Fotomontage: Uli Mayer-Johanssen GmbH

DESIGN DISKURS

Stellen wir uns den Herausforderungen, haben wir mehr zu gewinnen als zu verlieren.

Veröffentlicht am 02.03.20

Einsam stand das Wein­haus Huth auf dem weiten leeren Feld. In der Nach­kriegs­zeit war es ein Symbol für die Zer­stör­ung und Teil­ung der Stadt Berlin geworden. In un­mittel­barer Nähe die Mauer mit ihren Wach­türmen, Minen­feldern und Selbst­schuss­an­lagen. Der eiserne Vor­hang mitten im Leben der Menschen in einer geteil­ten Stadt. Als wir den Miet­vertrag für die Räume im September 1989 für das neue Domizil unter­schrieben, hätte kein Mensch geglaubt, dass die Mauer in ab­seh­barer Zeit fallen würde. Ein Schreck­gespenst war über Nacht einem Frei­heits- und Zukunfts­taumel ge­wichen. „Blühende Land­schaften“, offene Grenzen und schein­bar un­end­liche Wachstums­per­spektiven über­deckten, was auch damals schon offen­sicht­lich war, nämlich die besorgnis­erregenden Erkennt­nisse über das Maß der Zer­störung dieses Planeten.

Bereits 20 Jahre davor (1972) hatte der Club of Rome mit der Studie „Grenzen des Wachs­tums“ versucht, die Menschen wach­zurütteln. Viele Kata­strophen sollten folgen: 1986 der Super-GAU von Tscherno­byl, 1995 Brent Spar, beängstigende Erkennt­nisse über schmelzende Gletscher und vieles mehr drängten ins Bewusst­sein und dennoch war das Zeit­gefühl „Auf­bruch“. Auf­bruch in eine freie Welt, mit freien Märkten und schier endlosen Wachs­tums- und Wohl­stands­perspek­tiven. Alles Warnen und alle Erkennt­nisse aus Wissen­schaft und For­schung blieben hilf­lose Ver­suche, sich Gehör zu verschaffen.

Immer offen­sicht­licher wird: Unser Wohl­stand hat uns blind gemacht und unsere Bequem­lich­keit hält uns gefangen in einer Geistes­haltung, die alles ausblendet, was wir nicht wahr­haben wollen. Rockströms „Planetare Grenzen“ ¹, die 17 Sustainable Develop­ment Goals der UN, Fridays for Future, Scientists for Future – all das spricht eine ein­deutige Sprache: Wir tragen Verant­wortung für die Welt, die wir gestaltet und geschaf­fen haben, die wir dabei aus­gebeutet und zer­stört haben. Wir sind aus der Balance geraten. Sie, die Welt, ist aus der Balance geraten.

 

Es geht um einen neuen Zugang und einen neuen Umgang mit der Welt.

Wir sollten uns von der Vor­stellung verab­schieden, dass wir nur ver­lieren, wenn wir etwas ändern. Denn stellen wir uns den Heraus­forder­ungen, haben wir mehr zu gewinnen als zu ver­lieren. Bislang hängen wir dem Irr­glauben nach: Ich tue etwas Gutes, wenn ich weniger schlecht bin. Wir haben uns in einer Denk­haltung ein­gerichtet, die das Falsche perfekt macht und damit schlicht nur perfekt falsch. Michael Braungart ², der die Cradle to Cradle-Systematik ent­wickelt hat, bei der es keinen Abfall mehr gibt, sagt: „Weniger schlecht ist nur weniger Zer­störung.“ „Ich schütze nicht, indem ich weniger kaputt mache.“ „Nur weniger Abfall löst nicht das Problem.“ ... Die Botschaft ist ein­deutig. Wir müssen die Dinge vom Ende her denken, Wirkungs­zusammen­hänge und Konse­quenzen erkennen. Wir müssen uns von der Fixierung auf Effizienz­prinzipien und Opti­mierung von Details verabschieden und das Ganze im Blick be­halten. Das bedeutet Effizienz durch Effek­tivität, Konsis­tenz und Suffi­zienz ersetzen und andere Bewertungs­maßstäbe ansetzen.

 

Im Anfang liegt die Qualität.

Ein halbes Leben begleitet mich nun schon diese Erkenntnis, die Aristoteles vor über 2000 Jahren formulierte. In den vielen Projekten und Prozessen, die ich seit über 30 Jahren begleiten durfte, hat es sich immer wieder bewahr­heitet: Im Anfang liegt die Quali­tät. Mehr denn je geht es darum, positive Ziele und positive Auf­gaben zu formu­lieren. Inno­vation als Stimulus nutzen, Anreize zu schaffen und Intelli­genz im Anfang zum Wirken zu bringen, um Wege aus dem Dilemma zu finden.

 

Warum wir Verantwortung tragen?

Weil wir diese Welt gestalten. Weil Designer und Kreative Narrative erschaf­fen, die der Ver­blen­dung und dem Irr­glauben das Wort reden. Weil wir helfen, Bilder und Vor­stellungen zu etablieren, dass grenzen­loses Wachs­tum auf einem begrenzten Planeten möglich sei. Weil wir Schönheit und Glück durch Glücks­ver­sprechen und Eitel­keiten ersetzt haben. Ohne zu durch­dringen oder zu bedenken, was die Konse­quenzen sind und wohin uns dies alles treibt. „Geiz ist geil“ hat sich wie ein zer­setzendes Gift in allen Bevölkerungs­schichten etabliert. Es hat der bedingungs­losen Konsum­gesell­schaft das Wort geredet. Es hat einer entfesselten Weg­werf­gesell­schaft den Weg bereitet und Designer und Kreative haben den Boden bereitet.

Dabei haben wir es buch­stäblich in der Hand. In der Auseinander­setzung mit Prozessen, Anforderungen und Rahmen­bedingungen wird erkenn­bar, wie Wissen sinn­voll ein- und um­gesetzt werden kann. Durch die nähere Betrachtung erschließt sich Sinn­haftigkeit und Rele­vanz. Es geht nicht um das Instrument oder um das technisch Mach­bare. Es geht darum, die Dinge im Kern zu verstehen und sich ihnen fragend zu nähern. Dabei sind gesamt­gesell­schaft­liche Ver­änderungs­prozesse, Markt­entwick­lungen, techno­logische Rahmen­beding­ungen, Material- und Res­sourcen-Einsatz und Verbrauch sowie Produktions­prozesse ebenso ent­scheidend wie die Fähig­keit, Inhalte und Bot­schaften adäquat zum Aus­druck zu bringen.

Immer drängender werden die Fragen danach, was Menschen antreibt, was sie glücklich macht und was sie als wert­voll erachten. Mittler­weile sind wir begeistert von der Er­füllung von Bedürf­nissen, die erst in uns geweckt worden sind. Dabei geht es doch vielmehr darum, Neu­gierde, Wissens­durst, Erkenntnis­gewinn und die Fähig­keit, Lösungen und Zugänge für eine zunehmende Komplexität der Welt zu schaffen, um Urteils- und Entscheidungs­fähig­keit zu ermög­lichen. Zu­nehmend wird die Freude an der Erkennt­nis von einfachen Antworten und schneller Bedürfnis­befriedigung verdrängt. Sowohl der Stellen­wert wie die Verant­wortung, die Designer in diesem Zusammen­hang haben, haben sich dramatisch verändert. Es braucht neue Lösungen und ein Bewusst­sein darüber, wie und wozu wir unsere Fähig­keiten und Talente eigentlich nutzen wollen.

 

Was bleibt?

Wollen wir nicht zu Erfül­lungs­gehilfen degradiert und von der Entwick­lungs­dynamik über­rollt werden, müssen wir jetzt für unsere Werte ein­stehen. Wir müssen uns unserer Verant­wortung im Umgang mit den Dingen bewusst werden und wir müssen die Frage beant­worten, wie wir leben wollen.

„Wir müssen uns ein­gestehen, dass unser Wissen unglaub­lich begrenzt ist und dass die Wirk­lich­keit etwas ganz anderes ist, als wir begreifen können. Solange wir noch meinen, die Wirk­lich­keit ent­spräche dem Welt­bild, dass unsere begrenzte Ratio uns vor­gaukelt, werden wir die Bedeutung unseres Seins in dieser Welt nicht erkennen. Wir sind nur ein Wimpern­schlag in diesem zeit­losen Uni­versum. Es gab uns nicht, es wird uns einmal wieder nicht mehr geben und nie­mand wird uns ver­missen.“ ³

Wir müssen uns jetzt auf den Weg machen, denn wir haben das Wissen, die Kompetenz, die Fähig­keiten, die Werte und – so bleibt zu hoffen, aus­reichend gesunden Menschen­ver­stand, um die Frage zu stellen, wie wir leben wollen und was wir als lebens­dienlich und lebens­förder­lich ent­wickeln und gestalten wollen.

 

Quellen

1  Prof. Dr. Johan Rockström, Resilienzforscher
2  Prof. Dr. Michael Braungart, Chemiker und Verfahrenstechniker
3  Wigillis Jäger, Benediktinermönch und Zen-Meister

 

DDCAST Folge 02 mit Uli Mayer-Johanssen – Zusammen neue Perspektiven öffnen

Uli Mayer-Johanssen

Nach federführender Mitgründung von MetaDesign, einer der renommiertesten deutschen Markenagenturen, die Uli Mayer-Johanssen 25 Jahre lang geleitet hat, etablierte sie 2015 mit der Uli Mayer-Johanssen GmbH ein Unternehmen, das sich, aus der Philosophie der Ganzheit kommend, erfolgreich mit identitätsbasierter Unternehmens- und Markenführung befasst und bis dato zahlreiche wegweisende Visions- und Transformationsprozesse auf den Weg bringen konnte. Uli Mayer-Johanssen dozierte regelmäßig an Hochschulen, wie der ESCP-Europe, der FU Berlin oder der Business School St. Gallen und lehrte im Rahmen einer Gastprofessur an der UdK Strategische Markenführung. Sie gründete 2016 mit „designing future“ eine Initiative, die für Unternehmen und Organisationen neue Denkräume öffnet und innovative Ansätze im Bereich der systemischen Nachhaltigkeit setzt und wurde 2018 als Mitglied sowie 2019 ins Präsidium der Deutschen Gesellschaft Club of Rome berufen.

www.u-m-j.de