Wir präsentieren den ersten Entwurf der Ergeb­nisse unseres Kon­vents für demo­kratisches Design, der im März 2022 in Frank­furt am Main stattgefunden hat­: zehneinhalb Thesen, die auf dem Kon­vent von Design­expert­*innen erarbeitet wurden. Entscheidend ist hierbei die letzte halbe These, vielmehr eine Klausel am Ende: Diese Thesen sind offen, erweiterbar und müssen diskutiert werden – mit euch!

Veröffentlicht am 21.09.2022

Präambel

Unsere Demokratie ist porös ge­wor­den. Während ihre Idee nichts an Strahl­kraft einge­büßt hat – selbst Diktatur­en schmücken sich mit ihr –, werden demo­kratische Struk­turen und Insti­tutio­nen sowie eine gelebte demo­kratische Praxis brüchig – sie werden ange­zweifelt, offen miss­achtet und sogar ange­griffen. Designer­*innen ver­fügen über die gestalter­ischen Mittel, dem etwas ent­gegen­zu­setzen: mit diver­gentem Denken, kreativen Strategien und den Methoden eines itera­tiven Design­pro­zesses lassen sich neue Wege der Partizi­pation und demo­kratischer Teil­habe ge­stalten, die dem schleichen­den Zer­fall unserer Demo­kratie etwas ent­gegen­setzen können.

Jedoch organisieren sich Designer­*innen zu wenig politisch – und die insti­tutio­nelle Politik bietet ihnen hier­zu auch wenig Anreiz. Bisher werden Designer­*innen als Gestaltungs­expert­*innen gar nicht oder zu spät in polit­ische Pro­zesse mit­ein­ge­bun­den. Eben­so wenig können Designer­*innen ihren Unter­halt allein durch polit­ische, geschweige denn aktivist­ische Pro­jekte be­streiten. Um die Heraus­forder­ungen unserer Zeit zu meistern, muss sich das ändern.

Es gilt, neuen Mög­lich­keiten der aktiven Teil­habe zu ge­stalten, öffent­liche Räume des kon­struk­tiven Streits zu ent­werfen sowie neue Wege der politischen Kom­muni­kation zu er­denken, welche unsere Gesell­schaft zusam­men­bringt und nicht spaltet. Weil sich dieses polit­ische Unter­fangen lohnt, muss es auch öko­nom­isch ent­lohnt werden. Und dies alles kann nur vor dem Horizont einer nach­haltigen Gestalt­ung geschehen, die zu­künft­igen Genera­tionen die gleichen Handlungs­spiel­räume ermöglicht.

Der Deutsche Designer Club (DDC) fordert die Design­branche und die Politik dazu auf, die bestehende Lücke zwischen Design und Politik zu schließen. Wir müssen gemein­sam die kreativen Werk­zeuge ein­setzen, die uns das Design als Aus­ge­stalt­ung unserer Lebens­welten bereit­stellt. Der Kon­vent für demo­kratisches Design, der im März 2022 in Frank­furt am Main statt­fand, war ein erster Schritt in diese Richt­ung. Folgende zehn Punkte, die auf dem Konvent von Design­expert­*innen erar­beitet wurden, sollen ver­deut­lichen, was der DDC unter einem Design für die Demo­kratie versteht: 

 

1. Design für die Demokratie ist politisch
Wir designen unsere Lebenswelt, die sich zugleich immer auch anders designen lässt. Design­ent­schei­dungen prägen uns und unseren Alltag. Somit ist dem Design eine polit­ische Dimen­sion inhärent. Wir brauchen neue Platt­formen des Aus­tauschs, um diese politische Dimen­sion aktiv zu entfalten. 
2. Design für die Demokratie ist partizipativ 
Ohne Partizipation am Design­prozess und eine Plurali­tät der Perspek­tiven lassen sich die Heraus­forder­ungen unserer Zeit nicht be­wält­igen. Design ist immer Gestalt­ung für jeman­den, für andere, für Nutzer­*innen, für Menschen, für die Gesell­schaft. Die Design­branche muss neue Wege finden, alle Stake­holder­*innen mit­ein­zu­be­ziehen. 
3. Design für die Demokratie ist kritisch-transformativ 
Wir können den verhärteten Status Quo nicht weiterhin gestalterisch affirmieren, sondern müssen ihn gemeinsam kritisch hinterfragen. Wir müssen die Dinge durch die transformative Kraft des Designs grundlegend verändern und eine neue, nachhaltige Normalität schaffen. Durch Design verändern wir die Welt so wie wir uns verändern. Sowohl die Designer*innen als auch die Politik müssen sich dieses Potenzials bewusst werden. 
4. Design für die Demokratie ist streitbar 
Es geht nicht darum, dass Designer*innen die perfekte Lösung für all unsere Probleme gestalten. Design ermöglicht Handlungen im gleichen Maße, wie es andere verhindert. Ohne eine öffentliche Designkritik kann es kein gutes Design geben. So wie die Demokratie lebt das Design vom Streit um die Sache. 
5. Design für die Demokratie ist ästhetisch 
Designer*innen sind auch Expert*innen der Erscheinung. Wir wissen, wie man Dinge zu öffentlichen Angelegenheiten macht. Durch ihr Erscheinen werden aus bloßen Tatsachen uns angehende Dinge. Design für die Demokratie hebt den ästhetischen Wert des Designs als politischen Wert hervor. 
6. Design für die Demokratie ist undiszipliniert   
Gute Probleme haben die Eigen­heit, sich nicht diszi­plinär einengen zu lassen. Sie lassen sich, wenn über­haupt, nur inter­diszipli­när lösen. Zugleich fordern sie uns dazu auf, uns selbst und unsere Diszi­plinen neu und anders zu denken und zu ver­lernen, was wir bisher unter Design verstanden haben. 
7. Design für die Demokratie ist zukunftsoffen 
Jeder Design­ent­wurf enthält in seinem Kern eine Speku­lation auf eine bessere Zukunft. Zu­gleich muss er sich in seinem histor­ischen Kon­text er­weisen, um früher oder später selbst ver­bessert zu werden. In dieser Offen­heit zur Zukunft bleibt Design beweg­lich und veränder­bar. Wir müssen diese Zukunfts­offen­heit im Design leben.
8. Design für die Demokratie ist inklusiv 
Durch aktuelle queer-feministische und post-koloniale Design­kritiken wurden bisher blinde Flecken der Design­disziplin aufge­deckt. Diese sind kein Ärgernis, sondern ein Ansporn für das Design, unsere Welt gemein­sam inklusiver zu gestalten. Gutes Design bezieht andere mit ein und befähigt sie zum Handeln.
9. Design für die Demokratie ist praktisch  
Im Design ver­knüpfen sich Denken und Handeln in den Dingen, Strukturen, Objekten und Systemen unseres praktischen Lebens­voll­zugs. Mit Design ver­wirk­licht sich eine projekt-basierte Demo­kratie der all­täg­liche, kom­munalen Lebens­welt, welche sowohl die regio­nale als auch die globale Politik mit­bestim­men kann. Wir müssen echte Projekte für echte Menschen fokus­sieren. 
10. Design für die Demokratie ist nachhaltig 
In ihrem verbesserungs­würdigen Zustand bleibt die Demo­kratie ein Ver­sprechen aus der Zukunft. Eine Zukunft, die wir durch unsere Art zu leben, zu produzieren, zu wirt­schaften und selbst­ver­ständ­lich zu designen nicht ver­un­mög­lichen dürfen. Unser Design darf die Gestaltungs­spiel­räume zukünftiger Generatio­nen nur ver­größern und nicht verengen. 
10,5. Diese Thesen sind unabgeschlossen
Wie die Demokratie selbst ist dieses Vorhaben eines Designs für die Demokratie auch ein Prozess, der um die eigene Fehl­barkeit weiß. Die ersten zehn Punkte sollen eine Perspektive auf ein Design für die Demo­kratie eröffnen und müssen stetig erweitert werden. 

 

 

 

Die Politik und die Design- und Kreativ­branche werden gemeinsam noch einen Weg zurück­legen müssen, auf dem sich weitere Facetten eines Designs für die Demo­kratie ergeben werden. Aus dem Kon­vent für demo­kratisches Design ergeben sich über ein neues Selbst­ver­ständ­nis des Designs hinaus weitere, konkrete Forder­ungen, die wir gemein­sam mit der Politik um­setzen wollen: 

Die 17 Ziele für nach­haltige Ent­wicklung der Vereinten Nationen (SDG) müssen Grund­lage aller politischen sowie gestalter­ischen Ent­scheidungen werden.
Designexpert­*innen müssen in gestalterisch-politische Pro­zesse von Anfang an mit­ein­be­zogen werden, um diese öko­logisch, öko­nomisch sowie sozial nach­haltiger zu gestalten.
Politik selbst muss als die Gestalt­ung von Pro­zessen ver­standen werden, die trotz aller Unter­schied viele Ähnlich­keiten mit dem Design teilt. Auf dieser Grund­lage können Politiker­*innen und Designer­*innen vonein­ander lernen.
Partizipa­torische Design-Thinking-Methoden müssen in politische Pro­zesse inte­griert werden, um alle Stake­holder­*innen an den Tisch zu bekommen.
Kreativität macht neue Handlungs­spiel­räume sowie die Möglich­keit der Partizi­pation erfahr­bar. Die Politik und die Kreativ- und Design­branche müssen gemein­sam Kreativi­tät als demo­kratisches Instru­ment ver­mitteln und benutzen.
Designer*innen müssen neue Wege der Kommuni­kation über ihre Arbeit finden. Denn auch das Design von ver­meint­lich simplen All­tags­gegen­ständen stößt struktur­elle Pro­zesse an, deren Gestalt­ung wesent­licher Teil des Designs ist.
Die Politik muss aktiver auf die Fähig­keit von Designer­*innen zurück­greifen, positive Zukunfts­bilder sowie Narra­tive für die politische Kommuni­kation zu ent­werfen.
Verantwortung und Haltung müssen grund­legende Bestand­teile einer Design­aus­bildung sein. Der Raum für die Erfahr­ung von Selbst­wirksam­keit muss ebenso Teil einer zukunfts­orien­tierten Design­aus­bildung sein.
Die gestalterische Arbeit in politischen Kon­texten kann nicht rein idealist­isch bleiben. Engage­ment für die Demo­kratie muss sich für Gestalter­*innen lohnen. Die Politik muss in kreative Vor­haben inves­tieren.
Der Design­konvent muss als Platt­form des Aus­tauschs als jähr­liches Event etabliert werden. 

Bei Fragen, Anregungen oder Kommentaren könnt ihr euch direkt an felix.kosok@ddc.de wenden.