DESIGN DISKURS
Stellen wir uns den Herausforderungen, haben wir mehr zu gewinnen als zu verlieren.
Einsam stand das Weinhaus Huth auf dem weiten leeren Feld. In der Nachkriegszeit war es ein Symbol für die Zerstörung und Teilung der Stadt Berlin geworden. In unmittelbarer Nähe die Mauer mit ihren Wachtürmen, Minenfeldern und Selbstschussanlagen. Der eiserne Vorhang mitten im Leben der Menschen in einer geteilten Stadt. Als wir den Mietvertrag für die Räume im September 1989 für das neue Domizil unterschrieben, hätte kein Mensch geglaubt, dass die Mauer in absehbarer Zeit fallen würde. Ein Schreckgespenst war über Nacht einem Freiheits- und Zukunftstaumel gewichen. „Blühende Landschaften“, offene Grenzen und scheinbar unendliche Wachstumsperspektiven überdeckten, was auch damals schon offensichtlich war, nämlich die besorgniserregenden Erkenntnisse über das Maß der Zerstörung dieses Planeten.
Bereits 20 Jahre davor (1972) hatte der Club of Rome mit der Studie „Grenzen des Wachstums“ versucht, die Menschen wachzurütteln. Viele Katastrophen sollten folgen: 1986 der Super-GAU von Tschernobyl, 1995 Brent Spar, beängstigende Erkenntnisse über schmelzende Gletscher und vieles mehr drängten ins Bewusstsein und dennoch war das Zeitgefühl „Aufbruch“. Aufbruch in eine freie Welt, mit freien Märkten und schier endlosen Wachstums- und Wohlstandsperspektiven. Alles Warnen und alle Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung blieben hilflose Versuche, sich Gehör zu verschaffen.
Immer offensichtlicher wird: Unser Wohlstand hat uns blind gemacht und unsere Bequemlichkeit hält uns gefangen in einer Geisteshaltung, die alles ausblendet, was wir nicht wahrhaben wollen. Rockströms „Planetare Grenzen“ ¹, die 17 Sustainable Development Goals der UN, Fridays for Future, Scientists for Future – all das spricht eine eindeutige Sprache: Wir tragen Verantwortung für die Welt, die wir gestaltet und geschaffen haben, die wir dabei ausgebeutet und zerstört haben. Wir sind aus der Balance geraten. Sie, die Welt, ist aus der Balance geraten.
Es geht um einen neuen Zugang und einen neuen Umgang mit der Welt.
Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, dass wir nur verlieren, wenn wir etwas ändern. Denn stellen wir uns den Herausforderungen, haben wir mehr zu gewinnen als zu verlieren. Bislang hängen wir dem Irrglauben nach: Ich tue etwas Gutes, wenn ich weniger schlecht bin. Wir haben uns in einer Denkhaltung eingerichtet, die das Falsche perfekt macht und damit schlicht nur perfekt falsch. Michael Braungart ², der die Cradle to Cradle-Systematik entwickelt hat, bei der es keinen Abfall mehr gibt, sagt: „Weniger schlecht ist nur weniger Zerstörung.“ „Ich schütze nicht, indem ich weniger kaputt mache.“ „Nur weniger Abfall löst nicht das Problem.“ ... Die Botschaft ist eindeutig. Wir müssen die Dinge vom Ende her denken, Wirkungszusammenhänge und Konsequenzen erkennen. Wir müssen uns von der Fixierung auf Effizienzprinzipien und Optimierung von Details verabschieden und das Ganze im Blick behalten. Das bedeutet Effizienz durch Effektivität, Konsistenz und Suffizienz ersetzen und andere Bewertungsmaßstäbe ansetzen.
Im Anfang liegt die Qualität.
Ein halbes Leben begleitet mich nun schon diese Erkenntnis, die Aristoteles vor über 2000 Jahren formulierte. In den vielen Projekten und Prozessen, die ich seit über 30 Jahren begleiten durfte, hat es sich immer wieder bewahrheitet: Im Anfang liegt die Qualität. Mehr denn je geht es darum, positive Ziele und positive Aufgaben zu formulieren. Innovation als Stimulus nutzen, Anreize zu schaffen und Intelligenz im Anfang zum Wirken zu bringen, um Wege aus dem Dilemma zu finden.
Warum wir Verantwortung tragen?
Weil wir diese Welt gestalten. Weil Designer und Kreative Narrative erschaffen, die der Verblendung und dem Irrglauben das Wort reden. Weil wir helfen, Bilder und Vorstellungen zu etablieren, dass grenzenloses Wachstum auf einem begrenzten Planeten möglich sei. Weil wir Schönheit und Glück durch Glücksversprechen und Eitelkeiten ersetzt haben. Ohne zu durchdringen oder zu bedenken, was die Konsequenzen sind und wohin uns dies alles treibt. „Geiz ist geil“ hat sich wie ein zersetzendes Gift in allen Bevölkerungsschichten etabliert. Es hat der bedingungslosen Konsumgesellschaft das Wort geredet. Es hat einer entfesselten Wegwerfgesellschaft den Weg bereitet und Designer und Kreative haben den Boden bereitet.
Dabei haben wir es buchstäblich in der Hand. In der Auseinandersetzung mit Prozessen, Anforderungen und Rahmenbedingungen wird erkennbar, wie Wissen sinnvoll ein- und umgesetzt werden kann. Durch die nähere Betrachtung erschließt sich Sinnhaftigkeit und Relevanz. Es geht nicht um das Instrument oder um das technisch Machbare. Es geht darum, die Dinge im Kern zu verstehen und sich ihnen fragend zu nähern. Dabei sind gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozesse, Marktentwicklungen, technologische Rahmenbedingungen, Material- und Ressourcen-Einsatz und Verbrauch sowie Produktionsprozesse ebenso entscheidend wie die Fähigkeit, Inhalte und Botschaften adäquat zum Ausdruck zu bringen.
Immer drängender werden die Fragen danach, was Menschen antreibt, was sie glücklich macht und was sie als wertvoll erachten. Mittlerweile sind wir begeistert von der Erfüllung von Bedürfnissen, die erst in uns geweckt worden sind. Dabei geht es doch vielmehr darum, Neugierde, Wissensdurst, Erkenntnisgewinn und die Fähigkeit, Lösungen und Zugänge für eine zunehmende Komplexität der Welt zu schaffen, um Urteils- und Entscheidungsfähigkeit zu ermöglichen. Zunehmend wird die Freude an der Erkenntnis von einfachen Antworten und schneller Bedürfnisbefriedigung verdrängt. Sowohl der Stellenwert wie die Verantwortung, die Designer in diesem Zusammenhang haben, haben sich dramatisch verändert. Es braucht neue Lösungen und ein Bewusstsein darüber, wie und wozu wir unsere Fähigkeiten und Talente eigentlich nutzen wollen.
Was bleibt?
Wollen wir nicht zu Erfüllungsgehilfen degradiert und von der Entwicklungsdynamik überrollt werden, müssen wir jetzt für unsere Werte einstehen. Wir müssen uns unserer Verantwortung im Umgang mit den Dingen bewusst werden und wir müssen die Frage beantworten, wie wir leben wollen.
„Wir müssen uns eingestehen, dass unser Wissen unglaublich begrenzt ist und dass die Wirklichkeit etwas ganz anderes ist, als wir begreifen können. Solange wir noch meinen, die Wirklichkeit entspräche dem Weltbild, dass unsere begrenzte Ratio uns vorgaukelt, werden wir die Bedeutung unseres Seins in dieser Welt nicht erkennen. Wir sind nur ein Wimpernschlag in diesem zeitlosen Universum. Es gab uns nicht, es wird uns einmal wieder nicht mehr geben und niemand wird uns vermissen.“ ³
Wir müssen uns jetzt auf den Weg machen, denn wir haben das Wissen, die Kompetenz, die Fähigkeiten, die Werte und – so bleibt zu hoffen, ausreichend gesunden Menschenverstand, um die Frage zu stellen, wie wir leben wollen und was wir als lebensdienlich und lebensförderlich entwickeln und gestalten wollen.