ich trage Verant­wort­ung dafür, inner­halb meiner Gestal­tung Dis­kriminier­ungs­formen wie Rassis­mus, Klassis­mus, Sex­ismus und Able­ismus bewusst wahr­zu­­nehmen und nicht zu re­produ­zieren. Und wenn Gender­stern und Co als störend empfun­den werden, warum dann nicht an Strate­gien zur Ver­besser­ung arbeiten?

 

Gendersensible Orthotypografie oder Gender-Trouble der Zeichen?

Eine Möglich­keit wäre es, in die gender­sensiblen Hacks typo­grafisch einzu­greifen, um sie aus­gehend von den oben genan­nten typo­grafischen Kritik­punkten zu ver­bes­sern. In der Praxis bedeutet das bei­spiels­weise auszu­pro­bieren, was es ver­ändert, wenn der Gender­stern von seiner hohen Position auf die Höhe eines Klein­buch­stabens runter­ge­setzt wird oder der Gender-Gap etwas von seiner Breite ver­liert und da­durch weniger weiße Löcher im Text ent­stehen. Solche Ein­griffe von Typo­graf­*innen können es ermög­lichen, die gender­sensiblen Hacks alltags­taug­lich anzu­passen und in den gäng­igen Um­gang mit Sprache und Schrift einzugliedern.

„Ich sehe mich als Grafik­designerin in einer politischen Ver­ant­wortung, Inhalte und Infor­mat­ionen, welche ich visuell kommuni­ziere, kritisch zu hinterfragen.“

Andererseits ist doch die ursprüng­liche Funktion der Hacks, auf die patriar­chalen Normen der Sprache hinzu­weisen und sie bewusst zu stören. Was bleibt also von der akti­vist­ischen Funktion gender­sen­sibler Zeichen übrig, wenn sie im Lese­fluss ver­schwin­den? Im Sinne von Judith But­lers Aufruf nach ‚Gender Trouble‘ könnte man gender­sensible Sprach­formen auch als po­­li­tische Unruhe­stifter­*innen betrach­ten. Es ist kein Zufall, dass für diese Sprach­formen visuell auf­fällige Formen wie Stern oder Unter­strich ge­wählt wurden. So ist doch die politische Funk­tion dieser Zeichen, auf die patriar­chale Struktur unserer Sprache hinzu­weisen und für Auf­ruhr im Schrift­bild zu sorgen. Ein völlig anderer gestal­ter­ischer An­satz wäre es also, typo­grafisch das Gegen­teil der gefor­derten Kriterien zu er­zeugen und mittels der Hacks für mög­lichst viele Stör­faktoren in der Typo­grafie zu sorgen.

Eine weitere denk­bare Zukunfts­vision ist die Gestal­tung eines ganz neuen, noch un­besetzten Zeichens für Gender­sensi­bil­ität in unserer Sprache. Im französischen Sprach­raum hat das zum Bei­spiel die Schrift­gestal­terin Clara Sambot bereits vor­ge­macht und in ihren Schriften neue Zeichen für nicht-binäre Pro­nomen und gender­sensible Endungen auf­ge­nommen. Doch wäre es neben solchen indi­vidu­ellen Vor­schlägen auch vor­stell­bar, dass es irgend­wann ein uni­ver­selles gender­sen­sibles Zeichen gibt, welches Teil unseres Stan­dard-Zeichen­satzes wird?

Ein Blick in die Ver­gangen­heit zeigt, dass in unserer Sprache schon immer besteh­ende Formen und Zeichen neu be­setzt oder hinzu­ge­fügt wurden. So wurde Anfang der 1970er-Jahre das @-Zeichen erst­mals für den Mail-Ver­kehr ein­gesetzt und ist dort bis heute ge­blieben. Grund da­für war, dass das Zeichen seine ur­sprüng­liche Funktion im Laufe der Zeit ver­loren hatte, es ihm aber dennoch ge­lungen war, vom Blei­satz über die Schreib­maschine bis zur Computer­tasta­tur bestehen zu bleiben. Als die Pro­gram­mier­er*innen dann nach einem Zeichen für den digi­ta­len Brief­verkehr suchten, ent­schieden sie sich kurzer­hand für das bereits vor­handene, un­benutzte @-Zeichen. Diese ein­fache Zu­gänglich­keit des @-Zeichens auf der Tastatur war dabei ein wichtiges Kriterium, welches auch bei der Neu­auf­nahme eines eigenen gender­sensiblen Zeichens bedacht werden müsste.

„Wenn sich Gestalter*innen und Leser*innen mit der Zeit an gendersensible Sprachformen gewöhnen, wird damit im besten Fall auch ein Wandel im Denken entstehen.“

Bis es so weit ist, gibt es viele Möglich­keiten, mit den be­stehen­den gender­sensiblen Zeichen typo­grafisch zu experi­ment­ieren und sie den Bedürf­nissen ent­sprechend anzu­passen. Das Missy Magazine nutzt zum Beispiel seit seinem Re­design aus­schließ­lich von FLINTA*s gestaltete Schriften, die einen eigenen Gender­stern in Größe eines Klein­buch­stabens be­in­halten. Die Art­direk­torin Daniela Burger berichtete mir, dass der Stern nun den­selben Stellen­wert wie alle anderen Buch­staben ein­nehme und durch seine Position auf der Asterisk-Taste auch auf der Tastatur ganz simpel zu erreichen ist.

 

Hacking Typography

Zusammenfassend gesagt finde ich es groß­artig, wenn Gender­stern, Doppel­punkt oder Gender-Gap durch typo­grafische An­passungen gesell­s­chafts­fähig werden. Denn wenn sich Gestalter­*innen und Leser­*innen mit der Zeit daran ge­wöhnen und gender­sensible Sprach­formen das ge­ner­ische Masku­linum ab­lösen, wird damit im besten Fall auch ein Wandel im Denken ent­­steh­en und ein Ver­ständnis über die Aus­sage der Symbole einhergehen.

Es gibt viele Wege, für Unruhe im patriar­chalen System zu sorgen. Und wenn sich der Deutsche Designer Club für einen schlichten, un­auffälligen Gender­stern im Titel ent­scheiden sollte, unter­stütze ich gerne mit typo­grafischen Vor­schlägen. In allen anderen Kontexten, die schon jetzt bereit sind, dies zu­zu­lassen, verwende ich möglichst auffällige gender­sensible Sprach­hacks.

Hannah Witte (sie*ihr)

ist Grafik­designerin und lebt in Leipzig. 2020 machte sie ihren Abschluss in Kommunikations­design an der Folk­wang Universität der Künste in Essen und studiert seit 2021 an der Hoch­schule für Buch­kunst in Leipzig. Ihre gestalter­ische Praxis dreht sich haupt­säch­lich um Femi­nis­mus, Gender-Stereo­type, Sprache und non-binäre Typo­grafie. Im Oktober 2021 er­scheint ihr Buch „Typohacks – Hand­buch für Typo­grafie und gender­sensible Sprache“ im form Verlag.