Infografik aus dem BOSCH Megatrend Report _11 © Strichpunkt Design

DESIGN DISKURS

Wir müssen uns entscheiden, was uns wirklich wichtig ist, was unsere Werte sind. Und Haltung beweisen. Die alten Werte und Regeln dienen uns als Material für das neue „gute“ Design – das uns alle in die Lage versetzt und dazu langfristig ermächtigt, diese wichtigen Entscheidungen selbst treffen zu können.

Veröffentlicht am 07.06.2023

Design ist eines dieser großen Wörter unserer Zeit. Es fühlt sich mächtig an. Wer es für sich nutzen kann, scheint zumin­dest alles richtig zu machen. Design Thinking, Designer­möbel, Designer­gene. Design wird inflatio­när genutzt als ein Wort, das irgend­wie für Gestalten steht, für kreativ Erschaffenes, für gutes Aus­sehen – je nach­dem, was durch seine magische Aura mit Wert auf­geladen werden soll.

Es ist ähnlich wie mit Nach­haltig­keit. Alles ist irgend­wie nach­haltig, wenn man nur die Zusam­men­hänge richtig baut. Alles ist irgend­wie Design, wenn man es genau betrachtet. Beide Worte werden häufig zu einem bloßen Anstrich, einer Ver­packung, um die Dinge bekömm­licher zu machen, zu ver­schleiern oder besser wirken zu lassen. Aber gerade als Designer­*innen in unserer Zeit müssen wir uns stärker denn je ins Bewusst­sein rufen, dass es sich bei ihnen je­doch nicht nur um sprach­liche Gebilde handelt, sondern um grund­sätzliche An­sprüche. An­sprüche an unsere Gesell­schaft, an Unter­nehmen – und nicht zuletzt an uns, die wir gestalten.

Gutes Design muss sich die Frage stellen: Geht das auch anders (als bisher)? In unserer jetzigen Zeit kann das Wort „gut“ im Kontext mit Design durch­aus als Synonym für „nach­haltig“ ge­sehen werden. Und es ist eine unbe­dingte Anfor­der­ung, ein Be­dürf­nis unserer Zeit: Gutes Design sollte nach­haltig sein. Dabei sind wir, als Gestalten­den, ge­zwun­gen, beiden Worten wirk­lichen Inhalt zu ver­leihen. Hinter die Fassaden zu treten, die darüber aufge­baut wurden und zu über­legen, wie Nach­haltig­keit designt werden kann und wie Design nach­haltig werden kann. Aber wie geht das?

 

Persönliche Werte

Der Weg dorthin ist für mich, zunächst die eigenen Werte in den Vorder­grund zu rücken. Designer­*innen müssen gnaden­los ehrlich mit sich sein, um zu guten Resul­taten zu kommen. Und kritik­fähig bleiben. Da geht es nicht nur um die Ober­fläche, die Anmutung oder die Funktio­nalität eines Designs, da geht es zunächst um die Aus­ein­ander­setzung mit der eigenen Ab­sicht und den eigenen Werten, die hinter dem Bedürf­nis zu gestalten stehen.

„Obwohl wir alle eigene Werte haben, teilen wir anscheinend, ohne es zu bemerken, doch so viele davon, dass Gemein­schaft und Gesell­schaft möglich bleiben.“

Dennoch – je länger wir über unsere eigenen Werte nach­denken, desto deutlicher wird: Die Definition der eigenen Werte ist anders als die der Anderen, was ich für mich als gut definiere, ist mög­licher­weise für andere nicht gut. Und auch das Schlechte ist davon betroffen: Was ist eigent­lich schlechtes Design und kann man schlechtes Design her­stellen? Das Problem bleibt auch hierbei, dass wir am Ende, trotz aller Design­regeln, Markt­forschung und A/B-Tests nicht wissen, wen unser Design erreicht und welche Wirkung es über die Zeit ent­faltet. Am Ende erweisen wir vielleicht sogar mit gutem Design einen Bären­dienst. Binäres Denken bringt uns also nicht weiter. Über inten­dierten Wert und Mehr­wert eines Designs nachzu­denken hilft nicht. Die Frage nach dem Wert ist eine, die sich in den Relativismen unserer Zeit und auch in der Logik der Öko­nomie auflöst. Wert hat nur, was Wert schafft.

Kampagne für das Energieunternehmen iqony © Strichpunkt Design

Bei all dieser Unge­wiss­heit bleibt aber eine Kon­stante: Ob­wohl wir alle eigene Werte haben, teilen wir an­schein­end, ohne es zu be­merken, doch so viele davon, dass Gemein­schaft und Gesell­schaft mög­lich bleiben. Wir können also Ver­trauen darin haben, dass die Grund­lagen geklärt sind – auf alte, gute und schlechte Werte können wir uns ver­lassen. Sie sind vor­handen, sie wurden bereits ge­schaffen, sie können unser Material sein, wenn wir sie im Prozess des Gestaltens wert­frei betrachten. Denn jetzt geht es um uns und unsere persön­lichen, neuen Werte. Wie schaffen wir es, Design zu nutzen, um sie in die Welt zu bringen? Wer teilt sie und für wen wollen wir gestalten, wenn nicht für uns selbst?

Das ist ein Weg aus dem Relativismus und den alten Vor­stell­ungen von gutem Design. Das ist die Mög­lich­keit es anders zu machen als bisher: Bewusst zu ent­scheiden, was wir tun möchten, ist der Weg zu gutem Design. Wir gehen ihn durch beständiges Arbeiten, Reflek­tieren, Heraus­fordern und Ver­werfen – mehr als durch reines Ent­werfen. Ent­scheidungs­fähig­keit ist das, was dabei in den Mittel­punkt rückt, sowohl für Designer­*innen als auch für die Nutzer­*innen unserer Designs. Und mit der Ent­scheidungs­fähig­keit gehen Ent­scheidungs­kraft und Ent­scheidungs­freude einher, denn Design wird am Ende Mehrwert stiften.


Mehrwert und Nachhaltigkeit

Dieses Mehrwert stiften – das steht in direktem Zusam­men­hang mit Nach­haltig­keit. Nach­haltig ist, was über die Zeit hin­weg seinen wahren Wert ent­faltet, nicht, was den Waren­wert ver­viel­facht. Betrachtet man das jahr­zehnte­lange Green­washing von Dienst­leist­ungen, Pro­dukten und Unter­nehmens­marken, dann kommt Design eine tragische Rolle zu: Der Mehr­wert war hier stets, die gewohnte Weise der Wert­generierung zu bewahren. Eine Weise, die unsere Lebens­grund­lage all­mählich zerstört. Design wurde als Ver­schleierung der wahren Werte genutzt – die Werte von Designer­*innen und Rezipient­*innen blieben dabei eben­falls kaum sicht­bar. Wir müssen weg von der grünen Hülle, dem sozialen An­strich, der Ober­fläche der Produkte und es statt­dessen durch Gestalt­ung möglich machen, die bestehenden Wert­schöpfungs­prozesse zu ergrün­den, Bestehendes neu zu ver­werten. Das ist der Mehr­wert, den Design jetzt liefern kann und das meine ich auch mit der vorher ange­sprochenen Ehrlich­keit. Wir müssen mit uns ehrlich sein: über die Förderung von Roh­stoffen, die Her­stell­ung von Pro­dukten, die Ziele von Unter­nehmen und ihrem Markenkern.

„Design wurde als Verschleier­ung der wahren Werte genutzt – die Werte von Designer­*innen und Rezipient­*innen blieben dabei eben­falls kaum sichtbar.“

Am Ende ist die eigentliche Frage beim Thema Mehr­wert von Design: Wie kann ich auf der Grund­lage von Bestehen­dem Neues schaffen? Wie kann ich einen Her­stellungs­pro­zess, ein altes Pro­dukt, eine alte Marke, ein altes Unter­nehmen so designen, dass bisher in ihnen verborgene Funktionen zum Vor­schein kommen? Denn in den meisten Dingen ist ihr Mehr­wert bereits enthalten. Intelli­gentes Design bedenkt dabei nicht nur die Filet­stücke der Res­sour­cen, die für die Her­stell­ung eines Produkts not­wendig sind, sondern auch die Ab­fälle und gibt ihnen die Chance auf ein neues, wert­volles Leben.

Transformationskampagne für Alexander Bürkle © Strichpunkt Design

Mehr( )Wert durch Ermächtigung

Wir wollen Werte schaffen. Werte, die bleiben. Dinge, auf die wir stolz sein können. Wenn wir fragen, was gutes Design ist, müssen wir uns selbst ant­worten, denn von anderen können wir keine klare oder zu uns passende Antwort erwarten. Was gutes Design ist, wissen wir am Ende erst, wenn es sich in Nutz­ung befindet, wenn es sich in das Leben einfügt.

Wichtig ist nicht, ob die Defini­tionen und Regel­sätze von „gutem Design“ ewig gültig bleiben. Die Frage ist, welche von ihnen uns als Gestalter­*innen dabei helfen, die für uns richtigen Ent­scheidungen zu treffen. In unserer Gegen­wart, in diesem Moment der Welt- und Design-Geschichte ist gutes Design immer nach­haltiges Design. Wir können Nach­haltig­keit gestalten, so dass sie nicht nur als harte, kahle Not­wendig­keit verstanden wird, sondern dass ihre wahre Schönheit, ihr Wert sicht­bar wird. Wir können ökonom­ische Zwänge mit Sozialem und Ästhetik vereinen. Wir können Verant­wortung über­nehmen für die Produkte, die Marken, die Welten, die wir gestalten.

Aber dazu müssen wir uns ent­scheiden, was uns wirklich wichtig ist, was unsere Werte sind. Und Halt­ung beweisen. Die alten Werte und Regeln dienen uns als Material für das neue „gute“ Design – das uns alle in die Lage versetzt und dazu lang­fristig ermächtigt, diese wichtigen Ent­­scheidungen selbst treffen zu können.


Wer mehr zum DDC Wettbewerb WAS IST GUT 2023 wissen möchte: www.ddc.de/de/wettbewerb/was-ist-gut-2023/infos.php

Kirsten Dietz

ist deutsche Design-Pionierin. Mit Strichpunkt Design hat sie als Unter­nehmerin und Autorin das deutsche Design nach­haltig geprägt und neue Standards für die Branche gesetzt sowie Strichpunkt zu einer der führenden Design- und Branding-Agenturen Deutsch­lands ent­wickelt. Seit Anfang des Jahres leitet sie auf der Führungs­ebene der Schweizer Agentur­gruppe MYTY Group den People- und Culture-Bereich und soll vor allem für das Zusammen­wachsen der zwei Jahre alten inter­nationalen Agentur­gruppe sorgen. Kirsten ist als Designerin und Autorin eine der inter­national erfolg­reichsten Kreativen und war Jury­mit­glied bei nationalen und inter­natio­nalen Wett­be­werben und Festivals, etwa beim ADC, Red Dot Award, D&AD London, New York Festival, The One Show NY und bei Cannes Lions. Sie ist zudem regel­mäßig als Vor­tragen­de auf Veran­staltungen tätig.