DESIGN DISKURS
Die Wirkung von Design verstehen, vermitteln, verändern: Mithilfe des Design-Wertmodells als ganzheitliche Betrachtungsmethode lassen sich sowohl Hard Facts als auch Soft Power-Aspekte von Design messen.
Warum sollten Unternehmen in Design investieren? Diese Frage treibt viele Designer*innen, Designstudios und -abteilungen in Unternehmen um. Daher ist diese Frage absolut relevant in einer Zeit, die durch verschiedene Krisen wie Krieg, Klimawandel, wirtschaftliche und politische Veränderungen geprägt ist. Gibt es nichts Wichtigeres als Design?
Relevanz der Fragestellung
Diese Frage beschäftigt die Design Community immer wieder. Sie bringt unterschiedliche Designer*innen kontinuierlich zum Austausch über die Wertstiftung von Design. Bestehende Methoden zur Evaluation des Business Value werden hinterfragt und erweitert. Neue Metriken werden entwickelt, um Antworten und Zahlen zu finden, die belegen, dass Design einen Mehrwert für Unternehmen darstellt. Allein deswegen hat diese Frage ihre Berechtigung. Denn ein Hinterfragen bewirkt Reflexion, Diskurs, Wissensaustausch, neue Erkenntnisse, Expertisen und Lösungsansätze.
Aber gibt es die eine Antwort auf diese Frage? Ich bin der Meinung: So vielfältig Design in seinen Ausprägungen ist, so vielfältig fallen die Antworten aus. Im Folgenden möchte ich die Wertstiftung von Design ganzheitlich aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Wenn ich im Weiteren von Designer*innen spreche, beziehe ich mich auf alle relevanten Design-Disziplinen, die im Designprozess mit ihrem jeweiligen Fokus involviert sind. Unter „ganzheitlich“ verstehe ich unter anderem folgenden Faktoren:
- strategisch und operativ
- kollaborativ und partizipativ, nicht als Einzeldisziplin
- Portfolio-übergreifend, nicht nur in Bezug auf einzelne Produkt- oder Serviceentwicklungen
- Design neben Gestaltungslösungen als kontinuierlichen Prozess der Weiterentwicklung
- Korrelation von Nutzerbedürfnissen, Marken-, Unternehmenszielen und technischer Machbarkeit
In diesem Rahmen möchte ich die Wertstiftung von Design einordnen – nicht als Sprint, eher als Marathon zu verstehen – weder in einzelnen Projekten noch bei der Verankerung von Design im oder beim Ableiten des Werts von Design für ein Unternehmen. Design braucht auch Anknüpfungspunkte zu anderen Disziplinen und Expertisen – nicht nur, um die Anforderungen der unterschiedlichen internen und externen Stakeholder*innen zu verstehen, um die richtigen Lösungen zu gestalten, sondern vielmehr im Gestaltungsprozess, um Netzwerke zu knüpfen, Vertrauen aufzubauen und Botschafter*innen zu finden. Hier setzt meine Hypothese an, dass es neben Hard Facts auch eine Soft Power gibt, um die Wertstiftung von Design in einem überzeugenden Storytelling zu vermitteln.
Herausforderung im Faktencheck
Der Begriff Wert an sich impliziert Zahlen. Das Bedürfnis, in Zahlen zu verstehen, wenn man einen Geldwert in Design investiert, welcher Wert zurückkommt, ist gerechtfertigt. Diese Zahlen zu ermitteln, gestaltet sich dahingehend schwierig bis aufwändig, da, wie oben beschrieben, Design in Verbindung zu anderen Fachdisziplinen und Abteilungen steht. Ist das Design exzellent, aber Marketing oder Vertrieb nicht ausreichend performant, kann man dadurch resultierende fehlende Umsätze nicht mit dem Invest in Design in Relation setzen.
Es ist auch nicht damit getan, eine Messung des Designresultats und -erfolgs eines Produkts auf dem Markt einmalig zu ermitteln. Ein solches Tracking benötigt Zeit, Kapazitäten und Budget. Meistens bezieht sich die Frage darauf, welcher Wert im Sinne von erhöhtem Umsatz von außen zurück in das Unternehmen fließt, wenn man in Design investiert hat. Die Frage nach innen zu richten, welche Werte Design bewirken kann, welche versteckten Vorteile sich dadurch ermitteln lassen, darauf gehe ich meiner weiteren Ausführung ein.
Verstehen, vermitteln, verändern
Neben Hard Facts können wir auch auf die Soft Power für zukünftige Narrative zur Wertstiftung von Design setzen. Hier sehe ich drei Hauptaspekte: verstehen, vermitteln, verändern. Wenn wir als Designer*innen ein Projekt beginnen, steht am Anfang das Verstehen – die Basislegung für eine Ziel gerichtete Designphase. Dieses Verstehen erlangen wir, indem wir unterschiedliche Stakeholder*innen, die Berührungspunkte zu dem zu entwickelnden Produkt oder Service haben, an einen Tisch bringen. Dabei gilt es, die Ziele des Produktes in Relation zu den Unternehmens- und Markenzielen einzuordnen und abzuleiten. Dies geht einher mit der klassischen User Research, im besten Fall mit einer Customer Journey-Betrachtung, um die Innen- und Außensicht auf das Produkt und die Marke abzugleichen.
In dieser ersten Phase ermitteln wir nicht nur Anforderungen aus den unterschiedlichen Perspektiven. Es geht auch um das Vermitteln, wieso dieses Verstehen zu Beginn eines jeden Projekts die Basis für die Designqualität ist und wie sich das auf den Designprozess auswirkt. Durch Empathie für die unterschiedlichen Stakeholder*innen und Nutzer*innen, durch unsere Motivation zu verstehen, um die beste Lösung zu gestalten, vermitteln wir auch das Wissen um Bedürfnisse und Abhängigkeiten untereinander. Oft tritt zu diesem Zeitpunkt die Erkenntnis ein, wie es beim McKinsey Design Index (MDI) „Ist Design Kostenfaktor oder Umsatztreiber?“ beschrieben wird: „Design ist mehr als ein Gefühl: Design ist Führungsstärke, die auf einer analytischen Grundlage basiert.“
Durch die enge Kollaboration aller relevanten Expert*innen bis hin zur Partizipation erreichen wir eine Teilhabe im Gestaltungs- und Entscheidungsprozess – und Identifikation mit den Designergebnissen. Dadurch kreiert das Design- beziehungsweise Projektteam bereits zu Projektbeginn andere Narrative, die über den rein zahlenbasierten und den aufwändig zu ermittelndem Wert von Design hinaus gehen. In der Disziplin übergreifenden Zusammenarbeit fungieren die einzelnen Stakeholder*innen gleichzeitig als Botschafter*innen, um über die für ihren Bereich spezifischen Mehrwerte aus dem Designprozess heraus zu berichten. Hier setzt das Verändern ein: Wenn Designer*innen von der ersten Phase den gesamten Prozess kontinuierlich moderieren und führen, können diese Narrative, das Verständnis über die Wertstiftung von Design, Veränderungen schaffen.
Das Designwert-Modell
Wie steht die Soft Power mit zukünftigen Narrativen im Zusammenhang? Hierzu habe ich ein Designwert-Modell entwickelt, das wir für Retrospektiven nach abgeschlossenen Designprojekten nutzen. Dabei nimmt die folgende Fragestellung einen großen Stellenwert ein:
Welchen (Mehr-)Wert hat dem Projektteam, den Produktergebnissen, dem Unternehmen die Einbindung von Design gebracht? Als Soft Power sind im Vergleich zu Hard Facts wie klassisch validierte KPIs (Key Performance Indicators) oder NPS (Net Promoter Score) „weiche“ Aspekte zu verstehen. Sie indizieren, dass ein Projekt erfolgreich verlaufen ist, zum Beispiel prozessual, methodisch oder kommunikativ, aber noch nicht einem strukturieren Messprozess unterliegen. Antworten darauf können sich auf die Außen- und Innenwirkung beziehen und auf Hard Facts (wenn bereits Erkenntnisse vorliegen), vor allem aber die Soft Power-Aspekte ergründen.
Wird das Designwert-Modell kontinuierlich erweitert, lassen sich daraus Narrative generieren, die bei der Verankerung von Design im Unternehmen Anwendung finden können. Bei mehrfachem Iterieren und Ergänzen des Designwert-Modells können Soft Power-Aspekte gezielt dahingehend beleuchtet und entwickelt werden, dass sich zukünftig Hard Facts daraus generieren lassen. Im Folgenden sind beispielhafte Soft Power-Aspekte mit dem Fokus auf Interface Design aufgeführt, die sich in eine Innen- und Außenwirkung einordnen lassen und teilweise in Wechselwirkung zueinanderstehen.
Soft Power Aspekte mit Außenwirkung für Nutzer*innen
Nutzer-Zufriedenheit
Nutzer-Feedback, das die Zufriedenheit ausdrückt, kann zum Beispiel direkt über den Vertrieb, im Messekontext, durch Umfragen oder über Social Media-Rückmeldungen erfolgen.
Soft Power Aspekte mit Außenwirkung für Kund*innen
Reduktion des Schulungs-und Serviceaufwand
Durchgängige Bedienkonzepte und Interface Designs können Anwender*innen das Erlernen einer Produktbedienung erleichtern und den Schulungs- und Serviceaufwand reduzieren. Dieser Aspekt hat für Kund*innen für das Unternehmen eine Relevanz und ließe sich bei kontinuierlicher Auswertung auch in einen Hard Fact überführen.
Soft Power Aspekte mit Außenwirkung für das Unternehmen
Von der Stärkung der Marke zu Markenbotschafter*innen
Eine kohärente und konsistente Designsprache, die den Werten der Marke Rechnung trägt, ermöglicht Nutzer*innen ein Nutzungserlebnis über das gesamte Produktportfolio hinweg. Das Ergebnis: eine klare Zuordnung zu Marke und Unternehmen. Zufriedene Nutzer*innen werden zu Markenbotschafter*innen und können Produkte und Unternehmen weiterempfehlen.
Stärkung der Arbeitgebermarke
Mitarbeiter*innen identifizieren sich mit Produkt und Unternehmen, was die Fluktuation und damit einhergehend Recruiting-und Onboarding-Aufwände reduzieren kann. Zu Zeiten des Fachkräftemangels oder für Unternehmen im ländlicheren Bereich ist dieser Aspekt nicht zu unterschätzen.
Mitarbeiter*innen als Corporate Influencer
Interne Stakeholder können sich mit einer starken Designsprache identifizieren und werden zu glaubwürdigen Corporate Influencern. Mitarbeiter*innen werden auf Social Media-Kanälen in Relation zu Produkten der Marke sichtbar und unterstützen geplante Vertriebs-und Marketingaktivitäten zusätzlich.
Designqualität als Vertriebs-und Marketingsupport
Einzelne Designdetails, die zur Erreichung der zu Projektbeginn gemeinsamen Zielsetzung gestaltet wurden, können Vertrieb und Marketing Narrative für ein neues, überzeugendes Storytelling geben.
Designsystem reduziert Folgekosten
Mit der Basislegung einer Design Library im Designsystem kann man bei Folgeprodukten darauf zurückgreifen. Der Fokus zum Beispiel für die Entwicklung von Interface Design kann sich mittelfristig auf das Bedien- und Layout-Konzept verlagern und den UI Design-Umfang reduzieren.
Soft Power Aspekte mit Innenwirkung hinsichtlich der Mitarbeiter*innen
Eine starke Designführung kann Produktmanager*innen als Werkzeug zur Qualitätsverbesserung und Zeitersparnis dienen. Entwickler*innen können sich auf die Programmierung konzentrieren. Sie müssen keine Themen bearbeiten, die nicht ihrer Expertise entsprechen. Zeitplanungen können gehalten und interne Kosten für Aufgaben gesenkt werden, die bei fehlender Designexpertise mehr Zeit bei geringerer Qualität in Anspruch nehmen.
Soft Power-basiertes Storytelling
Im Designwert-Modell können Erkenntnisse wie oben beschrieben in Form von klassischen Projekt-Retrospektiven festgehalten werden. Es dient als kontinuierliches Tool, um den Wert des Erreichten zu dokumentieren und unternehmensintern sichtbar zu machen. Durch wiederholte Reflexionen in Projekten, initiiert aus der Design- und Projektführung und basierend auf dem Designwert-Modell, kann die Soft Power bestätigt und der Fundus für das interne Storytelling erweitert werden. Diese Soft Power-Aspekte können in zukünftige Projekt-Briefings übertragen und als Projekt-Ziele neben den Design-Zielen definiert werden. Zusätzlich kann das Modell motivieren, einzelne Soft Power-Aspekte bei wiederholter Nennung in Hard Facts zu überführen und Erfolgsgeschichten dahingehend zu untermauern.
Abschließend kann man zusammenfassen, dass durch kontinuierliche Reflexionen mit Projektteams basierend auf dem Designwert-Modell unternehmensspezifische Werte herausgearbeitet werden können. Diese können durch Botschafter*innen aus den Projektteams und deren Storytelling – weniger durch Hard Facts – unternehmensintern bestätigt werden. Die Soft Power kann über rein Business-bezogene Aspekte hinaus gehen und sich auf den Mehrwert des Designs für Gesellschaft und Umwelt beziehen, wie es das „The Design Value Framework“ des UK Design Council sehr anschaulich und strukturiert darstellt. Entsprechend habe ich diese Aspekte im Designwert-Modell bedacht.