Bild: Villeroy & Boch

DESIGN DISKURS

In der Sendung „Design und Strafe“ nimmt Florian Arnold Design­klassiker unter die Lupe – um sie schließlich zerstören zu lassen. Weshalb man nicht Design, nur seinen Ruf zerstören kann, sich die Kritik verändern muss und weshalb es ohne Ironie gar nicht mehr geht oder nur noch daneben, diskutiert der Philosoph und Design­theoretiker mit Felix Kosok.

Veröffentlicht am 02.10.2021

Felix Kosok: Lie­ber Flo­ri­an Ar­nold, der DE­SIGN DIS­KURS des Deut­schen De­si­gner Clubs zielt ja dar­auf ab, aus un­ter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven ei­nen durch­aus auch selbst­kri­ti­schen Blick auf das De­sign un­se­rer Ge­gen­wart und des­sen Rol­le in der Ge­sell­schaft zu wer­fen. In dei­nem Stream­ing-For­mat „De­sign und Stra­fe“ auf ZDFKul­tur ist die Kri­tik da­hin­ge­hend viel spit­zer for­mu­liert, als dass die kri­ti­sier­ten De­si­gn­klas­si­ker am En­de zer­stört wer­den. Aus­ge­hend hier­von mei­ne ers­te Fra­ge: Wie­viel Kri­tik ver­trägt ei­ne Dis­zi­plin wie das De­sign? Hält das De­sign das aus oder muss es doch zer­stört wer­den?

Florian Arnold: Wenn ich die­se selbst et­was spitz for­mu­lier­te Fra­ge zu­nächst mit ei­ner et­was stump­fen Fest­stel­lung be­ant­wor­ten darf: Das De­sign als we­sent­li­ches Mo­ment un­se­res All­tags­le­bens lässt sich nicht zer­stö­ren. Was sich aber schä­di­gen lässt, nicht al­lein von an­de­ren, son­dern auch von ihm selbst, ist sein Ruf. War­um ge­nau gilt et­wa die Ju­cy Sa­lif von Phil­ip­pe Starck für Ales­si ei­gent­lich als Klas­si­ker? Weil sie der voll­ende­te Aus­druck des An­ti-Klas­si­schen im De­sign ist? Weil sie ein Best­sel­ler war? Oder weil Phil­ip­pe Starck immer noch nicht weg­zu­den­ken ist, wenn es um das ‚Le­bens­ge­fühl‘ sei­ner Zeit geht, und dar­um wei­ter mit­ge­schleppt wird wie Mo­dern Tal­king und Die­ter Boh­len? – Die ei­gent­li­che Be­grün­dung oder Schä­di­gung des Rufs scheint mir je­doch dar­in zu be­ste­hen, dass man sich über die­se Fra­gen ge­gen­sei­tig die Köp­fe ein­schla­gen und sie sich zu­gleich voll­kom­men egal sein las­sen kann. So­lan­ge die Öf­fent­lich­keit immer noch der Auf­fas­sung ist, dass De­sign nichts we­sent­lich an­de­res als ein Spek­ta­kel ist (et­wa auf ZDFKul­tur), hat man nicht nur das De­sign, son­dern die Mo­der­ne ver­kannt.

Aus der Sendung „Design und Strafe“ Folge „Juicy Salif“. Videostill von ZDFKultur

Ein zen­tra­les Pro­blem un­se­rer Ge­sell­schaft zu­min­dest hier­zu­lan­de scheint mir dar­um ein (immer noch) man­gel­haf­tes De­si­gn­be­wusst­sein der Öf­fent­lich­keit und in ge­wis­ser Über­ein­stim­mung da­mit ein fal­sches Selbst­be­wusst­sein (im dop­pel­ten Sin­ne) des De­signs. Es gibt heu­te immer noch gro­ße Tei­le in­ner­halb der Be­völ­ke­rung, die mit De­sign nichts an­fan­gen kön­nen, was über ei­ne Auf­hüb­schung von den be­rühm­ten Fuß­nä­geln bis zu den Haar­spit­zen hin­aus­gin­ge. Und nicht zu­letzt dar­um gibt es auch imer noch De­si­gner*in­nen, oder zu­min­dest Per­so­nen, die die­se Be­zeich­nung für sich be­an­spru­chen, die nicht auf mehr hin­aus­wol­len (müs­sen), als eine der­ar­ti­ge Äs­the­ti­sie­rung der Le­bens­welt vor­an­zu­trei­ben und aus­zu­beu­ten.

„Solange die Öffent­lich­keit immer noch der Auf­fassung ist, dass Design nichts wesent­lich anderes als ein Spektakel ist, hat man nicht nur das Design, sondern die Moderne verkannt.“

Die­ses fal­sche Selbst­be­wusst­sein hat bis­wei­len in ge­wis­sen ‚Au­to­ren­de­signs‘ auf nai­ve oder refek­tier­te, viel­leicht auch zy­ni­sche Wei­se Aus­druck ge­fun­den. Falsch ist dar­an, den ei­ge­nen Namen in ei­nem Ma­ße zur Mar­ke zu ma­chen und zwar in An­leh­nung et­wa an Phä­no­me­ne der Mo­de- oder Kunst­welt, dass das da­mit an­vi­sier­te So­zi­al­pres­ti­ge und der Gla­mour zum Selbst­zweck wird. De­sign ist aber we­der ra­di­kal in­di­vi­du­el­ler Aus­druck im Sin­ne der Kunst noch in dem Gra­de re­du­zier­bar auf das Äs­the­ti­sche wie die Mode (Funk­ti­ons­klei­dung ein­mal aus­ge­nom­men), oh­ne dass es sich selbst ver­leug­ne­te. Was das De­sign von die­sen Be­rei­chen un­ter­schei­det, ist un­ter an­de­rem ein Ent­wurfs­ver­ständ­nis, das nicht we­ni­ger gro­ße An­tei­le eben auch an dem Selbst­ver­ständ­nis von Er­fin­der*in­nen, Tüft­ler*in­nen oder In­ge­nieur*in­nen be­sitzt, die sich al­le­samt eher durch ih­re funk­tio­na­len Pro­blem­lö­sun­gen ei­nen Na­men ma­chen statt um­ge­kehrt durch ih­ren Na­men das Pro­blem des ei­ge­nen Ab­sat­zes, der ei­ge­nen Re­le­vanz, der ei­ge­nen Funk­­ti­on in der Ge­sell­schaft zu lö­sen.

Das be­deu­tet nun nicht, dass man sein De­si­gn­bü­ro oder sei­ne De­si­gnagen­tur nicht nach sei­nem ei­ge­nen Na­men be­nen­nen könn­te, son­dern zielt auf Er­schei­nun­gen, die sich selbst par­odie­ren, et­wa die in­di­vi­du­el­le ‚Si­gnie­rung‘ von Mas­sen­pro­duk­ten. Das Selbst­ver­ständ­nis oder Selbst­bewusst­sein, das hin­ter die­sem Phä­no­men vor al­lem der 1980er und 1990er Jah­re steht, rich­tet sich im his­to­ri­schen Rück­blick ei­gent­lich selbst – oder wer wür­de heu­te ir­gend­ei­nen ‚Co­la­ni‘ kau­fen, oh­ne von dem Ge­fühl be­schli­chen zu wer­den, ei­ne Art Ge­denk­tel­ler zu er­ste­hen? Dass man aber mei­nen kann, dem noch ein biss­chen nach­hel­fen zu müs­sen, er­gibt sich dar­aus, dass die­se Auf­fas­sung bis heu­te das öf­fent­li­che Bild des De­signs in nicht un­er­heb­li­chem Ma­ße prägt, wenn auch nicht in die­ser Stil­blü­te, so doch als ‚nutz­lo­ses‘, un­schein­ba­res oder schrei­en­des Styling.

Auch das be­deu­tet nun wie­der nicht, dass es ir­gend­ei­nen be­stimm­ten Stil zu fa­vo­ri­sie­ren gel­te, und die ei­ne Frak­ti­on, et­wa die Post­mo­der­nen, die Bö­sen und die an­de­ren, die Funk­tio­na­lis­ten, die Gu­ten wä­re. Es geht viel­mehr um die Aus­bil­dung und auch Auf­klä­rung ei­nes ge­stal­te­ri­schen Selbst­be­wusst­seins bei Pro­du­zent*in­nen, Kon­su­ment*in­nen oder auch Pro­sument*in­nen, das aller­erst der wach­sen­den Ver­ant­wor­tung des De­signs ge­recht wird – so­wohl in funk­tio­nel­ler als auch äs­the­ti­scher Hin­sicht.

Florian Arnold hostet die Sendung „Design und Strafe“ bei ZDFKultur. Videostill von ZDFKultur

Felix Kosok: Dass das De­sign in den 90er Jah­ren vom Mar­ke­ting über­nom­men wur­de, ist ja ein be­kann­tes Pro­blem, des­sen Lö­sung lei­der im­mer noch aus­steht. Um­so er­freu­li­cher müss­te es ja sein, dass sich ins­ge­samt ge­ra­de­zu ein So­ci­al Turn im De­sign ab­zeich­net. Über­all ver­lan­gen Desi­gner*in­nen nach ge­samt­ge­sell­schaft­li­cher Ver­ant­wor­tung und nach be­deut­sa­men Auf­ga­ben. Um doch noch ein­mal auf die Kri­tik zu­rück­zu­kom­men: Könn­te die­ses neue kri­ti­sche Be­wusst­sein das Er­geb­nis von gu­ter De­sign­kri­tik sein? Oder, zy­ni­scher ge­fragt: Wenn es stimmt, dass De­si­gner*in­nen sich zwar die Köp­fe über sol­che kri­ti­schen Fra­gen ein­schla­gen kön­nen, es zu­gleich aber auch völ­lig egal ist, ob sie dies tun, kön­nen wir durch Kri­tik über­haupt et­was am Design ver­än­dern? Ist die Flucht ins So­ci­al Design viel­leicht am En­de ei­ne Flucht vor dem ei­gent­li­chen De­sign?


Florian Arnold: Was das Ver­hält­nis von Mar­ke­ting und De­sign be­trifft, scheint mir die Über­nahme, von der du sprichst, noch nicht in dem Ma­ße rück­ab­ge­wi­ckelt, wie es ge­ra­de den Ver­fech­ter*in­nen des So­ci­al Turn für sich be­an­spru­chen. Der Witz ist doch, dass die gan­ze Re­de von Turns – und zwar nicht nur im De­sign – selbst ei­nem Mar­ke­ting-Mo­dell ab­ge­schaut ist, um sich auf dem Markt der Mei­nun­gen zu pro­fi­lie­ren. Und die­ser Witz kommt nicht oh­ne Iro­nie aus, wenn man sich klar macht, dass sich das De­sign tat­säch­lich in ei­ne La­ge ma­nö­vrie­ren konn­te, in der es nun da­für wer­ben muss, ge­ra­de kei­ne Wer­bung zu sein.

Was das Ver­lan­gen nach ge­samt­ge­sell­schaft­li­cher Ver­ant­wor­tung in die­sem Zu­sam­men­hang bedeu­tet, scheint mit nicht we­ni­ger am­bi­va­lent. Du sprichst mei­ner Mei­nung nach tref­fend von einem „Ver­lan­gen“ der De­si­gner*in­nen nach Ver­ant­wor­tung, weil das tat­säch­li­che Über­neh­men ent­we­der da­von ab­hängt, dass die­se Ver­ant­wor­tung von der Ge­sell­schaft über­haupt ge­währt wird oder, wo man sie statt­des­sen ent­schlos­sen, selbst­er­mäch­tigt, ein­fach selbst über­nimmt, nicht sel­ten auf ei­nen pro­ble­ma­ti­schen Ak­tio­nis­mus hin­aus­läuft. Bei­des im Üb­ri­gen spie­gelt sich pa­ra­dig­ma­tisch in der po­li­ti­sier­ten Ju­gend­kul­tur von heu­te, grei­fen wir et­wa Fri­days for Fu­ture her­aus, in ei­nem (noch) nicht wahl­be­rech­tig­ten En­ga­ge­ment, das, wo es sich nicht mehr mit dem De­mons­trie­ren und Mah­nen, al­so Wil­lens­be­kun­dun­gen be­ru­hi­gen will, We­ge und Mit­tel fin­den muss, in ei­ne au­ßer­par­la­men­ta­ri­sche Op­po­si­ti­on zu ge­hen. Letz­te­res kann dann For­men des Re-, Up- und Down­cy­cling an­neh­men und ei­ne Ge­gen­kul­tur von Aus­stei­ger*in­nen zei­ti­gen oder um­ge­kehrt ei­ne Hand­lungs­macht ent­fal­ten, wie es die ehe­ma­li­ge Coun­ter Cul­tu­re des Si­li­con Val­ley vor­ge­macht hat, die als „So­lu­tio­nis­mus“ die ste­tig wie­der­keh­ren­den Pro­ble­me poli­ti­scher Aus­ein­an­der­set­zung nicht mehr aus­tra­gen, son­dern weg­de­si­gnen will. Bei­de Ex­tre­me aber höh­len mit­tel- oder län­ger­fris­tig das Po­li­ti­sche als Kern des So­zia­len ge­ra­de aus.

Wer sich po­li­tisch und so­zi­al en­ga­gie­ren will, kann das hier­zu­lan­de oh­ne er­heb­li­che Hin­der­nis­se auf den eta­blier­ten po­li­ti­schen und so­zia­len We­gen tun. Es ist nicht so, als ob wir sie erst einmal eb­nen müss­ten. Ein De­sign, al­len vor­an ein So­ci­al De­sign, das sich nicht als So­zi­al­tech­no­lo­gie miss­ver­steht, spielt da­bei nur die Ne­ben­rol­le ei­nes/ei­ner Be­diens­te­ten im Sin­nen des Er­mög­li­chens, nicht des Ver­wirk­li­chens. Und das gilt eben auch für die De­si­gn­kri­tik. We­der das De­sign noch die De­si­gn­kri­tik kann sich der Il­lu­si­on hin­ge­ben, sich nicht die Hän­de schmut­zig zu ma­chen, daß hei­ßt nicht am Funk­tio­nie­ren un­se­rer Ge­sell­schaft di­rekt oder in­di­rekt mit­zu­tun und sich in der au­to­no­men Zo­ne der Kunst (wenn es sie denn gibt) ein­zu­rich­ten. Und dar­aus scheint sich der Um­kehr­schluss zu er­ge­ben, dass so­wohl das De­sign als auch sei­ne Kri­tik wie­der­um nur dort ih­rer ge­sell­schaft­li­chen Ver­ant­wor­tung tat­säch­lich ge­recht wer­den, wo sie sich auf ih­re ei­ge­ne Funk­ti­on in­ner­halb un­se­rer mo­der­nen, aus­dif­fe­ren­zier­ten Ge­sell­schaft kon­zen­trie­ren – ge­ra­de weil sie sich so dys­to­pisch ent­wi­ckelt, wie sie es tut.

„Weder das Design noch die Design­kritik kann sich der Illusion hin­geben, sich nicht die Hände schmutzig zu machen.“

Al­so: „Kön­nen wir durch Kri­tik über­haupt et­was am De­sign ver­än­dern?“ – Ich glau­be: Ja! Al­ler­dings un­ter der Vor­aus­set­zung, dass auch die Kri­tik im glei­chen Ma­ße be­reit ist, sich zu ver­än­dern, wie die Her­aus­for­de­run­gen, die sich dem De­sign stel­len und zwar in­ner­halb der ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lung oh­ne Es­ka­pis­men. Frei­heit et­wa – als er­stre­bens­wer­tes Ziel ei­nes gu­ten Le­bens in­ner­halb ei­ner auf­ge­klär­ten Ge­sell­schaft und zu­gleich Ge­mein­platz al­ler Dis­kur­se und Prak­ti­ken, die Re­le­vanz für die Ge­sell­schaft ein­kla­gen wol­len – lässt sich we­der de­signen oder her­bei­kri­ti­sie­ren. Statt­des­sen lässt sich nur aus dem Be­wusst­sein der Frei­heit her­aus de­si­gnen und kri­ti­sie­ren und zwar mit dem Ziel, Frei­heit zu­min­dest nicht zu ver­un­mög­li­chen. Manch­mal ist es ge­ra­de ein fal­sches kri­ti­sches Be­wusst­sein von dem, was De­sign und De­si­gn­kri­tik über­haupt zu leis­ten ver­mö­gen, das we­ni­ger die Lö­sung für ge­sell­schaft­li­che Pro­ble­me be­reit­hält als ei­nen be­trächt­li­chen Teil von ih­nen dar­stellt. Mit an­de­ren Wor­ten: Manch­mal ist die De­kon­struk­ti­on ei­nes ge­lieb­ten Selbst­bil­des die denk­bar kon­struk­tivs­te Kri­tik, weil ein notwen­di­ger Rück­schritt in die rich­ti­ge Rich­tung. In Sa­chen „De­sign und Stra­fe“, in Sa­chen „De­si­gn­kri­ti­k“ ist mir Vic­tor Pa­pa­n­ek letzt­lich auch lie­ber als ich mir selbst. Aber was kos­tet es nicht al­les an Selbst­über­win­dung, die­se kri­ti­sche Nai­vi­tät wie­der­her­zu­stel­len …

Aus der Sendung „Design und Strafe“ Folge „Flamingobrunnen". Videostill von ZDFKultur

Felix Kosok: Ich den­ke, zur Kri­tik und ins­be­son­de­re zur De­si­gn­kri­tik hast du sehr gu­te Punk­te ge­macht, de­nen ich zu­stim­men wür­de. Des­we­gen möch­te ich ab­schlie­ßend auch hin­sicht­lich des For­mats „De­sign und Stra­fe“ noch ein­mal zum, wenn man so will, Ge­gen­teil der Kri­tik kom­men: Was ist ei­gent­lich mit dem gu­ten al­ten „Fun“? Tat­säch­lich war ich an die­sem Frei­tag selbst auf dem glo­ba­len Kli­ma­st­reik in Ber­lin, bei dem mir auf­ge­fal­len ist, dass vie­le der Pro­test­pla­ka­te mit Iro­nie oder Witz ope­rie­ren: „Kli­ma ist wie Bier: Warm ist schei­ße“ stand zum Bei­spiel auf ei­nem. Aufs De­sign über­tra­gen scheint mir, dass gu­tes De­sign eben auch ei­ne hu­mor­vol­le Leich­tig­keit ha­ben darf, selbst wenn De­si­gner*in­nen wirk­lich al­les im­mer sehr ernst neh­men. Al­so, ist La­chen im An­ge­sicht der Ka­ta­stro­phe über­haupt noch er­laubt, viel­leicht so­gar hilf­reich, oder ver­bleibt das al­les in dem von dir an­ge­spro­che­nen Es­ka­pis­mus?

Florian Arnold: Du machst wohl Wit­ze! – Aber Scherz bei­sei­te: Ge­nau das mein­te ich eben ja schon mit der „Selbst­über­win­dun­g“ oder dem „Spek­ta­kel“ bei dei­ner ers­ten Fra­ge. Oh­ne Iro­nie geht heu­te gar nichts mehr – we­der gut noch da­ne­ben. Das ist wohl der Preis da­für, die mo­der­ne Welt selbst zu ent­wer­fen statt sie ein­fach aus gött­li­cher Hand zu über­neh­men. Die­ses In-der-Schwe­be-hän­gen zwi­schen dem stern­wüs­ten Him­mel über mir und dem ni­hi­lis­ti­schen Ge­setz in mir, wenn ich an die­ser Stel­le Kant ein­mal par­odie­ren darf, be­trifft nicht we­ni­ger den Hu­mor selbst. Denn sind wir al­le schon „fit for fun“? Auch Hu­mor ist ei­ne An­pas­sungs­leis­tung, wenn auch nicht im­mer ei­ne über­le­bens­dien­li­che. Ins­be­son­de­re Iro­nie scheint mir spä­tes­tens seit Richard Ror­tys Ver­klä­rung li­be­ra­ler Ge­sell­schaf­ten ers­te Bür­ger­pflicht, wo ein tie­ri­scher Ernst al­lein das ei­gent­lich Lä­cher­li­che ist. Iro­nie, mit et­was Iro­nie, ist der Ernst der Spa­ß­ge­sell­schaft.


In die­sem Sin­ne ist auch „De­sign und Stra­fe“ we­der ein­fach Kri­tik noch Kla­mauk, son­dern ein ‚volks­auf­klä­re­ri­scher Schau­pro­zess‘, bei dem die (De­sign-)Kri­tik zu­letzt auch über sich selbst noch zu Ge­richt sitzt. Ver­han­delt und ver­ur­teilt wer­den al­so nicht al­lein die üb­li­chen Ver­däch­ti­gen der De­sign­ge­schich­te, ne­ben of­fen­sicht­li­chen De­si­gn­ver­bre­chen, son­dern auch die Kri­tik selbst als rich­ten­de Ge­walt und zwar in Fra­gen ih­rer Macht und Ohn­macht, ih­rer Ver­hält­nis­mä­ßig­keit, aber auch ih­res Ver­hält­nis­ses über­haupt zu un­se­rer mul­ti­me­dia­len Welt – ei­ner durch und durch de­sign­ten Welt. Da­bei wirkt ein Rich­ter, der über sich selbst rich­tet, im­mer wie ei­ne Far­ce; erst recht, wenn er in der Rea­li­tät auf­tritt, eben wie in Schau­pro­zes­sen al­ler Art, ins­be­son­de­re im „Öf­fent­lich-Recht­li­chen“ (das Wort ist im hie­si­gen Kon­text schon der gan­ze Witz).

„‚Design und Strafe‘ ist ein ‚volks­auf­klärer­ischer Schau­prozess‘, bei dem die (Design-)Kritik zuletzt auch über sich selbst noch zu Gericht sitzt.“

Aber auch, wenn es zu­nächst wie ei­ne blo­ße Far­ce wirkt, kann sich da­hin­ter die Tra­gi­ko­mö­die des mo­der­nen Men­schen ver­ste­cken, wie der sich selbst rich­ten­de Rich­ter Adam un­ter sei­ner Pe­rü­cke in Hein­rich von Kleists „Zer­broch­nem Kru­g“. Wenn ei­ne per­sön­li­che Be­mer­kung an die­ser Stel­le er­laubt ist: Ich mag Kleists Hu­mor, nicht al­lein weil er zum Tot­schie­ßen wä­re, das ja auch, son­dern weil man La­chen und Wei­nen am Schluss wirk­lich nicht mehr un­ter­schei­den kann und erst vor die­sem Hin­ter­grund um­ge­kehrt die Ba­na­li­tät un­se­res All­tags mit all sei­nen lah­men Auf­mun­te­rungs- und ver­un­glück­ten Wer­bungs­ver­su­chen, nicht zu­letzt auch mit dem zwei­fel­los ernst­haft be­trie­be­nen und gut­ge­mein­ten De­si­gnauf­wand et­was Er­leich­tern­des, Er­hei­tern­des, ja im vol­len Sin­ne des Wor­tes Lä­cher­li­ches be­kommt – eben je­nes Schwe­ben­de, je­de Iro­nie noch Iro­ni­sie­ren­de.

Aber ge­nug da­von und zu­rück zum ir­di­schen Pa­ra­dies: Der Dorf­rich­ter Adam, nach­dem er sich Schritt für Schritt der ei­ge­nen Tat über­führt hat, Eves Un­schuld rau­ben zu wol­len, ent­zieht sich am Schluss der selbst­ver­häng­ten Stra­fe; er macht sich aus dem Staub. Uns Nach­ge­bo­re­nen von heu­te wir das wohl nicht mehr so ein­fach mög­lich sein, den­ken wir et­wa an das zu­neh­mend un­freund­li­che Kli­ma um und auf die­sem Pla­ne­ten – von den paar mil­li­ar­den­schwe­ren Mars­be­woh­ner*in­nen in spe ein­mal ab­ge­se­hen. Was uns, den an­de­ren, da­ge­gen noch bleibt, ist wohl nur die al­te Weis­heit, es al­les am En­de, in­klu­si­ve des En­des selbst, mit Hu­mor zu neh­men: Sich selbst aus dem Staub zu ma­chen, um letzt­end­lich wie­der zu Staub zu wer­den, ist im Fall mensch­li­cher Frei­heit mehr als die Iro­nie der Ge­schich­te: Es ist gleich­sam die ei­gen­ver­ant­wort­lichs­te Form öko­lo­gi­schen oder so­gar bio­dy­na­mi­schen Re­cy­clings.

Und da du ge­lun­ge­ne Pro­test­pla­ka­te er­wähnt hast: Glanz und Elend zu­gleich der Kri­tik spre­chen wohl nir­gend­wo deut­li­cher sich aus als in der tro­cke­nen Fest­stel­lung: „Kin­der sind schäd­lich fürs Kli­ma.“ – Wer zu­letzt lacht, lacht al­lei­ne.

Dr. Dr. Florian Arnold

Flo­ri­an Ar­nold lehrt seit 2019 im Fach­be­reich De­sign an der Staat­li­chen Aka­de­mie der Bil­den­den Künste in Stutt­gart. 2021 hat er zu­dem ei­ne Ver­tre­tungs­pro­fes­sur für De­sign­theo­rie an der HfG Offenbach in­ne. Ar­nold stu­dier­te Phi­lo­so­phie und Ger­ma­nis­tik in Hei­del­berg und in Pa­ris. Die ers­te Pro­mo­tion in Phi­lo­so­phie be­schäf­tigt sich mit dem Ant­ago­nis­mus von Ver­nunft und Ein­bil­dungs­kraft in der Ent­wick­lung des phi­lo­so­phi­schen Bil­dungs­be­griffs. Die zwei­te Pro­mo­ti­on in De­sign­theo­rie stellt eine „Logik des Ent­wer­fen­s“ als de­sign­phi­lo­so­phi­sche Grund­le­gung vor. Ar­nold ist Mit­glied des Deut­schen Werk­bun­des und hat ne­ben vie­lem an­de­ren ei­ne Ein­füh­rung in die Phi­lo­so­phie für De­si­gner*in­nen ver­fasst. 2019 strahl­te ZDFKul­tur die Sen­dung „De­sign und Stra­fe“ mit ihm als Host aus.

florianarnold.net