DESIGN DISKURS
In der Sendung „Design und Strafe“ nimmt Florian Arnold Designklassiker unter die Lupe – um sie schließlich zerstören zu lassen. Weshalb man nicht Design, nur seinen Ruf zerstören kann, sich die Kritik verändern muss und weshalb es ohne Ironie gar nicht mehr geht oder nur noch daneben, diskutiert der Philosoph und Designtheoretiker mit Felix Kosok.
Felix Kosok: Lieber Florian Arnold, der DESIGN DISKURS des Deutschen Designer Clubs zielt ja darauf ab, aus unterschiedlichen Perspektiven einen durchaus auch selbstkritischen Blick auf das Design unserer Gegenwart und dessen Rolle in der Gesellschaft zu werfen. In deinem Streaming-Format „Design und Strafe“ auf ZDFKultur ist die Kritik dahingehend viel spitzer formuliert, als dass die kritisierten Designklassiker am Ende zerstört werden. Ausgehend hiervon meine erste Frage: Wieviel Kritik verträgt eine Disziplin wie das Design? Hält das Design das aus oder muss es doch zerstört werden?
Florian Arnold: Wenn ich diese selbst etwas spitz formulierte Frage zunächst mit einer etwas stumpfen Feststellung beantworten darf: Das Design als wesentliches Moment unseres Alltagslebens lässt sich nicht zerstören. Was sich aber schädigen lässt, nicht allein von anderen, sondern auch von ihm selbst, ist sein Ruf. Warum genau gilt etwa die Jucy Salif von Philippe Starck für Alessi eigentlich als Klassiker? Weil sie der vollendete Ausdruck des Anti-Klassischen im Design ist? Weil sie ein Bestseller war? Oder weil Philippe Starck immer noch nicht wegzudenken ist, wenn es um das ‚Lebensgefühl‘ seiner Zeit geht, und darum weiter mitgeschleppt wird wie Modern Talking und Dieter Bohlen? – Die eigentliche Begründung oder Schädigung des Rufs scheint mir jedoch darin zu bestehen, dass man sich über diese Fragen gegenseitig die Köpfe einschlagen und sie sich zugleich vollkommen egal sein lassen kann. Solange die Öffentlichkeit immer noch der Auffassung ist, dass Design nichts wesentlich anderes als ein Spektakel ist (etwa auf ZDFKultur), hat man nicht nur das Design, sondern die Moderne verkannt.

Ein zentrales Problem unserer Gesellschaft zumindest hierzulande scheint mir darum ein (immer noch) mangelhaftes Designbewusstsein der Öffentlichkeit und in gewisser Übereinstimmung damit ein falsches Selbstbewusstsein (im doppelten Sinne) des Designs. Es gibt heute immer noch große Teile innerhalb der Bevölkerung, die mit Design nichts anfangen können, was über eine Aufhübschung von den berühmten Fußnägeln bis zu den Haarspitzen hinausginge. Und nicht zuletzt darum gibt es auch imer noch Designer*innen, oder zumindest Personen, die diese Bezeichnung für sich beanspruchen, die nicht auf mehr hinauswollen (müssen), als eine derartige Ästhetisierung der Lebenswelt voranzutreiben und auszubeuten.
„Solange die Öffentlichkeit immer noch der Auffassung ist, dass Design nichts wesentlich anderes als ein Spektakel ist, hat man nicht nur das Design, sondern die Moderne verkannt.“
Dieses falsche Selbstbewusstsein hat bisweilen in gewissen ‚Autorendesigns‘ auf naive oder refektierte, vielleicht auch zynische Weise Ausdruck gefunden. Falsch ist daran, den eigenen Namen in einem Maße zur Marke zu machen und zwar in Anlehnung etwa an Phänomene der Mode- oder Kunstwelt, dass das damit anvisierte Sozialprestige und der Glamour zum Selbstzweck wird. Design ist aber weder radikal individueller Ausdruck im Sinne der Kunst noch in dem Grade reduzierbar auf das Ästhetische wie die Mode (Funktionskleidung einmal ausgenommen), ohne dass es sich selbst verleugnete. Was das Design von diesen Bereichen unterscheidet, ist unter anderem ein Entwurfsverständnis, das nicht weniger große Anteile eben auch an dem Selbstverständnis von Erfinder*innen, Tüftler*innen oder Ingenieur*innen besitzt, die sich allesamt eher durch ihre funktionalen Problemlösungen einen Namen machen statt umgekehrt durch ihren Namen das Problem des eigenen Absatzes, der eigenen Relevanz, der eigenen Funktion in der Gesellschaft zu lösen.
Das bedeutet nun nicht, dass man sein Designbüro oder seine Designagentur nicht nach seinem eigenen Namen benennen könnte, sondern zielt auf Erscheinungen, die sich selbst parodieren, etwa die individuelle ‚Signierung‘ von Massenprodukten. Das Selbstverständnis oder Selbstbewusstsein, das hinter diesem Phänomen vor allem der 1980er und 1990er Jahre steht, richtet sich im historischen Rückblick eigentlich selbst – oder wer würde heute irgendeinen ‚Colani‘ kaufen, ohne von dem Gefühl beschlichen zu werden, eine Art Gedenkteller zu erstehen? Dass man aber meinen kann, dem noch ein bisschen nachhelfen zu müssen, ergibt sich daraus, dass diese Auffassung bis heute das öffentliche Bild des Designs in nicht unerheblichem Maße prägt, wenn auch nicht in dieser Stilblüte, so doch als ‚nutzloses‘, unscheinbares oder schreiendes Styling.
Auch das bedeutet nun wieder nicht, dass es irgendeinen bestimmten Stil zu favorisieren gelte, und die eine Fraktion, etwa die Postmodernen, die Bösen und die anderen, die Funktionalisten, die Guten wäre. Es geht vielmehr um die Ausbildung und auch Aufklärung eines gestalterischen Selbstbewusstseins bei Produzent*innen, Konsument*innen oder auch Prosument*innen, das allererst der wachsenden Verantwortung des Designs gerecht wird – sowohl in funktioneller als auch ästhetischer Hinsicht.

Felix Kosok: Dass das Design in den 90er Jahren vom Marketing übernommen wurde, ist ja ein bekanntes Problem, dessen Lösung leider immer noch aussteht. Umso erfreulicher müsste es ja sein, dass sich insgesamt geradezu ein Social Turn im Design abzeichnet. Überall verlangen Designer*innen nach gesamtgesellschaftlicher Verantwortung und nach bedeutsamen Aufgaben. Um doch noch einmal auf die Kritik zurückzukommen: Könnte dieses neue kritische Bewusstsein das Ergebnis von guter Designkritik sein? Oder, zynischer gefragt: Wenn es stimmt, dass Designer*innen sich zwar die Köpfe über solche kritischen Fragen einschlagen können, es zugleich aber auch völlig egal ist, ob sie dies tun, können wir durch Kritik überhaupt etwas am Design verändern? Ist die Flucht ins Social Design vielleicht am Ende eine Flucht vor dem eigentlichen Design?
Florian Arnold: Was das Verhältnis von Marketing und Design betrifft, scheint mir die Übernahme, von der du sprichst, noch nicht in dem Maße rückabgewickelt, wie es gerade den Verfechter*innen des Social Turn für sich beanspruchen. Der Witz ist doch, dass die ganze Rede von Turns – und zwar nicht nur im Design – selbst einem Marketing-Modell abgeschaut ist, um sich auf dem Markt der Meinungen zu profilieren. Und dieser Witz kommt nicht ohne Ironie aus, wenn man sich klar macht, dass sich das Design tatsächlich in eine Lage manövrieren konnte, in der es nun dafür werben muss, gerade keine Werbung zu sein.
Was das Verlangen nach gesamtgesellschaftlicher Verantwortung in diesem Zusammenhang bedeutet, scheint mit nicht weniger ambivalent. Du sprichst meiner Meinung nach treffend von einem „Verlangen“ der Designer*innen nach Verantwortung, weil das tatsächliche Übernehmen entweder davon abhängt, dass diese Verantwortung von der Gesellschaft überhaupt gewährt wird oder, wo man sie stattdessen entschlossen, selbstermächtigt, einfach selbst übernimmt, nicht selten auf einen problematischen Aktionismus hinausläuft. Beides im Übrigen spiegelt sich paradigmatisch in der politisierten Jugendkultur von heute, greifen wir etwa Fridays for Future heraus, in einem (noch) nicht wahlberechtigten Engagement, das, wo es sich nicht mehr mit dem Demonstrieren und Mahnen, also Willensbekundungen beruhigen will, Wege und Mittel finden muss, in eine außerparlamentarische Opposition zu gehen. Letzteres kann dann Formen des Re-, Up- und Downcycling annehmen und eine Gegenkultur von Aussteiger*innen zeitigen oder umgekehrt eine Handlungsmacht entfalten, wie es die ehemalige Counter Culture des Silicon Valley vorgemacht hat, die als „Solutionismus“ die stetig wiederkehrenden Probleme politischer Auseinandersetzung nicht mehr austragen, sondern wegdesignen will. Beide Extreme aber höhlen mittel- oder längerfristig das Politische als Kern des Sozialen gerade aus.
Wer sich politisch und sozial engagieren will, kann das hierzulande ohne erhebliche Hindernisse auf den etablierten politischen und sozialen Wegen tun. Es ist nicht so, als ob wir sie erst einmal ebnen müssten. Ein Design, allen voran ein Social Design, das sich nicht als Sozialtechnologie missversteht, spielt dabei nur die Nebenrolle eines/einer Bediensteten im Sinnen des Ermöglichens, nicht des Verwirklichens. Und das gilt eben auch für die Designkritik. Weder das Design noch die Designkritik kann sich der Illusion hingeben, sich nicht die Hände schmutzig zu machen, daß heißt nicht am Funktionieren unserer Gesellschaft direkt oder indirekt mitzutun und sich in der autonomen Zone der Kunst (wenn es sie denn gibt) einzurichten. Und daraus scheint sich der Umkehrschluss zu ergeben, dass sowohl das Design als auch seine Kritik wiederum nur dort ihrer gesellschaftlichen Verantwortung tatsächlich gerecht werden, wo sie sich auf ihre eigene Funktion innerhalb unserer modernen, ausdifferenzierten Gesellschaft konzentrieren – gerade weil sie sich so dystopisch entwickelt, wie sie es tut.
„Weder das Design noch die Designkritik kann sich der Illusion hingeben, sich nicht die Hände schmutzig zu machen.“
Also: „Können wir durch Kritik überhaupt etwas am Design verändern?“ – Ich glaube: Ja! Allerdings unter der Voraussetzung, dass auch die Kritik im gleichen Maße bereit ist, sich zu verändern, wie die Herausforderungen, die sich dem Design stellen und zwar innerhalb der gesellschaftlichen Entwicklung ohne Eskapismen. Freiheit etwa – als erstrebenswertes Ziel eines guten Lebens innerhalb einer aufgeklärten Gesellschaft und zugleich Gemeinplatz aller Diskurse und Praktiken, die Relevanz für die Gesellschaft einklagen wollen – lässt sich weder designen oder herbeikritisieren. Stattdessen lässt sich nur aus dem Bewusstsein der Freiheit heraus designen und kritisieren und zwar mit dem Ziel, Freiheit zumindest nicht zu verunmöglichen. Manchmal ist es gerade ein falsches kritisches Bewusstsein von dem, was Design und Designkritik überhaupt zu leisten vermögen, das weniger die Lösung für gesellschaftliche Probleme bereithält als einen beträchtlichen Teil von ihnen darstellt. Mit anderen Worten: Manchmal ist die Dekonstruktion eines geliebten Selbstbildes die denkbar konstruktivste Kritik, weil ein notwendiger Rückschritt in die richtige Richtung. In Sachen „Design und Strafe“, in Sachen „Designkritik“ ist mir Victor Papanek letztlich auch lieber als ich mir selbst. Aber was kostet es nicht alles an Selbstüberwindung, diese kritische Naivität wiederherzustellen …

Felix Kosok: Ich denke, zur Kritik und insbesondere zur Designkritik hast du sehr gute Punkte gemacht, denen ich zustimmen würde. Deswegen möchte ich abschließend auch hinsichtlich des Formats „Design und Strafe“ noch einmal zum, wenn man so will, Gegenteil der Kritik kommen: Was ist eigentlich mit dem guten alten „Fun“? Tatsächlich war ich an diesem Freitag selbst auf dem globalen Klimastreik in Berlin, bei dem mir aufgefallen ist, dass viele der Protestplakate mit Ironie oder Witz operieren: „Klima ist wie Bier: Warm ist scheiße“ stand zum Beispiel auf einem. Aufs Design übertragen scheint mir, dass gutes Design eben auch eine humorvolle Leichtigkeit haben darf, selbst wenn Designer*innen wirklich alles immer sehr ernst nehmen. Also, ist Lachen im Angesicht der Katastrophe überhaupt noch erlaubt, vielleicht sogar hilfreich, oder verbleibt das alles in dem von dir angesprochenen Eskapismus?
Florian Arnold: Du machst wohl Witze! – Aber Scherz beiseite: Genau das meinte ich eben ja schon mit der „Selbstüberwindung“ oder dem „Spektakel“ bei deiner ersten Frage. Ohne Ironie geht heute gar nichts mehr – weder gut noch daneben. Das ist wohl der Preis dafür, die moderne Welt selbst zu entwerfen statt sie einfach aus göttlicher Hand zu übernehmen. Dieses In-der-Schwebe-hängen zwischen dem sternwüsten Himmel über mir und dem nihilistischen Gesetz in mir, wenn ich an dieser Stelle Kant einmal parodieren darf, betrifft nicht weniger den Humor selbst. Denn sind wir alle schon „fit for fun“? Auch Humor ist eine Anpassungsleistung, wenn auch nicht immer eine überlebensdienliche. Insbesondere Ironie scheint mir spätestens seit Richard Rortys Verklärung liberaler Gesellschaften erste Bürgerpflicht, wo ein tierischer Ernst allein das eigentlich Lächerliche ist. Ironie, mit etwas Ironie, ist der Ernst der Spaßgesellschaft.
In diesem Sinne ist auch „Design und Strafe“ weder einfach Kritik noch Klamauk, sondern ein ‚volksaufklärerischer Schauprozess‘, bei dem die (Design-)Kritik zuletzt auch über sich selbst noch zu Gericht sitzt. Verhandelt und verurteilt werden also nicht allein die üblichen Verdächtigen der Designgeschichte, neben offensichtlichen Designverbrechen, sondern auch die Kritik selbst als richtende Gewalt und zwar in Fragen ihrer Macht und Ohnmacht, ihrer Verhältnismäßigkeit, aber auch ihres Verhältnisses überhaupt zu unserer multimedialen Welt – einer durch und durch designten Welt. Dabei wirkt ein Richter, der über sich selbst richtet, immer wie eine Farce; erst recht, wenn er in der Realität auftritt, eben wie in Schauprozessen aller Art, insbesondere im „Öffentlich-Rechtlichen“ (das Wort ist im hiesigen Kontext schon der ganze Witz).
„‚Design und Strafe‘ ist ein ‚volksaufklärerischer Schauprozess‘, bei dem die (Design-)Kritik zuletzt auch über sich selbst noch zu Gericht sitzt.“
Aber auch, wenn es zunächst wie eine bloße Farce wirkt, kann sich dahinter die Tragikomödie des modernen Menschen verstecken, wie der sich selbst richtende Richter Adam unter seiner Perücke in Heinrich von Kleists „Zerbrochnem Krug“. Wenn eine persönliche Bemerkung an dieser Stelle erlaubt ist: Ich mag Kleists Humor, nicht allein weil er zum Totschießen wäre, das ja auch, sondern weil man Lachen und Weinen am Schluss wirklich nicht mehr unterscheiden kann und erst vor diesem Hintergrund umgekehrt die Banalität unseres Alltags mit all seinen lahmen Aufmunterungs- und verunglückten Werbungsversuchen, nicht zuletzt auch mit dem zweifellos ernsthaft betriebenen und gutgemeinten Designaufwand etwas Erleichterndes, Erheiterndes, ja im vollen Sinne des Wortes Lächerliches bekommt – eben jenes Schwebende, jede Ironie noch Ironisierende.
Aber genug davon und zurück zum irdischen Paradies: Der Dorfrichter Adam, nachdem er sich Schritt für Schritt der eigenen Tat überführt hat, Eves Unschuld rauben zu wollen, entzieht sich am Schluss der selbstverhängten Strafe; er macht sich aus dem Staub. Uns Nachgeborenen von heute wir das wohl nicht mehr so einfach möglich sein, denken wir etwa an das zunehmend unfreundliche Klima um und auf diesem Planeten – von den paar milliardenschweren Marsbewohner*innen in spe einmal abgesehen. Was uns, den anderen, dagegen noch bleibt, ist wohl nur die alte Weisheit, es alles am Ende, inklusive des Endes selbst, mit Humor zu nehmen: Sich selbst aus dem Staub zu machen, um letztendlich wieder zu Staub zu werden, ist im Fall menschlicher Freiheit mehr als die Ironie der Geschichte: Es ist gleichsam die eigenverantwortlichste Form ökologischen oder sogar biodynamischen Recyclings.
Und da du gelungene Protestplakate erwähnt hast: Glanz und Elend zugleich der Kritik sprechen wohl nirgendwo deutlicher sich aus als in der trockenen Feststellung: „Kinder sind schädlich fürs Klima.“ – Wer zuletzt lacht, lacht alleine.