NACHRUF

Mit Gert Selle verlieren wir eine prägende Figur der deutschen Kunstpädagogik, Designtheorie und Designgeschichte.

Veröffentlicht am 12.02.2025

Gert Sel­le war ein sehr kri­ti­scher Geist, der sich stets für ei­ne er­fah­rungs­be­zo­ge­ne und sinn­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit Kunst und De­sign ein­setz­te. Er be­grün­de­te sei­ne Skep­sis ge­gen­über di­dak­ti­scher „Pla­nungs­ra­tio­na­li­tät“ und den vor­herr­schen­den Nar­ra­ti­ven der De­sign­ge­schich­te. Gert Sel­les Werk ist bis heu­te von gro­ßer Be­deu­tung für die äs­the­ti­sche Bil­dung und die De­si­gn­leh­re.

Gert Selle (1933 – 2025). Bild © Erika Esau

Sei­ne Schwer­punk­te wa­ren De­sign, Kul­tur­ge­schich­te und äs­the­ti­sche Er­zie­hung. Schon 1973 ver­fass­te er mit „Ideo­lo­gie und Uto­pie des De­sign. Zur ge­sell­schaft­li­chen Theo­rie der in­dus­tri­el­len Form­ge­bun­g“ ei­ne kri­ti­sche und kul­tur­wis­sen­schaft­lich fun­dier­te De­sign­ge­schich­te, die von sei­ner Ge­ne­ra­ti­on mit grö­ß­tem In­ter­es­se auf­ge­nom­men wur­de. „Die Ge­schich­te des De­sign in Deutsch­land von 1870 bis heu­te. Ent­wick­lung der in­dus­tri­el­len Pro­dukt­kul­tur“ (1978) wur­de dann zum mehr­fach auf­ge­leg­ten Stan­dard­werk, das er auch im­mer wie­der er­gänz­te. Sie reich­te zu­letzt von der In­dus­tria­li­sie­rung bis zu den heu­ti­gen Pro­dukt­kul­tu­ren im Zei­chen der Di­gi­ta­li­sie­rung.

1933 in Bres­lau ge­bo­ren, stu­dier­te Sel­le Ger­ma­nis­tik, Kunst­ge­schich­te und Kunst­päd­ago­gik in Frank­furt und Kas­sel. Er war von 1960 bis 1967 Kunst­er­zie­her in Frank­furt am Main. An­schlie­ßend war er bis 1972 Do­zent an der Werk­kunst­schu­le Darm­stadt. 1973 er­folg­te dann die Be­ru­fung auf den Lehr­stuhl Bil­den­de Kunst – Vi­su­el­le Kom­mu­ni­ka­ti­on an der Päd­ago­gi­schen Hoch­schu­le Nie­der­sach­sen am Stand­ort Braun­schweig, spä­ter TU Braun­schweig. Sel­le wech­sel­te 1981 auf die Pro­fes­sur für Theo­rie, Di­dak­tik und Pra­xis äs­the­ti­scher Er­zie­hung an die Uni­ver­si­tät Ol­den­burg, wo er 1999 eme­ri­tiert wur­de.

Gert Selle vor seiner Hütte in der Rhön im Jahr 1973. Bild © Erika Esau

Ge­mein­sam mit Mi­cha­el An­dritz­ky ver­fass­te Sel­le „Lern­be­reich Woh­nen“. In sei­nem Werk „Kul­tur der Sin­ne“, das er mit Jut­ta Bo­ehe her­aus­gab, plä­dier­te er für ei­ne kunst­na­he Er­zie­hung. „Ge­brauch der Sin­ne“ ist ein wei­te­res wich­ti­ges Werk, in dem er ei­ne kunst­päd­ago­gi­sche Pra­xis auf­zeig­te. Auch nach sei­ner Eme­ri­tie­rung gab er vie­le wei­te­re For­schungs­er­geb­nis­se und Es­says her­aus und ar­bei­te­te ver­mehrt künst­le­risch. 2010 un­ter­stütz­te er un­ter an­de­rem die Wis­sens­platt­form de­si­gn­wis­sen.net.

 

Im Al­ter von 91 Jah­ren ist Gert Sel­le am 1. Fe­bru­ar 2025 ver­stor­ben.
Wir wer­den ihn ver­mis­sen. 



Ei­ne aus­führ­li­che Wür­di­gung an­läss­lich des 90. Ge­burts­tags von Gert Sel­le schrieb sein ehe­ma­li­ger Schü­ler Gerd Ohl­hau­ser auf ndi­on: ndion.de/de/darstellen-und-durchdenken-des-entwurfs-wurden-eins

Wir dan­ken Eri­ka Esau, Stu­den­tin und Freun­din von Sel­le, für die Bil­der, die wir nut­zen dür­fen. Ih­ren per­sön­li­chen Nach­ruf fin­det man hier: esauboeck.wordpress.com